Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsverfassungsrechtlicher Weiterbeschäftigungsanspruch. Entbindungsantrag. Widerspruch. Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers aufgrund Widerspruchs des Betriebsrats. Entbindungsantrag als Widerantrag im Verfahren auf Weiterbeschäftigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein ordnungsgemäßer Widerspruch des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG liegt nicht vor, wenn der Betriebsrat die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem Arbeitsplatz anführt, auf dem der Arbeitnehmer nach seinem - des Betriebsrats - eigenem Tatsachenvortrag nur nach Vertragsänderung beschäftigt werden könnte.

2. In einem solchen Fall wird ein Widerspruchsgrund nach § 102 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG geltend gemacht. Ein hierauf gestützter Widerspruch ist nur dann ordnungsgemäß und kann nur dann einen Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG begründen, wenn der Betriebsrat das Einverständnis des Arbeitnehmers zu der erforderlichen Vertragsänderung eingeholt hat und den Arbeitsgeber hierüber im schriftlichen Widerspruch in Kenntnis setzt. Ob ein Widerspruch ordnungsgemäß sein kann, mit dem der Betriebsrat auf einen Arbeitsplatz verweist, der erst neun Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist und nur vielleicht zu besetzen ist, kann offen bleiben.

3. Ein Entbindungsantrag nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG kann als Widerantrag im Verfahren auf Weiterbeschäftigung nach § 105 Abs. 5 Satz 1 BetrVG gestellt werden. Es fehlt insofern nicht am Rechtsschutzbedürfnis, weil die Zurückweisung sowohl das Weiterbeschäftigungsantrags als auch des Entbindungsantrags möglich ist.

 

Normenkette

BetrVG § 102 Abs. 5 Sätze 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 15.11.2012; Aktenzeichen 8 Ga 7/12)

 

Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 15. November 2012 - 8 Ga 7/12 - teilweise abgeändert und

der Antrag zurückgewiesen soweit hiermit ein Weiterbeschäftigungsanspruch für die Zeit nach dem 30.11.2012 geltend gemacht wird sowie

die Verfügungsbeklagte von ihrer Weiterbeschäftigungspflicht entbunden.

Von den erstinstanzlichen Kosten des Verfahrens hat die Beklagte 10 % und der Kläger 90 % zu tragen.

Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.

 

Gründe

I. Von der Fertigung eines Tatbestands wird gem. § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II. Die Berufung der Beklagten ist statthaft, §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 b) ArbGG, 511 ZPO. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 517, 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO.

III. Die Berufung hat im Umfang ihrer Einlegung, nämlich betreffend einen Weiterbeschäftigungsanspruch für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist, auch Erfolg. Das Arbeitsgericht hat insoweit zu Unrecht dem Verfügungsantrag stattgegeben und den Widerantrag abgewiesen.

1. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung ist zulässig, aber unbegründet.

a) Gem. §§ 62 Abs. 2 ArbGG, 916 ff., 935, 949 ZPO kann auch im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens der Erlass einer Einstweiligen Verfügung begehrt werden. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung als Produktionsleiter Autogentechnik ist ausreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Insoweit muss die vom Beklagten zu erbringende Leistung so bezeichnet sein, dass der Antrag Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung, § 322 ZPO, erkennen lässt, das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abwälzt und schließlich die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streites im Vollstreckungsverfahren erwarten lässt (BAG 15.04.2009 - 3 AZB/08 - EzA § 253 ZPO 2002 Nr. 2). Richtigerweise ist zu fordern, dass der Beschäftigungsantrag so bestimmt ist, dass aus ihm - gegebenenfalls unter Heranziehung der Klagebegründung und in Bezug zu nehmender Anlagen - erkennbar ist, welchen wesentlichen tatsächlichen Arbeitsbedingungen die dem Arbeitnehmer zuzuweisende Beschäftigung entsprechen muss. Um diesen Gesichtspunkten gerecht zu werden, muss die Art der ausgeurteilten Beschäftigung des Arbeitnehmers aus dem Titel ersichtlich sein. Einzelheiten hinsichtlich der Art der Beschäftigung oder sonstiger Arbeitsbedingungen muss der Titel demgegenüber nicht enthalten (BAG 15.04.2009- 3 AZB/08 - EzA § 253 ZPO 2002 Nr. 2; Hess. LAG 16.07.2010 - 12 Ta 68/10 - Juris; LAG Baden-Württemberg 21.02. 2007 - 17 Ta 1/07 - Juris). Es genügt, wenn sich das Berufsbild, mit dem der Arbeitnehmer beschäftigt werden soll, aus dem Titel ergibt (BAG 15.04.2009 - 3 AZB/08 - aaO.; Hess. LAG 16.07.2010 - 12 Ta 68/10 - Juris; Hess. LAG 23.10. 2008 - 12 Ta 383/08 - Juris) oder in vergleichbarer Weise feststellbar ist, worin die Tätigkeit bestehen soll. Dies ist vorliegend der Fall. Der Bezeichnung Produktionsleiter unter Angabe des technischen Bereichs, in dem der Verfügungskläger (künftig: Kläger) als Leiter fungieren soll, sind die dem Kläger zuzuweisenden Arbeiten mit hinreichender ...

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