Rn 1

Die Möglichkeit der Wiedereinsetzung dient einerseits der Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes des Zugangs zum Gericht, der nicht unzulässig erschwert werden darf. Andererseits erfordert es auch die Einzelfallgerechtigkeit, einer Partei, die schuldlos eine Frist versäumt hat, eine Möglichkeit zur Beseitigung der Folgen der Fristversäumung einzuräumen.

I. Begriff, Wirkung.

 

Rn 2

Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung wird rückwirkend der Zustand hergestellt (fingiert), als sei die fristgebundene Handlung rechtzeitig vorgenommen worden. Es handelt sich damit um eine Durchbrechung der zunächst eingetretenen Rechtskraft. Dies wird besonders deutlich, wenn im Zeitpunkt des Wiedereinsetzungsantrags ein verspätet eingelegtes Rechtsmittel bereits verworfen ist: hat das Wiedereinsetzungsgesuch Erfolg, wird das Rechtsmittel nachträglich als rechtzeitig behandelt, die auf der angenommenen Verspätung des Rechtsmittels basierende Entscheidung wird ohne weiteres gegenstandslos (BGH NJW 13, 697, 698 [BGH 28.11.2012 - XII ZB 235/09]). Bei der Ausgestaltung der Wiedereinsetzung ist aber auch der Rechtssicherheit ein hoher Stellenwert eingeräumt, wie die absolute Frist für die Wiedereinsetzung (§ 234 III) deutlich macht.

II. Maßstab.

 

Rn 3

Die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör gebieten es, den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfG, NJW-RR 02, 1005 [BVerfG 20.12.2001 - 2 BvR 1100/01]; BGH 3.12.09 – IX ZB 238/08 juris). Nach der Rspr des BVerfG und des BGH dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren (vgl BGH NJW-RR 08, 930 [BGH 23.01.2008 - XII ZB 155/07], NJW 12, 2522 [BGH 05.06.2012 - VI ZB 16/12]). Diese Funktion des Wiedereinsetzungsgesuchs beeinflusst die Voraussetzungen, unter denen im Einzelfall Wiedereinsetzung zu gewähren ist (vgl nur BGH NJW 15, 3519, 3520 [BGH 24.09.2015 - IX ZR 206/14]). Die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten dürfen daher nicht überspannt werden. Nicht ohne Grund hat das BVerfG wiederholt Anlass zum Eingreifen gesehen (vgl etwa zur Pflicht, eine falsch adressierte Berufungsschrift weiterzuleiten BVerfG NJW 95, 3173, 3175).

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge