Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung in der kassenvertragsärztlichen Versorgung

 

Orientierungssatz

Zum Beurteilungsspielraum der Prüfungsinstanzen bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung der ärztlichen Behandlung (hier: Praxisbesonderheiten bei der Vergleichsgruppe der Phlebologen).

 

Normenkette

EKV-Ä § 14; RVO § 368n Abs 5

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 12.05.1982; Aktenzeichen L 12 Ka 32/80)

SG München (Entscheidung vom 16.04.1980; Aktenzeichen S 32 Ka 237/78)

 

Tatbestand

Der Kläger ist als praktischer Arzt niedergelassen und an der Ersatzkassenpraxis beteiligt. Mit Bescheid vom 14. April 1978 kürzte die Prüfungskommission der Beklagten die Honoraranforderung des Klägers für das erste Quartal 1977 für Sonderleistungen um 10 %. Die Prüfungskommission führte aus, bei den Leistungen nach den Ziffern 203 und 764 E-Adgo liege eine durch die Diagnosen nicht begründete Aufwendigkeit vor. Dies ergebe sich aus einem Vergleich mit den 39 praktischen Ärzten und 48 Hautärzten, die ebenfalls wie der Kläger phlebologisch tätig seien. Bei den Ziffern 203 und 764 E-Adgo habe der Kläger durchschnittlich je Fall gegenüber diesen Vergleichspraxen weit mehr Leistungen erbracht. Der Kläger wandte dagegen ein, aus der von der Prüfungskommission berücksichtigten Statistik ergebe sich, daß sich die zum Vergleich herangezogenen Leistungen der 39 und 48 Ärzte nach Ziffern 203 und 764 E-Adgo nicht ausschließlich auf phlebologische Behandlungsfälle beziehen könnten. Mit Bescheid vom 13. Juli 1978 wies die Beschwerdekommission der Beklagten den Widerspruch des Klägers zurück. Sie begründete den Bescheid dahin, gegenüber den vergleichbaren 39 praktischen Ärzten mit Phlebologie und 48 Hautärzten mit Phlebologie liege der Kläger weit an der Spitze in den erbrachten einschlägigen Leistungen. Darin liege eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit. Die Praxisbesonderheiten seien dadurch angemessen berücksichtigt, daß nach der Kürzung bei den Sonderleistungen noch eine Überschreitung von 285 % gegenüber der Fachgruppe verbleibe.

Der Kläger hat mit der Klage vorgebracht, es müsse geprüft werden, inwieweit es sich bei den Patienten der Vergleichspraxen um andere Erkrankungen, insbesondere Hämorrhoidalleiden handele, bei denen beispielsweise Verbandsleistungen nach Ziffer 203 nicht, sondern nur Leistungen nach 764 anfielen. Er müsse mit Ärzten verglichen werden, die phlebologische Behandlungsfälle in etwa gleich großer Zahl abgerechnet hätten wie er. Die Beklagte legte eine Zusammenstellung der Abrechnungen von vier Vergleichspraxen vor und führte dazu aus, diese im Sinn einer verfeinerten Vergleichsprüfung errechneten Durchschnittswerte böten sicher einen geeigneteren Anhaltspunkt für die Beurteilung der wirtschaftlichen Tätigkeit des Klägers als die für die gesamte Fachgruppe ermittelten Durchschnitte. Der Kläger überschreite den neu ermittelten Vergleichswert bei den Sonderleistungen um 22,85 %. Er habe aber andererseits in wesentlich geringerem Umfang als die vier anderen Ärzte phlebologische Fälle behandelt, so daß die Beurteilung der Prüfungsinstanzen bestätigt werde.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Kläger sei mit den Praxen zu vergleichen, die einen in etwa gleichen Anteil von Fällen nach Ziffer 764 E-Adgo hätten. Den durchschnittlichen Fallwert dieser Praxen bei den Sonderleistungen überschreite der Kläger um 44 %. Damit sei ein offensichtliches Mißverhältnis gegenüber dem Durchschnittswert der Vergleichsgruppe gegeben.

Der Kläger hat mit der Berufung als Verfahrensmangel gerügt, die Zahl 44 beruhe auf einem Rechenfehler des SG. Tatsächlich ergäben die Abrechnungszahlen eine Überschreitung von 39,40 %.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und ausgeführt, das Rechtsmittel sei zulässig, da der gerügte Verfahrensmangel vorliege. In der Sache sei die Berufung nicht begründet. Für den Kläger sei die Vergleichsgruppe der praktischen Ärzte maßgebend. Die Bildung einer anderen Vergleichsgruppe könne zwar zweckmäßig sein, wenn hierbei eine hinreichend große Zahl von Ärzten umfaßt werde, die sich durch eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode in erheblicher Weise von allen übrigen Ärzten mit anderen Behandlungsarten unterscheide. Bereits diese Voraussetzung erfülle der Kläger nicht. Er führe phlebologische Behandlungen nach einer wissenschaftlich anerkannten Methode durch, die nach der Ziffer 764 E-Adgo abzurechnen sei. Wesentlich für die Bildung einer engeren Vergleichsgruppe sei, daß eine besondere medizinisch anerkannte Behandlungsweise eines Arztes bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung als seine Praxisbesonderheit berücksichtigt werde. Auch wenn man der verfeinerten Vergleichsmethode folgen würde, ergebe sich eine Überschreitung von 39,40 %, die deutlich im Bereich der unwirtschaftlichen Behandlung liege. Der Senat schließe sich aber dieser Betrachtungsweise nicht an.

Der Kläger hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt und macht geltend, das LSG sei vom Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 15. April 1980 - 6 RKa 5/79 - abgewichen. Das BSG habe darin für die Bildung einer engeren Vergleichsgruppe eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode, die sich in erheblicher Weise von Ärzten mit anderen Behandlungsarten unterscheidet, als erforderlich angesehen. Dagegen habe das LSG die Bildung einer engeren Vergleichsgruppe abgelehnt, weil es sich hier nur um eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode handele, die noch dazu nach der Ziffer 764 E-Adgo abrechenbar sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Mai 1982, das Urteil des Sozialgerichts München vom 16. April 1980 und den Bescheid der Beklagten vom 14. April 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 1978 aufzuheben.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist - entgegen der Ansicht der Beklagten - zulässig. Insbesondere hat der Kläger innerhalb der Frist des § 164 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Revisionsbegründung vorgelegt. Die Revisionsbegründung muß die verletzte Rechtsnorm bezeichnen und darlegen, aus welchen Gründen und mit welchen Erwägungen die Vorentscheidung angegriffen wird, warum also die Gründe des angefochtenen Urteils nicht geteilt werden (BSG SozR 1500 § 164 SGG Nr 20). Der Kläger bringt vor, das LSG weiche mit der Ablehnung der Bildung einer engeren Vergleichsgruppe der Phlebologen vom Urteil des BSG in BSGE 50, 84 ab. Daraus ergibt sich im Zusammenhang, daß als verletzte Rechtsnorm die Vorschriften des Ersatzkassenarztvertrages (EKV) über die Wirtschaftlichkeitsprüfung bezeichnet werden. Die Ablehnung der Bildung einer engeren Vergleichsgruppe der Phlebologen ist der wesentliche und tragende Grund dafür, daß das LSG die streitige Kürzung des Honorars wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise als gerechtfertigt angesehen hat. Mit der Begründung des LSG hat sich der Kläger insoweit auch hinreichend auseinandergesetzt, in dem er dargelegt hat, worin sie von der Entscheidung des BSG abweicht.

Die Revision ist begründet.

Mit Recht hat das LSG die Berufung des Klägers als zulässig angesehen, weil er einen wesentlichen Mangel des Verfahrens gerügt hat (§ 150 Nr 2 SGG). Das SG hat ein offensichtliches Mißverhältnis der Honoraranforderungen des Klägers für Sonderleistungen gegenüber dem Durchschnittswert der Vergleichsgruppe angenommen, weil er diesen Durchschnitt um 44 % überschreite. Insoweit hat das SG seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Es hat den Durchschnitt bei der Vergleichsgruppe durch einen Übertragungsfehler falsch angesetzt. Bei richtiger Rechnung ergibt sich eine Überschreitung um 39,40 %. Der Fehler des SG ist auch wesentlich, denn das SG hat selbst ausgeführt, ein offensichtliches Mißverhältnis sei anzunehmen, wenn die Honoraranforderungen des Kassenarztes den Durchschnitt der Fachgruppe um mehr als 40 % überschreite. Von diesem Wert geht es auch im Verhältnis des Klägers zur Vergleichsgruppe der Phlebologen aus. Auch unabhängig von der nicht näher begründeten Meinung des SG ist im Bereich der Überschreitung um etwa 40 % eine Verringerung des angenommenen Wertes von 44 % um 1/10 erheblich.

Der angefochtene Bescheid der Beschwerdekommission ist rechtswidrig, weil seine Begründung nicht den Anforderungen entspricht, die hier zu stellen sind.

Die Prüfbescheide sind schriftlich zu begründen; in der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Prüfgremien zu ihrer Entscheidung bewogen haben (BSGE 55, 110, 111). Der Begründung eines Verwaltungsakts kommt besondere Bedeutung zu, soweit der Verwaltung bei ihrer Entscheidung ein Beurteilungsspielraum zusteht. Solche Entscheidungen sind nämlich durch die Gerichte nur auf ihre Unvertretbarkeit zu überprüfen (BSGE 38, 138, 143 f sowie 282, 289 mwN; BVerwGE 39, 197, 204; vgl auch BVerwGE 59, 213, 216f; Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht 1982 § 17 RdNr 46; Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht 6. Aufl § 12 II, 1; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage § 7 RdNr 20 ff). In diesem Bereich ist die Kontrolle der Gerichte auf die Fragen beschränkt, ob die Verwaltung gegen übergeordnete Verfassungs- oder Verwaltungsgrundsätze, gegen zwingende Verfahrensregeln oder Denk- und Erfahrungssätze verstoßen hat, keine wesentlichen entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen hat, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt und nicht von falschen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist, ob sie die durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs abstrakt ermittelten Grenzen eingehalten und beachtet hat und ob sie ihre Subsumtion so verdeutlicht und begründet hat, daß im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (vgl BSGE 38, 282, 289 mwN sowie die zum vorigen Satz angegebene Literatur). Wenn die Verwaltung bei der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs mit einem derartigen Beurteilungsspielraum von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist oder ihre Entscheidung nicht in diesem Sinne ausreichend begründet hat und die ausreichende Begründung auch nicht nachholt, kann das Gericht seine Beurteilung nicht anstelle derjenigen der Verwaltung setzen.

Der dem Prüfungsgremium zustehende Beurteilungsspielraum ergibt sich aus den rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten. Der unbestimmte Begriff der "Wirtschaftlichkeit", wie er in § 14 Ziff 1 EKV (entsprechend § 368n Abs 5 Reichsversicherungsordnung -RVO-) verwendet wird, ist zwar durch gesetzliche und andere rechtliche Bestimmungen weitgehend inhaltlich ausgefüllt (§ 2 Nr 2 iVm § 1 Nr 5 EKV; § 368e iVm § 182 Abs 2 RVO). Aus diesen Vorschriften ergibt sich einerseits, daß der Kassen- und Vertragsarzt grundsätzlich berechtigt ist, die ihm geeignet erscheinenden Untersuchungs- und Behandlungsmethoden anzuwenden; auch in der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung gilt der Grundsatz der Freiheit des Arztes in der Wahl seiner Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BSG SozR 2200 § 368n RVO Nr 19). Andererseits aber darf der Arzt nicht zu Lasten der Krankenkassen Überflüssiges veranlassen oder Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen durchführen, die aufwendiger sind als andere, die denselben Zweck erfüllen. Die Verpflichtung der Prüfungsinstanzen zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung bezieht sich auf die gesamte Behandlungstätigkeit des Arztes und auf alle an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte. Diese Verpflichtung können die Prüfungsinstanzen generell nur durch eine pauschale Prüfung im Rahmen eines allgemeinen Kostenvergleichs erfüllen. Ob und inwieweit die bei dieser Prüfung zu berücksichtigenden Praxisbesonderheiten den Mehraufwand einer Praxis rechtfertigen, werden in der Regel auch die fachkundigen Prüfungsinstanzen nur ungefähr sagen können. Es müssen daher alle Entscheidungen der Prüfungsinstanzen, die sich im Rahmen der ungefähren Richtigkeit halten - die also die "Zweifelszone" nicht erkennbar verlassen (so Bachof, JZ 1972, 641, 644) -, als rechtmäßig angesehen werden. Dementsprechend hat es der Senat schon immer als rechtlich zulässig angesehen, daß die Prüfungsinstanzen den auf die unwirtschaftliche Behandlungsweise zurückzuführenden Mehraufwand lediglich schätzen (BSGE 11, 102, 114 ff; 46, 136, 138). Der Beurteilungsspielraum der Prüfungsinstanzen ist aber nicht eng auf die betragsmäßige Schätzung des unwirtschaftlichen Mehraufwands beschränkt. Auch andere Fragen, die die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Behandlungsweise betreffen, lassen sich zum Teil nur im Rahmen einer fachkundigen Beurteilung beantworten. Der Gesetzgeber hat durch die Regelung über die Besetzung des Prüfungs- und Beschwerdeausschusses (§ 368n Abs 5 RVO) zu erkennen gegeben, daß bei der Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung die medizinische Fachkunde und die ärztliche Berufserfahrung in spezifischer Weise zur Geltung kommen soll. Im Ersatzkassenbereich ist die Prüfungsentscheidung ausschließlich Vertragsärzten vorbehalten (§ 15 Ziff 2 EKV). Auch die Vertragspartner des EKV haben mit der Regelung der Wirtschaftlichkeitsprüfung zum Ausdruck gebracht, daß sie den Prüfgremien eine Entscheidung übertragen wollten, die auf einen gerichtlich nicht voll nachprüfbaren Bereich hinauslaufen kann. Für die Zulässigkeit einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle spricht insbesondere, daß die Prüfgremien von der für die kassenärztliche Versorgung zuständigen Selbstverwaltungskörperschaft bestellt werden, der regelmäßig auch der geprüfte Arzt als Mitglied angehört.

Den angefochtenen Bescheid hat die Beklagte nicht in einer Weise begründet, wie es demgemäß geboten war. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 14 EKV erfolgt nach den gleichen Grundsätzen wie sie im kassenärztlichen Bereich entwickelt worden sind (BSGE 46, 145, 149). Danach braucht die Wirtschaftlichkeit nicht anhand einzelner Behandlungsfälle geprüft zu werden, wenn die Behandlungskosten des Arztes in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten seiner Fachgruppe stehen. In einem solchen Fall ergibt sich vielmehr die Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise in der Regel schon aus einem Vergleich mit den Durchschnittswerten, es sei denn, daß Besonderheiten der jeweiligen Praxis einen Mehraufwand rechtfertigen oder zwischen diesem und einem Minderaufwand in anderen Leistungsbereichen ein ursächlicher Zusammenhang besteht (BSG aaO).

Die Beschwerdekommission hat im angefochtenen Bescheid aufgrund eines Vergleichs mit 39 praktischen Ärzten mit Phlebologie und 48 Hautärzten mit Phlebologie die offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise des Klägers angenommen. Im folgenden Satz der Gründe des Bescheides hat die Beschwerdekommission dann aber Praxisbesonderheiten berücksichtigt und die Angemessenheit der Honorarkürzung damit begründet, daß eine 285 %ige Überschreitung gegenüber der Fachgruppe verbleibe. Diese Ausführungen lassen indessen eine nachvollziehbar begründete Anwendung des § 14 EKV vermissen. Bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung anhand eines statistischen Vergleichs - diese Prüfungsmethode hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid gewählt - ist nach Feststellung der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit dem Grund nach in einem zweiten Verfahrensschritt der Umfang der unwirtschaftlichen Mehrkosten zu bestimmen (BSGE 46, 136, 138, 139). Ist eine genaue Berechnung der Mehrkosten nicht möglich oder mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden, so kann der Mehraufwand im Wege der Schätzung ermittelt werden, die Prüfungsgremien haben dabei einen Beurteilungsspielraum (BSGE 55, 110, 114). Liegen Praxisbesonderheiten vor, so müssen deren Auswirkungen auf die Fallkosten bei der Ermittlung des Mehraufwandes berücksichtigt werden.

Die Prüfungsinstanzen können ohne Ermittlung dieses Mehraufwands nicht die Unwirtschaftlichkeit annehmen. Dem Bescheid muß deshalb, wenn eine Praxisbesonderheit vorliegt, entnommen werden können, wie sie sich auf den Mehraufwand auswirkt.

Die Beschwerdekommission geht im angefochtenen Bescheid offenbar von einer Schätzung des Mehraufwandes aus unter Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten, deren Auswirkungen auf die Höhe des Honorars aber nicht bestimmt wird. Ohne nähere Darlegung hält die Kommission die Kürzung für angemessen wegen der Höhe der verbleibenden Überschreitung. Ein weiterer Mangel der Begründung liegt darin, daß die angegebene 285 %ige Überschreitung sich auf die Fachgruppe bezieht, womit nur die Gruppe der praktischen Ärzte gemeint sein kann. Da aber die Feststellung der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit auf einem Vergleich mit den phlebologisch tätigen Ärzten beruht, kann die Praxisbesonderheit der phlebologischen Tätigkeit im bestimmten Umfang nicht mehr ohne weiteres durch eine belassene Überschreitung des Durchschnitts einer ganz anderen Ärztegruppe berücksichtigt werden. Die Begründung läßt nicht erkennen, welche Mehrkosten durch die 285 %ige Überschreitung gegenüber der Fachgruppe entstanden sind und welche Mehrkosten sich aus der Praxisbesonderheit ergeben. Zur Schätzung des Mehraufwandes durch unwirtschaftliche Behandlungsweise wird es notwendig sein, die Auswirkungen der Praxisbesonderheit größenordnungsmäßig im Rahmen des Möglichen zu bestimmen.

Die Begründung für eine nachvollziehbare Anwendung des Beurteilungsspielraums hat die Beklagte auch nicht während des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt. Auch bei Entscheidungen mit Beurteilungsspielraum mögen Erwägungen für die Beurteilung noch im Laufe des gerichtlichen Verfahrens nachgeschoben werden können. Wie bei Ermessenserwägungen setzt dieses Nachschieben aber jedenfalls voraus, daß die nachgebrachten Gründe schon beim Erlaß des Bescheides vorgelegen haben, dieser durch sie nicht in seinem Wesen verändert und der Kläger nicht in seiner Rechtsverfolgung beeinträchtigt wird (vgl BSGE 27, 34, 38). Eine Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) könnte allerdings Gründe für die Entscheidung der Beschwerdekommission nur nachschieben, wenn sicher ist, daß die Kommission sich die nachgeschobene Begründung zu eigen gemacht hätte (vgl BVerwGE 8, 234, 238). Anderenfalls bedarf es einer neuen Beurteilung durch die Kommission.

Entsprechend einem Beschluß des SG hat die Beklagte die Übersichten und Häufigkeitsstatistiken von vier überwiegend phlebologisch tätigen Ärzten für das erste Quartal 1977 vorgelegt und die danach ermittelten Vergleichswerte als geeigneteren Anhaltspunkt für die Beurteilung der wirtschaftlichen Tätigkeit des Klägers bezeichnet. Die Beklagte hat damit aber keine abschließende Wirtschaftlichkeitsprüfung vorgenommen. Außerdem ist sie den substantiierten Einwendungen des Klägers gegen die Abgrenzung der Vergleichsgruppe später nicht entgegengetreten. Insoweit liegt deswegen kein wirksames Nachschieben von Gründen vor. Das SG hat für die Auswahl der Vergleichsgruppe die Höhe des Anteils der phlebologischen Fälle an den Gesamtfällen als maßgebend angesehen und deshalb den Kläger mit Ärzten verglichen, bei denen der Anteil der Fälle mit der Ziffer 764 E-Adgo unter 20 % und über 10 % gelegen hat. Dieses Auswahlkriterium sieht auch der Senat als einen Schritt in die richtige Richtung an. Die streitigen Ziffern 203 und 764 E-Adgo sind nicht allein phlebologischen Leistungen vorbehalten, sondern können auch bei anderen Behandlungen angesetzt werden - so gehört zur Leistungsbeschreibung der Ziffer 764 ausdrücklich auch die Verödung von Hämorrhoidalknoten -. Um die Auswirkungen der Praxisbesonderheit zu ermitteln, liegt es daher nahe, zum Vergleich nur diejenigen Ärzte heranzuziehen, die im gleichen Umfang wie der Kläger phlebologisch tätig sind. Diesem Ziel kommt die vom SG vorgenommene Bildung der Vergleichsgruppen näher. Die Beklagte hat indessen die vom SG ermittelten Werte nicht ihrerseits als tragende Gründe für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit nachgeschoben. Wenn sie insoweit meint, der Verfahrensmangel des SG bei der Ermittlung des Durchschnittswertes der neuen Vergleichsgruppe sei nicht wesentlich, so hat sie damit keine im oben dargelegten Sinn ausreichende Begründung für die Honorarkürzung vorgebracht. Der Überschreitungswert von 39,40 % gegenüber der engeren Vergleichsgruppe stellt eine neue Tatsache dar, die unter Darlegung der sich daraus ergebenden Mehraufwendungen eine neue Beurteilung der Wirtschaftlichkeit zwingend erforderlich gemacht hätte.

Bei ihrer neuen Entscheidung wird die Beschwerdekommission folgendes zu beachten haben:

Der Senat hat bisher nicht entschieden, daß im ersten Verfahrensabschnitt der Wirtschaftlichkeitsprüfung anhand eines statistischen Vergleichs ein Arzt für Allgemeinmedizin zwingend nur mit der Fachgruppe der Ärzte für Allgemeinmedizin zu vergleichen ist, oder daß die Bildung engerer Vergleichsgruppen nur zulässig wäre, soweit das ärztliche Berufsrecht zum Führen von Zusatzbezeichnungen berechtigt. Voraussetzung für die Bildung von engeren Vergleichsgruppen ist allerdings, daß sie eine hinreichend große Zahl von Ärzten umfaßt, die sich durch eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode in erheblicher Weise von Ärzten mit anderen Behandlungsarten unterscheiden (BSGE 50, 84, 87). Die vom SG vorgenommene Bildung einer engeren Vergleichsgruppe der phlebologisch tätigen Ärzte mit dem Ziel der Klärung, ob wegen einer Überschreitung des Durchschnittswertes dieser Vergleichsgruppe eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit vorliegt, hält der Senat für fragwürdig. Wie sich im vorliegenden Fall ergeben hat, werden zu dem Vergleich nicht nur Allgemeinärzte, sondern auch Hautärzte herangezogen. Eine Vergleichsgruppe bestehend aus Haut- und Allgemeinärzten würde es aber außerhalb der phlebologischen Tätigkeit mit einem unterschiedlichen Krankengut zu tun haben. Deshalb ist zweifelhaft, ob sich bei der Bildung einer derart heterogenen Vergleichsgruppe ein für ganze Leistungsarten oder auch nur -ziffern aussagekräftiger statistischer Vergleich ergeben könnte.

Die Beschwerdekommission geht im angefochtenen Bescheid vom Bestehen einer Praxisbesonderheit aus. Eine phlebologische Ausrichtung der Praxis kommt als Praxisbesonderheit in Betracht. Im gerichtlichen Verfahren hat die Beklagte den Kläger mit phlebologisch tätigen Ärzten verglichen und als wesentlich für den Vergleich angesehen, in welchem Umfang beim Kläger und bei den vergleichbaren Ärzten solche phlebologischen Leistungen anfallen. Durch den Vergleich mit diesen Ärzten wird in vertretbarer Weise die Feststellung angestrebt, inwieweit sich die Praxisbesonderheit der phlebologischen Behandlungsweise auf die Fallkosten des Klägers auswirkt. Dazu eignet sich ein Vergleich mit solchen Praxen, bei denen sich die Patientenschaft ähnlich zusammensetzt. Soweit eine solche statistische Berechnung nicht möglich ist oder mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden wäre, kommt auch eine Schätzung des durch die Praxisbesonderheit gerechtfertigten Mehraufwandes in Betracht (BSGE 55, 110, 114).

Bei der Ermittlung der Auswirkungen der Praxisbesonderheit auf die Fallkosten wird die Beschwerdekommission zu berücksichtigen haben, daß der Kläger möglicherweise auch außerhalb der phlebologischen Behandlungsfälle Sonderleistungen abgerechnet hat. Hinsichtlich dieser Leistungen ist er möglicherweise sachgemäß nicht mit Hautärzten, sondern nur mit Ärzten für Allgemeinmedizin zu vergleichen.

Wenn die Beschwerdekommission eine Überschreitung der Durchschnittswerte einer Vergleichsgruppe von Ärzten mit ähnlicher Praxisbesonderheit feststellt, wird sie dies bei der abschließenden Prüfung der Wirtschaftlichkeit berücksichtigen müssen. Die Annahme der Unwirtschaftlichkeit setzt in diesem Fall aber nicht zwingend eine Höhe der Überschreitung voraus, wie beim ersten Schritt der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Eine Überschreitung der Durchschnittswerte von Ärzten mit ähnlicher Praxisbesonderheit ist anders zu beurteilen als die Überschreitung der Durchschnittswerte der Fachgruppe. Zur Feststellung des offensichtlichen Mißverhältnisses gegenüber der Fachgruppe muß die Überschreitung eine erhebliche Höhe erreichen, weil der bloße statistische Vergleich Unterschiede im Krankengut der einzelnen Ärzte und ihrer Behandlungsweise überdeckt. Die Bedeutung dieser Unterschiede verringert sich aber bei Ärzten mit ähnlicher Praxisbesonderheit. Insoweit können also schon geringere Überschreitungen der Durchschnittswerte die Beurteilung der Behandlungsweise als unwirtschaftlich rechtfertigen.

Wenn die Beschwerdekommission erneut zum Ergebnis kommt, daß der Kläger unwirtschaftlich gehandelt hat, wird sie den Honorarkürzungsbetrag nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen festzusetzen haben.

Die angefochtenen Urteile und der Bescheid der Beschwerdekommission sind aus allen diesen Gründen mit der Kostenfolge aus § 193 SGG aufzuheben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662715

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