Reformen für die Mitbestimmung
Haben Sie schon einen Betriebsrat? Nein? Kennen Sie etwa die Studien nicht, wonach in Betrieben mit Betriebsrat die Mitarbeitenden glücklicher, die Effizienz höher, die Produktivität besser und die Gewinne größer sind? Müsste man die Beschäftigten nicht zur Betriebsratsgründung überreden, wenn sie nicht von allein aktiv werden?
Betriebsräte: Polemik statt Fakten
Nun ja, man mag an die positiven Effekte glauben oder auch nicht. Genauso hartnäckig, wie immer wieder die positiven Aspekte betont werden, halten sich die Schreckensgeschichten über ausufernde innerbetriebliche Bürokratie, Blockadehaltungen gegenüber jeglichen Neuerungen im Unternehmen und über empfindliche Einbußen an unternehmerischer Entscheidungsfreiheit, die eine Betriebsratsgründung angeblich im Schlepptau hat. Zu suchen, wo die Wahrheit liegt, wäre – wie so oft – müßig. Es gibt Unternehmen, in denen die betriebliche Mitbestimmung prächtig funktioniert, und genauso gibt es Betriebe, in denen sich Arbeitgeber und Betriebsrat in zähem Stellungskrieg beharken.
Dass es Unternehmen gibt, die mit zweifelhaften Methoden unter allen Umständen zu verhindern trachten, dass ein Betriebsrat gewählt wird, ist Fakt. Das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) hat 2024 herausgefunden, dass etwa jede fünfte Betriebsratsneugründung behindert wird. Oft treten solche Verhinderungsbemühungen in inhabergeführten Unternehmen auf. In 62 Prozent der untersuchten Behinderungsfälle wurden potenzielle Betriebsratskandidaten eingeschüchtert. In 58 Prozent versuchten Arbeitgeber, die Bestellung des Wahlvorstands zu verhindern. In 45 Prozent unterstützten sie ihnen nahestehende Kandidaten und in 21 Prozent wurden Kandidaten gekündigt.
Wer deswegen ein Bild malen möchte, dass deutsche Arbeitgeber Mitbestimmung flächendeckend verhindern wollten, malt jedoch an der Realität vorbei. In über 8.000 Unternehmen wurden 2022 Betriebsräte gewählt. Bekannt geworden sind 138 Fälle, in denen es zu Behinderungen kam.
Ein Betriebsrat ist teuer
Dennoch gibt es mittlerweile nur noch in sieben Prozent der deutschen Unternehmen einen Betriebsrat. Neben der Angst, betriebliche Mitbestimmung schränke die unternehmerische Entscheidungsfreiheit zu sehr ein, liegt ein wesentlicher Grund dafür, Betriebsratsgründungen skeptisch zu sehen, darin, dass Betriebsräte teuer sind. Sie brauchen Arbeitsmittel, Räume, womöglich eine Assistenz. Es fallen, vor allem zu Beginn einer Amtszeit, Schulungskosten an und wenn Konflikte vor einer Einigungsstelle oder dem Arbeitsgericht gelöst werden müssen, verursacht auch das nicht unerhebliche Kosten. Zu allem Überdruss bezahlt man als Arbeitgeber dann nicht nur den eigenen Anwalt, sondern auch noch die Anwaltskosten des Betriebsrats. Hat man nicht selbst genügend große Räumlichkeiten im Unternehmen, in denen man die regelmäßigen Betriebsversammlungen der kompletten Belegschaft stattfinden lassen kann, muss man externe Säle oder gar Hallen anmieten. Betriebsratsarbeit findet während der Arbeitszeit statt; in der Zeit, in der der Betriebsrat Betriebsratsarbeit macht, arbeitet er nicht in seinem eigentlichen Job. Bei einem 11-, 13- oder 15-köpfigen Gremium kommen da einige Ausfallstunden zusammen. Zumal es in größeren Gremien freigestellte Betriebsrätsmitglieder gibt, die nichts anderes machen als Betriebsratsarbeit. Auch auf Arbeitgeberseite braucht es HR-Mitarbeitende, die sich mit dem Betriebsrat auseinandersetzen und in dieser Zeit auch keine Weiterbildungskonzepte oder Talent-Acquisition-Strategien entwickeln.
Aber es gibt das Betriebsverfassungsgesetz nun einmal in Deutschland. Unternehmen, die compliant sein möchten und sich an geltendes Recht halten wollen, bleibt nichts anderes übrig, als eine Betriebsratsgründung und die dadurch anfallenden Kosten zu akzeptieren. Verhinderungsbemühungen sind sogar strafbar. Auf die Behinderung einer Betriebsratswahl steht bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Die Arbeitgeber haben schlicht nicht die Wahl, ob sie sich einen Betriebsrat leisten können oder wollen.
Betriebsverfassung attraktiver machen
Dass die Unternehmen Betriebsratsgründungen skeptisch gegenüberstehen, ließe sich womöglich ändern, wenn die Politik dafür sorgen würde, die Attraktivität der betrieblichen Mitbestimmung auch für die Arbeitgeberseite zu steigern. Immer nur zu klagen, dass die gesetzlich vorgesehene betriebliche Mitbestimmung permanent ausgehöhlt würde, aber nichts tun, um das Betriebsverfassungsgesetz zu modernisieren, grenzt an Heuchelei. Eine Geschäftsführung hätte womöglich durchaus ein Interesse, aktiv für die Wahl eines Betriebsrats zu werben, wenn der Nutzen eines Betriebsrats für den Arbeitgeber zunähme und die Kosten der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes sinken würden.
Beides ließe sich politisch bewerkstelligen. Wären Gremiengrößen nicht in Stein gemeißelt und würde der Gesetzgeber es endlich einmal schaffen, Betriebsratswahlen und Betriebsratsarbeit in deutlich höherem Maße digital stattfinden zu lassen, wäre das schon ein wirkungsvoller Beitrag zur Absenkung der direkten Kosten. Durch angemessene Fristenregelungen und bessere Konfliktauflösungsmechanismen könnten Mitbestimmungsprozesse deutlich beschleunigt und damit auch die indirekten Kosten der Betriebsverfassung erheblich reduziert werden. Es macht einen Unterschied, ob die Einführung großer Software-Projekte sich über Monate oder über Jahre hinzieht.
Politik und Verbände tragen zur Stagnation bei
Koalitionsvertrag für Koalitionsvertrag wird Modernisierung versprochen. Realisiert wird wenig bis gar nichts. Was auch an den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften liegt, denen es nicht gelingt, die Politik hier zum Handeln zu bewegen und die eine Modernisierung keineswegs konstruktiv begleiten, sondern in erster Linie althergebrachte Grabenkämpfe weiterführen und eine Reform der Betriebsverfassung entweder nutzen wollen, um Mitbestimmungsrechte drastisch zu reduzieren oder sie drastisch auszuweiten. Bezieht die Politik "die Verbände" mit ein, ist der Stillstand schon abzusehen, was sowohl die Arbeitgeber- als auch die Gewerkschaftsseite allerdings nicht hindert, laut nach "Modernisierung" zu rufen. Schuld sind im Zweifel immer die anderen.
Dabei kann die betriebliche Mitbestimmung zum beiderseitigen Nutzen sein. Das Betriebsverfassungsgesetz kennt keine "Oppositionsrolle" des Betriebsrats. § 2 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes formuliert, dass Arbeitgeber und Betriebsrat vertrauensvoll zum Wohl der Arbeitnehmenden und des Betriebs zusammenarbeiten. Schaffen Unternehmen und Betriebsräte es, dieses Credo mit Leben zu füllen, kann ein Betriebsrat eine wertvolle Bereicherung für ein Unternehmen sein.
Mitbestimmung hat Vorteile
Es ist deutlich einfacher und rechtssicherer, per Betriebsvereinbarung Regelungen für alle Beschäftigten wirksam ausrollen zu können, als hunderte Einzelarbeitsverträge (was rechtlich schwierig ist, weil sich zweiseitige Verträge nicht ohne Weiteres einseitig ändern lassen) zu modifizieren oder mit Unternehmensrichtlinien zu arbeiten, die nicht in der Lage sind, arbeitsvertraglich einmal vereinbarte Themen nachträglich noch beeinflussen zu können.
Rahmenbetriebsvereinbarungen zu IT-Systemen oder Künstlicher Intelligenz erleichtern die Einführung komplexer Software-Lösungen und helfen dabei, die Einführung von IT-Lösungen zügig vonstatten gehen zu lassen.
Sind unternehmerische Entscheidungen mit der Mitarbeitervertretung abgestimmt, genießen sie höhere Akzeptanz im Unternehmen, als wenn die Beschäftigten das Gefühl haben, alles werde "von oben" verordnet. Sozialpläne und Interessenausgleiche sind wertvolle Instrumente, um bei größeren Betriebsänderungen friedlich, wertschätzend und geordnet Personalabbaumaßnahmen durchführen zu können. Auch hier können, ebenso wie bei den IT-Systemen, Rahmensozialpläne für künftige Betriebsvereinbarungen verhandelt werden. Damit lässt sich bereits im Vorfeld, wenn keine hochkochenden Emotionen wegen einer aktuellen Personalabbaumaßnahme das Verhandlungsklima belasten, Art und Umfang des wirtschaftlichen Ausgleichs auch für zukünftige Betriebsänderungen nach § 111 BetrVG abschließend regeln. Vorausschauend handelnde Unternehmen können das nutzen, um später bei der Realisierung der Betriebsänderung viel Zeit zu sparen und in der Belegschaft Ärger, Ängste und Frustration zu verringern.
Gesetzliche Stärkung von Betriebsräten
Die EU will Tarifbindung und Mitarbeitervertretung fördern. Und möchte dabei bestimmte Quoten erfüllt sehen. Deutschland, das Musterland der Betriebsverfassung und der Mitbestimmung, schwächelt hier im europäischen Vergleich, was dazu führt, dass der Gesetzgeber aktiv werden muss und dafür sorgen muss, dass Tarifbindung und Mitbestimmung auch für die Unternehmen wieder attraktiver werden. Das kann der Gesetzgeber tun, indem er den Gewerkschaften und Betriebsräten Rollen zuweist, die es für ein Unternehmen vorteilhaft machen, einen Betriebsrat zu haben. So kann eine vorhandene Mitarbeitervertretung Pluspunkte in der ESG-Berichterstattung bringen, sie kann die Beantragung von Zuschüssen und Unterstützungen begünstigen, wie zuletzt beispielsweise beim Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz und dem Strompreisbremsengesetz, bei denen Zuschüsse von Arbeitsplatzsicherungsmaßnahmen abhängig waren, die mittels Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung erfolgen mussten. Wollte ein Unternehmen die Zuschussleistungen in Anspruch nehmen, war das Vorhandensein eines Betriebsrats ein klarer Vorteil.
Auch in der kommenden Neufassung des Entgelttransparenzgesetzes werden Betriebsräte beteiligt. Ob betriebsratslose Unternehmen sich dann mit der für sie zuständigen Gewerkschaft anfreunden müssen oder ob andere Möglichkeiten geschaffen werden, ist noch unklar. Der Trend – wie beispielsweise jüngst durch das Tariftreuegesetz –, die Tarifbindung und Mitarbeitervertretung gesetzgeberisch zu stärken, wird sich aufgrund der europäischen Vorgaben fortsetzen.
Betriebsräte als Sprachrohr der Belegschaft
Es stiftet durchaus einen Nutzen, mit einem Betriebsrat einen Verhandlungspartner im Unternehmen zu wissen, der sämtliche Beschäftigte repräsentiert. Mit wem sollte die Unternehmensführung sprechen, wenn sie "die Mitarbeitenden" adressieren will? Ohne Mitarbeitervertretung hat niemand aufseiten der Beschäftigten ein Mandat, für die Belegschaft zu sprechen oder gar zu verhandeln und Vereinbarungen zu treffen.
Beschäftigte nehmen die Möglichkeit, Betriebsräte wählen zu können und durch sie in ihren Interessen vertreten zu werden, als innerbetriebliche Demokratie wahr. Das hat positiven Einfluss auf die Unternehmenskultur. Wer sich vom eigenen Unternehmen gesehen, einbezogen und wertgeschätzt fühlt, nimmt seinen Arbeitgeber positiver wahr.
Nicht zu unterschätzen ist, dass ein Betriebsrat Anlaufstelle für die Beschäftigten ist, zu dem sie mit Sorgen und Beschwerden aller Art kommen. Auch das fördert die Unternehmenskultur. Probleme und Unmut schwelen nicht unentdeckt unter der Oberfläche, sondern es gibt Ventile. Es wird gesprochen, kommuniziert, Anliegen und Wünsche der Beschäftigten werden thematisiert und es kann frühzeitig nach guten Lösungen gesucht werden.
Nicht zuletzt deswegen gelten aus Sicht arbeitssuchender Beschäftigter Unternehmen mit Betriebsrat, als "bessere" Arbeitgeber. Das Vorhandensein von Betriebsräten hilft dem Employer Branding weitaus mehr als irgendwelche Benefits, mit denen sich das Arbeitgeberimage aufpolieren lässt.
Wird im Unternehmen ein Betriebsrat gewählt, sollte man das Beste daraus machen und eine funktionierende Zusammenarbeit etablieren, die es möglich macht, die Chancen für die Arbeitgeberseite zu nutzen.
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