Entscheidungsstichwort (Thema)

Besetzung der Richterbank

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die "Auswahl-Richtlinien für die Einleitung des Prüfverfahrens", die für die Wirtschaftlichkeitsprüfung im Ersatzkassenbereich im Mai 1973 beschlossen worden sind (ÄErsKVtr § 19), können erst für Honorarabrechnungen vom 3. Quartal 1973 an angewendet werden. Auf frühere Quartale sind sie selbst dann nicht anwendbar, wenn die Prüfungsinstanzen erst nach dem 1973-07-01 entschieden haben.

2. Zu den Praxisbesonderheiten, die bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung zugunsten des Arztes zu berücksichtigen sind, gehört auch der Umstand, daß der Arzt neu zur Kassenpraxis zugelassen oder an der vertragsärztlichen Tätigkeit beteiligt worden ist. Dieser Umstand entlastet ihn jedoch nicht, soweit seine Behandlungsweise offensichtlich unwirtschaftlich war.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Bestimmung des EKV § 14 Nr 1, wonach die Behandlungs- und Abrechnungsweise der Vertragsärzte daraufhin zu prüfen ist, ob sie im einzelnen und insgesamt dem Erfordernis der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit genügt, entspricht im wesentlichen den RVO §§ 368e und 368n Abs 5; mithin können die von der Rechtsprechung für die Wirtschaftlichkeitsprüfung im kassenärztlichen Bereich entwickelten Grundsätze unbedenklich auf die für Ersatzkassen tätigen Vertragsärzte übertragen werden.

2. Die Wirtschaftlichkeit braucht nicht anhand einzelner Behandlungsfälle geprüft zu werden, wenn die Behandlungskosten des Arztes in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten seiner Fachgruppe stehen; die Unwirtschaftlichkeit ergibt sich dann in der Regel schon aus einem Vergleich mit den Durchschnittswerten, es sei denn, daß Besonderheiten der jeweiligen Praxis einen Mehraufwand des Arztes rechtfertigen oder zwischen diesem und einem Minderaufwand in anderen Leistungsbereichen ein ursächlicher Zusammenhang besteht.

3. Die Überschreitung des Durchschnittswertes der jeweiligen Arztgruppe um mehr als 100 vH läßt durchaus den Schluß zu, daß der Arzt unwirtschaftlich behandelt hat, es sei denn, daß Besonderheiten der Praxis während des streitigen Quartals den Mehraufwand rechtfertigen; als Praxisbesonderheiten sind die im ersten und unter Umständen auch in den unmittelbar folgenden Abrechnungsquartalen vorhandenen Unsicherheiten und Umstellungsschwierigkeiten nach Beginn der vertragsärztlichen Tätigkeit anzuerkennen.

 

Orientierungssatz

Im Rechtsstreit um die Behandlungs- und Abrechnungsweise der an der Ersatzkassenpraxis beteiligten Vertragsärzte wirken lediglich Ärzte als ehrenamtliche Richter mit, weil es sich um eine Angelegenheit der Kassenärzte iS des SGG § 12 Abs 3 S 2 handelt.

 

Normenkette

RVO § 368n Abs. 5 Fassung: 1977-06-27, § 368e Fassung: 1955-08-17; EKV-Ä § 14 Nr. 1 Fassung: 1963-07-20, § 19 Fassung: 1963-07-20; SGG § 12 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1972-05-26

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 24.06.1977; Aktenzeichen L 6 Ka 3/75)

SG Kiel (Entscheidung vom 14.05.1975; Aktenzeichen S 8 Ka 1/74)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 24. Juni 1977 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger, ein seit Anfang 1973 als Vertragsarzt an der Ersatzkassenpraxis beteiligter Urologe, wendet sich gegen die Kürzung seines Ersatzkassenhonorars für das erste Vierteljahr 1973. Er rechnete für dieses Vierteljahr, in dem er 87 bei Ersatzkassen versicherte Patienten behandelt hatte, zusammen 27.230,65 DM an Honorar ab, je Behandlungsfall also 313.- DM. Damit überschritt er den Durchschnitt seiner Fachgruppe (Urologen), der in dem genannten Quartal - bei im Mittel 297 Behandlungsfällen - 95,10 DM je Fall betrug, um 229 %. Die Überschreitung war besonders auffällig bei den Sonderleistungen, bei denen der Kläger, bezogen auf 100 Behandlungsfälle, 1786 Leistungen oder 194,55 DM je Fall abrechnete, während der Fachgruppendurchschnitt bei 650 Leistungen oder 53,38 DM je Fall lag; auch bei den Röntgenleistungen überschritt der Kläger mit 228 Leistungen in 100 Behandlungsfällen und 100,38 DM je Fall die Durchschnittswerte seiner Fachgruppe (62 Leistungen oder 29,97 DM je Fall) erheblich.

Die für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit im Ersatzkassenbereich zuständige Prüfungskommission der Beklagten kürzte deshalb die Honorarabrechnung des Klägers um 14.000,- DM, obwohl es sich um seine erste Abrechnung handelte und die Fallzahl unterdurchschnittlich war: Immerhin verbleibe ihm auch nach der Kürzung noch ein Betrag von 152,08 DM je Fall, der 60 % über dem Fachgruppendurchschnitt liege (Beschluß vom 16. Mai 1973, der dem Kläger mit Bescheid vom 30. Mai 1973 mitgeteilt wurde). Sein Widerspruch, mit dem er ua rügte, er sei vor der Honorarkürzung nicht abgemahnt worden, wie in den Auswahl-Richtlinien für die Einleitung des Prüfverfahrens vom 21./22. Mai 1973 vorgeschrieben sei, hatte keinen Erfolg. Die Beschwerdekommission der Beklagten hielt die Rüge für unbegründet und billigte die Kürzung nach Grund und Höhe; dabei stützte sie sich auf eine gutachtliche Stellungnahme eines ihrer Mitglieder, in der die Behandlungsweise des Klägers in einer Reihe von Einzelfällen beanstandet worden war (Beschluß vom 31. Oktober 1973, dem Kläger mitgeteilt mit Bescheid vom 18. Dezember 1973).

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Nachzahlung des Kürzungsbetrages verpflichtet. Es hat ausgeführt: Bei einer Erstabrechnung dürfe eine Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise nicht erfolgen, weil der Arzt im Sinne der genannten Auswahl-Richtlinien noch nicht "ausreichend informiert" sei; diese Richtlinien hätten auch noch von der Beschwerdekommission angewendet werden müssen (Urteil vom 14. Mai 1975).

Auf die - vom SG zugelassenen-Berufungen der Beklagten und des beigeladenen Verbandes der Angestelltenkrankenkassen (VdAK) hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen; es hat ausgeführt: Auch bei Anwendung der Auswahl-Richtlinien könne das Honorar eines Vertragsarztes ohne dessen vorherige "Information" gekürzt werden, wenn eine solche Information, wie bei Erstabrechnungen, nicht möglich sei; das gelte mindestens bei einem - hier vorliegenden - offenbaren Mißverhältnis zwischen den Fallwerten des Arztes und dem Durchschnitt seiner Fachgruppe. Die Honorarkürzung habe auch allein aufgrund eines Vergleichs der genannten Werte erfolgen dürfen; dabei würden etwaige Praxisbesonderheiten des Klägers, insbesondere seine niedrige Fallzahl und Eingewöhnungsschwierigkeiten zu Beginn der Ersatzkassentätigkeit ausreichend berücksichtigt, wenn als Grenzwert die doppelte mittlere Streuung zugrunde gelegt werde, die hier im streitigen Quartal 139,86 DM je Fall betragen habe und vom Kläger in außergewöhnlicher Höhe überschritten worden sei. Daß sein Mehraufwand durch Einsparungen in anderen Leistungsbereichen ausgeglichen werde, habe er nicht dargelegt. Auch der Höhe nach sei die Kürzung berechtigt und sogar maßvoll (Urteil vom 24. Juni 1977). Das LSG hat die Revision zugelassen, weil die Auslegung der Auswahl-Richtlinien grundsätzliche Bedeutung habe.

Der Kläger rügt mit der Revision in erster Linie eine fehlerhafte Anwendung der Auswahl-Richtlinien durch das LSG; entgegen dessen Ansicht regelten diese abschließend die Zulässigkeit von Honorarkürzungen, und zwar in dem Sinne, daß auch für das erste Abrechnungsquartal eines Arztes eine Kürzung ausnahmslos unzulässig sei, da der Arzt insoweit noch nicht ausreichend über seine unwirtschaftliche Behandlungsweise informiert sei. Das gelte selbst dann, wenn die erste Abrechnung in offensichtlichem Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten der Fachgruppe stehe. Diese Werte seien hier im übrigen wegen der Praxisbesonderheiten des Klägers, vor allem wegen seiner besonderen Behandlungsweise und Praxisausstattung, kein geeigneter Vergleichsmaßstab. Die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Behandlung lasse sich ferner nur langfristig, dh unabhängig von willkürlichen Quartalsdaten, beurteilen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht habe das LSG dem Kläger zu Unrecht eine Darlegungslast für Einsparungen in anderen Leistungsbereichen auferlegt; insoweit hätte das LSG entweder selbst weitere Ermittlungen vornehmen oder dem Kläger entsprechende Hinweise geben müssen. Das gleiche gelte auch für das von ihm vorgelegte mathematische Gutachten. Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen, die Revision des Klägers zurückzuweisen. Dieser habe auch für das erste Abrechnungsquartal keinen Anspruch auf eine Sonderbehandlung oder auf Berücksichtigung einer "Anlaufzeit".

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat über die Revision mit zwei Kassenärzten als ehrenamtlichen Richtern entschieden, weil der Rechtsstreit nur eine Angelegenheit der Kassenärzte iS des § 12 Abs 3 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) betrifft. Nach dem Ersatzkassenvertrag (EKV), der am 20. Juli 1963 von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) mit den Verbänden der Angestellten- und der Arbeiterersatzkassen geschlossen und am 1. Oktober 1963 in Kraft getreten ist (§ 20 EKV), bilden die Kassenärztlichen Vereinigungen zur Prüfung der Behandlungs- und Abrechnungsweise der an der Ersatzkassenpraxis beteiligten Vertragsärzte Prüfungs- und Beschwerdekommissionen, deren Beschlüsse allein von den ärztlichen Mitgliedern dieser Kommissionen gefaßt werden (§§ 14, 15 EKV). Entsprechend wirken bei Anfechtung dieser Beschlüsse lediglich Ärzte als ehrenamtliche Richter mit (vgl BSGE 42, 268, 269 mit weiteren Nachweisen). Die Klage ist gegen die Kassenärztliche Vereinigung als Träger der genannten Kommissionen zu richten.

Die Revision des Klägers ist begründet, ohne daß der Senat den Rechtsstreit schon abschließend entscheiden kann, weil sich nicht übersehen läßt, in welchem Umfange der Kläger im Ergebnis mit seiner Klage gegen den streitigen Kürzungsbescheid der Prüfungskommission vom 30. Mai 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beschwerdekommission vom 18. Dezember 1973 Erfolg haben wird.

Nicht beitreten kann der Senat dem Kläger allerdings insoweit, als es sich um die Anwendung der "Auswahl-Richtlinien für die Einleitung des Prüfverfahrens" handelt. Diese Richtlinien - deren Rechtsqualität dahingestellt bleiben kann - hat die nach § 19 EKV aus Vertretern der KBV und des VdAK gebildete Arbeitsgemeinschaft, die ua zur verbindlichen Auslegung des EKV berufen ist (§ 19 Nr 4 Buchst a EKV), am 21./22. Mai 1973 zur Auslegung der §§ 13 bis 16 EKV beschlossen und gemäß § 19 Nr 7 EKV in den Zeitschriften der Vertragspartner veröffentlicht (Deutsches Ärzteblatt 1973, 1696; Die Ersatzkasse 1973, 336). Sie hat die Richtlinien später zur Klärung von grundsätzlichen Fragen durch "Feststellungen" ergänzt (vgl § 19 Nr 4 Buchst a und Nr 6 EKV).

Der EKV regelt die Prüfung der Behandlungs- und Abrechnungsweise der Vertragsärzte im Anschluß an § 2 Nr 2 (Jeder Vertragsarzt hat bei seiner ärztlichen Tätigkeit das Maß des Notwendigen einzuhalten, das Gebot der Wirtschaftlichkeit zu beachten und hierauf seine Behandlungs- und Verordnungsweise einzurichten) in § 14. Danach entscheidet zunächst eine Prüfungskommission darüber, ob die ärztliche Behandlungs- und Abrechnungsweise im einzelnen und insgesamt nach den Regeln der ärztlichen Kunst dem Erfordernis der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit genügt. Die Prüfungskommission hat gegebenenfalls bei der Festsetzung des dem Vertragsarzt zustehenden Honorars Abstriche vorzunehmen (§ 14 Nr 1). Um "die sachgerechte Information (des Vertragsarztes) als Regulativ in den Vordergrund zu stellen und das Prüfverfahren im Rahmen der gefestigten Rechtsprechung praktikabel zu gestalten" (letzter Absatz der Präambel der Auswahl-Richtlinien), wird unter Nr 4.1. der Richtlinien die Information der Vertragsärzte nochmals als die "wesentliche" Aufgabe der Prüfungskommission hervorgehoben und sodann bestimmt:

4.2. Honorarkürzungen nach § 14 Ziffer 1 werden von der Prüfungskommission auferlegt, wenn der betroffene Vertragsarzt über die Höhe der Überschreitung des Gruppenfallwertes insgesamt, der einzelnen Leistungsgruppen bzw der einzelnen Leistung ausreichend informiert war und bei unwirtschaftlicher Abrechnungsweise keine Änderung eingetreten ist.

4.3. Ausreichend informiert sind (und zwar auch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinien) Vertragsärzte, die wiederholt in den der Prüfung vorausgegangenen Quartalen unterrichtet oder von Maßnahmen nach § 14 Ziffer 1 des Vertrages betroffen wurden.

Nach der Feststellung Nr 187 der Arbeitsgemeinschaft vom 5. Februar 1975 (Die Ersatzkasse 1975, 160) ist "jede dritte Information eines Vertragsarztes im Sinne der Ziffer 4 der Auswahl-Richtlinien für die Einleitung des Prüfverfahrens ausreichend, Maßnahmen gemäß § 14 des Vertrages auszulösen".

Nach dieser Regelung muß der Vertragsarzt, bevor sein Honorar für eine Quartalsabrechnung gekürzt werden darf, "wiederholt in den der Prüfung voraufgegangenen Quartalen" durch die Prüfungsinstanzen über seine unwirtschaftliche Behandlungsweise "informiert" worden sein. Damit wirkt sich die Neuregelung des Prüfungsverfahrens in den Auswahl-Richtlinien mittelbar auch auf die Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen aus, sofern nämlich eine Honorarkürzung, die an sich wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise zulässig und geboten gewesen wäre, mangels ausreichender Information des Arztes unterbleiben muß. Ob sie unter gewissen Voraussetzungen gleichwohl erfolgen darf - das LSG hat dies für Erstabrechnungen eines Arztes angenommen, jedenfalls wenn sie ein offensichtliches Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten der Fachgruppe erkennen lassen -, hat der Senat nicht entschieden, weil es auf diese Frage für den vorliegenden Rechtsstreit nicht ankommt; denn die Auswahl-Richtlinien sind erst am 1. Juli 1973 in Kraft getreten und deshalb, wie schon die Beschwerdekommission in ihrem Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 1973 ausgeführt hat, auf die Abrechnung des Klägers für das erste Quartal 1973 nicht anzuwenden.

Grundsätzlich ist zwar, wenn sich während des Verwaltungsverfahrens des Recht zugunsten des betroffenen Bürgers ändert, wenn insbesondere ein Eingriff (hier: eine Honorarkürzung) von weiteren - erschwerenden - Voraussetzungen abhängig gemacht wird, die Rechtsänderung von der zuletzt entscheidenden Verwaltungsinstanz zu berücksichtigen (vgl BSG 11, 119 = SozR RVO § 368 b Nr 4 und aaO Nr 5; vgl auch § 2 Abs 3 des Strafgesetzbuches, wonach das mildeste Gesetz anzuwenden ist, wenn das zur Tatzeit geltende Recht vor der Entscheidung geändert wird). Der genannte Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn nach der Eigenart des jeweiligen Rechtsgebiets der zeitliche Geltungsbereich der Rechtsänderung nicht danach abgegrenzt werden kann, wann die Verwaltung über einen Sachverhalt entschieden hat, diese Abgrenzung vielmehr - unabhängig von dem zufälligen Zeitpunkt der formalen Entscheidung - materiellen Kriterien folgen muß. Ein solcher Fall liegt hier vor.

Wie die Leistungen der Kassen- und Vertragsärzte zu vergüten sind und - was davon nicht zu trennen ist - unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfange sie im Falle einer unwirtschaftlichen Behandlungsweise gekürzt werden dürfen, kann für einen bestimmten Vergütungs- und Abrechnungszeitraum für alle betroffenen Ärzte nur nach einheitlichen Maßstäben beurteilt werden. Das erfordert schon der Gleichheitssatz (Art 3 des Grundgesetzes) und ergibt sich auch daraus, daß die Verteilung der Gesamtvergütung nach § 368 f Abs 1 RVO unter die Kassenärzte normativ, dh nach generell-abstrakten Merkmalen, zu regeln ist (BSGE 21, 235). Dieses Gleichmaß der Vergütung wäre gefährdet, wenn Honorarkürzungen, die sich auf dasselbe Quartal beziehen, nach unterschiedlichen Gesichtspunkten vorgenommen würden, je nach dem, zu welchem Zeitpunkt die Prüfungsstelle entschieden hat. Hätte hier zB die Prüfungskommission die seit dem 1. Juli 1973 geltenden Auswahl-Richtlinien bei ihren nach diesem Zeitpunkt ergangenen Entscheidungen auch dann beachten müssen, wenn diese sich noch auf das erste Abrechnungsquartal 1973 bezogen hätten, so wären die später geprüften Ärzte in der Regel gegenüber den früher geprüften bevorzugt worden, obwohl beide Arztgruppen ihre Leistungen im selben Quartal (I/73) erbracht hätten. Ähnlich ungerechtfertigte Vorteile hätten für I/73 diejenigen Ärzte erlangt, bei denen, wie im vorliegenden Falle geschehen, die Prüfungskommission noch vor dem genannten Stichtag, die Beschwerdekommission dagegen erst danach entschieden hätte. Solche schwer erträglichen Ergebnisse lassen sich nur vermeiden, wenn die den Auswahl-Richtlinien beigefügte Geltungsbestimmung (Deutsches Ärzteblatt 1973, 1698 rechte Spalte unten: "gültig ab 1. Juli 1973") nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung der Prüfungsinstanzen, sondern auf den ihr zugrunde liegenden Abrechnungs- und Prüfungszeitraum bezogen wird, wenn mithin die Anwendung der Auswahl-Richtlinien auf Abrechnungszeiträume beschränkt wird, die mit dem dritten Quartal 1973 beginnen. Damit entfällt für die hier streitige Abrechnung des Klägers für das erste Quartal 1973 eine Anwendung der genannten Richtlinien. Die Abrechnung des Klägers ist vielmehr noch nach den - vor Erlaß der Richtlinien allein maßgebend gewesenen - Prüfungsbestimmungen des EKV, insbesondere nach dessen § 14, zu beurteilen. Wenn das LSG daneben noch die Prüfungsvorschriften der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung angewendet hat (vgl dazu Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht, 4.Aufl, Stand: Dezember 1976 Bd III S IV 162 p 4 ), so ist der Senat dem nicht gefolgt. Der EKV gibt keinen Anhalt dafür, daß diese - für den engeren kassenärztlichen Bereich geschaffenen - Prüfungsvorschriften neben dem EKV oder zu seiner Ergänzung heranzuziehen sind.

Nach § 14 Nr 1 EKV ist die Behandlungs- und Abrechnungsweise der Vertragsärzte daraufhin zu prüfen, ob sie im einzelnen und insgesamt nach den Regeln der ärztlichen Kunst "dem Erfordernis der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit genügt". Diese Bestimmung entspricht im wesentlichen der Regelung, die in §§ 368e, 368n der Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Kassenärzte getroffen worden ist. Die Grundsätze, die die Rechtsprechung für die Wirtschaftlichkeitsprüfung im kassenärztlichen Bereich entwickelt hat, können deshalb unbedenklich auf die Prüfung der für die Ersatzkassen tätigen Vertragsärzte übertragen werden.

Nach diesen Grundsätzen braucht die Wirtschaftlichkeit nicht anhand einzelner Behandlungsfälle geprüft zu werden, wenn die Behandlungskosten des Arztes in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten seiner Fachgruppe stehen. In einem solchen Falle ergibt sich vielmehr die Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise in der Regel schon aus einem Vergleich mit den Durchschnittswerten, es sei denn, daß Besonderheiten der jeweiligen Praxis einen Mehraufwand des Arztes rechtfertigen oder zwischen diesem und einem Minderaufwand in anderen Leistungsbereichen ein ursächlicher Zusammenhang besteht (vgl BSGE 11, 102, 112 ff; 17, 79; 19, 123; SozR 2200 § 368n Nr 3).

Der Kläger hat im streitigen Quartal (I/73) die Durchschnittswerte seiner Fachgruppe (Urologen) sehr erheblich überschritten, und zwar sowohl bei einzelnen Leistungsgruppen (Sonderleistungen, Röntgenleistungen) als auch bei den insgesamt je Behandlungsfall erbrachten Leistungen (Gesamtfallwert). So hat sein Behandlungsaufwand bei den Sonderleistungen 194,55 DM und bei den Röntgenleistungen 100,38 DM je Fall betragen und damit den Falldurchschnitt der Fachgruppe (53,38 bzw 29,97 DM) um mehr als das Dreifache überschritten. Auch sein Gesamtfallwert von 313 DM hat 229 % über dem Vergleichswert von 95,10 DM gelegen. Diese Überschreitungen stehen in einem offensichtlichen Mißverhältnis zum Fachgruppendurchschnitt, gleichgültig, von welcher Zahl hier als Grenzwert für die Annahme eines offensichtlichen Mißverhältnisses auszugehen ist. Bei Überschreitung des Vergleichswerts um mehr als 100 % liegt jedenfalls ein solches Mißverhältnis vor (vgl BSGE 19, 123, 128). Fraglich kann im Falle des Klägers nur sein, ob und inwieweit Besonderheiten seiner Praxis während des streitigen Quartals seinen Mehraufwand rechtfertigen, oder ein etwaiger Minderaufwand in bestimmten Leistungsbereichen kausal mit dem Mehraufwand zusammenhängt. Für letztere Annahme ergeben die Feststellungen des LSG keinen Anhalt; gleichwohl wird das LSG auch insoweit den Sachverhalt noch näher aufklären müssen, sofern der Kläger, wie er im Revisionsverfahren angekündigt hat, in dieser Richtung substantiierte Angaben machen oder Beweisanträge stellen sollte.

Als Praxisbesonderheiten des Klägers hat das LSG seine niedrige Fallzahl angesehen, ferner Eingewöhnungsschwierigkeiten in die kassenärztliche Behandlungs- und Abrechnungsweise zu Beginn der kassenärztlichen Tätigkeit, eine "moderne" Ausbildung des Klägers und seine daran ausgerichtete Praxisführung, einen hohen Überweisungsanteil und - mit Einschränkungen - die Ausstattung seiner Praxis (Röntgenanlage mit Fernsehkette). Es hat jedoch gemeint, daß alle diese Besonderheiten durch den der Prüfung zugrunde gelegten Grenzwert ("doppelte Streuung") erfaßt würden und daher die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Honorarkürzung nicht in Frage stellen könnten. Dem kann der Senat nicht in vollem Umfange folgen.

Richtig ist zwar, daß der Fachgruppendurchschnitt aus den Fallwerten sämtlicher der Fachgruppe angehörenden Praxen - mit ihren jeweiligen Besonderheiten - gebildet wird, so daß auch die Besonderheiten, die der Praxis des Klägers eigentümlich sind, in den Durchschnittswert "eingehen". Wären die Besonderheiten der verschiedenen Praxen jedoch in jedem Falle mit dem hier zugrunde gelegten Grenzwert ausreichend berücksichtigt - dieser Wert soll nach einem vom LSG angeführten statistischen Gesetz 95,5 % aller Praxen umfassen -, so könnte ein über dem Grenzwert liegender Mehraufwand eines Arztes niemals mit Besonderheiten seiner Praxis begründet werden. Ein solches Ergebnis hält der Senat nicht für gerechtfertigt, vor allem nicht in Fällen, in denen, wie möglicherweise beim Kläger im streitigen Quartal, mehrere anzuerkennende Praxisbesonderheiten zusammentreffen.

Die angefochtene Honorarkürzung (von mehr als der Hälfte des abgerechneten Honorars) betrifft das erste Abrechnungsquartal des Klägers als Vertragsarzt, dh einen Zeitraum, in dem der Arzt im allgemeinen noch nicht weiß, wie sich seine Behandlungsweise kostenmäßig zu der seiner Fachgruppe verhält. Diese Unsicherheit, die häufig noch mit Umstellungsschwierigkeiten verbunden ist, vor allem wenn der Arzt bisher im Krankenhaus tätig war, rechtfertigt es, das erste Abrechnungsquartal (unter Umständen auch die unmittelbar folgenden) mit anderen Maßstäben als die späteren zu messen, insoweit also eine Praxisbesonderheit anzuerkennen. Das kann allerdings auch für die genannte Zeit kein Freibrief für den Arzt sein, ohne jede Rücksicht auf das Gebot der Wirtschaftlichkeit zu behandeln. Einen Anhalt dafür, in welchem Umfange ein Mehraufwand bei Beginn der vertragsärztlichen Tätigkeit für eine Übergangszeit, dh bis zur Anpassung an die in der Ersatzkassenpraxis zu beachtenden Regeln, hingenommen werden kann, gibt die Feststellung Nr 198 der Arbeitsgemeinschaft nach § 19 EKV vom 22. April 1975 (Die Ersatzkasse 1975, 276). Danach kann "auch ohne vorherige Information" des Vertragsarztes eine Honorarkürzung erfolgen, wenn seine Quartalsabrechnungen in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu seiner Fachgruppe stehen. Solange dies nicht der Fall ist, bleibt sein Honorar mithin ungekürzt. Verallgemeinert man den hierin zum Ausdruck gekommenen Gedanken, so bedeutet dies, daß der Mehraufwand eines "uninformierten" Vertragsarztes zu Beginn seiner Tätigkeit, insbesondere während des ersten Abrechnungsquartals, insoweit auf einer anzuerkennenden Praxisbesonderheit beruht, als er die Grenze eines offensichtlichen Mißverhältnisses zum Fachgruppendurchschnitt nicht überschreitet.

Wo diese Grenze hier für den Kläger des näheren zu ziehen ist, läßt sich nach den bisher getroffenen Feststellungen noch nicht hinreichend sicher beurteilen. Sollte indessen unter Berücksichtigung der Fallwerte des Klägers für die späteren Quartale und der normalen Streubreite seiner Fachgruppe (vgl Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1970, 773 f) ein offensichtliches Mißverhältnis erst bei einer Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts um mehr als 50 % vorliegen, so könnte dem Kläger als Besonderheit seiner Praxis für das streitige Abrechnungsquartal ein Mehraufwand von 50 % des Vergleichswerts von 95,10 DM, dh ein Betrag von 47,55 DM je Behandlungsfall, zugebilligt werden. In welchem Umfange darüber hinaus für weitere Praxisbesonderheiten des Klägers, namentlich für seine außergewöhnlich niedrige Fallzahl (87 Behandlungsfälle gegenüber einem Durchschnitt von 297 in I/73), ein Mehraufwand als berechtigt anzuerkennen ist, wird das LSG noch festzustellen haben, notfalls im Wege der Schätzung, bei der möglicherweise von der Beklagten zu erfragende Erfahrungswerte berücksichtigt werden können. Hiernach erscheint es nicht ausgeschlossen, daß bei Zusammenrechnung aller Praxisbesonderheiten, die während des fraglichen Quartals beim Kläger vorgelegen haben, ein Fallwert erreicht wird, der das ihm im angefochtenen Kürzungsbescheid belassene Honorar von 152,08 DM je Fall nicht unerheblich übersteigt. Insoweit wäre dann die Klage begründet.

Zur Nachholung der somit noch erforderlichen Feststellungen und zur abschließenden Entscheidung hat der Senat die Sache an das LSG zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mitentscheiden wird.

 

Fundstellen

BSGE, 145

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