Entscheidungsstichwort (Thema)

Erbausschlagung. Ausschlagung der Erbschaft. unbekannte Erben. (gesetzliche) Prozeßführungsbefugnis eines Miterben, Überschuldung. Erbe dritter Ordnung. Nachlaßpfleger. Kettenerbausschlagung. Fiskuserbrecht. staatliches Erbrecht. Volkseigentum nach Erbausschlagung. Übernahme in Volkseigentum

 

Leitsatz (amtlich)

Zur vermögensrechtlichen Bewertung sog. unvollkommener Kettenerbausschlagungen (Parallelverfahren zu BVerwG 7 C 70.96).

 

Normenkette

VermG § 1 Abs. 2; BGB § 1922 ff., §§ 1926, 1942 ff., § 1953 ff., §§ 1957, 1960, 1964, 2038

 

Verfahrensgang

VG Leipzig (Urteil vom 02.10.1996; Aktenzeichen 3 K 734/96)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 31.03.1998; Aktenzeichen 1 BvR 1988/97, 1 BvR 2003/97, 1 BvR 2011/97)

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 2. Oktober 1996 wird unter Änderung der Kostenentscheidung zurückgewiesen.

Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

 

Tatbestand

I.

Die Kläger sind durch den Nachlaßpfleger vertretene, namentlich nicht bekannte Erben eines im Jahre 1974 in Leipzig verstorbenen Erblassers. Sie wenden sich gegen einen nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG) erlassenen Bescheid. Mit ihm hat die Beklagte dem Beigeladenen das Eigentum an einem in Leipzig gelegenen, früher im Eigentum des Verstorbenen stehenden bebauten Grundstück nach Maßgabe des § 1 Abs. 2 VermG übertragen; aufgrund des Bescheids ist der Beigeladene im Grundbuch als Eigentümer des Grundstücks eingetragen.

Nach dem Tod des Erblassers waren mangels einer letztwilligen Verfügung seine Tochter und eine Enkelin als gesetzliche Erben erster Ordnung berufen; einzige gesetzliche Erbin zweiter Ordnung war seine in der Bundesrepublik Deutschland lebende Schwester. Die drei Erbinnen schlugen im Jahre 1974 die Erbschaft aus; ein Aufgebotsverfahren zur Ermittlung weiterer Erben fernerer Ordnungen war erfolglos; daraufhin wurde zugunsten der DDR ein Erbschein erteilt und das Grundstück noch im Jahre 1974 in Volkseigentum überführt.

Dem Rückübertragungsbegehren der Tochter gab die Beklagte mit der Begründung statt, das Grundstück sei aufgrund nicht kostendeckender Mieten im Zeitpunkt der Erbausschlagung überschuldet gewesen (§ 1 Abs. 2 VermG). Nachdem eine Einziehung des erteilten Erbscheins als unrichtig erwirkt worden war, widersprach der 1994 für die unbekannten Erben bestellte Nachlaßpfleger unter dem 17. August 1994 dem Rückübertragungsbescheid mit der Begründung, Volkseigentum sei wegen des Vorhandenseins übergangener Erben nicht wirksam begründet worden. Der zurückweisende Widerspruchsbescheid vom 25. April 1996 beurteilte die Rückübertragung als rechtmäßig, weil das Grundstück jedenfalls faktisch in Volkseigentum übernommen worden sei.

Nachdem zwischenzeitlich Erben dritter Ordnung ermittelt worden waren, wurde die Nachlaßpflegschaft mit der Begründung teilweise aufgehoben, für einen bestimmten Anteil seien nunmehr Erben durch Erbschein legitimiert. Für die unbekannten Erben hat der Nachlaßpfleger Klage auf Aufhebung des Rückübertragungsbescheids erhoben. Mit Urteil vom 2. Oktober 1996 hat das Verwaltungsgericht die Klage teils als unzulässig, teils als unbegründet abgewiesen. Soweit Erben dritter Ordnung namentlich bekannt seien, fehle es dem Nachlaßpfleger an der Legitimation zur Prozeßführung; im übrigen seien die angefochtenen Bescheide in der Sache nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG hätten in der Person der Tochter vorgelegen. Vor dem Hintergrund eines Einheitswerts für das Grundstück von 42 400 M und valutierenden Grundstücksbelastungen in Höhe von nahezu 53 000 M sei nicht ersichtlich, wie die vorhandenen Schulden innerhalb zumutbarer Zeit durch den erwarteten Mietertrag hätten gedeckt werden können; es hätten Instandsetzungen mit einem Kostenaufwand von fast 100 000 M bevorgestanden, und die monatlichen Mieteinnahmen für das streitbefangene Grundstück sowie ein weiteres hätten zusammengenommen noch nicht einmal 1 200 M betragen. Der Umstand, daß zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids das Erbrecht des Fiskus der DDR nicht mehr nachgewiesen gewesen sei, sei unbeachtlich. Entscheidend sei die Lage beim Erlaß des Ausgangsbescheids, weil nur so die berechtigten Interessen des Restitutionsberechtigten gewahrt werden könnten; zu diesem Zeitpunkt habe der Erbschein zugunsten der DDR noch rechtliche Wirkung gezeitigt.

Zur Begründung der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision tragen die Kläger zum einen vor, daß der Nachlaßpfleger wegen seiner Notgeschäftsführungsbefugnis auch zur Prozeßführung befugt gewesen sei (§§ 1960, 2038 BGB). Zum anderen müsse davon ausgegangen werden, daß der Fiskus der DDR nicht wirksam Eigentümer des Grundstücks geworden sei, weil berufene Erben übergangen worden seien. Dies sei bei Erlaß des Widerspruchsbescheids auch bekannt gewesen und hätte daher berücksichtigt werden müssen.

Die Beklagte, der Beigeladene und der Oberbundesanwalt verteidigen das angefochtene Urteil im Ergebnis, weil in ihm zu Recht vom Vorrang des Vermögensrechts gegenüber dem Erbrecht ausgegangen worden sei.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Klage der namentlich nicht bekannten Erben dritter Ordnung nach dem früheren Eigentümer des Grundstücks abgewiesen.

1. Rechtsfehlerhaft ist allerdings die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Klage sei auch zugunsten der inzwischen bekanntgewordenen Erben erhoben worden. Die vom gemäß § 1960 Abs. 1 Satz 2 BGB bestellten Nachlaßpfleger eingereichte Klage wurde – entsprechend der vom Nachlaßgericht auf die Vertretung der unbekannten Erben beschränkten Befugnis des Nachlaßpflegers – in zulässiger Weise allein im Namen der unbekannten Erben erhoben (vgl. BGH, LM § 325 ZPO Nr. 10; BGH R § 2039 Satz 1 BGB, Feststellungsklage 1). Solange noch unbekannte Erben ernsthaft in Erwägung zu ziehen waren, bestand kein Anlaß für den Nachlaßpfleger, hinsichtlich seiner die Voraussetzungen des § 2038 Abs. 1 Satz 2 2. Halbs. BGB erfüllenden Anfechtungsklage (vgl. BVerwGE 21, 91; BGHZ 108, 21 ≪30 f.≫) auf jede Ermittlung eines bislang unbekannten Erben prozessual zu reagieren. Deshalb mußte das angefochtene Urteil, soweit es dem Nachlaßpfleger Kosten auferlegt hat, aufgehoben und geändert werden.

2. Die Kläger meinen zwar im Ausgangspunkt zu Recht, als Folge der im Jahre 1974 erklärten Erbausschlagungen der Erbinnen erster und zweiter Ordnung sei nicht der Fiskus der DDR als Erbe berufen gewesen, sondern sie als Erben dritter Ordnung; deshalb habe die Übernahme des Grundstücks in Volkseigentum nicht mit der materiellen Rechtslage in Übereinstimmung gestanden. Sie folgern daraus, daß dem Rückübertragungsbegehren der Erbin erster Ordnung nicht habe entsprochen werden dürfen. Diese Schlußfolgerung der Kläger geht aber fehl, weil sie dem Zweck des § 1 Abs. 2 VermG nicht gerecht wird und zu Unrecht zu dessen Voraussetzung eine rechtlich einwandfreie Überführung in Volkseigentum erhebt.

a) Der Revision ist im Ausgangspunkt darin beizupflichten, daß die Kläger und die inzwischen namentlich bekannten Erben dritter Ordnung aus zivilrechtlicher Sicht vor dem Fiskus der DDR als Erben berufen waren. Das – hier wegen des im Jahre 1974 erfolgten Erbfalls anwendbare (Art. 235 § 1 Abs. 1 EGBGB, § 8 Abs. 1 EGZGB) – Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB – hat sich nämlich für das Prinzip des sog. “Vonselbsterwerbs” oder “Anfallserwerbs” (und nicht für das Prinzip des “Antrittserwerbs”) entschieden. Dementsprechend bestimmt § 1953 Abs. 2 BGB, daß die Erbschaft demjenigen anfällt, welcher berufen sein würde, wenn der Ausschlagende zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte, und daß der Anfall als mit dem Erbfall erfolgt gilt. Mithin ist für die auch im vorliegenden Verfahren in Rede stehende Fallkonstellation, in der nicht sämtliche berufenen Erben ausgeschlagen haben, kennzeichnend, daß Erben vor dem Fiskus in Erbenstellungen eingetreten sind, und handele es sich auch um Erben der vierten Ordnung im Sinne des § 1928 BGB (Urgroßeltern bzw. deren Abkömmlinge) oder (noch) fernerer Ordnungen (§ 1929 BGB); diesem Umstand trägt § 1964 Abs. 2 BGB dadurch Rechnung, daß die nach § 1964 Abs. 1 BGB erfolgte nachlaßgerichtliche Feststellung lediglich eine Vermutung des Erbrechts des Fiskus begründet.

b) Diese erbrechtliche Position der Kläger ist jedoch nicht geeignet, den Restitutionsanspruch des erstausschlagenden Erben zu Fall zu bringen; die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision verkennen Inhalt und Reichweite des § 1 Abs. 2 VermG. Wie das Vermögensrecht allgemein als eine auf eigenen Wertungen beruhende Sonderrechtsordnung in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise (vgl. BVerfG, ZOV 1997, 26) sowohl parallele wie kollidierende zivilrechtliche Ansprüche verdrängt (vgl. BVerwGE 97, 286 ≪294 f.≫; BGHZ 130, 231 ≪235 f.≫), so schließt auch die Vorschrift des § 1 Abs. 2 VermG auf erbrechtliche Grundlagen gestützte Ansprüche nachberufener Erben aus.

§ 1 Abs. 2 VermG bezweckt mit den Tatbestandsalternativen Verzicht, Schenkung und Erbausschlagung den Schutz derjenigen, die angesichts einer bereits eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Überschuldung eines bebauten und vermieteten Grundstücks oder Gebäudes, die Folge der Eigentums- und Mietenpolitik in der DDR war, keinen anderen Ausweg als den Verzicht auf diesen Vermögenswert gesehen und dabei dessen Übernahme in Volkseigentum in Kauf genommen haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. August 1995 – BVerwG 7 C 23.94 – Buchholz 112 § 1 VermG Nr. 52 ≪S. 141≫ m.w.N.; stRspr). Die Vorschrift betrifft insoweit Akte der Selbstschädigung zugunsten des Volkseigentums, die durch die damaligen Verhältnisse erzwungen wurden und die daher vom Vermögensgesetz als wiedergutzumachendes Unrecht bewertet werden. Verzicht, Schenkung und Erbausschlagung stellten sich nämlich als eine der förmlichen Enteignung vergleichbare “kalte Enteignung” von Grundstücken und Gebäuden zugunsten der ideologisch erwünschten Mehrung des Volkseigentums dar (vgl. BTDrucks 11/7831 S. 3; s. auch Eckwert Nr. 4 der Gemeinsamen Erklärung der beiden deutschen Regierungen vom 15. Juni 1990 ≪BGBl II 1990, S. 889, 1237≫). Der Tatbestand des § 1 Abs. 2 VermG ist also in dem Sinne “zweigliedrig”, als sich der Akt der Selbstschädigung in der als wiedergutmachungswürdig erachteten Übernahme des Vermögensgegenstands in Volkseigentum vollendet haben muß. Führten Verzicht, Schenkung oder Erbausschlagung aus den in § 1 Abs. 2 VermG genannten Gründen im Einzelfall nicht zum Eigentumserwerb des Staates, sondern eines privaten Dritten, fehlt es zwar nicht an der ökonomischen Zwangslage, aber an der anstößigen Wirkung eines damit verbundenen “Abwanderns” des Vermögenswerts in staatliches Eigentum.

In den Fällen der Erbausschlagung vollzieht sich die Wiedergutmachung in der Weise, daß im Ergebnis – bezogen auf das überschuldete Grundstück – die erbrechtliche Situation zum Zeitpunkt des Erbfalles wiederhergestellt wird; die vom Gesetz angeordnete Restitution wirkt sich also insoweit wie eine Anfechtung der Erbausschlagung aus. Dies bedeutet zunächst, daß vor anderen nachrangig berufenen Erben, die ebenfalls die Erbschaft ausgeschlagen haben, der erstberufene Erbe wiedergutmachungsberechtigt ist (vgl. BVerwGE 95, 106 ff.). Ihn betrachtet das Vermögensgesetz in Übereinstimmung mit den grundlegenden erbrechtlichen Wertungen des BGB und des ZGB als den in erster Linie Geschädigten. Demgegenüber konnten die Erben nachfolgender Ordnungen überhaupt nur wegen des dem Erstberufenen widerfahrenen Unrechts in die von § 1 Abs. 2 VermG vorausgesetzte ökonomische Zwangslage geraten. Wird dieses Unrecht durch die – auf das Grundstück beschränkte – Wiedereinsetzung des erstberufenen Erben in seine vor der erzwungenen Ausschlagung bestehenden Rechte beseitigt, entfällt zwangsläufig eine Schädigung der Nachberufenen; insofern verhält es sich nicht anders als bei einer erfolgreichen zivilrechtlichen Anfechtung einer Erbausschlagung (vgl. § 1957 Abs. 1 BGB und § 405 Abs. 3 Satz 2 ZGB). Gerade eine erbrechtliche Betrachtung rechtfertigt also die in § 1 Abs. 2 VermG angelegte Entscheidung, die nachberufenen Erben im Verhältnis zum Erstausschlagenden nicht als wiedergutmachungsberechtigte Geschädigte anzusehen. Folgerichtig verhält es sich nur dann anders, wenn der Erstberufene keine vermögensrechtlichen Ansprüche erhebt und es damit in der Sache bei seiner Erbausschlagung beläßt; in diesem Fall ist der nächstberufene Ausschlagende wiedergutmachungsberechtigt (vgl. BVerwGE 95, 106 ≪107≫).

Der erstausschlagende Erbe ist auch dann in der in § 1 Abs. 2 VermG vorausgesetzten Weise geschädigt, wenn das überschuldete Grundstück in Volkseigentum übernommen wurde, ohne daß zuvor alle dem Staat vorgehenden Erben die Erbschaft ausgeschlagen hatten, die Übernahme in Volkseigentum mithin nicht der damaligen erbrechtlichen Lage entsprach. Denn auch in diesen Fällen hat der erstausschlagende Erbe das Grundstück aufgrund der vom Gesetzgeber als Unrecht bewerteten ökonomischen Verhältnisse und der hierdurch bedingten Erbausschlagung an das Volkseigentum verloren und ist daher nach der gesetzlichen Wertung vor einem nachberufenen Erben, der – wie hier – sich vor Inkrafttreten des Vermögensgesetzes auf seine Stellung als Erbe nicht berufen hat, vorrangig in dem Sinne schutzbedürftig, daß die Rechtswirkungen seiner Erbausschlagung durch einen grundstücksbezogen wirkenden Restitutionsanspruch beseitigt werden. Dieser Anspruch überlagert gewissermaßen den Anfall der Erbschaft beim nachrangig berufenen Erben. Die gegen diese Bewertung der sog. unvollständigen Kettenerbausschlagung vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

Entgegen der Ansicht der Revision scheidet die Anwendung des § 1 Abs. 2 VermG in diesen Fällen nicht deshalb aus, weil bei einer unvollständig gebliebenen Ausschlagungskette Volkseigentum nicht wirksam begründet werden konnte. Eben dies war die typische Situation, die der Gesetzgeber des Vermögensgesetzes vorgefunden hatte und die er bei den angestrebten Wiedergutmachungsregelungen berücksichtigen mußte. Denn insbesondere in den noch unter der Geltung des BGB, also vor dem 1. Januar 1976, eingetretenen Erbfällen konnte allenfalls theoretisch Volkseigentum wirksam entstehen, weil nahezu immer Erben entfernter Ordnungen vorhanden sind. Wenn der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtstatsache, daß in allen diesen Fällen nur eine Erbvermutung für den Fiskus gemäß § 1964 BGB bestand, den Restitutionstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG geschaffen hat, so macht dies deutlich, daß das in dieser Vorschrift aufgestellte Tatbestandsmerkmal der “Übernahme” in Volkseigentum auch und gerade die auf der Grundlage der gesetzlichen Erbvermutung erfolgte tatsächliche Inbesitznahme für das Volkseigentum meint. Ein anderes Verständnis würde die Vorschrift für die nach dem Erbrecht des BGB zu beurteilenden Fälle praktisch jeden Anwendungsbereichs berauben. Nicht grundlegend anders verhält es sich im übrigen bei Erbausschlagungen unter der Geltung des ZGB (s. dazu auch das Urteil des Senats vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG 7 C 70.96). Zwar waren gemäß § 369 Abs. 1 ZGB nur Erben bis zur dritten Ordnung erbberechtigt, so daß bei einer bis zu dieser Ordnung reichenden vollständigen Ausschlagungskette der Staat gesetzlicher Erbe wurde. War dagegen – wie dies in der Praxis nicht selten geschah – ein Erbrecht mangels Anmeldung nicht berücksichtigt und darauf zugunsten des Volkseigentums ein Erbschein erteilt worden, bestand im Ergebnis gleichfalls nur eine Erbvermutung zugunsten des Staates (vgl. § 413 Abs. 2 Satz 1 ZGB). Denn bei nachträglicher Annahme der Erbschaft durch einen zunächst nicht berücksichtigten Erben war der unrichtige, zugunsten des Volkseigentums erteilte Erbschein vom Staatlichen Notariat für unwirksam zu erklären (vgl. § 31 i.V.m. § 29 Abs. 2 des Notariatsgesetzes der DDR vom 5. Februar 1976, GBl I S. 93).

§ 1 Abs. 2 VermG ist somit eine spezialgesetzliche Ausprägung des das gesamte Vermögensrecht beherrschenden Rechtsgedankens, daß ein wiedergutzumachendes Unrecht nicht erst dann anzunehmen ist, wenn der staatliche Zugriff auf das Vermögen nach der maßgebenden Rechtslage in jeder Beziehung einwandfrei erfolgt ist. Im Gegenteil ist es für zahlreiche vom Gesetzgeber als wiedergutmachungsbedürftig bewertete Sachverhalte staatlichen Vermögensunrechts typisch, daß Vermögenswerte nicht rechtswirksam entzogen wurden. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof – Großer Senat für Zivilsachen – für das alliierte Rückerstattungsrecht den Standpunkt vertreten, daß Wiedergutmachungsansprüche ungeachtet einer etwaigen Nichtigkeit der vermögensentziehenden Maßnahme bereits bei einem tatsächlichen, während des Bestehens der nationalsozialistischen Herrschaft unangreifbaren Vermögensverlust entstanden sind (BGHZ 16, 350 ≪354 f.≫; vgl. auch BGHZ 10, 340). Allein diese Betrachtungsweise trägt der Situation in Staatswesen Rechnung, die – wie dies in NS-Deutschland und in der DDR der Fall war – keine rechtsstaatlichen Sicherungen gegenüber bestimmten von Staats wegen gewollten oder geduldeten Vermögensentziehungen kannten. Aus diesem Grund hat der erkennende Senat die zum alliierten Rückerstattungsrecht entwickelte Rechtsprechung zum tatsächlich unangreifbaren Vermögensverlust auch für den Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes übernommen (vgl. zuletzt m.w.N. BVerwG, Urteil vom 20. März 1997 – BVerwG 7 C 23.96 – VIZ 1997, 348 = ZOV 1997, 202, zum Abdruck in BVerwGE bestimmt).

Ein Vorrang des Erbrechts vor dem Tatbestand des § 1 Abs. 2 VermG läßt sich nicht mit rechtssystematischen Erwägungen begründen. In diesem Zusammenhang wird geltend gemacht, die isolierte Restitution eines Grundstücks oder Gebäudes führe zu einer mit erbrechtlichen Grundsätzen unvereinbaren Aufspaltung des Nachlasses. Während der übergangene nachberufene Erbe Eigentümer des nicht von § 1 Abs. 2 VermG erfaßten Nachlasses bleibe, erhalte der Erstausschlagende das Grundstück oder Gebäude zurück, ohne in eine Erbenstellung mit den daraus folgenden Rechten und Pflichten, etwa der Haftung für Nachlaßverbindlichkeiten, einzurücken. Diese rechtlichen Folgen sind indes keine Besonderheit der sog. unvollständigen Kettenerbausschlagung, sondern treten – ein begründetes Rückgabebegehren vorausgesetzt – notwendig auch dann ein, wenn sämtliche nacheinander berufenen Erben ausgeschlagen haben, so daß der Nachlaß wirksam in Volkseigentum übergegangen ist. Der Gesetzgeber wollte also lediglich das Objekt, das wegen seiner Überschuldung Grund für die Erbausschlagung war, im Wege der Wiedergutmachung an den Erstausschlagenden zurückfallen lassen, nicht auch etwaige andere noch vorhandene Vermögenswerte. Die damit verbundene nachträgliche Aufspaltung des Nachlasses konnte er um so eher in Kauf nehmen, als das betreffende Grundstück oder Gebäude im Regelfall den wesentlichen Wert des Nachlasses repräsentierte.

Das dargestellte Regelungskonzept des Vermögensgesetzes ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Vorschrift des § 1 Abs. 2 VermG ist mit der Garantie des Eigentums und des Erbrechts in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur vereinbar, sondern trägt dieser Gewährleistung in besonderer Weise Rechnung. Denn sie setzt mit der Einräumung vermögensrechtlicher Ansprüche zugunsten des erstausschlagenden Erben gerade denjenigen wieder in seine frühere Rechtsstellung ein, der auch nach allgemeinen erbrechtlichen Grundsätzen in erster Linie von der durch die ökonomische Zwangslage bewirkten “kalten Enteignung” betroffen war.

c) Die Kläger können nach alledem als nichtberücksichtigte Erben den zugunsten der Beigeladenen ergangenen Restitutionsbescheid nur dann mit Aussicht auf Erfolg angreifen, wenn die neben der Übernahme in Volkseigentum erforderlichen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG nicht vorgelegen haben. Das Verwaltungsgericht hat diese Prüfung anhand der in der Rechtsprechung des erkennenden Senats dazu entwickelten Maßstäbe (vgl. BVerwGE 98, 87) vorgenommen und ist zu einem verneinenden Ergebnis gekommen. Dagegen ist revisionsgerichtlich nichts zu erinnern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Franßen, Dr. Paetow, Kley, Herbert, Dr. Brunn

 

Fundstellen

ZIP 1997, 1941

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