Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 24.08.1978; Aktenzeichen L 16 Kr 158/77)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. August 1978 geändert: Die Klage wird abgewiesen, soweit sie auf die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 1. November 1975 bis zum 15. Januar 1976 gerichtet ist. Im übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger drei Viertel der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um die Wiedergewährung von Krankengeld in der 2. Blockfrist.

Der Kläger war seit 1971 versicherungspflichtig beschäftigt und deshalb Mitglied der Beklagten. Am 14. Juli 1972 wurde er auf Grund eines Wirbelsäulenleidens arbeitsunfähig, die Beklagte zahlte ihm Krankengeld vom 25. August 1972 bis zum 8. Februar 1974. Am 18. Februar 1974 beantragte er bei der Landesversicherungsanstalt N… -O… die Gewährung von Rente.

Nachdem am 28. Februar 1974 das Beschäftigungsverhältnis des Klägers geendet hatte, zahlte ihm die Beklagte ab 14. Juli 1975 erneut Krankengeld, weil der Kläger wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig war und zu diesem Zeitpunkt eine neue – die zweite – Blockfrist begann. Mit dem 31. Oktober 1975 stellte die Beklagte die Krankengeldzahlung ein, sie war auf Grund ärztlicher Gutachten zu der Überzeugung gelangt, der Kläger sei zwar weiterhin arbeitsunfähig, seine Arbeitsunfähigkeit beruhe aber ab 1. November 1975 auf einer anderen Krankheit (Depressionen). Durch einen Bescheid vom 10. Dezember 1975 teilte sie dies dem Kläger mit und klärte ihn darüber auf, daß sie ihn ab 1. November 1975 als Mitglied nach § 315a Reichsversicherungsordnung (RVO) führe; als Rentenbewerber stehe ihm aufgrund des neu eingetretenen Versicherungsfalles kein Anspruch auf Krankengeld zu. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchs bescheid vom 15. Januar 1976 zurück.

Gegen die Bescheide hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg Klage erhoben. Er hat beantragt, ihm ab 16. Januar 1976 Krankengeld zu gewähren. Er sei wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig, wegen der er bereits in der 1. Blockfrist und zu Beginn der 2. Blockfrist Krankengeld bezogen habe. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 18. Oktober 1976), weil es der Auffassung war, daß die Arbeitsunfähigkeit des Klägers auf einer neuen Krankheit beruhe.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 18. November 1976 Berufung eingelegt und nunmehr gefordert, ihm über den 31. Oktober 1975 hinaus im Rahmen der 2. Blockfrist Krankengeld zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat ein Sachverständigen-Gutachten des Dr. Stefan eingeholt und mit Urteil vom 24. August 1978 die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß der Krankengeldanspruch für die Zeit vom 1. November 1975 bis zum 15. Januar 1976 im erstinstanzlichen Verfahren ausgeklammert gewesen und der Kläger insoweit durch das Urteil des Sozialgerichts nicht beschwert sei. Er könne jedoch diesen Teil des Anspruchs in der 2. Instanz wieder aufgreifen, und insoweit habe das Gericht über den Anspruch als Klage entschieden. Soweit der Kläger Krankengeld ab 16. Januar 1976 fordere, sei sein Begehren als Berufung anzusehen. Der Anspruch des Klägers sei auch in vollem Umfang begründet. Bei ihm liege in der 2. Blockfrist die gleiche Arbeitsunfähigkeit vor, die schon in der 1. Blockfrist bestanden habe; er könne Tätigkeiten als Betriebsschlosser nicht mehr verrichten. Bei ihm bestehe der gleiche Krankheitszustand wie vorher – eine Bandscheibenraumverschmälerung sowie eine Irritation der Nervenwurzeln und Sensibilitätsstörungen –, zu dem organischen Kern sei lediglich noch eine leichte depressive Symptomatik hinzugetreten. Da die Arbeitsunfähigkeit des Klägers wegen derselben Krankheit in der 2. Blockfrist fortbestehe, sei sein Anspruch auf Krankengeld begründet. Die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG), die einen Krankengeldanspruch auf Grund fehlender Mitgliedschaft verneinten, seien vorliegend nicht anwendbar, weil der Kläger Versicherter sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten. Sie ist der Auffassung, daß die Formalmitgliedschaft des Klägers als Rentenbewerber nach § 315a RVO keinen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld begründe. Der Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalles vermöge den Anspruch ebenfalls nicht zu tragen, da ihm keine anspruchsbegründende, sondern anspruchsbegrenzende Wirkung zukomme. Wolle man den Anspruch auch für die 2. und die folgenden Blockfristen bejahen, so erhielte das Krankengeld einen rentenähnlichen Charakter, der aber im Widerspruch zur Systematik der Sozialversicherungsleistungen stehe. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG hat die Beklagte nicht gerügt.

Sie beantragt,

das vorerwähnte Urteil des LSG Essen aufzuheben, soweit darin der Krankengeldanspruch dem Grunde nach (Zahlung von Krankengeld mit Beginn einer neuen Blockfrist bei Mitgliedschaft ohne Krankengeldanspruch) bestätigt wird.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Kläger ist der Auffassung, daß die Beklagte die Rechtsprechung des BSG unzutreffend auslege. Es sei nicht erforderlich, daß zu Beginn einer neuen Blockfrist eine Mitgliedschaft mit Krankengeldanspruch vorhanden sein müsse, um zu einem Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs zu gelangen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist begründet, soweit sich die Beklagte gegen die Zuerkennung des Krankengeldes vom 1. November 1975 bis zum 15. Januar 1976 wendet, im übrigen ist sie unbegründet.

  • Dem Kläger steht kein Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 1. November 1975 bis zum 15. Januar 1976 zu. Diesen Anspruch hatte die Beklagte durch ihren Bescheid vom 10. Dezember 1975 abgelehnt und die Ablehnung im Widerspruchsbescheid bestätigt. Das LSG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß der Kläger vor dem SG lediglich die Zahlung des Krankengeldes ab 16. Januar 1976 gefordert hat. Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe den Anspruch für die Zeit vom 1. November 1975 bis zum 15. Januar 1976 mit dem Rechtsmittel der Klage “wieder aufgegriffen”. Es bedarf in dem Zusammenhang jedoch keiner Erörterung über die Zulässigkeit einer Klageänderung nach § 99 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn der Geltendmachung dieses Teilanspruchs vor dem LSG stand die Bindungswirkung des Widerspruchsbescheides entgegen (§ 77 SGG). Jener Bescheid wurde für die Beteiligten bindend, wenn nicht – wie die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides zutreffend ausführt – binnen Monatsfrist dagegen Klage erhoben wurde. Die Klage vor dem SG hatte aber nur die Ablehnung des Krankengeldes ab 16. Januar 1975 betroffen.

    Bei der Einlegung der Berufung gegen das Urteil des SG war die in § 87 SGG vorgeschriebene Monatsfrist jedoch längst verstrichen, der Kläger konnte zu diesem Zeitpunkt mithin keine zulässige Klage gegen die Ablehnung des Teilanspruchs im Widerspruchsbescheid mehr erheben. Die Zulässigkeit der Klage gehört zu den unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen, die in jedem Stadium des gerichtlichen Verfahrens – auch vom Revisionsgericht – von Amts wegen zu beachten sind. Deshalb ist es unerheblich, daß die Beklagte diesen prozessualen Mangel im revisionsgerichtlichen Verfahren nicht gerügt hat, das Urteil des LSG ist vielmehr insoweit zu ändern, als es dem Kläger einen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 1. November 1975 bis zum 15. Januar 1976 zugesprochen hat. Insoweit ist seine Klage als unzulässig abzuweisen.

  • Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Krankengeld für die Zeit ab 16. Januar 1976 ist begründet.

    Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit darüber, daß der Kläger in dieser Zeit arbeitsunfähig gewesen ist, auch die Beklagte ist in ihrem ablehnenden Bescheid vom 10. Dezember 1975 und dem Widerspruchsbescheid von dieser Voraussetzung ausgegangen. Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger nicht mehr in der Lage ist, seine frühere Beschäftigung als Betriebsschlosser auszuüben. Gegen diese Feststellung sind keine Revisionsrügen erhoben worden. Für das Revisionsverfahren ist infolgedessen von der Arbeitsunfähigkeit des Klägers in der streitigen Zeit auszugehen.

    Die Arbeitsunfähigkeit beruhte entgegen der Annahme der Beklagten auch auf “derselben Krankheit” im Sinne des § 183 Abs 2 Satz 1 RVO, die bereits vorher – nämlich während der 1. Blockfrist (zur Berechnung vgl BSGE 32, 18, 19, 20) – vom 25. August 1972 bis zum 8. Februar 1974 und zu Beginn der 2. Blockfrist vom 14. Juli 1975 bis zum 31. Oktober 1975 zur Zahlung von Krankengeld geführt hatte. Das LSG hat in dem angefochtenen Urteil festgestellt, daß beim Kläger in der Zeit ab 1. November 1975 der gleiche Krankheitszustand wie vorher bestanden habe – ein Wirbelsäulenleiden mit Irritation der Nervenwurzeln und Sensibilitätsstörungen – und daß lediglich im Verlaufe der Krankheit zu dem organischen Kern noch eine depressive Symptomatik hinzugetreten sei. Diese Feststellung ist für das Revisionsgericht bindend, da hiergegen keine Revisionsrügen vorgebracht worden sind (§ 163 SGG). Es bedarf in dem Zusammenhang keiner Erörterung der Frage, ob die depressiven Erscheinungen für sich allein beim Kläger auch eine Arbeitsunfähigkeit bewirkt hätten, denn selbst bei Unterstellung eines derartigen Sachverhalts wäre die Leistungspflicht der Kasse durch eine solche hinzutretende Arbeitsunfähigkeit nicht verändert worden (§ 183 Abs 2 Satz 2 RVO).

    Steht somit fest, daß der Kläger wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig war, so ist ihm nach § 183 Abs 2 Satz 1 RVO Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung zu gewähren, jedoch mit der Maßgabe, daß ihm innerhalb von drei Jahren jeweils nur eine Höchstbezugsdauer von 78 Wochen zur Verfügung steht. Voraussetzung für den Eintritt dieser Rechtsfolge ist nach § 182 Abs 1 Nr 2 RVO lediglich, daß der Zustand der Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Krankheit bei einem “Versicherten” eingetreten ist. Das hat der Senat bereits in dem Urteil vom 5. Oktober 1977 – 3 RK 35/77 – (BSGE 45, 11, 13) klargestellt. Der Senat hat in der genannten Entscheidung eingehend dargelegt, daß ohne das Bestehen einer Mitgliedschaft die Krankenkasse nur ausnahmsweise – nämlich im Falle speziell normierter nachgehender Ansprüche – Krankengeld zu leisten hat. Von diesen Grundsätzen abzugehen besteht kein Anlaß, das Gesetz fordert sie ausdrücklich.

    Der Kläger ist bei der Beklagten versichert, wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Für ihn hat zwar in der streitigen Zeit (nur) eine sogenannte Formalmitgliedschaft bestanden, die § 315a RVO für Rentenbewerber vorsieht, daraus läßt sich jedoch – entgegen der Meinung der Beklagten – nicht folgern, daß dem Kläger kein Krankengeldanspruch (wieder) zustehe und daß nur eine besonders “qualifizierte Mitgliedschaft” – was immer auch darunter zu verstehen sein mag – zum Wiederaufleben des Krankengeldes führen könne. Das Gesetz regelt die Mitgliedschaft zur Krankenversicherung im Vierten Abschnitt des Zweiten Buches der RVO in den §§ 306 ff, es macht dort jedoch keinen Unterschied zwischen verschiedenartig qualifizierten Mitgliedschaften. Vielmehr ist unter der Mitgliedschaft die Gesamtheit aller versicherungsrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen dem Versicherten und dem Versicherungsträger aus dem Versicherungsverhältnis zu begreifen. Zu diesen Rechtsbeziehungen gehören allerdings auch die einem Versicherten zustehenden Leistungsansprüche, insoweit sieht das Gesetz durchaus Ansprüche unterschiedlichen Umfangs vor und regelt sie im einzelnen in den Leistungsvorschriften.

    Für den hier streitigen Krankengeldanspruch sieht § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 2 iVm § 183 RVO Leistungsbeschränkungen vor. Nur in diesem Rahmen tritt eine Einschränkung ein, denn das Krankengeld ist eine Regelleistung der Versicherung (§ 179 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 2 RVO), und als solche steht sie grundsätzlich allen Versicherungspflichtigen zu (§ 206 RVO).

    Der Senat läßt die Frage offen, ob unter die Vorschrift des § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 2 RVO in enger Auslegung der Wortfassung nur “die in § 165 Abs 1 Nr 3 … bezeichneten Versicherten” fallen und deshalb nur diejenigen Personen dazu zu zählen sind, die die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente erfüllen und die Rente beantragt haben (vgl. § 165 Abs 1 Nr 3 Satz 1 RVO). Dazu gehören die Formalversicherten nicht, weil ihre Versicherung davon abhängt, daß sie die Voraussetzungen zum Bezug einer Rente nicht erfüllen (§ 315a Abs 1 Satz 1, letzter Halbsatz RVO). Folgt man dieser Auffassung, so ergreift § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 2 RVO die Formalversicherten überhaupt nicht, und das Krankengeld würde bei ihnen deshalb nicht wie bei Rentnern, sondern wie bei anderen Pflichtversicherten wiederaufleben. Für eine solche Auffassung könnte sprechen, daß die Formalversicherten ihre Beiträge allein zu tragen haben (§ 381 Abs 3 Satz 2 RVO), zumal die Festsetzung der Beiträge dem autonomen Satzungsrecht der Kasse überlassen ist. Außerdem ist zu beachten, daß § 381 Abs 2 RVO die Übernahme der Beitragslast nur für “die in § 165 Abs 1 Nr 3 bezeichneten Versicherten” durch die Träger der Rentenversicherung anordnet und darunter nur die Rentenbezieher versteht. Die Formalversicherten umschreibt das Gesetz in § 381 Abs 3 Satz 2, 1. Halbsatz RVO mit den Worten “Personen, die einen Rentenantrag gestellt haben” und unterscheidet sie somit deutlich von den pflichtversicherten Rentenbeziehern. Wenn der Gesetzgeber in § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 2 RVO die für Rentenbezieher bestimmte Formulierung verwendet, so spricht manches dafür, daß damit der in dieser Vorschrift festgelegte Ausschluß des Krankengeldanspruchs auch nur für Rentenbezieher gelten soll.

    Der Senat braucht diese Frage jedoch nicht abschließend zu entscheiden, denn auch wenn man die Formalversicherten mit zu dem Personenkreis rechnen würde, der durch die Leistungseinschränkung des § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 2 RVO erfaßt werden soll, führte das doch nicht zu den von der Beklagten vertretenen Ergebnis. Für eine solche Gleichbehandlung der Formalversicherten mit den Rentenbeziehern würde überdies sprechen, daß die (fiktive) Pflichtmitgliedschaft lediglich durch den beantragten Rentenbezug ausgelöst wird. Auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift, wie sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte ergibt, sollte die Formalmitgliedschaft lediglich dazu dienen, eine versicherungsrechtliche Lücke zwischen dem Zeitpunkt des Rentenantrages und der Rentenbewilligung auszufüllen und den Rentenbewerber bereits in diesem Zeitraum wie einen Rentner gegen Krankheit zu schützen (vgl BT-Drucks 2/1234, Entwurf eines Gesetzes über KVdR, Begründung zu Nr 26, S. 12). Selbst wenn man also die Formalversicherten dem von § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 2 RVO erfaßten Personenkreis zurechnete, bliebe doch weiterhin zu beachten, daß diese Vorschrift den Krankengeldanspruch nicht schlechthin ausschließt, sondern lediglich insoweit einschränkt, als sich aus § 183 RVO nichts anderes ergibt.

    Der Umfang der Einschränkung muß somit aus § 183 RVO erschlossen werden. Dabei ist allerdings zu beachten, daß § 183 RVO zwar die Gewährung des Krankengeldes im allgemeinen regelt, daß die Vorschrift jedoch keine speziellen Bestimmungen für die im vorliegenden Rechtsstreit wesentliche Frage der Wiedergewährung des Krankengeldes enthält.

    Für das Zusammentreffen von Ansprüchen auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit Ansprüchen auf Krankengeld sieht § 183 RVO in den Absätzen 3-5 differenzierte Regelungen vor. Nach § 183 Abs 3 Satz 1 RVO führt die Zubilligung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) oder eines Altersruhegeldes zum Ende des Krankengeldanspruches. Mit der Zubilligung der Rente wird die Zeit vom Beginn des Rentenanspruches an erfaßt (vgl BSGE 19, 28, 29; 20, 135; 28, 117, 118 und 255, 256; 32, 186, 187). Demzufolge kann während des Bezuges dieser Renten ein Krankengeldanspruch, der vorher bestanden hatte, nicht mehr weiterbestehen und auch nicht erneut entstehen. Eine Wiedergewährung des Krankengeldes in der 2. Blockfrist wird somit durch den Bezug dieser Renten ausgeschlossen.

    Abweichend davon sieht § 183 Abs 4 RVO zwar die Gewährung von Krankengeld neben dem Bezug von EU-Rente oder Altersruhegeld vor, doch betrifft diese Regelung einen anderen Sachverhalt. Sie erkennt dem Rentner, der eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausübt, aus diesem Versicherungsverhältnis für den Fall der Arbeitsunfähigkeit ein Krankengeld zu. Der Anspruch entsteht ungeachtet der Frage, ob der Rentner die Voraussetzungen des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO erfüllt oder nicht, weil die Versicherungspflicht zur Rentner-Krankenversicherung jedenfalls durch die Beschäftigungsversicherung (§ 165 Abs 1 Nr 1 oder 2 oder § 166 RVO) gemäß § 165 Abs 6 Satz 1 RVO verdrängt würde. Indes bedarf der nach § 183 Abs 4 RVO entstehende Krankengeldanspruch hier keiner weiteren Erörterung, weil er auf eine Bezugsdauer von höchstens 6 Wochen begrenzt ist und demgemäß das Wiederaufleben eines solchen Anspruchs in der 2. Blockfrist nicht in Betracht kommt.

    Das Zusammentreffen von Berufsunfähigkeits- (BU-) Rente und Krankengeld regelt § 183 Abs 5 RVO, und zwar unterschiedlich je nach dem, ob die BU-Rente während des Bezuges von Krankengeld zugebilligt wird oder ob sie bereits vor der Zahlung des Krankengeldes begonnen hat. Im ersten Fall kommt es zu einer Kürzung des Krankengeldes, im zweiten Fall sind die beiden Leistungen voll nebeneinander zu gewähren. Die Regelung in ihrer Gesamtheit macht jedoch deutlich, daß das Gesetz den Bezug dieser Rente dem Grunde nach als “krankengeldunschädlich” ansieht, weil er das Bestehen des Krankengeldanspruches nicht berührt, er kann lediglich Einfluß auf die Höhe der Krankengeldzahlung ausüben. Nimmt aber die Gewährung von BU-Rente dem Grunde nach weder Einfluß auf einen bereits bestehenden Krankengeldanspruch noch auf das Entstehen eines solchen, so kann der Rentenbezug auch das Wiederaufleben des Krankengeldanspruches (in der 2. Blockfrist) nicht ausschließen.

    Schließlich wird ein Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs beim Bezug von BU-Rente auch aus sonstigen Gründen nicht ausgeschlossen. Eine derartige Annahme würde insbesondere nicht durch die Erwägung getragen, das Krankengeld könne schon deshalb nicht wieder aufleben, weil es sonst zu einer rentenähnlichen Dauerleistung würde. Einer solchen Schlußfolgerung steht grundsätzlich entgegen, daß der Gesetzgeber durch das Gesetz vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913) die bis dahin bestehende zeitliche Begrenzung des Krankengeldes auf 26 Wochen beseitigt und durch den Grundsatz der zeitlich unbegrenzten Gewährung ersetzt hat (siehe dort Art 2 Nr 4). Die erklärte Absicht des Gesetzgebers hat im Gesetzeswortlaut ihren ausdrücklichen Niederschlag gefunden und ist damit verbindliche Rechtsnorm geworden. Den von der Beklagten angestellten rechtssystematischen Erwägungen kann in dem Zusammenhang keine Bedeutung zukommen. Die Beklagte verkennt insoweit die Ausführungen des Senats in dem Urteil vom 5. Oktober 1977 (BSGE 45, 11, 19). Der Senat hat in dieser Entscheidung bei der Erörterung des Prinzips der Einheit des Versicherungsfalles unter anderem auch den rentenähnlichen Charakter von Intervallzahlungen erwähnt und dargelegt, daß derartige Barleistungen an Nicht -Mitglieder der Kasse schon deshalb nicht zu gewähren sind, weil ihnen kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung (§ 183 Abs 1 Satz 2, § 184 Abs 1 Satz 2) auch die spezifischen Leistungen zur Krankheitsbekämpfung – Krankenpflege sowie Krankenhauspflege – nicht zustehen. Vielmehr begründet gerade die mitgliedschaftliche Zugehörigkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung die Leistungsansprüche (vgl BSGE 45, 11, 16, 17). Diese Ausführungen behalten auch für den vorliegenden Sachverhalt ihre volle Bedeutung. Wollte man die Dauerleistung Krankengeld vom Bestehen der Mitgliedschaft lösen und lediglich auf den Eintritt des Versicherungsfalles abstellen, würde allerdings der rentenähnliche Charakter dominieren. Denn die Renten der Rentenversicherung unterscheiden sich vom Krankengeld grundsätzlich dadurch, daß sie begründet sind, wenn ihre Voraussetzungen bei Eintritt des Versicherungsfalles vorliegen, ohne daß der Rentner noch weitere Versicherungsbeziehungen zum Rentenversicherungsträger unterhalten müßte, beim Krankengeld hingegen ist der Eintritt des Versicherungsfalles zwar das für die Leistung maßgebende Ereignis, Rechtsgrund der laufenden Leistungsgewährung ist aber die mitgliedschaftliche Zugehörigkeit des Versicherten zur Solidargemeinschaft.

    Gerade die Berücksichtigung des Gesichtspunktes der Mitgliedschaft kann für Rentner oder Rentenbewerber den Krankengeldanspruch nicht ausschließen, denn auch die versicherungspflichtigen Rentner gehören der Solidargemeinschaft an, und die Rentenbewerber werden durch die Fiktion des § 315a RVO ebenfalls dieser Gemeinschaft zugeordnet. Rentnern und Rentenbewerbern stehen aufgrund ihrer mitgliedschaftlichen Zugehörigkeit die gleichen spezifischen Leistungen der Krankheitsbekämpfung zu wie den sonstigen Pflichtmitgliedern, und deshalb läßt sich mit dieser Erwägung ihr Krankengeldanspruch nicht beschränken.

    Eine ganz andere Frage ist es, ob beim Zusammentreffen von Krankengeld und Rente eine Begrenzung einer der beiden Sozialleistungen eintreten soll, weil beide Leistungen Lohnersatzfunktion haben. Dabei handelt es sich um ein Problem der Leistungskonkurrenz, für das das Gesetz in § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 2 iVm § 183 Abs 3-5 RVO, wie bereits dargelegt, Regelungen getroffen hat. In dem Zusammenhang spielt allerdings der Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalles wiederum eine Rolle, worauf der Senat in der von der Beklagten zitierten Entscheidung ebenfalls bereits hingewiesen hat (vgl BSGE 45, 11, 15, 16). Dieser Grundsatz hat in der Vorschrift des § 183 Abs 2 Satz 1 RVO eine besondere Ausprägung erfahren: Das Krankengeld für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen “derselben Krankheit” wird für höchstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren gewährt. Damit begrenzt derselbe Versicherungsfall einerseits die Dauer des Anspruchs auf 78 Wochen, anderseits bewirkt er aber, daß nach Ablauf der Blockfrist von (je) drei Jahren der Anspruch wieder besteht, dh wiederauflebt, sofern die Anspruchsvoraussetzungen – noch oder wieder – vorliegen.

    Daraus ergibt sich, daß der Anspruch auf Krankengeld, soweit er auf demselben Versicherungsfall beruht, nach Ablauf der Blockfrist gemäß § 183 2 Satz 1 RVO zum Wiederaufleben kommen kann. Ob der wiederaufgelebte Anspruch deshalb eine Begrenzung erfährt, weil er mit einem Rentenanspruch zusammentrifft, ergibt sich sodann aus § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 2 iVm § 183 Abs 3-5 RVO. Wenn die Beklagte aus sozialpolitischen Erwagungen andere Beschränkungen des Krankengeldanspruchs für sachdienlicher hält, so bedarf dieses Problem hier keiner Erörterung, weil es sich insoweit um Fragen handelt, die nicht vom Gericht zu entscheiden sind, sondern dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben müssen. Auch wenn die gesetzlichen Bestimmungen zur Wiedergewährung des Krankengeldes für Rentner auf Grund ihrer durch die Entwicklung veranlaßten gegenwärtigen Gestaltung bei gewissen Fallgruppen zu Ergebnissen führen können, die in ihrem wirtschaftlichen Erfolg nur schwer verständlich sind und auch sozial nicht immer als ausgewogen erscheinen, vermag das aus den gleichen Gründen zu keiner anderen Entscheidung zu führen.

    Im vorliegenden Rechtsstreit gehört der Kläger der gesetzlichen Krankenversicherung als Formalmitglied nach § 315a RVO an. Diese Versicherung schließt den Krankengeldanspruch nicht aus, weil der Ausschluß nur für bestimmte Fälle des Rentenbezugs angeordnet ist, der Formalversicherte aber gerade noch keine Rente bezieht. Die Beklagte ist also verpflichtet, dem Kläger auch in der 2. Blockfrist Krankengeld zu zahlen. Da die Zahlung des Krankengeldes für die Zeit vom 14. Juli bis zum 31. Oktober 1975 die Höchstbezugsdauer von 78 Wochen noch nicht erschöpft hat, steht dem Kläger für die Zeit ab 16. Januar 1976 für die weitere Dauer der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit noch Krankengeld bis zum Ablauf der Höchstbezugsdauer zu. In diesem Umfang war mithin das zusprechende Urteil des LSG zu bestätigen und die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 163

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