Gesetzestext

 

(1)Die Einsetzung als Nacherbe enthält im Zweifel auch die Einsetzung als Ersatzerbe.

(2)Ist zweifelhaft, ob jemand als Ersatzerbe oder als Nacherbe eingesetzt ist, so gilt er als Ersatzerbe.

A. Auslegungsregel

 

Rz. 1

Die Auslegungsvorschrift des Abs. 1 beruht auf dem Erfahrungssatz, dass "die Nacherbeneinsetzung im Regelfalls als wirkliche Erbeinsetzung gewollt ist, die nur im Interesse des Vorerben verzögert ist",[1] so dass der Nacherbe nicht leer ausgeht, wenn der Vorerbe wegfällt (durch Tod, Ausschlagung, Anfechtung, Erbunwürdigkeit), sondern an seine Stelle tritt.[2] Voraussetzung ist, dass der als Nacherbe Eingesetzte zur Zeit des Erbfalls lebt oder zumindest gezeugt ist (§ 1923 BGB). Andernfalls wird er gem. § 2106 Abs. 2 BGB mit seiner Geburt Nacherbe. Bis zu diesem Zeitpunkt sind gem. § 2105 Abs. 2 BGB die gesetzlichen Erben des Erblassers Vorerben.[3]

 

Rz. 2

Dies gilt aber nicht in Gegenrichtung. Der als Ersatzerbe Eingesetzte ist im Zweifel nicht zum Nacherben berufen.[4] Denn die Stellung des Nacherben, der den Nachlass, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, konkret erhalten soll, ist stärker ist als die des Ersatzerben, der nur bei Wegfall des unmittelbar Bedachten zum Zuge kommen soll, folglich kann auf einen dahingehenden Erblasserwillen regelmäßig nicht geschlossen werden. Dies gilt freilich nur, wenn der Erblasser den Begriff des Ersatzerben in seinem technischen Sinn verwendet hat. Bei rechtsunkundigen Personen kann dies fraglich sein, denn diesen ist der Unterschied zwischen dem Begriff des Ersatzerben und dem des Nacherben nicht immer geläufig,[5] weshalb mit der Einsetzung zum Ersatzerben tatsächlich eine Berufung (auch) zum Nacherben gemeint sein kann.[6]

 

Rz. 3

Da der Nacherbe nur "im Zweifel" Ersatzerbe ist, geht ein abweichender Erblasserwille vor. Abs. 1 greift daher erst, wenn die konkrete Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt.[7] Sollte der als Nacherbe Eingesetzte die Erbschaft nach dem eindeutigen Willen des Erblassers erst ab dem Eintritt eines bestimmten, nach dem Erbfall liegenden Zeitpunkts oder einer an die Person des Nacherben geknüpften Bedingung (z.B. Erreichen eines bestimmten Alters, Abschluss einer Ausbildung) erhalten, ist er nur als Nacherbe und nicht auch als Ersatzerbe berufen.[8] Bis zum Eintritt des Nacherbfalls treten dann ggf. anwachsungsberechtigte Miterben oder die gesetzlichen Erben des Erblassers in entsprechender Anwendung des § 2105 BGB an die Stelle des weggefallenen Vorerben.[9] Eine Anwachsung unter Mitvorerben ist im Übrigen im Anwendungsbereich von § 2102 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, denn das Recht des zugleich zum Ersatzerben berufenen Nacherben geht dem Anwachsungsrecht gem. § 2099 BGB vor.

[1] Staudinger/Avenarius, § 2102 Rn 1.
[3] MüKo/Grunsky, § 2102 Rn 2.
[4] Allg. Meinung, vgl. nur Soergel/Harder-Wegmann, § 2102 Rn 3.
[5] OLG Hamm NJW-RR 2014, 9, 10: Zu prüfen ist hierbei insb., ob es dem Erblasser um irgendeine Form von Verfügungsbeschränkung des zunächst eingesetzten Erben ging.
[6] BGH LM Nr. 1 zu § 2100.
[8] Staudinger/Avenarius, § 2102 Rn 4.
[9] Vgl. nur Staudinger/Avenarius, § 2102 Rn 4.

B. Gemeinschaftliches Testament

 

Rz. 4

Abs. 1 findet nach h.M. auch auf gemeinschaftliche Testamente Anwendung.[10] Haben sich Ehegatten oder Lebenspartner gegenseitig zu Vorerben und einen Dritten zum Nacherben eingesetzt, und steht fest, dass nicht die Einsetzung des Dritten zum Schlusserben des Längerlebenden gewollt ist, bleiben die beiderseitigen Vermögen getrennt; die Vor- und Nacherbfolge kann nur hinsichtlich des Nachlasses des Erstversterbenden eintreten, weil es nach dem Tod des Längerlebenden an einem Vorerben fehlt. Hier ist zunächst durch Auslegung zu ermitteln, ob der Dritte ersatzweise auch Vollerbe des Letztversterbenden sein sollte. Führt die Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis, dann greift zugunsten des Dritten Abs. 1 ein.[11]

[10] BGH ZEV 1999, 26; BGH FamRZ 1987, 475, 476; OLG Hamm FamRZ 2002, 201; OLG Köln ZEV 2000, 232, 233; OLG Hamburg FGPrax 1999, 225, 226; KG NJW-RR 1987, 451; Nehlsen-v. Stryk, DNotZ 1988, 147; MüKo/Grunsky, § 2102 Rn 3; Staudinger/Avenarius, § 2102 Rn 2; a.A. OLG München HRR 1937 Nr. 1084; OLG Karlsruhe FamRZ 1970, 255, 257.
[11] KG OLGE 8, 323; Staudinger/Avenarius, § 2101 Rn 12.

C. Ersatzerbe oder Nacherbe

 

Rz. 5

Abs. 2 enthält wie Abs. 1 eine Auslegungsregel.[12] Angesichts der mit einer Nacherbschaft für den Vorerben verbundenen Belastungen ist bei Zweifeln darüber, ob jemand als Nach- oder als Ersatzerbe eingesetzt ist, von einer Ersatzerbenberufung auszugehen.[13] Die Anwendung dieser Regel setzt wiederum voraus, dass die konkrete Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt hat (vgl. Rdn 3). Abs. 2 gilt auch bei Abkömmlingen;[14] eine entgegenstehende Regel des Inhalts, dass der Erblasser seinen Abkömmlingen im Zweifel die stärkere Stellung des Nacherben einräumen wollte, besteht nicht. Auch die Absicht, Vermögen in der Familie zu erhalten, spricht nicht zwingend für die Vor- und Nacherbfolge.[15] Wird ein noch nicht Gezeu...

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