Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Wiedereinsetzung in versäumte Wiedereinsetzungsfrist

 

Leitsatz (amtlich)

a) Hat das Gericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verworfen, weil er nicht innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO eingegangen ist, steht dies einem Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist nicht entgegen, da bei Gewährung der Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist dem Verwerfungsbeschluss die Grundlage entzogen würde (im Anschluss an den BGH v. 9.2.2005 - XII ZB 225/04, FamRZ 2005, 791).

b) Wenn eine mittellose Partei innerhalb der Rechtsmittelfrist lediglich einen vollständigen Prozesskostenhilfeantrag einreicht und diesem einen nicht unterzeichneten Entwurf des Rechtsmittels und der Rechtsmittelbegründung ihres Prozessbevollmächtigten beifügt, ist ihre Mittellosigkeit kausal für die versäumte Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfrist geworden. Ihr kann nach Bewilligung der begehrten Prozesskostenhilfe und fristgerecht nachgeholten Prozesshandlungen Wiedereinsetzung in die versäumten Rechtsmittelfristen bewilligt werden (Abgrenzung zu BGH Beschl. v. 6.5.2008 - VI ZB 16/07, NJW 2008, 2855).

 

Normenkette

ZPO §§ 233, 234 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Beschluss vom 20.11.2009; Aktenzeichen II-5 UF 225/08)

AG Mönchengladbach-Rheydt (Urteil vom 02.10.2008; Aktenzeichen 24 F 249/06)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 5. Senats für Familiensachen des OLG Düsseldorf vom 20.11.2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das OLG zurückverwiesen.

Wert: bis 6.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Parteien streiten um Abänderung eines gerichtlichen Vergleichs über Kindesunterhalt. Das Urteil des AG, durch das der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen wurde, ist dem Beklagten am 13.10.2008 zugestellt worden. Mit einem am 12.11.2008 eingegangenen Schriftsatz hat er Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung beantragt. Mit Beschluss vom 12.6.2009 hat das Berufungsgericht dem Beklagten teilweise Prozesskostenhilfe bewilligt und den Antrag im Übrigen zurückgewiesen. Der Beschluss ist dem Beklagten am 29.6.2009 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 13.7.2009, beim Berufungsgericht eingegangen am 14.7.2009, hat der Beklagte im Umfang der bewilligten Prozesskostenhilfe Berufung eingelegt, zur Begründung auf den Prozesskostenhilfebeschluss sowie auf den dem Prozesskostenhilfeantrag beigefügten Entwurf einer Berufung und Berufungsbegründung seines Rechtsanwalts Bezug genommen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Mit Beschluss vom 11.9.2009 hat das OLG den Wiedereinsetzungsantrag verworfen, weil dieser nicht innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist eingegangen sei. Zugleich hat es den Beklagten darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung ebenfalls zu verwerfen, da die Berufungsfrist nicht gewahrt sei. Der Beschluss ist dem Beklagten am 21.9.2009 zugestellt worden.

Rz. 2

Am 28.9.2009 hat der Beklagte beantragt, ihm Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist zu bewilligen. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Fristversäumnis beruhe auf einem ihm nicht zurechenbaren Versäumnis des Büroboten, den sein Rechtsanwalt damit beauftragt habe, den Schriftsatz vom 13.7.2009 noch am gleichen Tag in den Briefkasten des OLG einzuwerfen. Der Sachvortrag ist durch eidesstattliche Versicherung des Büroboten glaubhaft gemacht worden.

Rz. 3

Das OLG hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

Rz. 4

Für das Verfahren ist gem. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. BGH v. 3.11.2012 - XII ZB 197/10, FamRZ 2011, 100 Rz. 10).

Rz. 5

1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach den §§ 233 ff. ZPO verkannt; der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten damit in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Rz. 6

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das OLG.

Rz. 7

a) Das OLG hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen, weil die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag vom 13.7.2009 in Rechtskraft erwachsen sei und deshalb nicht mehr abgeändert werden könne. Wenn - wie hier - der Wiedereinsetzungsantrag einer Partei durch gesonderten Beschluss zurückgewiesen werde, müsse diese Entscheidung angefochten werden, da sie anderenfalls Bindungswirkung entfalte. Infolge der rechtskräftigen Ablehnung einer Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist sei die Berufung verfristet und deshalb zu verwerfen.

Rz. 8

b) Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

Rz. 9

aa) Zutreffend ist das OLG allerdings davon ausgegangen, dass der Beklagte die Berufungsfrist versäumt hat. Das Urteil des AG ist ihm am 13.10.2008 zugestellt worden; seine Berufung ist erst am 14.7.2009 beim OLG eingegangen.

Rz. 10

Ebenfalls zu Recht hat das OLG darauf abgestellt, dass auch der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 ZPO eingegangen ist. Ist eine Partei wegen Mittellosigkeit gehindert, die Berufungsfrist einzuhalten, entfällt das Hindernis für die Einlegung des Rechtsmittels grundsätzlich mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe, so dass der Lauf der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu diesem Zeitpunkt beginnt (st.Rspr. vgl. etwa BGHZ 173, 14 = FamRZ 2007, 1640 Rz. 10 m.w.N.). Nachdem der Prozesskostenhilfebeschluss dem Beklagten am 29.6.2009 zugestellt worden war, hätte er Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist bis zum 13.7.2009 beantragen müssen. Der erst am 14.7.2009 eingegangene Antrag hat diese Frist nicht gewahrt.

Rz. 11

bb) Zu Unrecht hat das OLG dem Beklagten allerdings die nach § 233 ZPO begehrte Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist versagt. Die vom Beklagten nicht angefochtene Versagung der Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist steht einer Wiedereinsetzung in die ebenfalls versäumte Wiedereinsetzungsfrist nicht entgegen.

Rz. 12

(1) In der Rechtsprechung des BGH ist zwar geklärt, dass die rechtskräftige Ablehnung einer begehrten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der darauf aufbauenden Entscheidung über die Verwerfung des Rechtsmittels zugrunde zu legen ist. Hat die betroffene Prozesspartei die isolierte Abweisung ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht angefochten und ist diese Entscheidung rechtskräftig geworden, bindet sie das Gericht im Rahmen der anschließenden Entscheidung über die Verwerfung des Rechtsmittels (BGH v. 7.10.1981 - IVb ZB 825/81, FamRZ 1982, 163 f.; BGH Beschlüsse v. 16.4.2002 - VI ZB 23/00, NJW 2002, 2397, 2398; v. 3.11.1988 - LwZB 1/88, BGHR ZPO § 519b Abs. 2 Wiedereinsetzungsgrund 1). Diese Rechtsprechung lässt sich auf den vorliegenden Fall allerdings nicht übertragen.

Rz. 13

(2) Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass im umgekehrten Fall die rechtskräftige Verwerfung der Berufung wegen Fristversäumung einer vorrangig zu beurteilenden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungs- oder der Berufungsbegründungsfrist nicht entgegensteht. Denn durch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird dem die Berufung verwerfenden Beschluss die Grundlage entzogen und er damit gegenstandslos (BGH v. 9.2.2005 - XII ZB 225/04, FamRZ 2005, 791, 792 m.w.N.; v. 15.8.2007 - XII ZB 101/07, FamRZ 2007, 1725 [1726]; v. 24.2.2010 - XII ZB 168/08, FamRZ 2010, 882, 883). Eine rechtzeitig beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann danach nicht mit der Begründung abgelehnt werden, über die darauf basierende Entscheidung sei bereits entschieden. Vielmehr ist das Gericht gehalten, vor einer Verwerfung des Rechtsmittels auf die versäumte Frist hinzuweisen, um der Prozesspartei Gelegenheit zu geben, eine schuldlose Fristversäumung glaubhaft zu machen.

Rz. 14

Diese Rechtsprechung ist auf den hier vorliegenden Fall übertragbar. Der Beklagte hatte beantragt, ihm Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist zur Einlegung und Begründung der Berufung zu bewilligen. Die vom OLG ohne vorherige Anhörung beschiedene und vom Beklagten nicht mit der Rechtsbeschwerde angefochtene Entscheidung über die Zurückweisung der begehrten Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist setzt eine vorherige Entscheidung über die beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist voraus. Wenn dem Beklagten wegen schuldloser Fristversäumung Wiedereinsetzung in die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO bewilligt wird, entzieht dies der ablehnenden Entscheidung über die Wiedereinsetzung in die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist die Grundlage.

Rz. 15

c) Die Entscheidung des OLG, dem Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist zu versagen, hat auch nicht aus anderen Gründen Bestand.

Rz. 16

aa) Allerdings kommt, wenn die Fristversäumung auf einem wirtschaftlichen Unvermögen des Rechtsmittelführers beruht, nach der Entscheidung über die beantragte Prozesskostenhilfe eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur in Betracht, wenn die Mittellosigkeit für die Fristversäumung kausal geworden ist (st.Rspr. vgl. etwa BGH v. 8.2.2012 - XII ZB 462/11, FamRZ 2012, 705 Rz. 9 m.w.N.). Das war hier der Fall.

Rz. 17

bb) Die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist beruhte hier allerdings nach dem Vortrag des Beklagten auf einem ihm nicht zurechenbaren Verschulden des Kanzleiboten seines Prozessbevollmächtigten. Bei weisungsgemäßer Ablieferung des Schriftsatzes an das OLG wäre die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewahrt worden.

Rz. 18

Die Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist beruhte demgegenüber auf dem wirtschaftlichen Unvermögen des Beklagten. Für diese Fristversäumung ist die Mittellosigkeit auch kausal geworden. Zwar hat der BGH entschieden, dass in Fällen, in denen ein Rechtsmittel bereits durch einen beim Rechtsmittelgericht zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt, die fristgerecht eingereichte und unterschriebene Rechtsmittelbegründung zunächst aber nur als Entwurf bezeichnet wurde, eine spätere Fristversäumung nicht auf der Mittellosigkeit beruht, weil der Prozessbevollmächtigte seine Leistung dann schon in vollem Umfang erbracht hat (BGH Beschl. v. 6.5.2008 - VI ZB 16/07, NJW 2008, 2855 Rz. 4 ff. mit kritischen Anm. Gross AnwBl. 2008, 460; Zimmermann FamRZ 2008, 1521; Schneider NJW 2008, 2856; Henjes FuR 2009, 559 und Deubner JuS 2008, 1076). Ob dem zu folgen ist, kann hier dahinstehen. Denn wenn der Antragsteller sein Rechtsmittel - wie hier - bewusst noch nicht eingelegt, sondern von der Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe abhängig gemacht hat, ist die Mittellosigkeit schon für die Versäumung der Rechtsmittelfrist kausal geworden. Die Prozesspartei war dann aufgrund ihrer Mittellosigkeit bereits an der Einlegung des Rechtsmittels gehindert. Wird die Prozesskostenhilfe nicht bewilligt, kommt es erst gar nicht zum Berufungsverfahren (so auch Schneider NJW 2008, 2856 f.).

Rz. 19

d) Das Berufungsgericht wird deswegen zunächst gem. § 233 ZPO über den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist zu entscheiden haben. Insoweit hat der Beklagte vorgetragen, seinen langjährigen Kanzleiboten am letzten Tag der Frist im Rahmen einer konkreten Einzelanweisung beauftragt zu haben, die Berufung und Berufungsbegründung nebst Wiedereinsetzungsantrag noch am gleichen Tag beim OLG einzuwerfen. Dies hat der Kanzleibote an Eides statt versichert (§ 236 Abs. 2 ZPO). Wenn dem Beklagten wegen unverschuldeter Fristversäumung Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist bewilligt wird, ist dem angefochtenen Beschluss auch hinsichtlich der Verwerfung der Berufung die Grundlage entzogen. Das Berufungsgericht wird dann erneut über den Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist und, bei Bewilligung der Wiedereinsetzung, über die Berufung selbst zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3545834

DB 2013, 59

NJW 2013, 697

EBE/BGH 2013

FamRZ 2013, 370

JurBüro 2013, 446

ZAP 2013, 176

AnwBl 2013, 234

JZ 2013, 132

MDR 2013, 110

NJ 2013, 6

FF 2013, 86

FamFR 2013, 59

FamRB 2013, 79

BRAK-Mitt. 2013, 75

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