Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtliche Auswirkungen der Arzneimittel-Richtlinien

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Klage eines Arzneimittelherstellers auf Abänderung der vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen gemäß § 368p Abs 1 RVO beschlossenen Arzneimittel-Richtlinien ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben.

2. Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen ist im sozialgerichtlichen Verfahren beteiligtenfähig.

3. Zu einem Streitverfahren iS von Ziffer 1 ist die Bundesrepublik Deutschland nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig beizuladen.

 

Orientierungssatz

Die Arzneimittel-Richtlinien tragen lediglich zur Gestaltung der Rechtsbeziehungen innerhalb des öffentlich-rechtlichen Leistungssystems der kassenärztlichen Versorgung bei (§ 368g Abs 1, § 368p Abs 3 RVO). Sie wirken nicht unmittelbar in ein privatrechtliches Außenverhältnis ein. Sie dienen ausschließlich dem Zweck, das in der kassenärztlichen Versorgung geltende Wirtschaftlichkeitsgebot zu konkretisieren (§ 368p Abs 1 iVm § 368e und § 182 Abs 2 RVO). Ihre rechtlichen Auswirkungen beschränken sich auf öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen, nämlich darauf, welche Leistungen dem Versicherten aufgrund seines öffentlich-rechtlichen Sachleistungsanspruchs zustehen und vom Kassenarzt und von der Krankenkasse im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Leistungssystems bewirkt oder verordnet bzw bewilligt werden dürfen (§ 368e und § 182 Abs 2 RVO). Sie beeinflussen zwar mittelbar auch den privatrechtlichen Wettbewerb der Arzneimittelhersteller und -anbieter, indem sie vom Kassenarzt bei seiner Behandlungs- und Verordnungstätigkeit sowie von der Krankenkasse bei ihrer Leistungsbewilligung zu beachten sind (§ 368p Abs 3 RVO; § 368g Abs 1 RVO iVm § 28 ÄBMV). Solche wirtschaftlichen Auswirkungen allein machen den Rechtsstreit nicht zu einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit.

 

Normenkette

SGG § 51 Abs. 1-2; GVG § 13; SGG § 70 Nr. 4, § 75 Abs. 2 Alt. 1; RVO § 368p Abs. 1, 3, §§ 368e, 368g Abs. 1, § 368o Abs. 1 S. 2, § 181 Abs. 2; BMV-Ä § 28

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 25.11.1987; Aktenzeichen L 11 Ka 126/86)

SG Köln (Entscheidung vom 05.11.1986; Aktenzeichen S 19 Ka 35/86)

 

Tatbestand

Die Klägerin stellt Arzneimittel her, ua den verschreibungspflichtigen Hustensaft Expectorans Solucampher. In den Jahren 1978 und 1982 beschloß der beklagte Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen Änderungen der von ihm gemäß § 368p Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erlassenen Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der kassenärztlichen Versorgung - Arzneimittel-Richtlinien - (AMR). Nach Nr 21h AMR dürfen nunmehr - von im Patienten begründeten Ausnahmen abgesehen - Saftzubereitungen nicht für Erwachsene kassenärztlich verordnet werden. Die Klägerin erlitt dadurch bei dem oben genannten Medikament erhebliche Umsatzrückgänge.

Mit der im Juli 1980 beim Verwaltungsgericht Köln erhobenen Klage hat die Klägerin in erster Linie die Feststellung begehrt, daß die Nr 21h AMR rechtsunwirksam sei; hilfsweise hat sie beantragt, dem Beklagten aufzugeben, die genannte Regelung zu beseitigen bzw so zu ändern, daß ihr Präparat nicht erfaßt wird. Sie hat geltend gemacht: Durch diese Regelung greife der Beklagte unmittelbar und rechtswidrig in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein und verletze sie in ihren Grundrechten aus Art 12 Abs 1 und Art 14 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Da ihr Präparat nicht unwirtschaftlich sei, habe der Beklagte mit der Neufassung der Nr 21h AMR das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 368e RVO fehlerhaft angewandt.

Die Klage ist in erster und zweiter Instanz erfolglos geblieben. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben, den Rechtsweg zu den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht (SG) Köln verwiesen (Urteil vom 5. Juni 1986 - BVerwG 3 C 14.85 -, BVerwGE 74, 251).

Vor dem SG hat die Klägerin wie bereits vor dem Oberverwaltungsgericht beantragt,

dem Beklagten aufzugeben, die generelle Regelung der Nr 21h AMR in der Fassung vom 26. Februar 1982 zu beseitigen, hilfsweise, dem Beklagten aufzugeben, die genannte Regelung dahin zu ergänzen oder anderweitig in geeigneter Weise klarzustellen, daß die Saftzubereitung Expectorans Solucampher von der Regelung nicht erfaßt wird.

Das SG hat die Klage abgewiesen. Es hat zwar den Beklagten als beteiligtenfähig angesehen. Die Klage sei auch nicht als abstrakte Normenkontrolle unzulässig; die AMR seien keine Rechtsnormen, denn sie wendeten sich nur an die Kassenärzte, also nicht an einen nicht abgegrenzten Personenkreis. Die Klage sei jedoch unbegründet.

Die Klägerin hat dagegen Berufung eingelegt, ihre zuletzt gestellten Anträgen aufrechterhalten und weiter hilfsweise beantragt, den Rechtsstreit an das Landgericht zu verweisen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Köln verwiesen.

Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Die Berufung sei mit dem Hauptantrag unbegründet. Das SG habe zu Recht die Klage abgewiesen. Es habe allerdings zu Unrecht die sachliche Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit angenommen. Zu entscheiden sei über einen bürgerlichen Rechtsstreit, wozu die Zivilgerichte berufen seien. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten bestehe ein Wettbewerbsverhältnis. Der Ausschluß bestimmter Gruppen von Arzneimitteln von der Leistungspflicht und dem Leistungsrecht der Krankenkassen stelle sich für die Anbieter bzw Hersteller der Arzneimittel als Wettbewerbshandlung dar. Ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs liege in jedem Tun, das äußerlich geeignet sei, den Absatz einer Person zugunsten des Absatzes einer anderen Person zu fördern (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 14. Aufl, Einleitung UWG, Anm 209). Als Rechtsstreit aus einem Wettbewerbsverhältnis und damit als bürgerlicher Rechtsstreit sei auch ein Rechtsstreit anzusehen, in dem das Verhalten einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft insoweit zu überprüfen sei, als es gegen Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verstoßen könnte. Nach dem Sachvortrag der Klägerin könnte das der Fall sein, weil sie geltend mache, die als Einheit zu sehenden Krankenversicherungsträger besäßen praktisch ein Monopol als Nachfrager von Arzneimitteln. Die AMR regelten im Verhältnis zum Arzneimittelhersteller nur das Nachfrageverhalten der Krankenkassen, dh ihre Befugnis, als Teilnehmer am Markt Arzneimittel zu kaufen oder nicht zu kaufen. Auf öffentlich-rechtliche Normen könne sich die Klägerin nicht stützen. Die AMR sollten die abstrakten Leistungsangebote (§§ 182, 368e RVO) konkretisieren. Diese Gebote begründeten keine Rechte der Arzneimittelhersteller oder sonstiger Leistungsanbieter. Sie gewährten diesen auch nicht etwa einen mittelbaren Schutz. Sie seien nicht im Interesse der Leistungsanbieter normiert, sondern allein im Interesse der Versicherten, der Krankenkassen und allenfalls der Ärzte. Die Klägerin wolle auch nicht, wie die Begründung ihres Anspruchs deutlich mache, Rechte der Adressaten der AMR geltend machen. Ihre Klagebefugnis rühre aus einem völlig anderen Betroffensein her, nämlich aus dem Betroffensein als Marktteilnehmer.

Gegen diese Entscheidung haben sowohl der Beklagte als auch die Klägerin Revision eingelegt. Beide halten den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für gegeben.

Die Klägerin trägt vor: Der Beklagte habe mit seiner Entscheidung ihre Grundrechte aus Art 14 und Art 12 GG verletzt. Der an sich unstreitige Eingriff in die Grundrechte entbehre der rechtlichen Legitimation. Sie verlange für die Zukunft die Beseitigung dieses Eingriffs. Da es sich bei der Tätigkeit des Beklagten aus ihrer Sicht um rechtswidriges hoheitliches Tun handele, spreche viel dafür, daß deshalb der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch gegeben sei. Freilich würde für ihn in erster Linie der Verwaltungsrechtsweg zulässig sein, denn sie stehe in keinem sozialrechtlichen Rechtsverhältnis zu dem Beklagten. Aufgrund der Verweisung durch das BVerwG sei aber der Anspruch im sozialgerichtlichen Verfahren geltend zu machen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. November 1987 - L 11 Ka 126/86 - aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 5. November 1986 - S 19 Ka 35/86 - zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landessozialgerichts nach ihrem vor dem Landessozialgericht gestellten Antrag zu entscheiden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen des Beklagten und der Klägerin sind insofern begründet, als das Urteil des LSG aufzuheben und die Streitsache an dieses Gericht zurückzuverweisen ist. Die dem Berufungsurteil zugrundeliegende Auffassung zur Rechtswegfrage wird nicht geteilt. Für die erhobene Klage ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben.

Mit dem LSG ist zwar davon auszugehen, daß das BVerwG lediglich über die Unzulässigkeit des Rechtsweges zu den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit bindend entschieden hat (§ 52 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Eine Weiterverweisung an ein Gericht anderer Gerichtsbarkeit ist damit nicht ausgeschlossen (BGHR Zivilsachen, GVG § 13 / Rechtswegabgrenzung 1). Die hier allein in Betracht kommende und vom LSG ausgesprochene Weiterverweisung an ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit scheidet jedoch aus, weil nicht über eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit iS des § 13 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), sondern über eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit iS des § 51 Abs 1 SGG zu entscheiden ist.

Bei der Prüfung der Frage, ob eine bürgerlich- oder öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, ist auf die Natur des Klagebegehrens abzustellen. Maßgebend ist, ob sich das Klagebegehren als Folge eines nach bürgerlichem oder öffentlichem Recht zu beurteilenden Sachverhalts darstellt (ua BGHZ 66, 229, Beschluß des Großen Senats -GS- für Zivilsachen vom 22. März 1976 -GSZ 1/75-), ob also der Klageanspruch aus einem bürgerlich- oder öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis hergeleitet wird (BGHZ 82, 377; 5, 76, 81). Dem entspricht es, wenn das BVerwG im vorliegenden Fall aus folgendem Grunde eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit annimmt: Die Klägerin begehrt vom beklagten Bundesausschuß die Beseitigung bzw Änderung einer Regelung der von ihm aufgrund der Ermächtigung in § 368p RVO erlassenen Arzneimittel-Richtlinien. Die Beteiligten streiten um die rechtmäßige Handhabung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes nach § 368e RVO. Die genannten Rechtsnormen gehören dem Sozialversicherungsrecht an und sind zweifelsfrei dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Die Klägerin verlangt somit vom Beklagten die Vornahme eines Verwaltungshandelns, das ihm im Rahmen schlicht-hoheitlicher Verwaltung obliegt (vgl auch BVerwGE 58, 167; 71, 183; Eyermann/Fröhler, VwGO, Komm, 9. Aufl, § 40 RdNr 22 mwN).

Die Entscheidung des BVerwG ist mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) vereinbar. Dieses Gericht hat in seinem Urteil vom 18. März 1964 - V ZR 44/62 - (BGHZ 41, 264) seine auf das Reichsgericht zurückgeführte Rechtsprechung bestätigt, daß der ordentliche Rechtsweg ausgeschlossen ist, wenn sich der gerichtlich geltend gemachte Abwehranspruch gegen solche Einwirkungen - Beeinträchtigungen des Eigentums - richtet, die auf die Ausübung der Herrschaftsgewalt zurückgehen und damit die Vollstreckung des stattgebenden Urteils zur Aufhebung oder Änderung einer hoheitlichen Maßnahme führen würde (BGHZ 5, 76, 81 mwN). Durch Urteil vom 25. Juni 1964 - KZR 4/63 - (NJW 1964, 2208) hat es bezüglich der Klage eines Arzneimittelherstellers gegen eine AOK die Zulässigkeit des Rechtswegs vor den ordentlichen Gerichten verneint. Die Klage richtete sich gegen die Empfehlung an Kassenärzte, statt eines als "kostspielig" bezeichneten Medikaments ein "preisgünstigeres" zu verschreiben. Der BGH hat in dieser Entscheidung darauf abgestellt, daß die Beklagte die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben nicht mit Mitteln des Privatrechts, sondern mit Maßnahmen öffentlich-rechtlicher Verwaltung durchführte. Keine Bedeutung hat es dem Umstand beigemessen, daß dadurch Leistungen, die aufgrund bürgerlich-rechtlicher Verträge zu erbringen waren, insofern mittelbar beeinflußt wurden, als die umstrittenen Hinweise der AOK zu einer Änderung der kassenärztlichen Verordnungsweise führen konnten; wirtschaftliche Auswirkungen dieser Art, wie sie auch sonst bei öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen nicht selten seien, machten den Rechtsstreit nicht zu einer bürgerlichen Streitigkeit. Im Beschluß vom 22. März 1976 - GSZ 2/75 - (BGHZ 67, 18) hat dann zwar der GS für Zivilsachen ausgeführt, aus den vorstehend wiedergegebenen und weiteren Entscheidungen folge nicht, daß der Zivilrechtsweg immer dann ausgeschlossen sei, wenn die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begehrt werde oder in sonstiger Weise auf das hoheitliche Handeln eines Verwaltungsträgers Einfluß genommen werden solle. Nehme die öffentliche Hand am allgemeinen Wirtschaftsleben teil und trete sie privaten Unternehmern als Wettbewerber oder als Vereinigung von Wettbewerbern gegenüber, sei (schon bisher) als ausschlaggebend angesehen worden, ob sich die öffentliche Hand und die privaten Mitbewerber im Verhältnis der Über- und Unterordnung gegenüberstünden oder gleichgeordnet seien (aaO S 85 ff mwN). Der GS hat sich im Einklang mit der im Schrifttum herrschenden Meinung gesehen, wonach bei Handlungen eines Hoheitsträgers, die eine Doppelnatur in dem Sinne aufwiesen, daß sie im Verhältnis zum Leistungsempfänger als öffentlich- rechtlich, im Verhältnis zum Wettbewerber dagegen als privatrechtlich aufzufassen seien, zwischen dem öffentlich-rechtlichen Innenverhältnis und dem privatrechtlichen Außenverhältnis unterschieden werden müsse und für das privatrechtliche Wettbewerbsverhältnis zwischen der öffentlichen Hand und dem Wettbewerber der Zivilrechtsweg eröffnet sein solle (aaO S 89). Er weist aber auch darauf hin, daß die von ihm entschiedene Frage nicht auftauche, wenn nur mittelbare Auswirkungen hoheitlichen Handelns in Betracht kämen. Er bejaht den ordentlichen Rechtsweg nur für solche Fälle, in denen die öffentliche Hand - nach dem als richtig zu unterstellenden Vortrag des Klägers - am privatrechtlich gestalteten allgemeinen Rechts- und Wirtschaftsverkehr teilnimmt und bestimmte zweckgerichtete Wettbewerbshandlungen zu beurteilen sind (aaO S 90). Der 5. Senat des BGH hat in seinem Urteil vom 7. März 1986 -V ZR 92/85 - (BGHZ 97, 231) an seiner bisherigen Rechtsprechung (ua BSGE 41, 264) festgehalten, daß für die Frage, ob durch einen Eingriff in das Eigentum ein privatrechtlicher oder ein öffentlich-rechtlicher Beseitigungsanspruch ausgelöst werde, bestimmend sei, ob der Eingriff nach seiner Rechtsqualität dem öffentlichen Recht oder dem Privatrecht zugerechnet werden müsse und ob mit dem Beseitigungsanspruch die Aufhebung oder Änderung einer hoheitlichen Maßnahme begehrt werde.

Auch bei Zugrundelegung dieser Rechtsprechung des BGH ist hier die Rechtswegfrage nicht anders zu beantworten. Die von der Klägerin angegriffene Regelung der AMR weist keine Doppelnatur in dem vom BGH gemeinten Sinne auf. Die AMR tragen lediglich zur Gestaltung der Rechtsbeziehungen innerhalb des öffentlich-rechtlichen Leistungssystems der kassenärztlichen Versorgung bei (§368g Abs 1, § 368p Abs 3 RVO). Sie wirken nicht unmittelbar in ein privatrechtliches Außenverhältnis ein. Sie dienen ausschließlich dem Zweck, das in der kassenärztlichen Versorgung geltende Wirtschaftlichkeitsgebot zu konkretisieren (§ 368p Abs 1 iVm § 368e und § 182 Abs 2 RVO). Ihre rechtlichen Auswirkungen beschränken sich auf öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen, nämlich darauf, welche Leistungen dem Versicherten aufgrund seines öffentlich-rechtlichen Sachleistungsanspruchs zustehen und vom Kassenarzt und von der Krankenkasse im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Leistungssystems bewirkt oder verordnet bzw bewilligt werden dürfen (§ 368e und § 182 Abs 2 RVO). Sie beeinflussen zwar mittelbar auch den privatrechtlichen Wettbewerb der Arzneimittelhersteller und -anbieter, indem sie vom Kassenarzt bei seiner Behandlungs- und Verordnungstätigkeit sowie von der Krankenkasse bei ihrer Leistungsbewilligung zu beachten sind (§ 368p Abs 3 RVO; § 368g Abs 1 RVO iVm § 28 des Bundesmantelvertrages-Ärzte; zur Verbindlichkeit der AMR vgl das Urteil des Senats vom 5. Mai 1988 - 6 RKa 27/87 - KVRS A-6100/38 und das Urteil des 3. Senats vom 23. März 1988 - 3/8 RK 5/87 - KVRS A-6100/36). Solche wirtschaftlichen Auswirkungen allein machen aber selbst nach der oben zitierten Rechtsprechung des BGH den Rechtsstreit nicht zu einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des BGH vom 26. Mai 1987 - KZR 13/85 - (BGHZ 101, 72). Die im dort entschiedenen Fall vom Kläger behaupteten zivilrechtlichen Auswirkungen einer internen Dienstanweisung, die als maßgebend für die Begründung des Zivilrechtswegs angesehen worden sind, betrafen unmittelbar den geschäftlichen Verkehr, nämlich die Vergabe privatrechtlicher Transportaufträge durch eine öffentliche Verwaltung.

Die Beschlüsse des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS), die in den letzten Jahren auf Vorlage des 3. und des 8. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) ergangen sind und entgegen der Auffassung dieser Senate in allen Fällen die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges bejaht haben, hindern den erkennenden Senat nicht, im vorliegenden Fall den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit als gegeben anzusehen. Die Streitgegenstände in jenen Fällen unterscheiden sich, wie sich der folgenden Kennzeichnung der umstrittenen Ansprüche entnehmen läßt, wesentlich von dem Streitgegenstand im vorliegenden Fall: Zulassung eines Orthopädiemechanikermeisters zur Belieferung von Versicherten mit orthopädischen Hilfsmitteln (Beschluß vom 10. April 1986 - GmS OGB 1/85 - BGHZ 97, 312), Vergütung medizinischer Badeleistungen für Versicherte (Beschlüsse vom 29. Oktober 1987 - GmS OGB 3/86 - und - GmS OGB 5/86 -) und Untersagung der Gebrauchsüberlassung von den Krankenkassen gehörenden Hilfsmitteln an Leistungsberechtigte (Beschlüsse vom 29. Oktober 1987 - GmS OGB 1/86 - BGHR Zivilsachen, GVG § 13 Krankenhilfsmittel 1, - GmS OGB 2/86 - und -GmS OGB 4/86 -). Bezüglich der Beschaffung von Heil- und Hilfsmitteln, die die Krankenkassen zur Erfüllung der Ansprüche benötigen, folgert der GmS aus dem Fehlen öffentlich-rechtlicher Regelungen - wie sie zB für die ärztliche Versorgung (§§ 368 ff RVO) und für die zahntechnischen Leistungen (§ 368g Abs 5a RVO) bestehen -, daß sich die Beschaffung - wie auch sonst üblich - grundsätzlich nach den Regeln des Privatrechts vollziehen solle. Bezüglich der Gebrauchsüberlassung von Hilfsmitteln stellt er darauf ab, daß im Rahmen des von Berufsverbänden geltend gemachten Unterlassungsanspruchs das behauptete Wettbewerbsverhältnis zwischen den Krankenkassen und den Mitgliedern der Verbände im Vordergrund stehe und dieses Verhältnis - wie jedes Wettbewerbsverhältnis - durch eine Gleichordnung der Wettbewerber untereinander bestimmt sei.

Das LSG, das sich wegen der Beschlüsse des GmS veranlaßt gesehen hat, in Abweichung von seiner bisherigen Rechtsprechung eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit anzunehmen, ist über die von ihm herangezogenen Entscheidungen des GmS und des BGH hinausgegangen. Es unterstellt ein Wettbewerbsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten bereits deshalb, weil nach dem Sachvortrag der Klägerin, von dem auch nach Ansicht des erkennenden Senats auszugehen ist, durch die AMR ihre Absatzmöglichkeiten für den hier fraglichen, von ihr hergestellten Hustensaft beeinträchtigt werden. Der BGH, dessen Rechtsprechung vom GmS bestätigt worden ist, hat aber nicht jede Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch die öffentliche Hand als für die Eröffnung des Zivilrechtswegs ausreichend angesehen, sondern, wie bereits oben ausgeführt, nur zweckgerichtete Wettbewerbshandlungen (BGHZ 67, 81, 90; s auch von Gamm, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl, Kapitel 17, RdNrn 8 ff und 48 ff). Unzutreffend ist daher auch die Annahme des LSG, die Wirkung der AMR im Verhältnis zu den Arzneimittelherstellern sei nicht anders zu beurteilen als die "Selbstabgabe" von Brillen und die "leihweise" Überlassung von orthopädischen Hilfsmitteln durch Krankenversicherungsträger an Versicherte im Verhältnis zu Augenoptikern bzw Sanitätshäusern. Für den BGH und den GmS war bezüglich der hier angesprochenen Fälle maßgebend, daß sich die Augenoptiker bzw die Orthopädietechniker hinsichtlich des Absatzes der fraglichen Hilfsmittel in einem Wettbewerbsverhältnis zu den Krankenkassen sahen und das behauptete Wettbewerbsverhältnis zwischen den Kassen und den Hilfsmittellieferanten durch eine Gleichordnung der Wettbewerber untereinander bestimmt war (BGHZ 82, 378; Urteil des GmS vom 29. Oktober 1987 - GmS OGB 1/86-). Durch die AMR entsteht ein solches Wettbewerbsverhältnis nicht. Soweit die Klägerin ein Betroffensein als Marktteilnehmerin geltend macht, kann sie sich nur auf wirtschaftliche Auswirkungen der ausschließlich im öffentlich-rechtlichen Bereich unmittelbare Rechtswirkungen entfaltenden AMR berufen (vgl BVerwGE 58, 167; 71, 183).

In dem sonach von den zuständigen Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheidenden Rechtsstreit ist der als Beklagter in Anspruch genommene Bundesausschuß gemäß § 70 SGG fähig, am Verfahren beteiligt zu sein. Dem steht nicht entgegen, daß von den verschiedenen Ausschüssen, die es im kassenärztlichen Versorgungssystem gibt, nur der Berufungsausschuß (§ 368b Abs 6 RVO) und das Schiedsamt (§ 368i Abs 1 RVO) in Nr 4 des § 70 SGG ausdrücklich genannt werden. Mit dieser durch das Gesetz über Kassenarztrecht vom 17. August 1955 (BGBl I 513) dem § 70 SGG angefügten Bestimmung sollte vor allem der Meinungsstreit darüber beendet werden, wer in Zulassungssachen iS des § 368b RVO in Streitfällen der richtige Beklagte ist. Der Senat hat deshalb bereits in früheren Entscheidungen die Auffassung vertreten, daß die angefügte Bestimmung nicht als eine eng auszulegende und auf die ausdrücklich genannten Ausschüsse beschränkte Ausnahmeregelung gesehen werden muß, sondern auch anderen Ausschüssen der gemeinsamen Selbstverwaltung in der kassenärztlichen Versorgung die Beteiligtenfähigkeit zuzuerkennen ist, soweit sie die allgemeine Voraussetzung erfüllen, Zuordnungssubjekt der bezüglich des Streitgegenstandes in Frage stehenden Rechte und Pflichten sein zu können (SozR 1500 § 70 SGG Nr 3 mwN). Die Klägerin will erreichen, daß eine Regelung der AMR beseitigt oder zumindest in einem bestimmten Sinne ergänzt oder klargestellt wird. Ihr Klageziel ist auf ein hoheitliches Handeln gerichtet, das zum Aufgabenbereich des Beklagten gehört (§ 368p Abs 1 RVO). Die mit dieser gesetzlichen Aufgabenzuweisung verbundenen Rechte und Pflichten können keinem anderen Rechtssubjekt zugeordnet werden. Insbesondere handelt es sich bei dem Beklagten nicht um einen unselbständigen Ausschuß der in § 368o Abs 1 Satz 2 RVO genannten Bundesverbände. Diesen Verbänden ist lediglich aufgegeben, den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen zu bilden. Eine weitergehende Einflußmöglichkeit haben sie nicht. Dem Bundesausschuß gehören neben den Vertretern der Ärzte und Krankenkassen ein Vorsitzender und zwei weitere unparteiische Mitglieder an (§ 368o Abs 3 Satz 1 RVO). Die Mitglieder sind an Weisungen nicht gebunden (§ 368o Abs 4 Satz 1 RVO), vielmehr haben sich die Bundesverbände bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Rahmen der Richtlinien zu halten (§ 368g Abs 1 und Abs 3 RVO). Eine Einwirkung auf die Beschlüsse des Bundesausschusses ist nur dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung -BMA- möglich (§ 368p Abs 2 RVO). Dieses Beanstandungsrecht reicht aber nicht aus, um die Beschlüsse des Bundesausschusses allgemein dem BMA mit der Folge zuordnen zu können, daß sich die Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland richten müßte. Durch die gesetzliche Regelung (§ 368o Abs 3 und 4 RVO), die Rechtsverordnung des BMA über die Amtsdauer, Amtsführung und Entschädigung der Mitglieder der Bundesausschüsse und der Landesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen vom 10. November 1956 (BGBl I 861) und die auf § 368o Abs 5 RVO beruhende Geschäftsordnung des Bundesausschusses vom 13. Januar 1956 (BArbBl 235) ist auch ein Mindestmaß an Organisation vorhanden, das für die Beteiligtenfähigkeit einer Personenvereinigung gefordert wird (Redeker/von Oertzen, VwGO, Komm, 9. Aufl, § 61 RdNr 4). Im Schrifttum besteht weitgehend Einigkeit über die Beteiligtenfähigkeit der Bundes- und Landesausschüsse iS des § 368o RVO, sie wird nur unterschiedlich begründet (für Anwendung des § 70 Nr 2 SGG: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand: August 1987, § 70 SGG Anm 5b, S 244; Redeker/von Oertzen aaO RdNr 4a; für analoge Anwendung des § 70 Nr 4 SGG: Bley, SGB-Gesamtkommentar, Stand: Oktober 1983, §70 SGG Anm 8c; Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 3. Aufl, § 70 RdNr 5).

Das vorinstanzliche Verfahren leidet aber insofern an einem im Revisionsverfahren fortwirkenden und von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel, als die Beiladung der Bundesrepublik Deutschland unterblieben ist, obwohl sie iS des § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG notwendig ist. Umstritten sind eine Regelung der AMR und die von ihr abhängigen Rechtsbeziehungen innerhalb des kassenärztlichen Leistungssystems (§ 368g Abs 1 und § 368p Abs 3 RVO). Die von der Klägerin begehrte Änderung der Regelung würde unmittelbar in Rechte der Bundesrepublik Deutschland eingreifen, denn dem BMA steht hinsichtlich der AMR eine übergeordnete Regelungsbefugnis insoweit zu, als er Beschlüsse des Bundesausschusses innerhalb von zwei Monaten beanstanden und unter Umständen durch eine eigene Regelung ersetzen kann (§ 368p Abs 2 RVO). Eine gerichtliche Entscheidung, die zu einer Änderung der AMR verpflichtet, kann deshalb nur einheitlich gegenüber dem Beklagten und der Bundesrepublik Deutschland ergehen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Bundesverbände der gesetzlichen Krankenkassen sind dagegen nicht notwendig beizuladen. Ihnen steht eine von einer Änderung der AMR unmittelbar betroffene Regelungsbefugnis nicht zu. Allerdings käme eine Beiladung dieser Verbände nach § 75 Abs 1 Satz 1 SGG in Frage.

In Anbetracht der gegenwärtigen Prozeßlage sieht sich der Senat veranlaßt, von der nach § 170 Abs 2 Satz 2 SGG gegebenen Möglichkeit der Zurückverweisung der Streitsache an die Vorinstanz Gebrauch zu machen. Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 78

NJW 1989, 2771

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge