Rz. 50

Der Arbeitgeber hat bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen einer schwangeren oder stillenden Frau alle aufgrund der Gefährdungsbeurteilung nach § 10 MuSchG erforderlichen Maßnahmen für den Schutz ihrer physischen und psychischen Gesundheit sowie der ihres Kindes zu treffen. Die Formulierung lässt keine Ausnahme zu – es sind alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind. Das Ziel der Maßnahme muss sich genau durch die gewählte Vorgabe realisieren lassen.

 

Rz. 51

Die Prüfung, ob und wie der Arbeitgeber die gesetzliche Vorgabe der "Erforderlichkeit" umsetzt, erfolgt auf Basis der konkreten

  • räumlichen,
  • organisatorischen,
  • betrieblichen und
  • persönlichen

Situation des konkreten Arbeitsplatzes, des Arbeitsumfeldes und der individuellen Lage der Arbeitnehmerin.

Dem Gebot der Erforderlichkeit entspricht eine vom Arbeitgeber durchgeführte Maßnahme dann, wenn sie zum Schutz von Leben und Gesundheit der Schwangeren nach dem Stand der Technik[1] geboten und geeignet ist, eine Gefährdung sicher auszuschließen. Auch Industrienormen (DIN) und Prüfzertifikate kennzeichnen einen Konstruktionsstand und Einsatzzweck nach dem Stand der Technik. Das bloße Einhalten von Vorschriften schließt noch keine Gefährdung aus. Dies kann nur auf Basis einer konkreten Gefährdungsbeurteilung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände erfolgen. Dabei werden beide Gefährdungsbeurteilungen gegeneinander verglichen.

Der Arbeitgeber hat nach § 9 Abs. 1 ferner die Situation vor und nach Durchführung der Maßnahme zu bewerten und die Lage abzuschätzen, ob sie geeignet ist, die Gefährdung zu beseitigen. Der Abgleich muss immer gegenüber dem dreifachen Schutzzweck der Norm (Schutz der Schwangeren, Stillenden und des Kindes) erfolgen.

Welche Schutzmaßnahmen angemessen und geeignet sind, kann erst beurteilt werden, wenn im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung das von der Arbeit ausgehende Gefährdungspotential eruiert worden ist.[2]

 

Rz. 52

Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Mutterschutzrecht kein Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt. Es gibt im Gesetzestext keine Formulierung "insoweit" oder andere einschränkende, relativierende Vorgaben; vielmehr ist der Schutz unabdingbar und ohne dass es auf eine Bezugsgröße zum Aufwand ankäme.

 

Rz. 53

Ist die Durchführung von technischen oder organisatorischen Maßnahmen nicht geeignet oder wird der Schutzzweck so nicht erreicht, kann eine Versetzung der Schwangeren auf einen anderen, gefährdungsfreien Arbeitsplatz in Betracht kommen. Eine Versetzung aus einem Gefährdungsbereich in ein anderes Arbeitsumfeld ist jedoch erst der 2. Schritt. Hier ist gegebenenfalls das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates (bzw. Personalrates) nach § 99 BetrVG zu beachten. Gleiches gilt in der Praxis, wenn sich technische Maßnahmen als nicht zumutbarer Aufwand darstellen würden; dann wird der Arbeitgeber immer auf eine einfacher umzusetzende Maßnahme drängen – zumal die Schwangerschaft zeitlich überschaubar ist im Vergleich zu einem ggf. hohen finanziellen Aufwand für z. B. bauliche oder technische Maßnahmen.

[1] Nach der Definition sind das allgemein anerkannte sicherheitstechnische, arbeitsmedizinische und hygienische Regeln auf Basis gesicherter arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse, soweit sie sich in Theorie und Praxis bewährt haben; dto.: Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß, § 2 MuSchG, Rz. 21.

3.1 Besonderheit für Schwangere und Stillende

 

Rz. 54

Der Gesetzeswortlaut hebt auf Schwangere und Stillende ab. Nur diese sind bei den besonderen Vorschriften des MuSchG erfasst. Nicht stillende Frauen mit einem neugeborenen Kind werden grundsätzlich nicht erfasst, da nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen bekannt sind, die unabhängig vom Stillen typischerweise nach dem Wochenbett auftreten und die die Belastbarkeit der Frau noch nach Ablauf der obligatorischen Schutzfrist nach der Entbindung herabsetzen.

 

Rz. 55

Generell sind Frauen im Hinblick auf den Regenerationsbedarf in der nachgeburtlichen Phase ausreichend durch die obligatorische, grundsätzlich mindestens 8-wöchige Schutzfrist nach der Entbindung (§ 3 Abs. 2 MuSchG) geschützt. Darüber hinausgehende zusätzliche betriebliche Schutzmaßnahmen des Arbeitgebers sind nicht notwendig und wären unverhältnismäßig. Falls im Einzelfall noch über die Schutzfrist nach der Entbindung hinaus ein Schutzbedarf oder eine besondere medizinische Situation gegeben wären, besteht die Möglichkeit einer Änderung (Erleichterung) der betrieblichen Tätigkeit auf Basis eines ärztlichen Zeugnisses nach § 16 Abs. 2 MuSchG.

3.2 Begriff der verantwortbaren Tätigkeit

 

Rz. 56

Am Ende des Abwägungsprozesses steht zunächst die Zielsetzung, eine Beschäftigung zu ermöglichen. Dies entspricht dem gesetzgeberischen Willen der Teilhabe am Arbeitsleben, denn nach § 9 Abs. 1 Satz 2 ist eine Frau auch in der Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit zu beschäftigen, soweit es nach dem MuSchG verantwortbar ist. Die Vorschrift beschreibt damit die Verpflichtung des Arbeitgebers, alle Maßnahmen zu ...

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