Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 22.03.1977; Aktenzeichen L 7 Kg 14/76)

SG Hannover (Urteil vom 04.11.1975)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. März 1977 insoweit aufgehoben, als das Landessozialgericht über die Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 4. November 1975 hinaus die Bescheide der Beklagten vom 13. März 1975 und 15. Mai 1975 aufgehoben und die Beklagte verurteilt hat, dem Kläger einen neuen Bescheid zu erteilen.

Im übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger wendet sich gegen die Verweigerung der Erteilung einer Arbeitserlaubnis (AE).

Der 1940 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er ist verheiratet; seine Ehefrau und seine vier minderjährigen Kinder leben in der Türkei. Der Kläger hält sich seit dem 25. Mai 1971 in der Bundesrepublik auf und war vom 1. Juni 1971 bis 16. August 1973 als Bauhilfsarbeiter erlaubt beschäftigt. Anschließend arbeitete er vom 20. August 1973 bis zum 23. März 1975 als Betriebsarbeiter (Fahrzeuganheizer) bei der Deutschen Bundesbahn (DB), Bahnbetriebswerk L.

Am 13. Februar 1975 beantragte der Kläger die Verlängerung der AE, die am 23. März 1975 ablief. Durch Bescheid vom 13. März 1975 lehnte die Beklagte diesen Antrag mit der Begründung ab, daß auf dem deutschen Arbeitsmarkt inländische Arbeitskräfte für die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit in ausreichender Zahl zur Verfügung stünden, so daß die AE nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung des einzelnen Falles nicht erteilt werden könne. Der Kläger wurde daraufhin unter Hinweis auf den Ablauf der AE vom Bahnbetriebswerk L. entlassen. Anschließend meldete er sich arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld (Alg). Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 13. März 1975 war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 1975).

Durch Urteil vom 4. November 1975 hat das Sozialgericht (SG) Hannover, dem Antrag des Klägers folgend, festgestellt, daß der Bescheid vom 13. März 1975 und der Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 1975 über die Nichtverlängerung der AE rechtswidrig sind.

Durch Urteil vom 22. März 1977 hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung des Klägers die Bescheide der Beklagten vom 13. März 1975 und 15. Mai 1975 aufgehoben, sowie die Beklagte verurteilt, dem Kläger einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.

Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe zulässigerweise die Anschlußberufung eingelegt. Er habe im erstinstanzlichen Verfahren zwar ausdrücklich nur die Feststellung beantragt, daß die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtswidrig seien. Streitgegenstand sei jedoch nach dem Vorbringen des Klägers zunächst der Leistungsantrag auf Erteilung bzw Verlängerung der AE für eine Beschäftigung bei der DB gewesen und der damit zweckmäßigerweise verbundene Antrag, die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten, da es sich um eine Ermessensleistung handele. Ob der Kläger diesen Antrag durch Übergang auf die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) fallengelassen oder gleichwohl aufrechterhalten habe, könne dahingestellt bleiben. Er habe ihn jedenfalls im Berufungsverfahren erneut im Wege der Anschlußberufung gestellt. Dieser Antrag wäre, selbst wenn er als fallengelassener und wiederaufgegriffener Antrag zu beurteilen wäre, als Klageerweiterung iS des § 99 Abs. 3 SGG oder zumindest als zulässige Klageänderung durch Einwilligung der Beklagten zulässig in den Prozeß wieder eingeführt worden. Das Begehren des Klägers sei auch nicht deshalb gegenstandslos und nicht rechtsschutzunwürdig, weil er wegen des unbestritten bestehenden Einstellungsstops bei der DB mit einer Neueinstellung nicht rechnen könne und eine AE dafür somit nicht denkbar wäre. Der Kläger mache gerade geltend, daß die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses nur an dem Nichtvorliegen einer AE scheitere, daß die DB im Falle der Erteilung bzw Verlängerung der AE ihn wieder bzw weiterbeschäftigen werde; jedenfalls sei die DB hierzu arbeitsvertraglich verpflichtet und er werde dies erforderlichenfalls im arbeitsgerichtlichen Wege durchsetzen. Die Beklagte müsse dem Kläger für den Fall, daß er bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen einen arbeitsrechtlichen Ansprach auf Beschäftigung bei der DB habe und einen solchen Anspruch realisieren könne, ebenso eine AE erteilen wie für den Fall, daß die DB freiwillig hierzu bereit sei. Demgemäß könne der Antrag auf Erteilung einer AE unter der Bedingung, daß der Kläger bei der DB beschäftigt werde, Gegenstand der Leistungsklage sein, und dem Kläger müsse hierfür Rechtsschutz gewährt werden.

Die Anschlußberufung des Klägers sei auch begründet. Die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig und damit aufzuheben gewesen; denn die Beklagte habe die Verlängerung der AE für die Beschäftigung bei der DB über den 23. März 1975 hinaus ermessensfehlerhaft abgelehnt. Die Beklagte sei bei ihrer Entscheidung vom 13. Februar 1975 davon ausgegangen, daß bei einem Ausscheiden des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis bei der DB nach Ablauf der AE am 23. März 1975 anstelle des Klägers ein Deutscher oder ein ihm gleichgestellter ausländischer Arbeitnehmer dort beschäftigt werden könnte. Erst im Widerspruchsverfahren habe die Beklagte festgestellt, daß bei der DB ein genereller Einstellungsstop bestanden habe und somit der Arbeitsplatz des Klägers durch einen Arbeitslosen nicht habe besetzt werden können. Diesen Umstand hätte die Beklagte bei Erteilung des Widerspruchsbescheides berücksichtigen müssen. Der Begründung des Widerspruchsbescheides sei zu entnehmen, daß die Beklagte die unbestrittene Bereitschaft der DB, den Kläger ohne Berufung auf den Einstellungsstop über den 23. März 1975 hinaus zu beschäftigen, und damit den Umstand, daß der Kläger nicht die erstmalige Erteilung einer AE für eine neue Beschäftigung, sondern lediglich die Verlängerung einer befristeten AE begehrte, ferner die Entschlossenheit der DB, den Arbeitsplatz des Klägers durch einen anderen Arbeitnehmer nicht zu besetzen, in ihre Ermessensausübung nicht habe mit einfließen lassen. Diese Umstände seien jedoch für eine sachgemäße Ausübung des Ermessens von entscheidender Bedeutung. Eine ermessensfehlerfreie Entscheidung sei nur dann denkbar, wenn durch eine Weiterbeschäftigung des Klägers bei der DB der Arbeitsmarkt iS des § 19 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) belastet worden wäre. Dies könne angesichts der Auskunft der Bundesbahndirektion Hannover vom 28. Mai 1976, daß bereits ein erheblicher Personalüberhang bei der DB bestanden und damit die Notwendigkeit gefehlt habe, den Arbeitsplatz des Klägers durch einen anderen Arbeitnehmer zu besetzen, nur dann der Fall gewesen sein, wenn durch die Weiterbeschäftigung des Klägers ein von der DB beabsichtigter Personalabbau verhindert worden wäre oder anstelle des Klägers ein Deutscher oder ihm gleichgestellter ausländischer Arbeitnehmer entlassen worden wäre. Anhaltspunkte für eine solche Annahme bestünden jedoch nicht, insbesondere nicht dafür, daß die Entlassung des Klägers dazu beigetragen habe, den Arbeitsplatz eines anderen Arbeitnehmers bei der DB zu erhalten. Angesichts des anhaltenden Einstellungsstops bei der DB sei es auch ausgeschlossen, daß durch die Entlassung des Klägers im Gegensatz zu einer Weiterbeschäftigung innerhalb des Zeitraumes, der für eine zu befristende AE nach §§ 1, 4 der Arbeitserlaubnis-Verordnung (AEVO) infrage komme, die Fortdauer bzw Länge des Einstellungsstops beeinflußt worden sei.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 19 AFG und § 1 der Verordnung über die Arbeitserlaubnis für nicht deutsche Arbeitnehmer (Arbeitserlaubnis-Verordnung –AEVO–) vom 2. März 1971 idF vom 22. Februar 1974 (BGBl I 365). Zur Begründung tragt sie im wesentlichen vors Entgegen der Auffassung des LSG habe der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer AE nach § 19 Abs. 1 AFG. Das LSG habe die den angefochtenen Bescheiden zugrundeliegende Feststellung der Beklagten, daß für den – bisherigen – Arbeitsplatz des Klägers bevorrechtigte Bewerber in genügender Anzahl zur Verfügung standen, nicht infrage gestellt. Nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes habe somit eine AE nicht erteilt werden können. Auch die Verhältnisse des einzelnen Falles könnten eine gegenteilige Entscheidung nicht begründen. Für die Erteilung der AE nach § 19 Abs. 1 AFG komme es vorrangig auf die Kriterien des Arbeitsmarktes an. Die Verhältnisse des Einzelfalles seien lediglich zu „berücksichtigen”. Damit erfülle diese Vorschrift in erster Linie eine ordnungspolitische Funktion durch globale Steuerung des Arbeitsmarktes. An diesen Verhältnissen könne die Entscheidung des Arbeitgebers nichts ändern, den Kläger auf seinem bisherigen Arbeitsplatz zwar bei Verlängerung der AE weiterzubeschäftigen, jedoch wegen des Einstellungsstops keinen anderen Arbeitnehmer einzustellen. Die Auffassung des LSG würde dazu führen, daß es in der freien Disposition des Arbeitgebers liege, welchen Arbeitnehmer er einstellen wolle und damit auch den Anspruch auf eine AE auszulösen. Jeder Arbeitgeber hätte die Möglichkeit, durch Erlaß eines Einstellungsstops dem bei ihm beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer die Verlängerung seiner AE auch in Zeiten zu sichern, in denen genügend Deutsche oder sonst bevorrechtigte Bewerber für den Arbeitsplatz vorhanden sind. Dies würde zu einer vom Gesetzeswortlaut und vom Gesetzessinn nicht zu rechtfertigenden vorrangigen Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalles und damit zu einer Aushöhlung der vom Gesetzgeber beabsichtigten ordnungspolitischen Funktion des § 19 Abs. 1 AFG führen. Bei den nach § 19 Abs. 1 AFG zu berücksichtigenden Verhältnissen des Einzelfalles könne es sich nur um solche Umstände handeln, die im persönlichen Bereich des Arbeitnehmers und somit außerhalb des Arbeitsmarktes lägen. Derartige Umstände seien jedoch in der Person des Klägers nicht erkennbar.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 4. November 1975 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen,

hilfsweise,

unter Zurückweisung der Revision der Beklagten festzustellen, daß der Bescheid der Beklagten vom 13. März 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 1975 rechtswidrig ist.

Zur Begründung seines Antrages bezieht er sich auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist nur zum Teil begründet.

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren die Aufhebung des Bescheides vom 13. März 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 1975 und die Verurteilung der Beklagten zum Erlaß eines neuen Verwaltungsaktes beantragt hat, wendet sich die Beklagte zu Recht gegen die stattgebende Entscheidung des LSG. Die insoweit vom Kläger erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (Vornahmeklage, § 54 Abs. 1 SGG) ist nicht (mehr) begründet.

In den angefochtenen Bescheiden lehnte die Beklagte die vom Kläger begehrte Verlängerung seiner AE für die Weiterbeschäftigung bei der DB ab 24. März 1975 ab. Dieser Streitgegenstand (§ 95 SGG) hat sich durch Zeitablauf spätestens am 23. März 1978 erledigt. Der Kläger kann seinen Anspruch nur auf § 19 AFG iVm § 1 AEVO stützen; denn die Voraussetzungen für die Erteilung einer AE nach § 2 AEVO liegen in seinem Falle nicht vor, wie noch ausgeführt wird. Die AE nach § 1 AEVO kann jedoch längstens für drei Jahre befristet erteilt werden (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AEVO). Die vom Kläger begehrte Verlängerung der AE für seine Weiterbeschäftigung bei der DB ab 24. März 1975 wäre somit spätestens am 23. März 1978 wieder abgelaufen. Der diese Rechtsfolge verweigernde Verwaltungsakt hat sich damit zu diesem Zeitpunkt durch Zeitablauf iS des § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG erledigt (vgl. BSGE 44, 82, 87 = SozR 4100 § 19 Nr. 3; BSGE 42, 212, 216 = SozR 1500 § 131 Nr. 3). Die Einschränkung, die der Senat hierzu (vgl. BSGE 44, 82, 88 = SozR 4100 § 19 Nr. 3 Seite 18) gemacht hat, daß dies jedenfalls dann gelte, wenn der Kläger nicht auch für eine spätere Beschäftigung bei der betreffenden Firma „eine von der Ablehnung durch die angefochtenen Bescheide erfaßte AE hat erreichen wollen”, führt hier zu keinem anderen Ergebnis; denn mit seinem Anfechtungsbegehren wendet sich der Kläger, wie dargelegt, allein gegen die Ablehnung der Verlängerung seiner AE für die Weiterbeschäftigung bei der DB ab 24. März 1975. Mit Ablauf von drei Jahren seit diesem Tage ist sein Rechtsschutzinteresse an der Anfechtung des Bescheides vom 13. März 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 1975 entfallen; denn dem Kläger fehlt es für die Vornahmeklage nunmehr insoweit an der Beschwer, als die Geltungsdauer der begehrten AE-Verlängerung gem § 4 Abs. 1 Satz 2 AEVO nicht über diesen Zeitraum hinausreichen könnte; der Verwaltungsakt hat sich durch Zeitablauf erledigt (BSGE 42, 212 = SozR 1500 § 131 Nr. 3). Dieser Umstand ist in jeder Lage des Verfahrens, also auch noch bei Eintritt während des Revisionsverfahrens zu berücksichtigen (vgl. BSGE 8, 178, 180). Auf die Revision der Beklagten muß infolgedessen das insoweit stattgebende Urteil des LSG in dieser Hinsicht aufgehoben werden.

Soweit das LSG mit seiner Entscheidung die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen hat, erweist sich die Revision der Beklagten jedoch als unbegründet. Das SG hat zutreffend die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte festgestellt.

Der Kläger hat bereits im Klageverfahren einen entsprechenden Feststellungsantrag gestellt. Der Senat legt die Anträge und Erklärungen des Klägers vor dem LSG dahin aus, daß er diesen Antrag alternativ zur Vornahmeklage weiterverfolgen wollte. Entsprechend hat sich der Kläger auch vor dem erkennenden Senat geäußert. Dieses Verhalten des Klägers ist zulässig (vgl. BSG SozR 1500 § 54 Nr. 20).

Die Feststellungsklage ist zulässig, denn der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, nachdem er sein Anfechtungsbegehren durch Erledigung des angefochtenen Verwaltungsaktes zulässigerweise nicht mehr weiterverfolgen kann (§ 131 Abs. 1 Satz 3 SGG). Der Senat hat dies in bezug auf die Ablehnung einer AE nach § 1 AEVO bereits wegen der bestehenden Wiederholungsgefahr und den unmittelbar weitergehenden rechtlichen Folgen bestätigt, die die Ablehnung einer solchen AE für den Antragsteller auslöst, zumal da die begehrte Entscheidung des Gerichts auch für zukünftige Entscheidungen der Verwaltung Bedeutung haben kann (vgl. BSGE 42, 212, 217 – SozR 1500 § 131 Nr. 3; BSGE 44, 82, 89 = SozR 4100 § 19 Nr. 3). Darüberhinaus hat das LSG unangegriffen festgestellt, daß der Kläger weitergehende arbeitsrechtliche Ansprüche wegen des Verlustes seines Arbeitsplatzes als Folge der Verweigerung der AE verfolgen will. Auf den Vortrag der Beklagten, daß sich der Kläger gegenwärtig nicht in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte, kommt es bei dieser Sach- und Rechtslage nicht an.

Die in der Entscheidung des LSG enthaltene Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das die begehrte Feststellung aus sprechende Urteil des SG ist im Ergebnis zutreffend, denn die angefochtenen Verwaltungsakte sind nicht rechtmäßig. Der Kläger hatte nämlich gegen die Beklagte einen Anspruch auf Verlängerung seiner AE für die Weiterbeschäftigung bei der DB über den 23. März 1975 hinaus.

Maßgebend ist § 19 AFG iVm den Regelungen der AEVO. Nach § 19 AFG bedürfen Arbeitnehmer, die Nichtdeutsche iS Art. 116 Grundgesetz (GG) sind, zur Ausübung einer Beschäftigung einer Erlaubnis der Beklagten, soweit in zwischenstaatlichen Vereinbarungen nichts anderes bestimmt ist. Weder das deutsch-türkische Niederlassungsabkommen vom 12. Januar 1927 (RGBl II 1927 S. 76, 454), dessen Weitergeltung ab 1. März 1952 am 16. Februar 1952 zwischen der deutschen und der türkischen Regierung vereinbart worden ist (vgl. BGBl II 1952 S. 608), noch der aufgrund des Abkommens zwischen der EWG und der Türkei vom 12. September 1963 über die Gründung einer Assoziation (BGBl II 1964 S. 509) – in Kraft seit 1. Dezember 1964 (BGBl II 1964 S. 1959) –, in Anwendung des Zusatzprotokolls vom 23. November 1970 (BGBl II 1972 S. 385) ergangene Beschluß des Assoziationsrates der EG vom 20. Dezember 1976 (ANBA 1977 S. 1090) enthalten ausdrückliche Bestimmungen dazu, daß für die Beschäftigung türkischer Arbeitnehmer im Geltungsbereich des AFG keine Arbeitserlaubnis nach inländischem Recht, also insbesondere nach § 19 AFG, erforderlich ist. Einer abschließenden Entscheidung darüber, welcher Art. die Rechte türkischer Arbeitnehmer nach diesen Vereinbarungen in Bezug auf ihre Beschäftigung in Deutschland sind, bedarf es letzten Endes jedoch nicht. Der Kläger hatte jedenfalls nach § 19 AFG iVm § 1 Nr. 1 AEVO einen Anspruch auf Erteilung der begehrten AE.

Die AE wird gem § 19 Abs. 1 Satz 2 AFG nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalles erteilt. Zur Durchführung dieser Vorschrift ist in § 1 AEVO bestimmt, daß die Erlaubnis nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes erteilt werden kann, erstens für eine bestimmte berufliche Tätigkeit in einem bestimmten Betrieb oder zweitens ohne Beschränkung auf eine bestimmte berufliche Tätigkeit und ohne Beschränkung auf einen bestimmten Betrieb. § 2 AEVO regelt, unter welchen Voraussetzungen die AE unabhängig von der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes und ohne die Beschränkungen nach § 1 Nr. 1 AEVO zu erteilen ist. Aus den Feststellungen des LSG ergibt sich, daß der Kläger nicht in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Geltungsdauer der von ihm begehrten AE ununterbrochen eine unselbständige Tätigkeit rechtmäßig im Geltungsbereich der AEVO ausgeübt hat (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AEVO), daß er nicht mit einer Deutschen iS des Art. 116 Abs. 1 GG verheiratet ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AEVO) und daß er weder asylberechtigt nach § 28 des Ausländergesetzes (AuslG) ist noch einen ihm als ausländischen Flüchtling von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweis besitzt (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 AEVO).

Der Kläger hat die AE für eine bestimmte Tätigkeit in einem bestimmten Betrieb nach § 1 Nr. 1 AEVO iVm § 19 AFG begehrt. Auf die Erteilung dieser AE besteht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 AEVO ein Rechtsanspruch (vgl. BSGE 43, 153 = SozR 4100 § 19 Nr. 2; BSGE 44, 82, 85 = SozR 4100 § 19 Nr. 3; Urteil des Senats vom 14. Februar 1978 – 7 RAr 81/76 –). Das LSG geht zutreffend davon aus, daß die AE gemäß § 1 Nr. 1 AEVO sich nicht nur nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes richtet, sondern daß auch die Verhältnisse des Einzelfalles zu berücksichtigen sind. Dies ergibt sich aus § 19 Abs. 1 AFG. Wenn dort neben der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes die Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalles vorgeschrieben wird, so gilt das auch für alle besonderen Durchführungsbestimmungen der AEVO (vgl. BSGE 44, 82 = SozR 4100 § 19 Nr. 3).

Das LSG ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, daß nach den besonderen Umständen dieses Einzelfalles Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes der Erteilung der rechtzeitig beantragten Verlängerung der AE an den Kläger nicht entgegenstehen (§ 19 Abs. 1 Satz 2 AFG). Wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 14. Februar 1978 – 7 RAr 81/76 –), folgt zwar aus dem Umstand, daß ein bestimmter Arbeitgeber die Beschäftigung eines Ausländers der Beschäftigung eines Deutschen oder eines anderen bevorrechtigten Arbeitnehmers vorzieht, nicht ohne weiteres, daß die Ablehnung der AE hierfür rechtswidrig ist. Die Bestimmung des § 19 AFG bezweckt einen Vorrang Deutscher und ihnen gleichgestellter ausländischer Arbeitnehmer bei der Arbeitsvermittlung (BSGE 43, 153, 160 = SozR 4100 § 19 Nr. 2), Diesem Zweck würde es widersprechen, wenn entgegen der allgemeinen Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes eine AE zu erteilen wäre, weil zB der einzelne ausländische Arbeitnehmer einen zu seiner Einstellung bereiten Arbeitgeber gefunden hat (BSG vom 22. November 1977 – 7 RAr 5/77 –). Das gleiche gilt, wenn der ausländische Arbeitnehmer bereits mit einer AE eine Arbeitsstelle innehat und lediglich eine Verlängerung der AE begehrt, damit er die Arbeitsstelle nicht verliert, sondern in dem Betrieb weiter arbeiten kann. Nach dem Zweck des § 19 AFG gilt der Vorrang der deutschen und gleichgestellten Arbeitnehmer auch, wenn es um die Fortsetzung einer bisher erlaubten Tätigkeit des ausländischen Arbeitnehmers geht. Der Ausländer kann dafür keine AE erhalten, wenn der Arbeitgeber ohne berechtigten Grund deutsche und gleichgestellte Arbeitnehmer, die für den Arbeitsplatz in Betracht kommen, zurückstellt, um den Ausländer weiter zu beschäftigen. Der Senat hat in dem oa Urteil vom 14. Februar 1978 dazu ausgeführt, daß die Interessen des Arbeitgebers an der Einstellung eines ausländischen Arbeitnehmers oder an der Fortsetzung seiner Beschäftigung den Anspruch auf Erteilung einer AE nur stützen könne, wenn sie auf sachlich gerechtfertigten betrieblichen Gründen beruhen, deren Berücksichtigung dem Zweck des § 19 AFG nicht entgegensteht. Er hat dies dann anerkannt, wenn die Beschäftigungsfirma wegen schlechter Geschäftslage ohnehin die Zahl der Arbeitsplätze verringern will und für den Arbeitsplatz des Ausländers ein Deutscher oder gleichgestellter Arbeitnehmer derselben Firma nicht in Betracht kommt. Eine vergleichbare Situation ist hier gegeben.

Nach den Feststellungen des LSG, die die Beklagte nicht angegriffen hat (§ 163 SGG), bestand in der fraglichen Zeit bei der DB für Arbeitsplätze der in Rede stehenden Art. ein Einstellungsstop, die DB war entschlossen, den Arbeitsplatz des Klägers nach dessen Fortgang nicht mehr zu besetzen, und zwar weder mit einem Deutschen noch mit einem Ausländer. Die DB wäre im Falle der Verlängerung der AE bereit gewesen, den Kläger weiter zu beschäftigen. Dadurch wäre anstelle des Klägers ein anderer deutscher oder gleichgestellter Arbeitnehmer nicht entlassen worden. Ferner, so hat das LSG festgestellt, hat die Entlassung des Klägers nicht dazu geführt, den Arbeitsplatz eines anderen Arbeitnehmers zu erhalten. Vielmehr ist der Arbeitsplatz des Klägers nach seiner Entlassung nicht wieder besetzt worden, sondern fortgefallen.

Dem LSG ist zuzustimmen, daß bei dieser Sachlage die Verweigerung der Verlängerung der AE an den Kläger unter keinem arbeitsmarktlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt war, im Gegenteil. Die Weiterbeschäftigung des Klägers wäre aus betrieblichen Gründen erfolgt, denn ihr hätte der Einstellungsstop bei der DB nicht entgegengestanden. Davon, daß die DB den Kläger aber ohne Bedürfnis und aus anderen als betrieblichen Gründen weiterbeschäftigt hätte, kann nicht ausgegangen werden. Hier ist deswegen auch nicht ein Fall gegeben, wo der Arbeitgeber die Beschäftigung eines Ausländers lediglich der eines anderen Arbeitnehmers vorzieht, was in der Tat nicht ausreichend wäre, den Anspruch auf Erteilung der AE zu begründen. Vielmehr liegen hier objektive in der betrieblichen Situation der DB bedingte Gründe iS der schon genannten Entscheidung des Senats vom 14. Februar 1978 – 7 RAr 81/76 – für die Weiterbeschäftigung des Klägers vor. Demgegenüber kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, daß ihr Recht, über die Erteilung einer AE zu befinden, auf diesem Wege durch die Bestimmungspraxis von Arbeitgebern ausgehöhlt würde. Die Beklagte übersieht bei ihrer Argumentation, daß in der Tat das Geschehen auf dem Arbeitsmarkt, das von Angebot und Nachfrage in bezug auf Arbeitskräfte bestimmt ist, entscheidend von der Verhaltensweise der Arbeitgeber abhängt (vgl. dazu BSG SozR 4100 § 36 Nr. 14; BSGE 44, 54, 60 = SozR 4100 § 36 Nr. 16). Im Rahmen des § 19 AFG hat der Arbeitgeber insoweit zwar kein freies Entscheidungsrecht; dann aber, wenn wie hier objektive Gründe, insbesondere betrieblicher Art, seine Entscheidung rechtfertigen, hat sie auch die Beklagte im Rahmen des § 19 Abs. 1 AFG zu respektieren.

Die Weiterbeschäftigung des Klägers hätte nach den Feststellungen des LSG auch keine anderen arbeitsmarktpolitischen Belange berührt, insbesondere nicht etwa die Nichtweiterbeschäftigung oder gar Arbeitslosigkeit anderer Arbeitnehmer zur Folge gehabt. Demgegenüber hat gerade das Verhalten der Beklagten zu einer arbeitsmarktpolitisch negativen Folge geführt. Es verursachte nämlich die Arbeitslosigkeit des Klägers und zwang die Beklagte, ihm vorübergehend sogar Alg zu zahlen, das sie den Mitteln der Versichertengemeinschaft entnehmen mußte. Die Entscheidung der Beklagten, dem Kläger die Verlängerung der AE zu verweigern, bewirkte sonach gerade das Gegenteil von dem, was sie nach Sinn und Zweck des § 19 Abs. 1 Satz 2 AFG leiten sollte, nämlich die Entlastung des inländischen Arbeitsmarktes. Diese Entscheidung entspricht daher nicht der Rechtslage und wurde demzufolge vom SG zu Recht für rechtswidrig erklärt.

Die Revision der Beklagten gegen das diese Entscheidung des SG im Ergebnis bestätigende Urteil des LSG ist demgemäß in dieser Beziehung zurückzuweisen.

Da die Beklagte im sachlichen Ergebnis mit ihrem Rechtsmittel nicht durchgedrungen ist, hat sie auch die Kosten des Revisionsverfahrens in vollem Umfange zu tragen (§ 193 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI926288

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