Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung des Kindergeldes bei privilegierten volljährigen Kindern

 

Leitsatz (amtlich)

Bei privilegierten volljährigen Kindern, die im Haushalt des an sich barunterhaltspflichtigen, aber nicht leistungsfähigen und das volle Kindergeld beziehenden Elternteils leben, ist das Kindergeld nicht in voller Höhe, sondern nur hälftig auf den Bedarf des Kindes anzurechnen.

 

Normenkette

BGB § 1612b Abs. 1, § 1603 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

AG Hamm (Beschluss vom 22.06.2005; Aktenzeichen 3 F 113/05)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers zu 1) vom 27.7.2005 wird der Beschluss des AG - FamG - Hamm vom 22.6.2005 teilweise abgeändert.

Auch dem Kläger zu 1) wird ratenfreie Prozesskostenhilfe im vollen Umfang seines Antrags vom 29.4.2005 unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. aus Hamm bewilligt.

Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Der am 6.8.1987 geborene Kläger zu 1) ist der Sohn des Beklagten. Er lebt mit der am 21.6.1989 geborenen Klägerin zu 2) im Haushalt seiner Mutter, die über ein Nettoeinkommen von 880 EUR verfügt. Der Kläger zu 1) besucht die Friedensschule in H. mit dem Ziel, im Jahr 2007 das Abitur zu machen.

Mit der Abänderungsklage begehrt der Kläger zu 1) eine Erhöhung des Kindesunterhalts ab April 2005 von monatlich 150 EUR auf 284 EUR.

Das AG hat dem Kläger zu 1) Prozesskostenhilfe nur mit der Maßgabe bewilligt, dass ihm ab der Volljährigkeit im August 2005 monatlich nur 205 EUR zustehen. Dabei hat es die Einkommensgruppe 2 und die Altersstufe ab 18 Jahre (Düsseldorfer Tabelle, Stand: 1.7.2005) zu Grunde gelegt und ist von einem Betrag von 359 EUR ausgegangen. Hiervon hat es das Kindergeld in voller Höhe von 154 EUR abgezogen und ist zu dem Betrag von 205 EUR gelangt.

II. Die gem. § 127 Abs. 2 S. 1 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Die beabsichtigte Klage hat in vollem Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig.

Der geltend gemachte Anspruch auf Kindesunterhalt besteht dem Grunde nach gem. §§ 1601-1603 BGB.

Nach Auffassung des Senats ist das Kindergeld gem. § 1612b Abs. 1 BGB nur zur Hälfte und nicht in voller Höhe auf den Unterhaltsanspruch anzurechnen. Allein die Volljährigkeit des Klägers zu 1) führt hier nicht dazu, von der Regelung des § 1612b Abs. 1 BGB abzuweichen.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur ist umstritten, ob das Kindergeld für das volljährige Kind nur zum Teil oder in voller Höhe abzuziehen ist, falls nur ein Elternteil leistungsfähig und damit barunterhaltspflichtig ist (für eine volle Anrechnung OLG Düsseldorf v. 30.10.1998 - 3 WF 201/98, OLGReport Düsseldorf 1999, 272 = FamRZ 1999, 1452; OLG Schleswig FamRZ 2000, 1245; OLG Braunschweig v. 9.5.2000 - 2 UF 9/00, FamRZ 2000, 1246; OLG Brandenburg v. 19.6.2002 - 9 WF 41/02, OLGReport Brandenburg 2003, 19 = FamRZ 2003, 553; OLG Celle v. 13.8.2003 - 15 UF 48/03, OLGReport Celle 2003, 446 = FamRZ 2004, 218; OLG Koblenz v. 13.6.2003 - 13 WF 414/03, OLGReport Koblenz 2004, 89 = FamRZ 2004, 562; OLG München v. 1.6.2004 - 12 UF 1104/04, NJW-RR 2005, 231; Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. Aufl., Rz. 831; Born in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 1612b Rz. 53; Palandt/Diederichsen, BGB, 64. Aufl., § 1612b Rz. 6, in Abweichung von der Voraufl.; für eine hälftige Anrechnung OLG Nürnberg NJW-RR 2000, 687; OLG Celle v. 2.5.2000 - 17 UF 236/99, OLGReport Celle 2000, 281 = FamRZ 2001, 47; OLG Brandenburg v. 17.12.2001 - 9 WF 186/01, OLGReport Brandenburg 2002, 221 = FamRZ 2002, 1216; Wendl/Staudigl/Scholz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 2 Rz. 515; Erman/Hammermann, § 1612b Rz. 14).

Das Kindergeld erhält nach dem Obhutsprinzip des § 64 Abs. 2 EStG der Elternteil, in dessen Haushalt das Kind wohnt. Hat dieses Elternteil keine ausreichenden Einkünfte und ist leistungsunfähig, trägt auch hier der andere Elternteil den Barunterhalt grundsätzlich allein. Gemäß § 1612b Abs. 1 BGB ist die Hälfte des Kindergeldes anzurechnen, § 1612b Abs. 3 BGB geht von einer vollen Anrechnung aus, greift dem Wortlaut nach hier allerdings nicht ein, da auch der Elternteil, bei dem das Kind wohnt, Anspruch auf Kindergeld gem. § 62 EStG hat. Im vorliegenden Fall hat es beim Wortlaut der gesetzlichen Regelung des § 1612b Abs. 1 BGB (Anrechnung des Kindergeldes nur zur Hälfte) zu bleiben. Eine analoge Anwendung des § 1612b Abs. 2 BGB oder eine eingeschränkte Auslegung des § 1612b Abs. 1 BGB kommt nach Auffassung des Senats hier nicht in Betracht. Sowohl einer analogen Anwendung des § 1612b Abs. 2 BGB als auch einer einschränkenden Auslegung des § 1612b Abs. 1 BGB steht das in § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB geregelte Privileg entgegen. Gemäß § 1603 BGB stehen den minderjährigen unverheirateten Kindern die volljährigen unverheirateten Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Dieses P...

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