Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs. Begriff der Arbeitsunfähigkeit. Höhe des Krankengeldes. Einheit des Versicherungsfalles

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Anspruch auf das nach § 182 Abs 1 Nr 2 RVO zu gewährende Krankengeld entsteht, wenn die beiden Tatbestände "Krankheit" und "Arbeitsunfähigkeit" kumulativ vorliegen; zu diesem Zeitpunkt muß die Mitgliedschaft des Anspruchsberechtigten gegeben sein.

2. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht auch dann, wenn der Versicherungsfall der Krankheit während der Mitgliedschaft, die bei ununterbrochener Behandlungsbedürftigkeit einsetzender Arbeitsunfähigkeit jedoch noch innerhalb der Frist des § 183 Abs 1 S 2 RVO eingetreten ist.

3. Ist dem Versicherten während des Bezuges von Krankengeld Rente wegen Berufsunfähigkeit zugebilligt worden, so daß das Krankengeld um den Betrag der für den gleichen Zeitraum gewährten Rente zu kürzen ist (§ 183 Abs 5 S 1 RVO), so wirkt die Kürzung auch auf den aufgrund neuer Blockfristen iS des § 183 Abs 2 RVO wieder aufgelebten Krankengeldanspruch.

4. Bei einem Kassenwechsel hat die neue Krankenkasse nach § 212 RVO das Krankengeld aus einem bereits bei der alten Krankenkasse eingetretenen Versicherungsfall zu erbringen, auch wenn die fortgesetzte Versicherung bei der neuen Krankenkasse nicht mehr mit einem Anspruch auf Krankengeld ausgestattet ist.

 

Orientierungssatz

1. Die Wiedergewährung des Krankengelds in einem neuen Dreijahreszeitraum ist bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit nicht deshalb ausgeschlossen, weil die vom Arbeitsunfähigen fortgesetzte Mitgliedschaft nicht mehr mit einem Anspruch auf Krankengeld ausgestattet ist (vergleiche BSG vom 1979-11-28 3 RK 90/78 = BSGE 49, 163; BSG vom 1981-04-28 3 RK 8/80 = BSGE 51, 281).

2. Ein Versicherter ist arbeitsunfähig, wenn er infolge der Krankheit die zuletzt verrichtete oder eine ähnlich geartete Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr fortzusetzen vermag (vergleiche BSG vom 1981-12-16 GS 3/78 und GS 4/78 = BSGE 53, 22 mwN).

3. Für die Höhe des Krankengeldanspruchs ist nicht mehr das Arbeitsentgelt vor der Erkrankung, sondern das vor Eintritt der letzten Arbeitsunfähigkeit maßgebend (§ 182 Abs 4 und 5 RVO idF des Gesetzes vom 12.7.1961, BGBl I 1961, 913; vergleiche BSG vom 1957-08-21 3 RK 8/57 = BSGE 5, 283).

4. Der Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalles beruht darauf, daß die Behandlungsbedürftigkeit und die Arbeitsunfähigkeit nur verschiedene Erscheinungsformen derselben Krankheit sind (vergleiche BSG vom 1957-08-21 3 RK 8/57 = BSGE 5, 283, 286; BSG vom 1962-02-13 3 RK 63/61 = BSGE 16, 177, 180).

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1975-06-24, Abs. 4 Fassung: 1961-07-12, Abs. 5 Fassung: 1961-07-12, § 183 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1961-07-12, Abs. 1 S. 2 Fassung: 1961-07-12, Abs. 5 S. 1 Fassung: 1961-07-12, § 212 Fassung: 1972-08-10

 

Verfahrensgang

SG Duisburg (Entscheidung vom 13.04.1981; Aktenzeichen S 21 Kr 135/80)

 

Tatbestand

Umstritten ist die Wiedergewährung von Krankengeld.

Der im Jahre 1920 geborene Kläger, der bis 1974 als selbständiger Schrotthändler tätig, seit April 1974 aber ununterbrochen arbeitsunfähig war und daher im März 1975 seinen Betrieb abmeldete, war bei der Beklagten bis Mai 1975 - mit Anspruch auf Krankengeld - freiwillig versichert; ab 28. Mai 1975 besteht eine Mitgliedschaft ohne Krankengeldanspruch. Die Beklagte gewährte Krankengeld vom 30. April 1974 bis 27.Oktober 1975 (- erste Blockfrist -) und vom 30. April 1977 bis 27. Oktober 1978 (- zweite Blockfrist -). Den Antrag des (nicht rentenversicherten) Klägers, ihm ab 30. April 1980 (- dritte Blockfrist -) erneut Krankengeld zu gewähren, hat die Beklagte mit der Begründung abgelehnt, daß die Zahlungen von Krankengeld hier einen rentenähnlichen Charakter hätten und mit dem System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht in Einklang stünden. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat zur Begründung der Klageabweisung ausgeführt: Der Kläger, dessen Krankheiten jede Erwerbstätigkeit ausschließen würden, habe keinen Anspruch auf Krankengeld, weil er insoweit nicht versichert sei. Entgegen der Ansicht des Bundessozialgerichts (BSG) müsse, um einen Krankengeldanspruch wiederaufleben zu lassen, eine Mitgliedschaft mit Krankengeldanspruch bestehen. Das ergebe sich sowohl aus dem Gesetz - § 183 Abs 3 bis 8 Reichsversicherungsordnung (RVO), - als auch aus der Logik der Sache. Hätte der Kläger dagegen praktisch bis zum Lebensende einen immer wieder auflebenden Krankengeldanspruch, dann wäre er gegenüber denjenigen, die Beiträge zur Rentenversicherung entrichten, erheblich bevorzugt. Das sei mit Art 3 des Grundgesetzes kaum vereinbar.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt die Verletzung der §§ 182 Abs 1 Ziff 2, 183 Abs 2 RVO und beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 13. April 1981 - S 21 Kr 135/80 - sowie die Bescheide der Beklagten vom 27. Mai 1980 und 15. August 1980 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Krankengeld ab 30. April 1980 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision des Klägers ist begründet. Dem Kläger steht für die Zeit ab 30. April’1980 ein Anspruch auf ein (nach §’183 Abs 5 gekürztes) Krankengeld zu.

Die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat gebunden ist (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-), ergeben, daß der Kläger in der streitbefangenen Zeit in seinem zuletzt ausgeübten Beruf arbeitsunfähig krank gewesen ist, und daß die Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ohne Unterbrechung vorgelegen hat. Ferner ist ihnen zu entnehmen, daß der hier maßgebende Versicherungsfall der Erkrankung während einer Mitgliedschaft mit Krankengeldberechtigung eingetreten ist (§§ 206, 306 Abs 1 RVO) und die Mitgliedschaft bis zum Beginn der hier umstrittenen Bezugszeit fortbestanden hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG lebt unter diesen Voraussetzungen der Krankengeldanspruch mit Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums iS des § 183 Abs 2 RVO wieder auf. Dem steht im vorliegenden Fall nicht entgegen, daß seit 28. Mai 1975 nur noch eine Mitgliedschaft ohne Krankengeldanspruch besteht. Die Wiedergewährung des Krankengelds in einem neuen Dreijahreszeitraum ist bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit nicht deshalb ausgeschlossen, weil die vom Arbeitsunfähigen fortgesetzte Mitgliedschaft nicht mehr mit einem Anspruch auf Krankengeld ausgestattet ist (BSGE 49, 163; 51, 281). Die gegenteilige Auffassung des Sozialgerichts (SG) findet im Gesetz keine Grundlage.

Der Anspruch auf Krankengeld entsteht, sobald eine Krankheit den Versicherten arbeitsunfähig macht (§ 40 Abs 1 des Sozialgesetzbuches -Allgemeiner Teil- -SGB I- iVm § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 RVO). Die Entstehung des Anspruchs setzt also ein Versicherungsverhältnis voraus, das diese Versicherungsleistung vorsieht, und außerdem, daß der Versicherte infolge einer Krankheit arbeitsunfähig wird. Nach der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) und des BSG sind die Anspruchsvoraussetzungen auch dann als erfüllt anzusehen, wenn der Versicherungsfall der Erkrankung während einer Mitgliedschaft mit Krankengeldberechtigung, die Arbeitsunfähigkeit aber erst nach Beendigung dieser Mitgliedschaft, jedoch noch während einer sich daran anschließenden Zeit eingetreten ist, für die zumindest hinsichtlich der die Arbeitsunfähigkeit bedingenden Krankheit Anspruch auf Krankenpflege bestanden hat (RVA AN 1917, 462; 1936, 207; 1944, 38; BSGE 25, 37; 31, 125; 52, 261 mwN). Diese Rechtsprechung geht vom Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalles aus, der darauf beruht, daß die Behandlungsbedürftigkeit und die Arbeitsunfähigkeit nur verschiedene Erscheinungsformen derselben Krankheit sind (BSGE 5, 283, 286; 16, 177, 180; 51, 261, 264). Schon das Krankenversicherungsgesetz (KVG) vom 15. Juni 1883 (RGBl 1883, 73) hatte die Krankenpflegeleistungen und das Krankengeld unter dem Begriff der "Krankenunterstützung" zusammengefaßt und gemeinsamen Regelungen unterstellt (§§ 5, 6 KVG). Der Grundsatz, daß der Zeitpunkt der Erkrankung für die Beurteilung aller aus einem Unterstützungsfall erhobenen Ansprüche maßgebend ist (RVA AN 1917, 462; 1936, 207), ist zwar im Laufe der Zeit mehr und mehr eingeschränkt worden. Eine Einschränkung ergibt sich bereits aus der Rechtsprechung des RVA und BSG zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit, wonach ein Versicherter arbeitsunfähig ist, wenn er infolge der Krankheit die zuletzt verrichtete oder eine ähnlich geartete Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr fortzusetzen vermag (RVA EuM 30, 142; BSGE 53, 22 mwN). Dabei kann es sich um eine Beschäftigung oder Tätigkeit handeln, die erst nach Beginn der Krankheit aufgenommen worden ist (RVA AN 1916, 343; 1940, 138; BSGE 5, 283; 19, 179; 32, 18). Ferner ist auf die Einschränkungen hinzuweisen, die sich nach der Rechtsprechung des Senats aus der Unterbrechung der Mitgliedschaft oder der Arbeitsunfähigkeit ergeben können (BSGE 51, 287; 52, 261). Schließlich ist für die Höhe des Krankengeldanspruchs nicht mehr das Arbeitsentgelt vor der Erkrankung, sondern das vor Eintritt der letzten Arbeitsunfähigkeit maßgebend (§ 182 Abs 4 und 5 RVO idF des Gesetzes vom 12. Juli 1961, BGBl I, 913; in diesem Sinne schon RVA AN 1943, 145; BSGE 5, 283). Hat dadurch der Leistungsfall der Arbeitsunfähigkeit auch eine weitgehende Verselbständigung erfahren, so ist doch der Grundsatz von der Einheit des Versicherungsfalles nicht aufgegeben worden (BSGE 16, 177, 180; 45, 11, 16, 19; 51, 281, 284).

Ist ein Anspruch auf Krankengeld entstanden, so hat ihn der Versicherte in vollem Umfange erworben. Der Anspruch steht dem Versicherten, solange die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, im Rahmen des Gesetzes unabhängig davon zu, ob das den Anspruch begründende Versicherungsverhältnis fortbesteht (RVA AN 1936, 207; 1944, 38; 1944, 286; BSG SozR Nr 10 zu § 183 RVO; BSGE 22, 115; 25, 37; 26, 57). Das folgt aus dem allgemeinen versicherungsrechtlichen Prinzip, daß das Versicherungsrisiko während des Bestehens des Versicherungsverhältnisses getragen wird und demzufolge mit Eintritt des Versicherungsfalles während des Versicherungsverhältnisses alle für diesen Versicherungsfall vorgesehenen Leistungen anfallen. In der gesetzlichen Krankenversicherung kommt dieser versicherungsrechtliche Grundsatz zwar insoweit nicht zum Tragen, als die besondere Aufgabenstellung dieses Sozialversicherungszweiges entgegensteht. Die gesetzliche Krankenversicherung ist eine aktuelle, auf die Gegenwart bezogene Versicherung. Sie soll denjenigen schützen, der einem vom Gesetz als schutzwürdig anerkannten Personenkreis angehört (§§ 165 ff RV0). Dieser Versicherungsschutz ist nicht mehr gerechtfertigt, wenn der Versicherte aus der Versicherung ausscheidet und ihm zugemutet werden kann, für einen neuen Versicherungsschutz zu sorgen. Dieser Aufgabenstellung entspricht es, daß für die Versicherungspflichtigen mit ihrer Mitgliedschaft auch dann der Anspruch auf die Regelleistungen der Krankenversicherung entsteht, wenn die Krankheit bereits vor Beginn der Versicherung vorgelegen hat; lediglich bei freiwillig der Versicherung beigetretenen Versicherungsberechtigten ist ein Anspruch auf Kassenleistung für eine im Zeitpunkt des Beitritts bereits bestehende Krankheit ausgeschlossen (§§ 206, 310 Abs 2 RVO). Scheidet ein Kassenmitglied aus der Versicherung aus, so endet auch ein bereits erworbener Anspruch auf Krankenpflege, und zwar spätestens 26 Wochen nach dem Ausscheiden (§ 183 Abs 1 Satz 2 RV0; vgl BSGE 28, 249). Für einen bereits erworbenen Anspruch auf Krankengeld gibt es keine entsprechende Regelung (BSGE 26, 57).

Nach § 183 Abs 2 RVO idF des Gesetzes vom 12. Juli 1961 wird Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung gewährt, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für höchstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren (Satz 1); tritt während der Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit hinzu, so wird die Leistungsdauer nicht verlängert (Satz 2). Diese Vorschrift regelt nur die Bezugszeit des Krankengeldes, sie setzt den Anspruch auf Krankengeld voraus. Sie enthält keine Regelung darüber, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Krankengeld entsteht oder wegfällt. Ihr ist insbesondere auch keine dem § 183 Abs 1 Satz 2 RVO entsprechende Regelung zu entnehmen. Daraus folgt, daß ein einmal entstandener Anspruch auf Krankengeld die Kasse zur Krankengeldzahlung an den Versicherten im Rahmen des § 183 Abs 2 RVO verpflichtet, solange die leistungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen und keine dem Anspruch entgegenstehenden Gründe hinzukommen. Dies gilt auch für einen neuen Dreijahreszeitraum. Der Senat hat bereits früher dargelegt, daß es dem Willen des Gesetzgebers widerspräche, die sich aus der Einheit des Versicherungsfalles ergebenden Konsequenzen auf den ersten Dreijahreszeitraum zu beschränken (BSGE 31, 125, 127 f).

Das SG, das vor allem darauf abstellt, die Krankenversicherung habe primär das Risiko der vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit abzudecken, berücksichtigt nicht ausreichend die Entstehungsgeschichte und die Motive des Gesetzes vom 12. Juli 1961.

Die Neuregelung der Bezugszeit des Krankengelds durch das KLVG geht auf den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung (KVNG) zurück, der mit § 203 (BT-Drucks III/1540, Seite 13) eine Vorschrift enthielt, die nahezu wortgleich als Absatz 2 in den § 183 RVO übernommen wurde. In der Begründung des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfes wurde darauf hingewiesen, daß es mehr und mehr langwierige Krankheiten sind, die die Hilfe der Versichertengemeinschaft erfordern, und daß deshalb weder bei den Leistungen, die der Heilung des Erkrankten dienen, noch bei den Leistungen, die für die wirtschaftliche Sicherung des Berechtigten bestimmt sind, eine Zeitspanne entstehen darf, in der der Versicherte ohne Schutz ist. Der Gesetzentwurf ging zwar davon aus, daß die vorgeschlagenen Maßnahmen den Anschluß der Rente an den Krankengeldbezug sichern, das Krankengeld also keine Dauerleistung ist. Dennoch wollte man den Krankengeldbezug nicht endgültig begrenzen. Es sollte sichergestellt sein, daß die Leistungen lückenlos ineinander greifen (BT-Drucks aaO Seite 63). Der KVNG-Entwurf sah daher vor, wie später auch gesetzlich bestimmt wurde, daß der Krankengeldanspruch erst mit der tatsächlichen Gewährung der Rente endet bzw gekürzt wird (§ 200 KVNG-Entwurf; BT-Drucks aaO Seite 77; § 183 Abs 3 und 5 RVO). Das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit (EU) oder Berufsunfähigkeit (BU) allein sollte also keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Krankengeldanspruch haben. Die Bundesregierung war sich auch bewußt, daß die vorgeschlagenen Regelungen über die Wiedergewährung des Krankengelds in neuen Dreijahreszeiträumen die Aussteuerung praktisch beseitigt (BT-Drucks aaO Seite 63). Dieser Gesetzesvorschlag ist dann im wesentlichen in das Gesetz vom 12. Juli 1961 übernommen worden. Auch in dem zu diesem Gesetz führenden Gesetzgebungsverfahren wurde hervorgehoben, daß mit der Neuregelung keine Aussteuerung mehr, sondern nur noch eine Unterbrechung des Leistungsanspruchs erfolgen kann (Stenografischer Bericht Bundesrat 1961 Seite 156 ff; Stenografischer Bericht Bundestag 3. Wahlperiode Seite 9297 ff).

Die Entscheidung des SG kann nicht auf § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 2 und § 183 Abs 3 ff RVO gestützt werden. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich lediglich, daß die Krankenversicherung der Rentner selbst keinen Anspruch auf Krankengeld begründet und daß sich Rentenleistungen auf einen Krankengeldanspruch aus einem anderen Versicherungsverhältnis auswirken können. Der Krankengeldanspruch wird jedoch nur durch solche Rentenleistungen beeinträchtigt, die zugebilligt sind (Absatz 3 und 5 des § 183 RVO) bzw bezogen werden (Absatz 4 RVO). Darüber hinaus ist der Krankenkasse das Recht eingeräumt, einen Versicherten, der erwerbsunfähig ist oder die Voraussetzungen für den Bezug des Altersruhegeldes erfüllt und das 65. Lebensjahr vollendet hat, zur Inanspruchnahme der in einem solchen Fall vorrangigen Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung aufzufordern; kommt der Versicherte dieser Aufforderung nicht nach, so entfällt der Anspruch auf Krankengeld (§ 183 Abs 7 und 8 RVO). Das Gesetz räumt ein solches Recht der Kasse jedenfalls nicht ein, wenn der Versicherte nur berufsunfähig ist. Ist der Versicherte auf Dauer berufsunfähig und kann dieser Zustand nicht durch eine Heilbehandlung behoben werden (vgl §§ 63, 66 Abs 2 SGB I), so bleibt dem Versicherten, solange er das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, der Anspruch auf Krankengeld erhalten (BSGE 26, 288).

Die Krankenkasse hat jedoch Krankengeld nicht mehr zu zahlen, wenn der Arbeitsunfähige überhaupt nicht mehr der gesetzlichen Krankenversicherung angehört. Diese Einschränkung ergibt sich daraus, daß die Krankenkasse grundsätzlich nur Leistungen an Versicherte zu erbringen hat (BSGE 45, 11). Wer sich endgültig von der gesetzlichen Krankenversicherung löst, scheidet aus der Solidargemeinschaft der Versicherten und damit aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten aus. Auch die gesetzlichen Regelungen über die Krankengeldgewährung setzen voraus, daß der Anspruchsberechtigte Versicherter ist (vgl § 183 Abs 5 bis 8 RVO). Das Krankengeld ist eine die Krankenpflege und medizinische Rehabilitation ergänzende Leistung (vgl § 12 Nr 1 RehaAnglG); sie dient der wirtschaftlichen Sicherung des Versicherten während der Erkrankung. Ist die Krankenkasse nicht (mehr) zur Behandlung der Krankheit verpflichtet, so kann es grundsätzlich auch nicht ihre Aufgabe sein, für die wirtschaftliche Sicherung des Erkrankten zu sorgen. Einer zur Krankengeldzahlung verpflichteten Krankenkasse obliegt es, die Arbeitsunfähigkeit zu überprüfen und nach Möglichkeit zu beseitigen; sie kann diese Aufgaben aber nur einem Versicherten gegenüber erfüllen. Auch die gesetzlichen Regelungen über die Mitwirkungspflichten des Leistungsberechtigten gehen davon aus, daß bei Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit eine Heilbehandlung von dem zuständigen Leistungsträger veranlaßt werden kann (§§ 63, 66 Abs 2 SGB I). Zu dieser Mitwirkung an einer Heilbehandlung kann die Krankenkasse aber nur ein Kassenmitglied heranziehen. Die Voraussetzung der mitgliedschaftlichen Zugehörigkeit des Arbeitsunfähigen zur gesetzlichen Krankenversicherung ist bereits dann erfüllt, wenn der Arbeitsunfähige aufgrund einer eigenen Mitgliedschaft zumindest für die der Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegenden Krankheit Anspruch auf Krankenpflege hat. Das ist noch der Fall bei einem nachgehenden Anspruch auf Krankenpflege, aber ebenfalls bei einer neuen Mitgliedschaft, die an das den Krankengeldanspruch begründende Versicherungsverhältnis mit Krankengeldberechtigung ohne eine längere Unterbrechung anschließt, auch wenn sie selbst keinen neuen Anspruch auf Krankengeld zu begründen vermag (BSGE 51, 281; 51, 287; 52, 261).

Auch wenn man mit dem SG die derzeitige Rechtslage nicht für befriedigend hält, so kann der Rechtsauffassung des SG doch nicht gefolgt werden, weil sich für diese weder dem Wortlaut, noch der Entstehungsgeschichte noch den Motiven des Gesetzes Anhaltspunkte entnehmen lassen. Eine Änderung der Rechtslage muß dem Gesetzgeber überlassen bleiben. Der Senat hat schon 1967 darauf hingewiesen, daß er sich angesichts der klaren gesetzlichen Regelung nicht für befugt hält, den herkömmlichen Begriff der Arbeitsunfähigkeit von sich aus zu modifizieren und auf Zustände vorübergehender Art zu beschränken (BSGE 26, 288, 291). Trotz dieses Hinweises hat es der Gesetzgeber bisher nicht für erforderlich gehalten, die Rechtslage, wie sie vom RVA und BSG dargestellt worden ist, zu ändern. Es ist deshalb der Rechtsprechung heute erst recht verwehrt, eine solche Änderung vorzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658379

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