Entscheidungsstichwort (Thema)

Öffentlicher Dienst. Urlaub während Krankheit

 

Normenkette

BUrlG § 7

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 13.09.1989; Aktenzeichen 3 Sa 52/89)

ArbG Stuttgart (Urteil vom 02.05.1989; Aktenzeichen 8 (9) Ca 2169/88 A)

 

Tatbestand

Der Kläger war seit 7. Oktober 1971 als Straßenwärter bei dem Beklagten beschäftigt. Seine Erwerbsfähigkeit war um mindestens 25 und weniger als 50 v. H. gemindert. Auf das Arbeitsverhältnis war kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder, zuletzt i. d. F. des Änderungs-Tarifvertrags Nr. 42 vom 9. Januar 1987, gültig ab 1. Januar 1987 (MTL II) anzuwenden.

§ 52 MTL II enthält u. a. folgende Bestimmungen:

㤠52

Anrechnungsvorschriften

(4) Der Urlaub kann auch während einer Erkrankung genommen werden. In diesem Falle tritt für die Dauer des Urlaubs an die Stelle der Krankenbezüge der Urlaubslohn.”

§ 53 Abs. 1 Unterabs. 4 MTL II lautet:

„Urlaub, der nicht innerhalb der genannten Fristen angetreten ist, verfällt.”

In § 54 Abs. 1 MTL II ist geregelt:

㤠54

Urlaubsabgeltung

(1) Ist im Zeitpunkt der Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaubsanspruch noch nicht erfüllt, ist der Urlaub, soweit dies dienstlich oder betrieblich möglich ist, während der Kündigungsfrist zu gewähren und zu nehmen. Soweit der Urlaub nicht gewährt werden kann oder die Kündigungsfrist nicht ausreicht, ist der Urlaub abzugelten. Entsprechendes gilt, wenn das Arbeitsverhältnis durch Auflösungsvertrag (§ 56 Abs. 1) oder wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit (§ 62) endet oder wenn das Arbeitsverhältnis nach § 62 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 5 zum Ruhen kommt.”

Der Kläger ist seit dem 13. Oktober 1986 ununterbrochen arbeitsunfähig krank. Sein Anspruch auf Krankengeld endete am 15. April 1988. Der Kläger hatte am 7. Juni 1988 durch einen Bevollmächtigten die Gewährung des Urlaubs für die Jahre 1987 und 1988 von insgesamt 60 Arbeitstagen für die Zeit vom 13. Juni 1988 bis einschließlich 25. Juli 1988 (= 30 Tage Erholungsurlaub aus dem Jahre 1987) sowie vom 26. Juli 1988 bis einschließlich 5. September 1988 (= 30 Tage Erholungsurlaub für das Jahr 1988) verlangt. Außerdem hatte der Kläger die Gewährung von 2 × 3 tariflichen Zusatzurlaubstagen nach § 49 Abs. 4 MTL II begehrt. Die Beschäftigungsbehörde hat entsprechend die zuständige Landesoberkasse angewiesen, dem Kläger „für die Zeit vom 16.4.–22.7.1988 den Urlaubslohn zu zahlen”. Das teilte sie auch dem Kläger mit. Die Landesoberkasse hat für diesen Zeitraum für 60 Urlaubstage sowie für weitere sechs Urlaubstage die dem Kläger zu zahlenden Beträge wie folgt errechnet:

Tabellenlohn

6.681,91 DM brutto

Sozialzuschläge

303,60 DM brutto

allg. Zulage

165,90 DM brutto

Urlaubsgeld

450,– DM brutto

Gefahren-/Schmutzzulage

18,05 DM

insgesamt

7.619,46 DM brutto.

Nachdem die Landesoberkasse dem Kläger eine Abschlagszahlung gewährt und eine Lohnabrechnung erteilt hatte, hat sie später diese Beträge zurückgefordert und erhalten.

Mit einem am 24. August 1988 zugestellten Bescheid hat der zuständige Rentenversicherungsträger dem Kläger Erwerbsunfähigkeitsrente mit Wirkung vom 1. November 1986 bewilligt.

Mit seiner Klage hat der Kläger von dem Beklagten Zahlung von insgesamt 9.846,89 DM begehrt, die sich aus dem von dem Beklagten bereits einmal errechneten Betrag von 7.619,46 DM für den Zeitraum vom 16. April bis 30. Juni 1988 sowie einem weiteren Betrag von 2.227,43 DM zusammensetzen. Der weitere Betrag sei für eine Urlaubszelt vom 1. Juli bis 22. Juli 1988 zu zahlen.

Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 9.846,89 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit 31. März 1988 zu zahlen. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Klage hatte vor dem Arbeitsgericht Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht der Klage nur in Höhe von 5.371,20 DM stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klagabweisungsantrag weiter, soweit ihm nicht stattgegeben worden ist. Der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg. Dem Kläger steht der Betrag von 5.371,20 DM zu, zu dessen Zahlung das Landesarbeitsgericht den Beklagten verurteilt hat.

Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts kann nur im Ergebnis gefolgt werden.

1. Durch sein Begehren gegenüber dem Beklagten, ihm den Urlaub einschließlich des Zusatzurlaubs für die Jahre 1987 und 1988 zu gewähren, hat der Kläger die Erteilung von Urlaub während seiner Erkrankung nach § 52 Abs. 4 MTL II verlangt. Hierüber besteht zwischen den Parteien Einigkeit. Streit besteht darüber, ob diese Tarifbestimmung wirksam ist.

2. Der erkennende Senat hat zu der mit § 52 Abs. 4 MTL II wortgleichen Vorschrift in § 47 Abs. 6 Unterabs. 3 BAT im Urteil vom 25. Januar 1990 (– 8 AZR 12/89 –, zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 1 der Gründe) ausgeführt, daß mit der Bestimmung, daß „der Urlaub … auch während einer Erkrankung genommen werden” kann, nicht die Gewährung von Urlaub geregelt ist, sondern ein Fall der Urlaubsabgeltung im fortbestehenden Arbeitsverhältnis, weil es – eben wegen der Erkrankung – an der Möglichkeit fehlt, den Arbeitnehmer von der Arbeit freizustellen. Hier gilt entsprechend, was der Senat in seinen Urteilen vom 22. Oktober 1987 zu den im wesentlichen gleichlautenden Bestimmungen des § 23 Abs. 17 Unterabs. 2 TV Arb Bundespost und des § 43 Abs. 17 Unterabs. 2 TV Ang Bundespost ausgeführt hat (vgl. BAGE 56, 262 = AP Nr. 38 zu § 7 BUrlG Abgeltung; BAGE 56, 265 = AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG Abgeltung; BAG Urteil vom 22. Oktober 1987 – 8 AZR 324/86 – AP Nr. 40 zu § 7 BUrlG Abgeltung). Unerheblich ist, daß der Bundes-Angestelltentarifvertrag anders als § 23 Abs. 10 Unterabs. 1 Satz 4 TV Arb Bundespost und § 43 Abs. 10 Unterabs. 1 Satz 4 TV Ang Bundespost einer Bestimmung entbehrt, die im fortbestehenden Arbeitsverhältnis die Barabgeltung von Urlaub erlaubt, der wegen Arbeitsunfähigkeit nicht genommen wurde. § 47 Abs. 6 Unterabs. 3 BAT ist eine eigenständige Tarifnorm, die ebenso wie § 23 Abs. 17 Unterabs. 2 TV Arb Bundespost und § 43 Abs. 17 Unterabs. 2 TV Ang Bundespost ihre Wirkung unabhängig davon entfaltet, ob der Tarifvertrag weitere Bestimmungen über die Abgeltung von Urlaub während des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses vorsieht oder nicht (a. A. Arbeitgeberkreis der BAT-Kommission, vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand August 1989, § 47 Erl. 9 a).

§ 47 Abs. 6 Unterabs. 3 BAT ist wirksam, soweit nach ihm die Abgeltung des über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden Tarifurlaubs und des gesetzlichen Mindesturlaubs verlangt werden kann, der nach dem Gesetz (§ 7 Abs. 3 BUrlG) schon verfallen wäre (vgl. BAGE 56, 262 = AP Nr. 38 zu § 7 BUrlG Abgeltung). Zu einem „gespaltenen Urlaubsbegriff” führt die Regelung nicht (so aber Arbeitgeberkreis der BAT-Kommission, vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, a.a.O.). Zwar setzt die Gewährung von gesetzlichem wie tariflichem Urlaub die Freistellung von der Arbeit voraus, die bei Arbeitsunfähigkeit nicht möglich ist. Dies führt aber nicht dazu, daß § 47 Abs. 6 Unterabs. 3 BAT nichtig ist, weil er Urlaub während einer Erkrankung vorsieht. Vielmehr ergibt seine Auslegung, daß damit in Wahrheit die Abgeltung von Urlaub im fortbestehenden Arbeitsverhältnis gemeint ist, soweit diese nicht nach § 13 Abs. 1 in Verb. mit § 3 Abs. 1 BUrlG unzulässig ist.

3. Diese Erwägungen treffen wegen der Gleichheit der Bestimmungen auch auf § 52 Abs. 4 MTL II zu. Das Vorbringen der Revision rechtfertigt insoweit keine andere Beurteilung. Sie wiederholt insgesamt nur die Auffassung des Arbeitgeberkreises der BAT-Kommission zu § 47 Abs. 6 BAT, der aus den bereits erörterten Gründen nicht gefolgt werden kann.

4.a) Damit steht dem Kläger der Urlaubslohn für den Urlaubsanspruch und den Zusatzurlaubsanspruch des Jahres 1987 in dem geltend gemachten Umfang für 33 Arbeitstage zu. Der gesetzliche Urlaubsanspruch von 15 Arbeitstagen war bereits am 31. März 1988 verfallen. § 13 Abs. 1 BUrlG steht daher dem Begehren des Klägers nicht entgegen.

b) Für das Urlaubsjahr 1988 steht dem Kläger der Urlaubslohn für den tariflichen Urlaub zu, der den gesetzlichen Urlaub übersteigt. Dies sind, da das Arbeitsverhältnis unstreitig in der zweiten Hälfte des Jahres geendet hat, 18 Arbeitstage.

c) Im Umfang des gesetzlichen Urlaubsanspruchs von 15 Arbeitstagen steht dem Kläger kein Urlaubslohn zu, weil der gesetzliche Urlaubsanspruch im Jahre 1988 noch nicht verfallen war. Mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses am 31. August 1988 hat sich dieser Anspruch in den Abgeltungsanspruch i. S. von § 54 Abs. 1 MTL II umgewandelt. Der Abgeltungsanspruch war jedoch nicht erfüllbar, weil der Kläger unstreitig seine Arbeitsfähigkeit nicht bis zum 30. Juni 1989 wiedererlangt hat. Nach § 54 Abs. 1, § 53 Abs. 1 Unterabs. 4 MTL II ist mit diesem Zeitpunkt der Urlaubsabgeltungsanspruch entfallen.

Im Gegensatz zur früheren Fassung setzt der Abgeltungsanspruch nach § 54 Abs. 1 MTL II in der seit 1. Januar 1987 geltenden Fassung voraus, daß der Urlaubsanspruch für den Fall, daß das Arbeitsverhältnis fortbestanden hätte, erfüllbar gewesen wäre.

Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 45, 203 = AP Nr. 16 zu § 7 BUrlG Abgeltung) und ihm folgend der erkennende Senat (zuletzt: Urteil vom 18. Juli 1989 – 8 AZR 44/88 – AP Nr. 49 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zu 3 a der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) haben entschieden, daß nach dem mit § 54 Abs. 1 MTL II wörtlich übereinstimmenden § 51 Abs. 1 BAT in der bis zum 31. Dezember 1986 geltenden Fassung ein Abgeltungsanspruch auch bestand, wenn der Urlaub wegen Arbeitsunfähigkeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden konnte. Dies ergab sich daraus, daß in § 51 Abs. 1 Satz 3 BAT a. F. die Abgeltung ausdrücklich vorgesehen war, wenn „der Urlaub wegen Arbeitsunfähigkeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden” konnte. Aus dem Wegfall dieses Merkmals in § 51 Abs. 1 Satz 3 BAT n. F. wie auch in § 54 Abs. 1 Satz 3 MTL II n. F. folgt, daß für die Abgeltung von Urlaub, der wegen Arbeitsunfähigkeit vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund Kündigung, Auflösungsvertrag, Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit bzw. vor dem Eintritt des Ruhens des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden kann, keine tariflichen Besonderheiten gegenüber § 7 Abs. 4 BUrlG mehr gelten. Daher entfällt ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung, wenn der Arbeitnehmer nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vor Ablauf des Urlaubsjahres bzw. des Übertragungszeitraums seine Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangt (vgl. die Senatsentscheidung vom 15. August 1989 – 8 AZR 530/88 – AP Nr. 51 zu § 7 BUrlG Abgeltung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

5. Daher steht dem Kläger gegen den Beklagten ein Anspruch auf Vergütung von insgesamt 51 Urlaubstagen zu. Aufgrund der Berechnung des Beklagten sind dem Kläger für einen Urlaubstag somit 115,45 DM zu zahlen. Insgesamt ergibt dies für 51 Urlaubstage 5.887,76 DM. Damit besteht jedenfalls die vom Landesarbeitsgericht festgestellte Zahlungsverpflichtung von 5.371,20 DM. Nur insoweit ist der Senat berechtigt zu entscheiden, weil der Kläger kein Rechtsmittel gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts eingelegt hat.

 

Unterschriften

Michels-Holl, Dr. Leinemann, Dr. Peifer, H. Rheinberger, Dr. Pühler

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1100136

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