Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtbarkeit einer einstweiligen Anordnung des Familiengerichts zur Genehmigung der geschlossenen Unterbringung eines Minderjährigen

 

Leitsatz (amtlich)

Auch nach neuem Recht ist eine im Wege der einstweiligen Anordnung ergangene vorläufige familiengerichtliche Genehmigung der geschlossenen Unterbringung eines Minderjährigen grundsätzlich anfechtbar.

 

Normenkette

FamFG § 151 Nr. 6, § 167 Abs. 1 S. 1, §§ 57-58

 

Verfahrensgang

AG Marl (Beschluss vom 11.05.2010; Aktenzeichen 11 F 107/10)

 

Tenor

Die Beschwerde des Betroffenen vom 27.5.2010 gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Ahaus vom 11.5.2010 wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.500 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Durch den angefochtenen Beschluss des AG - Familiengericht - Ahaus vom 11.5.2010 ist auf Antrag der sorgeberechtigten Kindesmutter im Wege einstweiliger Anordnung die Unterbringung des betroffenen Minderjährigen in der LWL Klinik N unter geschlossenen Bedingungen vorläufig bis zum 23.6.2010 familiengerichtlich genehmigt worden. Die Anhörung des Betroffenen ist am 17.5.2010 nach Abgabe des Verfahrens an das AG Marl erfolgt.

Mit seiner Beschwerde vom 27.5.2010 begehrt der Betroffene die Aufhebung der Genehmigung seiner Unterbringung.

II.1. Da das Unterbringungsverfahren zeitlich nach dem 1.9.2009 eingeleitet worden ist, richtet es sich gem. Art. 111 I FGG-RG nach neuem Recht.

2. Die Beschwerde des Betroffenen vom 27.5.2010 ist gem. § 58 I FamFG statthaft.

Die - auch vorläufige - Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1631b BGB stellt nach der Definition in § 151 Ziff. 6 FamFG eine Kindschaftssache dar und unterfällt dadurch den Familiensachen i.S.v. § 111 Ziff. 2 FamFG.

a) Es wird nicht übersehen, dass § 57 S. 1 FamFG eine einstweilige Anordnung aus dem Bereich der Familiensachen grundsätzlich für unanfechtbar erachtet.

Eine Ausnahme für vorläufige Maßnahmen nach § 1631b BGB ist im Katalog des § 57 S. 2 FamFG zumindest ausdrücklich nicht vorgesehen. Denn die Verfahren über die elterliche Sorge nach § 57 S. 2 Ziff. 1 FamFG beziehen sich nach grammatikalisch-systematischer Auslegung allein auf die Kindschaftssachen in § 151 Ziff. 1 FamFG (elterliche Sorge) und schließen die Unterbringungsverfahren nach § 1631b BGB unter § 151 Ziff. 6 FamFG dadurch aus (vgl. Keidel-Giers, FamFG, 16. Aufl., § 57 Rz. 6).

b) Allerdings verweist § 167 I S. 1, 1. Var. FamFG für die Unterbringungsverfahren Minderjähriger über § 312 Ziff. 1 FamFG auf die Vorschriften für die freiheitsentziehenden Unterbringungen von Erwachsenen in den §§ 312 ff. FamFG.

Da diese Regelungen in den §§ 335 f. FamFG lediglich "ergänzende Vorschriften über die Beschwerde" enthalten, setzen sie die allgemeine Beschwerdemöglichkeit nach §§ 58 ff. FamFG notwendigerweise voraus. Dem § 57 FamFG vergleichbare Einschränkungen für die Anfechtung einer einstweiligen Anordnung gegenüber einem Erwachsenen bestehen nicht, da es sich bei dieser Unterbringung nicht um eine Familiensache i.S.v. § 57 S. 1 FamFG handelt.

c) Angesichts der erheblichen Grundrechtsrelevanz einer geschlossenen Unterbringung gebietet es der Verweis in § 167 I S. 1 FamFG auf die §§ 312 ff. FamFG, die Anfechtungsmöglichkeit einer einstweiligen Anordnung auch gegenüber einem Minderjährigen nicht grundsätzlich zu versagen. Dabei kann es nach vorläufiger Auffassung des Senats im Ergebnis dahinstehen, ob § 57 FamFG im Wege einer Rechtsgrundverweisung nach § 167 I S. 1 FamFG vollständig verdrängt wird (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 12.3.2010, Az: 19 UF 49/10, FamRB 2010, 141, Juris, Rz. 11), oder ob der Begriff der "elterlichen Sorge" in § 57 S. 2 Ziff. 1 FamFG durch verfassungskonforme und teleologische Auslegung dahingehend zu erweitern ist, dass er in einem ganzheitlich materiell-rechtlichen Sinne auch die Verfahren nach § 1631b BGB umfasst (vgl. Bruns, "Rechtsmittel gegen einstweilige Anordnung zur Genehmigung ..., FamFR 2010, 100, 102; s. auch die Erläuterungen des BMJ unter Ziff. 4 im Protokoll der Bund-Länder-Besprechung über erste Praxiserfahrungen mit dem FamFG am 20.10.2009 im BMJ/Berlin zu einer beabsichtigten Klarstellung in § 57 FamFG).

3. Die Beschwerde des Betroffenen ist auch im Übrigen zulässig.

Insbesondere ist die 2-wöchige Beschwerdefrist nach § 63 II Ziff. 1 FamFG eingehalten worden.

4. In der Sache ist die Beschwerde jedoch nicht begründet.

Die Erteilung der familiengerichtlichen Genehmigung für die vorläufige Unterbringung des Betroffenen im geschlossenen Rahmen stößt angesichts der weitergehenden Ermittlungen auf rechtliche Bedenken nicht.

a) Die Unterbringung des betroffenen Jugendlichen ist gem. § 1631b S. 2 BGB nach wie vor zu seinem Wohl erforderlich.

Nach der Stellungnahme der Stationsärztin F vom 10.6.2010 leidet der Betroffene an einem akuten Schub einer paranoiden Schizophrenie.

Zwar zeigen sich unter der Einnahme von Risperdal und Haldol gegen...

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