Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzlicher Richter bei Kammerentscheidung in einer Einzelrichtersache

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist ein Rechtsstreit einem Kammermitglied als Einzelrichter zur Verhandlung und Entscheidung übertragen, darf stattdessen nicht die vollbesetzte Kammer ohne vorherige Anhörung der Parteien und förmlichen Übernahmebeschluss entscheiden. Der Verfahrensfehler ist nicht nach § 348 Abs. 4 ZPO oder § 295 ZPO unbeachtlich.

2. Ein in erster Instanz unterlaufener Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 ZPO zwingt - ungeachtet der weiteren Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO - zur Zurückverweisung, wenn das erstinstanzliche Verfahren überhaupt keine Grundlage für das Berufungsverfahren darstellen kann.

 

Normenkette

GG Art. 101; ZPO §§ 295, 348, 348a, 512, 538, 547; GVG § 75

 

Verfahrensgang

LG Trier (Urteil vom 07.10.2009; Aktenzeichen 5 O 129/08)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Trier vom 7.10.2009 aufgehoben, soweit darin das Versäumnisurteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des LG Trier vom 17.12.2008 bestätigt worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an den durch Beschluss des LG Trier vom 19.11.2008 bestimmten Einzelrichter oder dessen Nachfolger im Dezernat verwiesen.

3. Im Übrigen hat das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Trier vom 7.10.2009 Bestand (Klageabweisung).

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von den Beklagten Steuerberaterhonorar. Durch Beschluss vom 19.11.2008 hat die Zivilkammer in der Besetzung nach §§ 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. d) ZPO, 75 GVG die Sache dem Kammervorsitzenden zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen (§ 348a Abs. 1 ZPO). Bei ihm wurde einseitig mündlich verhandelt, worauf ein der Klage stattgebendes Versäumnisurteil erging. Auf den Einspruch der Beklagten verhandelte die Kammer in der Besetzung mit drei Richtern und bestätigte sodann durch das nunmehr angefochtene Urteil das Versäumnisurteil des Einzelrichters weitgehend.

Mit ihrer Berufung erstreben die Beklagten in erster Linie die umfassende Abweisung der Klage. Hillfsweise beantragen sie die Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil statt des allein zuständigen Einzelrichters die Kammer in der Besetzung mit drei Berufsrichtern entschieden habe.

Die Klägerin meint, die Verfahrensrüge der Beklagten scheitere an § 348 Abs. 4 ZPO.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II. Die Berufung hat mit dem Hilfsantrag einen vorläufigen Erfolg. Im Umfang der Anfechtung musste das angefochtene Urteil aufgehoben werden, weil das LG bei seiner Verhandlung und Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Darin liegt ein derart wesentlicher Verfahrensmangel, dass die Aufhebung und Zurückverweisung geboten ist, selbst wenn die weiteren Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht vorliegen sollten.

Gesetzlicher Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) war der Einzelrichter, nachdem die Zivilkammer ihm die Sache wirksam übertragen hatte (§ 348a Abs. 1 ZPO). Hiernach hat der Einzelrichter weder den Rechtstreit der Zivilkammer zur Entscheidung über eine Übernahme vorgelegt (§ 348a Abs. 2 Satz 1 ZPO) noch hat die Zivilkammer eine derartige Übernahme ausgesprochen (§ 348a Abs. 2 Satz 2 ZPO). Der Zivilkammer war bei ihrem weiteren Verfahren anscheinend nicht bewusst, dass die Sache nahezu ein Jahr zuvor dem Einzelrichter übertragen worden war. Dieses Versehen findet seine nahe liegende Erklärung darin, dass der Streitstoff originär in die Zuständigkeit der mit drei Richtern besetzten Kammer fiel (§ 348 Abs. 1 Nr. 2 lit. d ZPO).

Die Frage, ob eine "stillschweigende" Übernahme durch die mit drei Richtern besetzte Kammer möglich ist, stellt sich nicht. Die Übernahme erfordert eine förmliche Entscheidung durch Beschluss (§ 348a Abs. 2 Satz 3 ZPO). Zuvor sind die Parteien anzuhören. Nur auf diese Weise ist gewährleistet, dass die Beteiligten das Für und Wider eines Wechsels in der Besetzung des Gerichts abwägen und ihre Überlegungen zu dieser Frage darlegen können, damit sie in den gerichtlichen Entscheidungsfindungsprozess einfließen, der die bedeutsame Frage des gesetzlichen Richters betrifft (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Daher ist der förmliche Übernahmebeschluss nach § 348a Abs. 2 Satz 3 ZPO unverzichtbar.

Der Hinweis der Klägerin auf § 348 Abs. 4 ZPO geht schon deshalb fehl, weil im vorliegenden Fall angesichts der wirksamen Übertragung auf den Einzelrichter allenfalls eine Rügepräklusion nach § 348a Abs. 3 ZPO in Betracht kommt. Die Vorschrift erfasst jedoch nicht den vorliegenden Fall, weil mit der "unterlassenen Übertragung" nur umschrieben ist, dass der Einzelrichter selbst dann gesetzlicher Richter bleibt, wenn er den Fall auf die vollbesetzte Kammer hätte übertragen müssen. Darum geht es hier nicht. Es ist auch keine "Übernahme" erfolgt, weil § 348a Abs. 3 ZPO...

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