Rn 4

Eine Übertragung ist möglich, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen wurde, die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, keine grundsätzliche Bedeutung hat und über sie nicht bereits im Haupttermin zur Hauptsache verhandelt worden ist (§ 526 I). Auch wenn die Voraussetzungen in weiten Bereichen deckungsgleich mit denen einer erstinstanzlichen Einzelrichterbefassung sind (§§ 348 III; 348a II Nr 1), bedürfen sie in der Berufungsinstanz besonderer Prüfung.

1. Erstinstanzliche Einzelrichterentscheidung (Nr 1).

 

Rn 5

Regelmäßig fallen in der Berufung nur erstinstanzliche Einzelrichterentscheidungen an (§§ 348 f; 22 I GVG). Kollegialentscheidungen können von der Kammer für Handelssachen (§ 349) und der Zivilkammern mit einer Sonderzuständigkeit nach § 348 I 2 Nr 2) herrühren. Dass erstinstanzlich eine Kammerentscheidung unter Verletzung der §§ 348, 349 ergangen ist, rechtfertigt eine zweitinstanzliche Einzelrichterentscheidung nicht (arg §§ 348 IV, 348a III; Celle OLGR 03, 8; Frankf OLGR 03, 340; aA [analoge Anwendung des § 538 I Nr 1] KG KGR 08, 449). Einzelrichterentscheidungen sind nicht solche des Vorsitzenden einer Kammer für Handelssachen nach § 349 II, III (BGH NJW 04, 856 [BGH 20.10.2003 - II ZB 27/02]).

2. Keine besondere Schwierigkeit (Nr 2).

 

Rn 6

Das Erfordernis fehlender besonderer Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art entspricht dem in §§ 348 III Nr 1, 348a I Nr 1 (§ 348 Rn 8). Lagen solche Schwierigkeiten bereits in 1. Instanz vor, so kam schon dort der Einzelrichter nicht zum Einsatz, auch in der Berufung ist dann eine Einzelrichterentscheidung nach § 526 I Nr 1 ausgeschlossen. Dass erstinstanzlich ein Einzelrichter tätig wurde, indiziert das Fehlen besonderer Schwierigkeiten (Musielak/Voit/Ball Rz 4), enthebt das Berufungsgericht aber nicht einer eigenständigen Beurteilung. Nur ein ›besonderer‹, deutlich über das übliche Maß hinaus gehender Schwierigkeitsgrad steht der Übertragung entgegen (ThoPu/Reichold Rz 7; Musielak/Voit/Ball Rz 5).

 

Rn 7

Anhaltspunkte für die besonderen Schwierigkeiten können sich aus dem erstinstanzlichen Prozessstoff ergeben, sei es aus dem Parteivortrag, dem Beweisergebnis oder der angefochtenen Entscheidung, sie können aber auch aus dem Vortrag der Parteien in 2. Instanz folgen. In tatsächlicher Hinsicht ist dies der Fall, wenn der Sachverhalt schwer überschaubar oder verständlich ist, er besondere medizinische, wirtschaftliche, technische, wissenschaftliche oder sonstige Fachfragen aufwirft oder eine absehbare komplexe Beweisaufnahme zur Würdigung widersprüchlicher Ergebnisse nötig werden wird. Nicht erfüllt ist das Erfordernis besonderer tatsächlicher Schwierigkeit der Sache, wenn diese bloß umfangreich ist. Punktesachen zB in Bau- oder Mietstreitigkeiten stellen keine qualitative, sondern eine bloß quantitative Belastung des Gerichts dar, von denen der Spruchkörper durch den Einzelrichter gerade entlastet werden soll. In rechtlicher Hinsicht weist die Sache besondere Schwierigkeiten auf, wenn die zu beantwortenden Rechtsfragen obergerichtlich bislang nicht hinreichend geklärt sind, sie ausgefallen oder kompliziert sind, sie üblicherweise in die Zuständigkeit von Gerichten anderer Rechtswege fallen oder auf sie ausländisches Recht anzuwenden ist (Anders/Gehle/Göertz ZPO § 348 Rz 39). Allein der Umstand, dass die Geschäftsverteilung für einzelne Sachen die Sonderzuständigkeit einzelner Spruchkörper vorsieht, kann nicht dazu führen, dass sich diese Sachen wegen ihrer besonderen Anforderungen für eine Einzelrichterentscheidung nicht mehr eignen (MüKoZPO/Deubner § 348 Rz 21; MüKoZPO/Rimmelspacher Rz 7; Zö/Gummer/Heßler Rz 5; aA Köln VersR 87, 164; Musielak/Voit/Wittschier § 348a Rz 8). Dies gilt auch für die Katalogzuständigkeiten des § 348 I 2 (Zö/Gummer/Hessler Rz 5). Hier kann der Maßstab der ›besonderen Schwierigkeit‹ durch die besondere Sachkunde auch des Einzelrichters entsprechend verschoben sein (Musielak/Voit/Wittschier § 348a Rz 8; MüKoZPO/Deubner § 348 Rz 21).

3. Keine grundsätzliche Bedeutung (Nr 3).

 

Rn 8

In § 526 I Nr 3 ist der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung im weitesten Sinn zu verstehen (Musielak/Voit/Ball Rz 6) und geht damit über die Auslegung desselben Begriffs an anderen Stellen (§§ 348 III Nr 2, 348a I Nr 2; 511 IV Nr 1; 522 II Nr 2; 543 II Nr 1) hinaus. Erfüllt ist er, wenn die Rechtssache eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung für die Allgemeinheit hat und in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten kann oder wenn andere Auswirkungen des Rechtsstreits auf die Allgemeinheit – insb das tatsächliche oder wirtschaftliche Gewicht der Sache – deren Interessen in besonderem Maß berühren und ein Tätigwerden des Revisionsgerichts erforderlich machen (BGH NJW 04, 2222, 2223 [BGH 11.05.2004 - XI ZB 39/03]; MDR 03, 468; NJW 03, 65, 67 [BGH 01.10.2002 - XI ZR 71/02]). Hierzu kann die wirtschaftliche Bedeutung der Sache allein genügen (Zö/Gummer/Heßler Rz 6) oder auch, dass die Spruchkörpermitglieder zu der entsch...

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