Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverzügliche Mitteilung der Schwangerschaft

 

Leitsatz (amtlich)

1.Bei der Prüfung, ob eine Mitteilung der Schwangerschaft bei unverschuldeter Versäumung der Frist des § 9 Abs 1 MuSchG unverzüglich nachgeholt worden ist, kann weder auf eine Mindestfrist (in der die Verzögerung der Mitteilung regelmäßig als unverschuldet anzusehen ist) noch auf eine Höchstfrist (nach deren Ablauf stets von einem schuldhaften Zögern auszugehen ist) abgestellt werden. Entscheidend sind vielmehr stets die besonderen Umstände des konkreten Falles.

2.Auch die Unkenntnis der Schwangeren vom Beginn der Schwangerschaft ist an sich geeignet, eine schuldhafte Verzögerung der nachgeholten Mitteilung der Schwangerschaft auszuschließen.

 

Normenkette

MuSchG § 9; ZPO § 81

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 01.10.1987; Aktenzeichen 6 Sa 13/87)

ArbG Pforzheim (Entscheidung vom 30.01.1987; Aktenzeichen 2 Ca 482/86)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten.

Die am 3. November 1965 geborene Klägerin war seit dem 1. August 1982 zunächst als Auszubildende, nach ihrer Gesellenprüfung als Friseuse mit einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt 1.500,– DM in dem Friseurgeschäft der Beklagten tätig. Neben der Klägerin beschäftigte die Beklagte zwei weitere Arbeitnehmerinnen und vier Auszubildende.

Am 16. Oktober 1986 trat die Klägerin ihren Urlaub an, um am 18. Oktober zu heiraten und sodann – bis zum 7. November 1986 – ihre Hochzeitsreise zu unternehmen. Mit Schreiben vom 16. Oktober 1986, das der Klägerin am 8. November 1986 zuging, kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 10. November 1986. Hiergegen hat die Klägerin am 13. November 1986 Klage erhoben, wobei sie zunächst den von der Beklagten behaupteten Arbeitsrückgang bestritt.

Bei einer gynäkologischen Untersuchung am 1. Dezember 1986 stellte der im Kündigungsschutzverfahren als Zeuge gehörte Dr. W eine Schwangerschaft der Klägerin fest. Aufgrund einer weiteren, am 9. Dezember 1986 mit Ultraschall vorgenommenen Untersuchung erteilte er der Klägerin am 10. Dezember ein Schwangerschaftsattest, wonach von dem 4. November 1986 als Empfängnistermin auszugehen sei. Dieses Attest legte die Klägerin im Gütetermin am 12. Dezember 1986 vor. Dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten wurde eine Kopie ausgehändigt.

Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe bei der ersten Untersuchung am 1. Dezember 1986 nur von einem Schwangerschaftsverdacht erfahren. Sie habe den untersuchenden Arzt dahin verstanden, es seien noch weitere Untersuchungen erforderlich, um eine Schwangerschaft mit Sicherheit feststellen zu können. Die Gewißheit von der Schwangerschaft habe sie erst durch das Attest vom 10. Dezember 1986 erlangt. Die Mitteilung im Termin vom 12. Dezember 1986 sei daher rechtzeitig erfolgt.

Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 16. Oktober 1986 nicht aufgelöst worden sei und weiterhin fortbestehe.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und behauptet, die Klägerin habe bereits am 1. Dezember 1986 von dem behandelnden Arzt erfahren, daß sie schwanger sei.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.

Das Berufungsgericht hat nach Beweiserhebung über die Frage, welche Kenntnisse die Klägerin in Bezug auf ihre Schwangerschaft anläßlich der ärztlichen Untersuchung am 1. Dezember 1986 erlangt habe, die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter. Die Klägerin hat Zurückweisung der Revision beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

I.

Das Berufungsgericht hat angenommen, die Kündigung sei nach § 9 Abs. 1 MuSchG unwirksam. Die Klägerin habe die Beklagte zwar von der im Zeitpunkt der Kündigung bestehenden Schwangerschaft nicht innerhalb der dafür vorgesehenen 14-Tages-Frist unterrichtet. Diese ohne Verschulden der Klägerin unterbliebene Unterrichtung sei jedoch unverzüglich nachgeholt worden. Die Klägerin habe innerhalb der gesetzlichen Mitteilungsfrist weder positive Kenntnis von ihrer Schwangerschaft gehabt noch hätten (vor dem 1. Dezember 1986) zwingende Anhaltspunkte, die sie schuldhaft übersehen habe, darauf hingedeutet. Durch die Vorlage des Attestes habe die Beklagte am 12. Dezember 1986 von der Schwangerschaft erfahren. Dafür habe zwar die Mitteilung an ihren Prozeßbevollmächtigten nicht genügt, weil dieser nicht als Vertreter oder Bote zur Entgegennahme solcher Mitteilungen bevollmächtigt gewesen sei. Er sei jedoch Bote der Klägerin, so daß die Mitteilung mit Weiterleitung der Information an die Beklagte erfolgt sei.

Die Klägerin habe zwar nicht bewiesen, erst am 10. Dezember 1986 gesicherte Kenntnisse von ihrer Schwangerschaft erlangt zu haben. Ihr sei aber der Beginn der Schwangerschaft zunächst noch unbekannt gewesen, so daß sie auch nicht habe wissen können, ob ihre Schwangerschaft den besonderen Kündigungsschutz des MuSchG auslöse. Da die Arbeitnehmerin grundsätzlich nur solche Schwangerschaften anzeigen müsse, die diese Rechtsfolge auslösten, sei sie berechtigt gewesen, die Festlegung des Tages des Beginns der Schwangerschaft abzuwarten. Dies sei erst durch das Attest vom 10. Dezember 1986 geschehen. Deshalb sei die Mitteilung am 12. Dezember 1986 noch unverzüglich erfolgt.

II.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung stand.

1. Das Berufungsgericht ist zu Recht von einer Schwangerschaft der Klägerin bei Zugang der Kündigung am 8. November 1986 ausgegangen. Es hat zwar den für die Berechnung notwendigen prognostizierten Tag der Niederkunft nicht festgestellt (vgl. dazu Senatsurteile vom 27. Oktober 1983 - 2 AZR 566/82 - AP Nr. 14 zu § 9 MuSchG 1968, zu A II 2 der Gründe und vom 12. Dezember 1985 - 2 AZR 82/85 - AP Nr. 15 zu § 9 MuSchG 1968, zu II 2 der Gründe). Dies ist jedoch ausweislich des in der Verhandlung des Arbeitsgerichts vom 29. Januar 1987 vorgelegten Mutterpasses der 28. Juli 1987 gewesen, so daß bei Anwendung der zutreffenden Berechnungsmethode vom 22. Oktober 1986 als Beginn der Schwangerschaft auszugehen ist.

2. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, trotz der Versäumung der 14-tägigen Mitteilungsfrist des § 9 Abs. 1 MuSchG habe die Klägerin nicht den besonderen Kündigungsschutz des § 9 Abs. 1 MuschG verloren.

a) Das Mutterschutzgesetz vom 24. Januar 1952 (BGBl. I, S. 69) sah für die Anzeige der Schwangerschaft nach Ausspruch einer Kündigung erstmals eine bestimmte Frist vor. Sie betrug zunächst eine Woche und wurde mit Änderungsgesetz vom 24. August 1965 (BGBl. I, S. 912) auf zwei Wochen verlängert. Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst die Ansicht vertreten, es handele sich um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist, deren Versäumung unabhängig vom Verschulden oder der Erkenntnis der Arbeitnehmerin zum Verlust des besonderen Kündigungsschutzes führe (Senatsurteil vom 19. Dezember 1968 - 2 AZR 89/68 - AP Nr. 29 zu § 9 MuSchG).

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluß vom 13. November 1979 (BVerfGE 52, 357, 366 ff.; bestätigt durch Beschluß vom 22. Oktober 1980, BVerfGE 55, 154 = AP Nr. 7 und 8 zu § 9 MuSchG 1968) § 9 Abs. 1 MuSchG mit Art. 6 Abs. 4 GG insoweit für unvereinbar erklärt, als er Schwangere von dem besonderen Kündigungsschutz ausschließe, die die Zwei-Wochen-Frist unverschuldet versäumt und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt haben. Das Bundesarbeitsgericht bezieht solche Arbeitnehmerinnen seither im Wege ergänzender Rechtsanwendung in den Schutzbereich des § 9 MuSchG ein (Urteil vom 13. Januar 1982 - 7 AZR 764/79 - AP Nr. 9 zu § 9 MuSchG 1968; BAGE 43, 331, 335 = AP Nr. 12 zu § 9 MuSchG 1968, zu II der Gründe; Urteil vom 27. Oktober 1983 - 2 AZR 214/82 - AP Nr. 13 zu § 9 MuSchG 1968, zu III 1 der Gründe; ebenso: KR-Becker, 2. Aufl., § 9 MuSchG Rz 56 b; Heußner, NJW 1982, 257, 262).

b) Rechtsfehlerfrei führt das angegriffene Urteil aus, die Klägerin habe die Mitteilungsfrist des § 9 Abs. 1 MuSchG ohne ihr Verschulden versäumt. Nach der Auffassung des Senats (BAGE 43, 331, 337 = AP, aa0; Urteil vom 27. Oktober 1983 - 2 AZR 214/82 - AP, aa0, zu III 2 a der Gründe; Urteil vom 31. Oktober 1985 - 2 AZR 578/84 -, zu II 2 a der Gründe, n.v.) ist die Mitteilung der Schwangerschaft keine echte Rechtspflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, sondern eine im eigenen Interesse bestehende Obliegenheit (ebenso: Heilmann, Komm. zum MuSchG, 1984, § 9 Rz 49; Waskow, Anm. zu AP Nr. 12 zu § 9 MuSchG 1968). Sie ist nur bei groben Verstößen gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse billigerweise zu erwartende Verhalten verletzt. Die Arbeitnehmerin muß entweder von der Schwangerschaft positiv wissen oder zwingende Anhaltspunkte dafür ignorieren (ebenso Gamillscheg, Arbeitsrecht I, 7. Aufl., Nr. 176; während Wenzel, BB 1981, 674, 677, Heilmann, aa0, Rz 70, Fenn, SAE 1985, 24, 25 f., KR-Becker, aa0, Rz 57 b, den Verschuldensmaßstab des § 233 ZPO entsprechend anwenden wollen; ähnlich Gröninger/Thomas, MuSchG, Stand 1988, § 9 Anm. 5 c).

3. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Feststellung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe bereits am 1. Dezember 1986 sichere Kenntnis von ihrer Schwangerschaft erlangt. Die Revision rügt insoweit ohne Erfolg, ein auf dieses Thema bezogener Beweisantritt der Beklagten sei übergangen worden. Das Berufungsgericht hat die Klägerin zu Recht als beweispflichtig für den Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der Schwangerschaft – als Merkmal der unverzüglichen Nachholung – angesehen (BAG Urteil vom 13. Januar 1982, aaO, zu III 2 der Gründe; BAGE 43, 331, 335 = AP, aa0; KR-Becker, aaO, Rz 58; Eich, DB 1981, 1233, 1237; Baumgärtel, Anm. zu AP Nr. 9 zu § 9 MuSchG 1968; Bulla/Buchner, MuSchG, 5. Aufl., § 9 Rz 110; Zmarzlik/Zipperer/ Viethen, MuSchG, 5. Aufl., § 9 Rz 9 e; Heilmann, aaO, Rz 72; Gröninger/Thomas, aaO, Anm. 5 c, a.E.) und es hat angenommen, die Klägerin habe den Beweis für eine spätere Kenntnis nicht erbracht. Demgemäß bedurfte es der von der Beklagten beantragten Beweiserhebung nicht.

4. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis auch zutreffend angenommen, die Klägerin habe angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles die Mitteilung ihrer Schwangerschaft unverzüglich nachgeholt, wenn ihr am 1. Dezember 1986 erstmals die Tatsache der Schwangerschaft und am 10. Dezember 1986 deren Beginn bekannt geworden sei.

Das angegriffene Urteil geht hinsichtlich des Begriffs der Unverzüglichkeit zutreffend von der Legaldefinition des § 121 BGB aus (ebenso BAG Urteil vom 13. Januar 1982, aa0, zu III 2 der Gründe; LAG Berlin, NZA 1984, 260; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, aa0, Rz 9 d; Fenn, aa0, S. 26; Wenzel, aa0, S. 677), wobei nach überwiegender Ansicht in der Literatur (Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 121 Rz 7; MünchKomm-Cramer, BGB, 2. Aufl., § 121 Rz 7; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 121 Rz 4; Palandt/Heinrichs, BGB, 47. Aufl., § 121 Anm. 2 b) für die Irrtumsanfechtung nicht von einer festen Frist auszugehen ist. Der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 32, 237 = AP Nr. 4 zu § 119 BGB) hat für den speziellen Fall der Anfechtung eines Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber gemäß § 119 Abs. 2 BGB unter Berücksichtigung des Regelungsgehaltes von § 626 Abs. 2 BGB angenommen, die Anfechtung sei nicht mehr unverzüglich, wenn sie nicht spätestens innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Kenntnis der für die Anfechtung maßgebenden Tatsachen erfolge.

KR-Becker (aaO, Rz 57 a), das LAG Berlin (DB 1982, 440, 441) und wohl auch Herschel (Anm. zu AP Nr. 13 zu § 9 MuSchG 1986) gehen von einer Höchstgrenze von einer Woche aus, Buchner (FamRZ 1984, 1009, 1010) von acht Tagen und Heilmann (aaO, Rz 68) hält neun Tage jedenfalls für zu lang.

Gröninger/Thomas (aaO, Anm. 5 c) und das LAG Berlin (NZA 1984, 260, 261) meinen, der Arbeitnehmerin stünden im Höchstfall 14 Tage zur Verfügung. Dem hat sich Fenn (SAE 1985, 24, 26) mit Bedenken angeschlossen.

Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 27. Oktober 1983 (2 AZR 214/82 = AP, aa0) eine nach 16 Tagen zugegangene Anzeige als verspätet angesehen.

Die von ihnen genannten Zeiträume sehen Herschel, Buchner und die Befürworter der 14-Tages-Frist (jeweils aaO) gleichzeitig als regelmäßig zur Verfügung stehende Mindestfrist an. Der Senat hat in seinem Urteil vom 6. Oktober 1983 (BAGE 43, 331, 339 = AP, aa0) den Zeitraum von einer Woche als jedenfalls nicht zu lang bezeichnet.

5. Unter Zugrundelegung der nach § 31 BVerfGG die Gerichte bindenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 13. November 1979 und 22. Oktober 1980 (aa0) läßt der Begriff des „unverzüglichen Nachholens” der Anzeige nach Auffassung des Senats weder die Festlegung einer Mindest- noch die einer Höchstfrist zu. In Widerstreit zwischen den Prinzipien der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, die in Einzelfällen zu Härten führen können, einerseits und der Einzelfallgerechtigkeit andererseits führt die Festlegung auf den Begriff der Unverzüglichkeit im Zusammenhang mit der Nachmeldung zum Vorrang der Einzelfallgerechtigkeit. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht in den zitierten Beschlüsse so gesehen, denn es hat dort ausgeführt, durch die Möglichkeit der unverzüglichen Nachmeldung bei zuvor schuldloser Versäumung der Frist werde die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit beeinträchtigt. Es hat jedoch angenommen, die Zulassung unverschuldet verspäteter und unverzüglich nachgeholter Mitteilungen über die Schwangerschaft beeinträchtige, auch wegen der in der Praxis kaum häufig anzutreffenden Fallkonstellationen, die Rechtssicherheit nur verhältnismäßig gering. Dieser geringe Verlust an Rechtssicherheit könne den durch Artikel 6 GG gebotenen Kündigungsschutz einer Schwangeren nicht verdrängen. Das Bundesverfassungsgericht hat bei Abwägung der widerstreitenden Prinzipien zugunsten der Einzelfallgerechtigkeit auch auf die Möglichkeit der Zulassung verspäteter Klagen nach § 5 KSchG hingewiesen. Nach dessen Abs. 3 ist der Zulassungsantrag nur innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses zulässig, nach Ablauf von sechs Monaten vom Ende der versäumten Frist an gerechnet kann er nicht mehr nachgeholt werden. Aus dem Umstand, daß das Bundesverfassungsgericht im Falle des § 9 MuSchG ausdrücklich die „unverzügliche” Nachholung für ausreichend erachtet, läßt sich folgern, daß es im Gegensatz zu § 5 KSchG eine starre Fristenfestlegung nicht für angezeigt erachtete. Es ist daher nach Auffassung des Senats jeweils unter Auswertung der besonderen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, ob die Nachmeldung nach Kenntniserlangung ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB) erfolgt ist.

6. Das Landesarbeitsgericht hat diese Rechtsgrundsätze beachtet und das Vorgehen der Klägerin zu Recht als unverzüglich erachtet.

Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, die Klägerin habe erst nach dem 10. Dezember 1986, dem Tag der Kenntnis vom Beginn der Schwangerschaft, tätig werden müssen.

a) Die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge der Revision, das Berufungsgericht habe auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt nicht hingewiesen und daher die § 278 Abs. 3 sowie § 139 ZPO verletzt, ist unzulässig. Sowohl die Aufklärungsrüge als auch die Rüge der Verletzung der Hinweispflicht müssen Angaben darüber enthalten, wie die betroffene Partei auf die Frage des Gerichts bzw. den rechtlichen Hinweis reagiert hätte (BAG Urteil vom 23. Februar 1962 - 1 AZR 49/61 - AP Nr. 8 zu § 322 ZPO; Zöller/Schneider, ZP0, 15. Aufl., § 554 Rz 14; Grunsky, ArbGG, 5. Aufl., § 74 Rz 9). Diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung nicht.

b) Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, auch Zweifel über den Beginn einer Schwangerschaft könnten geeignet sein, Verzögerungen der Mitteilung gemäß § 9 Abs. 1 MuSchG zu rechtfertigen, wenn sie wiederum zur Ungewißheit darüber führen, ob die Schwangerschaft im konkreten Fall den besonderen Kündigungsschutz auslöst. Nach der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 13. Januar 1982, aa0; BAGE 43, 331, 338 = AP, aa0; Urteil vom 27. Oktober 1983 - 2 AZR 214/82 - AP, aa0) und der ganz herrschenden Meinung (Bulla/Buchner, aa0, Rz 105; Gröninger/Thomas, aa0, Anm. 5 c; Wenzel, aa0, S. 676) handelt eine Arbeitnehmerin nicht verzögerlich, wenn sie eine bloße Schwangerschaftsvermutung nicht mitteilt. Da die Anzeigeobliegenheit nur für Schwangerschaften besteht, die den Kündigungsschutz des § 9 MuSchG auslösen, muß entsprechendes gelten, wenn eben hierüber Unsicherheit besteht.

c) Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen auch die Anwendung dieses Rechtssatzes auf den vorliegenden Fall.

Die Klägerin verstieß nicht gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse billigenderweise zu erwartende Verhalten, als sie mit der Mitteilung bis zur Untersuchung betreffend dem Beginn der Schwangerschaft abwartete. Selbst wenn der Klägerin am 1. Dezember 1986 die Tatsache der Schwangerschaft als solche bekanntgewesen sein sollte, wovon das LAG ausgegangen ist, hätte eine „sofortige” Mitteilung an die Beklagte dieser keine Einstellung auf die noch unklare Situation ermöglicht, denn ohne Kenntnis des Beginns der Schwangerschaft stand deren Relevanz im kündigungsrechtlichen Sinn nicht fest. Da die Beklagte den Beginn der Schwangerschaft erst nach der entsprechenden Untersuchung am 10. Dezember 1986 durch das Schwangerschaftsattest erfuhr, handelte sie ohne schuldhaftes Zögern, als sie hiervon im zwei Tage später anstehenden Verhandlungstermin vor dem Arbeitsgericht der Beklagten über deren Prozeßbevollmächtigten Mitteilung machte.

7. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis richtig angenommen, die Beklagte sei von der Schwangerschaft der Klägerin am 12. Dezember 1986 informiert worden. Die Tatsache der Unterrichtung der Beklagten ergibt sich ungeachtet der von der Revision in diesem Zusammenhang beanstandeten Feststellung bereits aus der zwischen den Parteien unstreitigen Mitteilung an den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten im Gütetermin vom 12. Dezember 1986. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts erfolgte die Übermittlung jedoch nicht durch einen Boten der Klägerin, sondern durch Mitteilung an einen hierfür Bevollmächtigten der Beklagten.

Es besteht Einigkeit, daß die Schwangerschaft nicht notwendigerweise dem Arbeitgeber persönlich mitzuteilen ist. Es genügt die Bekanntgabe gegenüber einer zur Entgegennahme autorisierten Person (Gröninger/Thomas, aa0, Anm. 5 b; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, aa0, Rz 5; Bulla/Buchner, aa0, Rz 87).

Die Prozeßvollmacht (§ 81 ZPO) beinhaltet auch die Befugnis zur Entgegennahme rechtsgeschäftlicher empfangsbedürftiger Willenserklärungen materiell-rechtlichen Inhalts, soweit sie sich auf den Gegenstand des Rechtsstreits beziehen (BAG Urteil vom 10. August 1977 - 5 AZR 394/76 - AP Nr. 2 zu § 81 ZPO, zu I 1 a der Gründe; Zöller/Vollkommer, aa0, § 81 Rz 10). Die Mitteilung im Sinne von § 9 Abs. 1 MuSchG ist eine geschäftsähnliche Handlung, auf die die Vorschriften über Willenserklärungen entsprechend anwendbar sind (KR-Becker, aa0, Rz 47; Bulla/ Buchner, aa0, Rz 82; Heilmann, aa0, Rz 49; Sbresny-Übach, ARBlattei D „Mutterschutz”, G I 1 b cc). Dies gilt auch für die nachträgliche Mitteilung (KR-Becker, aa0, Rz 57). Sie bezieht sich auch auf die streitgegenständliche Kündigung, da sie deren Wirksamkeit unmittelbar berührt. Die Beklagte muß sich daher die Information ihres Prozeßbevollmächtigten anrechnen lassen.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Triebfürst, Ascheid, Dr. Müller, Dr. Bobke

 

Fundstellen

Haufe-Index 60160

BB 1988, 1963-1964 (LT1-2)

DB 1988, 2107-2108 (LT1-2)

NJW 1988, 2970

NJW 1988, 2970 (L1-2)

AiB 1988, 347-348 (LT1-2)

BetrR 1988, Nr 8, 17-19 (LT1-2)

ARST 1988, 191-192 (LT1-2)

ASP 1988, 371 (K)

EEK, III/087 (ST1-4)

NZA 1988, 799-801 (LT1-2)

RdA 1988, 320

SAE 1989, 122-124 (LT1-2)

SKrV 1989, Nr 3, 39 (K)

USK, 8846 (ST)

WzS 1989, 94 (K)

AP, (LT1-2)

AR-Blattei, ES 1220 Nr 89 (LT1-2)

AR-Blattei, Mutterschutz Entsch 89 (LT1-2)

Arbeitgeber 1989, 476-476 (ST1-2)

EzA, (LT1-2)

EzBAT, Mutterschutz Nr 13 (LT1-2)

SVFAng Nr 53, 21 (1989) (K)

VR 1989, 423-424 (K)

ZfSH/SGB 1989, 28-30 (KT)

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