Rechenmodell zum Kündigungsschutz bei Schwangerschaft

Einer schwangeren Arbeitnehmerin darf nicht gekündigt werden. Stellt sie die Schwangerschaft erst nach der Kündigung fest, muss der Schwangerschaftsbeginn errechnet werden. Das Bundesarbeitsgericht hat der Berechnungsmethode des LAG Baden-Württemberg eine Absage erteilt.

Der Zeitpunkt für den Beginn des Kündigungsverbots während einer Schwangerschaft ist im Mutterschutzgesetz (MuSchG) nicht näher definiert. War bei der Kündigung noch nicht klar, dass die Mitarbeiterin schwanger ist, muss ein Rechenmodell herhalten, um den wahrscheinlichen Schwangerschaftsbeginn zu bestimmen.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass dafür vom voraussichtlichen Entbindungstermin 280 Tage zurückzurechnen ist. In einem aktuellen Urteil hat es deutlich gemacht: Es gibt keinen Grund von dieser Berechnungsmethode abzuweichen. Die Schwangerschaftsberechnung des LAG Baden-Württemberg hielt das BAG für falsch. 

Der Fall: Schwangere Arbeitnehmerin wehrt sich gegen Kündigung

Im konkreten Fall kündigte der Arbeitgeber einer Mitarbeiterin fristgerecht innerhalb der Probezeit zum 23. November 2020. Die Beschäftigte klagte gegen ihre Kündigung. Im Dezember reichte ihr Anwalt eine Schwangerschaftsbestätigung nach. Diese stammte von der Frauenärztin der Arbeitnehmerin, die am 26. November 2020 bestätigte, dass diese sich in der sechsten Schwangerschaftswoche befinde. Im Januar wurde eine ärztliche Bescheinigung über den voraussichtlichen Geburtstermin am 5. August 2021 nachgereicht.

Sonderkündigungsschutz: Schwanger zum Zeitpunkt der Kündigung?

Die gekündigte Arbeitnehmerin machte geltend, dass die Kündigung wegen des Kündigungsverbots während einer Schwangerschaft gemäß § 17 Abs. 1 Nr.1 MuSchG unwirksam sei. Zum Zeitpunkt der Kündigung sei sie bereits schwanger gewesen, wovon sie noch nichts gewusst habe. Direkt als sie davon erfuhr, habe sie dem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft mitgeteilt. Der Arbeitgeber war der Auffassung, dass sie zum Zeitpunkt der Kündigung nicht schwanger war. Jedenfalls sei die Mitteilung an den Arbeitgeber zu spät erfolgt.

LAG: Zum Zeitpunkt der Kündigung keine Schwangerschaft

Das LAG Baden-Württemberg erklärte die Kündigung für wirksam. Einen Verstoß wegen § 17 Abs. 1, Nr. 1 MuSchG erkannte es nicht. Das Gericht rechnete dafür 266 Tage vom voraussichtlichen Entbindungstermin zurück und errechnete als Schwangerschaftsbeginn den 12. November 2020. Dies war vier Tage nach Zugang der Kündigung. Zum Zeitpunkt der Kündigung war die Arbeitnehmerin somit noch nicht schwanger.

Rückrechnung zum Schwangerschaftsbeginn nur 266 Tage

Das LAG Baden-Württemberg folgte damit nicht der ständigen BAG-Rechtsprechung in Bezug auf die Berechnung einer Schwangerschaft. Bei der Berechnung des Schwangerschaftsbeginns dürfe laut LAG nur 266 Tage vom Entbindungstermin zurückgerechnet werden. Das Gericht begründete das damit, dass der durchschnittliche Zeitpunkt des Eisprungs beim 12. bis 13. Zyklustag liegt.

Das Rechenmodell des BAG, wonach vom ärztlich berechneten voraussichtlichen Entbindungstermin 280 Tage zurückzurechnen ist, überdehne den Schutzzeitraum des § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG. Die Norm solle nur tatsächlich Schwangere schützen. Die 280 Tage beziehen zum Schutz der Arbeitnehmerinnen aber auch unwahrscheinliche Schwangerschaften ein.

BAG: 280 Tage Rückrechnung bis zum Schwangerschaftsbeginn

Das BAG kassierte das LAG-Urteil und verwies es zur erneuten Entscheidung zurück. In seinem Urteil stellte es fest, dass es seine Rechtsprechung aufrechterhält: Das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG beginnt 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin. Das LAG Baden-Württemberg habe die Kündigung der schwangeren Arbeitnehmerin fehlerhaft für wirksam gehalten, indem es auf die durchschnittliche Schwangerschaftsdauer (266 Tage) abgestellt habe.

Richtig sei die Berechnung mit 280 Tagen. Dies sei die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb derer bei normalem Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen kann, begründete das oberste Arbeitsgericht seine Entscheidung. Dem BAG war dabei klar, dass diese Berechnung auch Tage einbezieht, bei denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich ist - aber eben auch nicht völlig ausgeschlossen.

Kündigungsverbot zum Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen 

Gerade auch im Hinblick auf EU-rechtliche Vorgaben der Mutterschutzrichtlinie hielten die Richter es für geboten, von der für Arbeitnehmerinnen günstigsten Berechnungsmethode auszugehen - auch wenn sich Fehler und Ungenauigkeiten nicht vermeiden ließen. Die Berechnungsmethode für die Bestimmung des Kündigungsverbots wegen Schwangerschaft diene vor allem dem Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen. Es gehe nicht um die tatsächliche - naturwissenschaftliche - Berechnung des Schwangerschaftsbeginns im konkreten Fall, korrigierte das BAG die Vorinstanzen.

Hinweis: BAG, Urteil vom 24. November 2022, Az: 2 AZR 11/22; Vorinstanzen: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. Dezember 2021, Az: 4 Sa 32/21, Arbeitsgericht Heilbronn, Urteil vom 15. April 2021


Das könnte Sie auch interessieren:

Keine AGG-Entschädigung wegen Kündigung in Schwangerschaft

BAG-Urteil: Kündigungsschutz bei Schwangerschaft bereits vor Beginn der Tätigkeit

Was müssen Arbeitgeber tun, um das Mutterschutzgesetz am Arbeitsplatz einzuhalten?

Schlagworte zum Thema:  Urteil, Kündigungsschutz, Mutterschutz, Probezeit