Rn 7

Der originäre Einzelrichter (Rn 2) muss die Sache in den in Abs 3 S 1 bestimmten Fällen der Kammer zur Übernahme vorlegen. Das gilt insb dann, wenn der Einzelrichter die Sache gem Art 100 I GG dem BVerfG (BVerfG Beschl v 15.11.10 – 1 BvL 12/10) oder gem Art 267 II AEUV dem EuGH vorlegen möchte (BGH WM 20, 838 Rz 15; Stuttg Beschl v 1.7.20 – 16a W 3/20; offengelassen von Stuttg Beschl v 10.8.22 – 23 W 42/21; aA LG Ravensburg Beschl v 31.3.21 – 2 O 339/19). Durch übereinstimmenden Antrag können die Parteien den Einzelrichter zur Vorlage veranlassen (Abs 3 S 1 Nr 3). Legt der Einzelrichter trotz eines solchen Antrags die Sache nicht der Kammer zur Übernahme vor und sind die Voraussetzungen des Abs 3 S 1 Nr 1 und 2 gegeben, dürfte dies ein willkürlicher Entzug des gesetzlichen Richters sein, der entgegen der Regel des Abs 4 bereits im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten gerügt werden kann (vgl Stackmann JuS 08, 129; nunmehr auch Ddorf FamRZ 12, 475). Die Kammer entscheidet über die Übernahme durch Beschl. Dieser ist unanfechtbar und kann auch mit dem Rechtsmittel gegen die Endentscheidung nicht angegriffen werden (Abs 4). Eine Übernahme ohne entspr Beschl ist ein unheilbarer Verfahrensmangel und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (Celle MDR 03, 523 [OLG Karlsruhe 25.10.2002 - 2 UF 98/02]; Kobl MDR 11, 1257f [OLG Koblenz 04.06.2010 - 5 U 1317/09]).

 

Rn 8

Die Kammer muss die ihr vom Einzelrichter vorgelegte Sache übernehmen, wenn die Voraussetzungen des Abs 3 S 1 Nr 1 oder 2 erfüllt sind. Besondere Schwierigkeiten tatsächlicher Art sind gegeben, wenn der Sachverhalt eine erheblich überdurchschnittliche Komplexität aufweist, die sich etwa darin zeigen kann, dass eine Beweisaufnahme durchgeführt werden muss, die zur Würdigung widerstreitender Sachverständigengutachten führt. Zu berücksichtigen sind dabei auch etwaige besondere Kenntnisse des Einzelrichters (vgl Stackmann JuS 08, 129, 130). Im Arzthaftungsprozess wird häufig von besonderen Schwierigkeiten auszugehen sein (vgl Karlsr NJW-RR 06, 205 [OLG Karlsruhe 24.06.2005 - 7 W 28/05]; aber nicht stets, s BGH NJW 13, 2601 [BGH 14.05.2013 - VI ZR 325/11] Rz 14); ab 1.1.18 ist der originäre Einzelrichter insoweit wegen § 72a S 1 Nr. 3 GVG (ab 1.1.21: § 72a I Nr. 3 GVG) ausgeschlossen (s Rn 1). Besondere rechtliche Schwierigkeiten können sich insb daraus ergeben, dass ausgefallene und/oder überdurchschnittlich komplizierte Rechtsfragen zu beantworten sind. Zu den Anforderungen an die grundsätzliche Bedeutung s.u. § 511 Rn 45 f.

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