Verfahrensgang

BGH (Beschluss vom 28.02.2022; Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 28/20)

BGH (Beschluss vom 08.02.2021; Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 28/20)

AGH Berlin (Entscheidung vom 26.07.2017; Aktenzeichen II AGH 4/16)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 22.11.2022; Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 28/20)

BGH (Beschluss vom 12.09.2022; Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 28/20)

BGH (Beschluss vom 29.07.2022; Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 28/20)

 

Tenor

Das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 23. Februar 2022 gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof G.   wird als unzulässig verworfen.

Das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 5. Juli 2021 gegen den Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. P.   und den Rechtsanwalt Dr. K.  wird zurückgewiesen.

Das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 12. September 2021 gegen die Präsidentin des Bundesgerichtshofs L., den Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. P.   und den Rechtsanwalt Dr. L.   wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Anwaltsgerichtshof B.   hat mit Urteil vom 26. Juli 2017 eine Anfechtungsklage des Klägers als unzulässig verworfen. Der Kläger hat die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs beantragt. Mit Beschluss vom 14. Januar 2019 (AnwZ (Brfg) 59/17, juris) hat der Senat - unter Mitwirkung des Richters am Bundesgerichtshof Prof. Dr. P.   sowie der Rechtsanwälte Dr. K.  und Dr. L.   - den Antrag des Klägers abgelehnt. Auf die Verfassungsbeschwerde des Klägers hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22. Juli 2020 (NVwZ 2020, 1661 ff.) den Beschluss des Senats aufgehoben und die Sache an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen. Mit Beschluss vom 8. Februar 2021 (AnwZ (Brfg) 28/20, juris) hat der Senat - unter Mitwirkung des Richters am Bundesgerichtshof Prof. Dr. P.   und des Rechtsanwalts Dr. K.  - die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs zugelassen.

Rz. 2

Der Kläger hat in seiner Berufungsbegründung vom 5. Juli 2021 den Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. P.   und den Rechtsanwalt Dr. K.   abgelehnt. Zum einen seien diese gemäß § 112c BRAO, § 54 VwGO, § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Zum anderen bestehe die Besorgnis der Befangenheit gemäß § 112c BRAO, § 54 VwGO, § 42 Abs. 2 ZPO, da kein vernünftiger Kläger darauf vertrauen könne, dass die gleichen Richter nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bereit sein würden, ohne Vorurteil und unparteilich an die Sache heranzugehen. In ihren dienstlichen Stellungnahmen haben die von dem Kläger abgelehnten Mitglieder des Senats im Wesentlichen darauf verwiesen, dass sich ihre Beteiligung an dem Beschluss vom 14. Januar 2019 bereits aus den Verfahrensakten ergebe.

Rz. 3

Mit Verfügung vom 17. August 2021 hat die Präsidentin des Bundesgerichtshofs als Vorsitzende des Senats für Anwaltssachen dem Kläger die dienstlichen Äußerungen übersandt und ihm die Namen der Senatsmitglieder mitgeteilt, die derzeit zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vom 5. Juli 2021 berufen seien. Darunter befand sich auch Rechtsanwalt Dr. L.. Die Präsidentin hat vorsorglich darauf hingewiesen, dass Rechtsanwalt Dr. L.   auch in der Sitzung am 29. Oktober 2021 als anwaltliches Mitglied des Senats zur Mitwirkung berufen sei. Auf diesen Sitzungstag war die Berufungsverhandlung in der vorliegenden Sache terminiert worden.

Rz. 4

Mit Schriftsatz vom 12. September 2021 hat der Kläger den Rechtsanwalt Dr. L., die Präsidentin am Bundesgerichtshof Li.     und den Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. P.   abgelehnt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Auswahl von Rechtsanwalt Dr. L.   durch die Vorsitzende unverständlich sei, da gegen diesen wegen dessen Mitwirkung an dem Beschluss vom 14. Januar 2019 die gleichen Vorbehalte wie gegen Rechtsanwalt Dr. K.  bestünden und er deswegen abzulehnen sei. Dadurch, dass die Präsidentin Rechtsanwalt Dr. L.   in Kenntnis seiner Vorbefassung als zur Entscheidung berufenen Richter benannt habe, könne auch ihr nicht die notwendige Unvoreingenommenheit unterstellt werden. Indem Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. P.   in seiner dienstlichen Stellungnahme nur auf die Verfahrensakte Bezug genommen und erklärt habe, sich nicht befangen zu fühlen, habe er keine tatsächliche dienstliche Stellungnahme abgegeben. Bei einer solchen komme es auf Tatsachen an, die der Antragsteller nicht kennen könne und die nach Möglichkeit nachvollziehbar für den Antragsteller die Besorgnis der Befangenheit entkräfteten. Bis zur Abgabe einer neuen dienstlichen Stellungnahme müsse der Kläger davon ausgehen, dass Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. P.   vorsätzlich seine dienstliche Stellungnahme verweigere, weswegen er ihn erneut ablehne.

Rz. 5

Die Parteien konnten sich zu den abgegebenen dienstlichen Stellungnahmen äußern.

Rz. 6

Mit Schriftsatz vom 10. September 2021 hatte der Kläger die ordentlichen und (erstrangig) stellvertretenden Mitglieder des Senats und somit auch den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof G.   wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und dies damit begründet, dass der Senat sich selbst vertretenden Anwälten keine Akteneinsicht durch Übersendung der Akten an den Kanzleisitz gewähre. Mit Verfügung vom 11. Oktober 2021 hat der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof G.   den Termin vom 29. Oktober 2021 im Hinblick auf die vom Kläger angebrachten Ablehnungsgesuche aufgehoben. Die Akten sollten sodann dem wissenschaftlichen Mitarbeiter des Senats vorgelegt werden. Mit Schriftsatz vom 23. Februar 2022 hat der Kläger den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof G.   wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Dieser habe mit der Verfügung gegen seine Wartepflicht verstoßen. Anders als bei der Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung handle es sich bei der weiteren Verfügung zur Vorlage der Akte an den wissenschaftlichen Mitarbeiter mit Sicherheit um keine Maßnahme, die zwingend erforderlich sei, um den Fortgang des Verfahrens zu gewährleisten.

Rz. 7

Das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 10. September 2021 ist mit Beschluss vom 28. Februar 2022, dem Kläger zugestellt am 15. März 2022, teilweise als unzulässig verworfen und teilweise als unbegründet zurückgewiesen worden.

II.

Rz. 8

Das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof G.   wird als unzulässig verworfen. Im Übrigen sind die Ablehnungsgesuche als unbegründet zurückzuweisen.

Rz. 9

1. Gesetzlicher Richter für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch sind die im Zeitpunkt der Entscheidung (nicht der Antragstellung) berufenen Richter (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 1998 - 1 StR 588/97, BGHSt 44, 26, 28). Der Senat entscheidet daher in der oben angegebenen Besetzung, wobei Richterin am Bundesgerichtshof Gr.       an die Stelle des abgelehnten Richters Prof. Dr. P.   tritt.

Rz. 10

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof G.   kann an der Entscheidung mitwirken, obwohl er von dem mit Schriftsatz vom 23. Februar 2022 gestellten Ablehnungsgesuch betroffen ist.Eine Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch wegen der Besorgnis der Befangenheit durch den abgelehnten Richter selbst ist mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar, sofern das Ablehnungsgesuch gänzlich untauglich oder rechtsmissbräuchlich ist.Eine völlige Ungeeignetheit des Ablehnungsgesuchs ist anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens selbst entbehrlich ist, weil das Ablehnungsgesuch für sich allein, das heißt ohne jede weitere Aktenkenntnis, offenkundig eine Ablehnung nicht zu begründen vermag (BVerfG, Beschlüsse vom 20. August 2020 - 1 BvR 793/19, juris Rn. 14 und vom 11. März 2013 - 1 BvR 2853/11, juris Rn. 30).

Rz. 11

Dies ist hier der Fall. Die wegen § 47 Abs. 1 ZPO gebotene Aufhebung eines Termins (vgl. Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 18. Aufl., § 47 Rn. 4 mwN) reicht offensichtlich nicht aus, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Dies gilt auch für die Verfügung, dass die Akten sodann dem wissenschaftlichen Mitarbeiter vorzulegen sind. Die reine Aktenverwaltung durch den abgelehnten Richter ist unschädlich (vgl. MünchKommZPO/Stackmann, 6. Aufl., § 47 Rn. 5 mwN). Wenn der abgelehnte Richter - wie in der Regel - nicht selbst an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch mitwirkt, ist es auch erforderlich, dass er verfügt, an wen die Akten vorgelegt werden sollen.

Rz. 12

Da das Ablehnungsgesuch vom 10. September 2021 zurückgewiesen worden ist, steht zudem fest, dass die Verfügung vom 11. Oktober 2021 durch den verfassungsmäßig garantierten Richter getroffen worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2004 - II ZB 41/03, WM 2005, 77, 78; BFH, Beschluss vom 14. August 2007 - XI S 13/07 (PKH), juris Rn. 23).

Rz. 13

Das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof G.   ist daher als unzulässig zu verwerfen.

Rz. 14

2. Über die übrigen Ablehnungsgesuche kann in einem Beschluss entschieden werden. Für zugleich gegen mehrere Richter angebrachte Ablehnungsgesuche ist eine einheitliche Entscheidung sachgerecht und daher veranlasst, wenn die Ablehnungsgründe zueinander in Verbindung stehen (vgl. BVerfG, NJW 2004, 2514, 2515). Ebenso kann über mehrere gegen einen Richter vorgebrachte, noch nicht erledigte Ablehnungsgesuche gleichzeitig entschieden werden (vgl. BVerfG, aaO). Hier decken sich die Ablehnungsgründe insoweit, als sie alle direkt oder indirekt damit zu tun haben, dass einige Mitglieder des Senats bereits am Beschluss vom 14. Januar 2019 beteiligt gewesen sind. Es ist insoweit von gleichzeitig angebrachten Ablehnungsgesuchen auszugehen, als sich der Kläger im Schriftsatz vom 12. September 2021 ergänzend auch zu dem mit Schriftsatz vom 5. Juli 2021 angebrachten Ablehnungsgesuch zu Rechtsanwalt Dr. K.  geäußert und insoweit Ausführungen zum Rechtsschutzbedürfnis gemacht hat.

Rz. 15

Soweit für den Fall, dass ein erkennender Richter abgelehnt wird und danach der geschäftsplanmäßige Vertreter, der zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen den erkennenden Richter berufen wäre, in der Regel über das zuletzt gestellte Ablehnungsgesuch vorab zu entscheiden ist (vgl. BFH, Beschluss vom 13. November 2008 - XI B 20/08, juris Rn. 15 mwN), führt dies nicht dazu, dass hier zunächst über das Ablehnungsgesuch gegen Rechtsanwalt Dr. L.   zu entscheiden wäre. Denn zum einen ist dieser sowohl als erkennender Richter als auch als geschäftsplanmäßiger Vertreter von Rechtsanwalt Dr. K.  (jeweils zum damaligen Zeitpunkt) abgelehnt worden. Zum anderen liegt der Grund für eine gestaffelte Entscheidung darin, dass der geschäftsplanmäßige Vertreter in dem Fall, dass das Ablehnungsgesuch gegen ihn für unbegründet erklärt worden ist, wieder Bestandteil der Spruchgruppe sein kann, die über das Ablehnungsgesuch gegen den erkennenden Richter zu entscheiden hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 337 f.). Dies ist vorliegend jedoch ausgeschlossen, weil sich die Besetzung geändert hat und Rechtsanwalt Dr. L.    nicht mehr zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen Rechtsanwalt Dr. K.  berufen ist.

Rz. 16

3. Nach der Geschäftsverteilung des Senats sind die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Li.     und Rechtsanwalt Dr. L.   derzeit nicht zur Entscheidung über die Berufung zuständig. Das Rechtsschutzbedürfnis für die vom Kläger angebrachten Ablehnungsgesuche besteht insoweit ausnahmsweise fort, da aufgrund der Zuständigkeitsregelungen eine Mitwirkung an Entscheidungen im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden kann.

Rz. 17

4. Die mit Schriftsatz des Klägers vom 5. Juli 2021 und vom 12. September 2021 abgelehnten Richter Prof. Dr. P., Rechtsanwalt Dr. K.  und Rechtsanwalt Dr. L.    sind wegen ihrer Mitwirkung am Beschluss vom 14. Januar 2019 (AnwZ (Brfg) 59/17, juris) weder ausgeschlossen noch befangen.

Rz. 18

a) Gemäß § 112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 1 VwGO, § 41 Nr. 6 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt. Diese Vorschrift will verhindern, dass ein Richter im Rechtsmittelzug seine eigene, in einer unteren Instanz getroffene Entscheidung überprüft (st. Rspr.; vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. August 2004 - 8 B 58/04, juris Rn. 4 mwN; BFH, Beschlüsse vom 31. Januar 2001 - II R 49/00, juris Rn. 9 mwN und vom 8. Oktober 2012 - I B 22/12, juris Rn. 14; vgl. auch BVerfG, NJW 1989, 25). Nicht von der Regelung erfasst ist hingegen die erneute Mitwirkung in derselben Instanz und sei es auch nach Zurückverweisung durch das Rechtsmittelgericht (BVerwG, Beschluss vom 13. August 2004, aaO; BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - IX ZB 65/13, NJW-RR 2015, 444 Rn. 8 mwN; BSG, Beschlüsse vom 20. Oktober 1998 - B 9 SB 58/98 B, juris Rn. 4 und vom 30. November 2006 - B 9a SB 14/06 B, juris Rn. 7). Wie sich aus § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO (der gemäß § 173 Satz 1 VwGO, § 155 Satz 1 FGO, § 202 Satz 1 SGG, § 72 Abs. 5 ArbGG in den jeweiligen Gerichtsbarkeiten gilt) ergibt, entscheidet nach Zurückverweisung der Sache ein anderer Spruchkörper nur, wenn das Rechtsmittelgericht eine diesbezügliche besondere Anordnung trifft. Dies zeigt, dass das geltende Verfahrensrecht von dem Gedanken geprägt ist, dass ein Richter grundsätzlich auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn er sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet hat (BVerfG, NJW 2001, 3533). Dies gilt auch für die hier einschlägige Norm zur Zurückverweisung im Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat die Sache gemäß § 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen. Auch § 95 Abs. 2 BVerfGG lässt nur in Ausnahmefällen die Zurückverweisung an einen anderen Spruchkörper oder sogar an ein anderes Gericht zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. November 2005 - 1 BvR 1542/05, juris Rn. 16). Das Bundesverfassungsgericht hat einen solchen Ausnahmefall vorliegend nicht angenommen. Dass die Aufhebung und Zurückverweisung nicht durch ein Rechtsmittelgericht, sondern durch das Bundesverfassungsgericht erfolgt ist, führt daher entgegen der Ansicht des Klägers nicht zur Anwendbarkeit von § 41 Nr. 6 ZPO.

Rz. 19

b) Auch der Ablehnungsgrund nach § 112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 1 VwGO, § 42 Abs. 2 ZPO ist nicht gegeben. Demnach findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich, da die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern bezwecken, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (BGH, Beschluss vom 6. Juli 2021 - II ZR 97/21, NJW-RR 2021, 1360 Rn. 14). Maßgeblich ist, ob aus der Sicht einer Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Dabei kommen nur objektive Gründe in Betracht, die aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit des Richters aufkommen lassen (BGH, Beschluss vom 6. Juli 2021 - II ZR 97/21, aaO Rn. 15).

Rz. 20

Allein der Umstand, dass es einem Richter bei einer Zweitbefassung mit einem Sachverhalt zugemutet wird, sich von dessen früherer rechtlichen Beurteilung zu lösen und den Fall neu zu durchdenken, reicht hierfür nicht aus (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - IX ZB 65/13, NJW-RR 2015, 444 Rn. 12). Denn dies würde über den Umweg des § 42 Abs. 2 ZPO zu einer erweiternden Auslegung von § 41 Nr. 6 ZPO führen, die durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht geboten ist (vgl. BVerfG, NJW 2001, 3533; BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014, aaO Rn. 10). Besondere Umstände des Einzelfalls, die hier dennoch die Besorgnis der Befangenheit begründen könnten, hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht.

Rz. 21

5. Die mit Schriftsatz vom 12. September 2021 abgelehnte Präsidentin des Bundesgerichtshofs Li.     ist nicht befangen. Bei vernünftiger Würdigung aller Umstände diente die Besetzungsmitteilung dazu, es den Beteiligten zu ermöglichen, etwaige Ablehnungsgründe gegen die Richter vorzubringen, die nach dem Geschäftsverteilungsplan gegen das Ablehnungsgesuch zu entscheiden haben. Die bloße Möglichkeit, dass auch Rechtsanwalt Dr. L.   wegen Vorbefassung abgelehnt wird, führte noch nicht zu dessen Unzuständigkeit. Er war daher den Beteiligten gegenüber als zur Entscheidung berufener Richter zu benennen. Ein nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständiger Richter muss seine Aufgabe als gesetzlicher Richter wahrnehmen, es sei denn, er ist durch Krankheit, Urlaub oder einen anderen, dienstlichen Grund verhindert oder kraft Gesetzes, auf Grund einer Selbstablehnung oder infolge eines Ablehnungsgesuchs von der weiteren Ausübung des Richteramts in der betreffenden Sache ausgeschlossen. Die bloße Ablehnungsmöglichkeit führt noch zu keiner unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (BFH, Beschluss vom 20. November 2002 - I B 99/02, juris Rn. 13). Ein Ausschluss kraft Gesetzes lag - wie unter II 4 a ausgeführt - nicht vor.

Rz. 22

6. Die dienstliche Äußerung des Richters am Bundesgerichtshof Prof. Dr. P.   begründet keine Besorgnis der Befangenheit.

Rz. 23

Nach § 44 Abs. 3 ZPO hat sich der abgelehnte Richter über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern. Wie sich aus § 44 Abs. 2 ZPO ergibt, hat sich diese dienstliche Äußerung auf die Tatsachen zu beziehen, die der Antragsteller zur Begründung seines Ablehnungsgesuchs vorgetragen hat (BGH, Beschluss vom 28. März 2017 - RiZ (R) 1/15, juris Rn. 17). Stellen diese jedoch aktenkundige Vorgänge dar, ist eine dienstliche Erklärung sogar entbehrlich, weil sie unter diesen Umständen zur Sachaufklärung nichts beitragen kann (Senat, Beschluss vom 20. September 2016 - AnwZ (Brfg) 61/15, NJW-RR 2017, 189 Rn. 14; Beschluss vom 2. November 2016 - AnwZ (B) 2/16, juris Rn. 17;BGH, Beschluss vom 27. Dezember 2011 - V ZB 175/11, MDR 2012, 363 Rn. 2; BVerwG, Beschluss vom 29. November 2018 - 9 B 26/18, juris Rn. 8 mwN; BFH, Beschluss vom 27. März 1997 - XI B 190/96, juris Rn. 23). Der Umstand, dass sich Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. P.   in seiner dienstlichen Äußerung auf einen Verweis auf die Verfahrensakte beschränkt und dies mit der Erklärung verbunden hat, er fühle sich nicht befangen, begründet vor diesem Hintergrund keine Besorgnis der Befangenheit.

Grupp     

Grüneberg     

Ettl   

Schmittmann     

Niggemeyer-Müller     

 

Fundstellen

FA 2022, 172

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