Entscheidungsstichwort (Thema)

Tariflicher Urlaubsanspruch im Postdienst

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Anspruch auf Erholungsurlaub nach § 23 Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost vom 6. Januar 1955 (TV Arb) setzt nicht voraus, daß der Arbeiter im Urlaubsjahr Arbeitsleistungen erbracht hat.

2. Konnte der Arbeiter den Urlaub wegen Krankheit bis zu dem auf das Urlaubsjahr folgenden 30. September nicht antreten, so erlischt der Urlaubsanspruch. Dem steht nicht entgegen, daß § 23 Abs 10 Satz 4 TV Arb in diesem Fall bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis die Abgeltung des Urlaubs vorsieht.

3. Die in § 23 Abs 13 TV Arb enthaltene Regelung über die Urlaubsabgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses entspricht inhaltlich der des § 7 Abs 4 BUrlG.

 

Normenkette

TVG § 1; BUrlG §§ 4, 7

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 05.02.1986; Aktenzeichen 3 Sa 115/85)

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 04.07.1985; Aktenzeichen 6 Ca 775/84)

 

Tatbestand

Die schwerbehinderte Klägerin war bei der Beklagten als Arbeiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war der Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost vom 6. Januar 1955 (TV Arb) anzuwenden. Darin ist geregelt:

"§ 23

Erholungsurlaub

(1) Der Arbeiter erhält in jedem Urlaubsjahr

einen Erholungsurlaub. Urlaubsjahr ist der

Zeitraum vom 1. April bis 31. März.

.....

(6) Der volle Urlaubsanspruch wird erstmals

nach einem ununterbrochenen Bestehen des Arbeitsverhältnisses

von sechs Monaten erworben

(Wartezeit). .....

.....

(10) Der Urlaub ist in dem Urlaubsjahr zu

gewähren und zu nehmen, für das der Urlaubsanspruch

entsteht. Urlaub, der im Urlaubsjahr

nicht oder nicht voll gewährt oder genommen

wurde, ist spätestens bis zum 30. Juni

des nächsten Urlaubsjahres anzutreten.

Ist dies aus betrieblichen Gründen oder wegen

Arbeitsunfähigkeit nicht möglich, verlängert

sich die Frist bis zum 30. September.

Wird der Urlaub während der Arbeitsunfähigkeit

bis zum 30. September nicht angetreten,

so ist er nach Absatz 13 bar abzugelten.

.....

(13) Kann der Erholungsurlaub (einschließlich

Zusatzurlaub für Schwerbehinderte) wegen

Beendigung des Arbeitsverhältnisses

ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden,

so ist er bar abzugelten. .....

.....

(17) .....

Der Urlaub kann auch während einer Erkrankung

genommen werden. In diesem Falle wird

für die Dauer des Urlaubs anstelle der Krankenbezüge

der Urlaubslohn (Abs. 20) gezahlt.

....."

Seit 5. September 1983 ist die Klägerin ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Das Arbeitsverhältnis endete am 29. Februar 1984. Die Beklagte hat der Klägerin für das Urlaubsjahr 1983/84 15 Urlaubstage abgegolten. Die Klägerin hat vergeblich verlangt, ihr weitere 27 Werktage Erholungsurlaub und Schwerbehindertenzusatzurlaub abzugelten.

Mit der am 28. November 1984 erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin

für das Urlaubsjahr 1983/84 an Urlaubsabgeltung

für 27 Urlaubstage 1.611,63 DM nebst

4 % Zinsen seit Zugang der Klage zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie als unbegründet abgewiesen. Mit der Revision bittet die Klägerin um Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hatte zwar einen Anspruch auf Abgeltung des Erholungsurlaubs für das Urlaubsjahr 1983/84 erworben. Dieser ist aber erloschen.

I. Nach § 23 Abs. 13 Satz 1 TV Arb ist der Erholungsurlaub bar abzugelten, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht gewährt werden kann. Als die Klägerin am 29. Februar 1984 aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, erwarb sie nach dieser mit § 7 Abs. 4 BUrlG übereinstimmenden Regelung einen Anspruch auf Abgeltung ihres Erholungsurlaubs für das Urlaubsjahr 1983/84.

1. Der Urlaubsanspruch war entstanden. Die Klägerin hatte die Wartezeit nach § 23 Abs. 6 Satz 1 TV Arb, § 4 BUrlG erfüllt. Die Entstehung des Anspruchs wurde nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Klägerin seit dem 5. September 1983 keine Arbeitsleistungen erbracht hatte.

Der Senat hat sich bereits im Urteil vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 - (AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zu I 2 der Gründe, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) der Rechtsprechung des Sechsten Senats angeschlossen, nach der der gesetzliche Urlaubsanspruch nur den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 4 BUrlG, nicht aber die Erbringung von Arbeitsleistungen im Urlaubsjahr voraussetzt. Für den über den gesetzlichen Urlaub hinausgehenden tariflichen Urlaub gilt das gleiche, da die Tarifvertragsparteien insoweit nichts Abweichendes geregelt haben.

2. Mit dem Ausscheiden der Klägerin entstand der Urlaubsabgeltungsanspruch, weil der Urlaub vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin nicht mehr gewährt werden konnte (§ 23 Abs. 13 TV Arb). Unschädlich ist, daß die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fortdauerte (BAG Urteil vom 28. Juni 1984 - 6 AZR 521/81 - BAGE 46, 224 = AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG Abgeltung und seitdem ständige Rechtsprechung, zuletzt Urteil des Senats vom 10. Februar 1987 - 8 AZR 529/84 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, sowie Urteil vom 23. Juli 1987 - 8 AZR 42/85 -).

II. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist jedoch am 30. September 1984 erloschen.

1. Der Urlaub ist in dem Urlaubsjahr zu gewähren und zu nehmen, für das der Urlaubsanspruch entsteht (§ 23 Abs. 10 Unterabs. 1 Satz 1 TV Arb). Urlaub, der im Urlaubsjahr nicht oder nicht voll gewährt oder genommen wurde, ist spätestens bis zum 30. Juni des nächsten Urlaubsjahres anzutreten (§ 23 Abs. 10 Unterabs. 1 Satz 2 TV Arb). Ist dies aus betrieblichen Gründen oder wegen Arbeitsunfähigkeit nicht möglich, verlängert sich die Frist bis zum 30. September (§ 23 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 3 TV Arb).

2. Der Urlaubsanspruch der Klägerin für das Urlaubsjahr 1983/84 wäre also bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis am Ende des bis zum 30. September 1984 verlängerten Übertragungszeitraums erloschen. Die in § 23 Abs. 10 Unterabs. 1 Satz 3 TV Arb enthaltene Befristung unterscheidet sich nicht von der in § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG, bei deren Eintritt der gesetzliche Urlaubsanspruch erlischt (vgl. BAGE 39, 53 = AP Nr. 4 zu § 7 BUrlG Übertragung).

Das Erlöschen des Urlaubsanspruchs wäre nicht durch § 23 Abs. 10 Unterabs. 1 Satz 4 TV Arb gehindert worden. Diese Bestimmung trifft für das fortbestehende Arbeitsverhältnis eine Urlaubsabgeltungsregelung, die eingreift, wenn der Urlaub wegen Krankheit des Arbeitnehmers nicht genommen werden konnte. Sie ist rechtlich unbedenklich, weil die Abgeltung von bereits verfallenem Urlaub nicht gegen das für das fortbestehende Arbeitsverhältnis geltende Abgeltungsverbot verstößt (BAG Urteil vom 26. Mai 1983 - 6 AZR 273/82 - AP Nr. 12 zu § 7 BUrlG Abgeltung). Die Regelung bewirkt jedoch nicht, daß Urlaub erhalten bleibt, der bis zum 30. September des nächsten Urlaubsjahrs nicht genommen wurde.

Die Bestimmung nimmt zunächst Bezug auf die in § 23 Abs. 17 Unterabs. 2 TV Arb geregelte Möglichkeit des Arbeitnehmers, den Urlaub auch während einer Erkrankung zu nehmen, wobei in diesem Fall für die Dauer des Urlaubs anstelle der Krankenbezüge der Urlaubslohn gezahlt wird. Bleibt der Arbeitnehmer also bis über das Ende des Übertragungszeitraums (30. Juni) hinaus arbeitsunfähig krank, so kann er bis zum Ende des verlängerten Übertragungszeitraums (30. September) den Urlaub nehmen oder, wenn er krank ist, sich anstelle der Krankenbezüge den Urlaubslohn auszahlen lassen. Ist der Arbeitnehmer über das Ende des verlängerten Übertragungszeitraums hinaus krank und hat er den Urlaub nicht genommen, so ist weiter vorgesehen, daß der Urlaub abgegolten wird. Der Urlaubsanspruch, der Anspruch auf Freistellung von der Arbeit, erlischt aber auch in diesem Fall am 30. September. Denn nach diesem Zeitpunkt besteht nur noch der Anspruch auf Abgeltung, nicht aber auf Gewährung von Urlaub durch Beseitigung von Arbeitspflicht, auch dann nicht, wenn der Arbeitnehmer nach dem 30. September wieder arbeitsfähig und somit urlaubsfähig wird.

3. Da der Urlaubsabgeltungsanspruch als Surrogat des Urlaubsanspruchs der gleichen Befristung unterliegt wie der Urlaubsanspruch selbst (vgl. Urteil des Senats vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 - AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen), erlosch auch der Anspruch der Klägerin auf Abgeltung des Urlaubs am 30. September 1984. Für den in § 23 Abs. 13 TV Arb geregelten Anspruch auf Urlaubsabgeltung wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gilt insoweit nichts anderes als für den Anspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG.

III. Die Klägerin kann die Urlaubsabgeltung auch nicht als Schadenersatz verlangen.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z. B. Urteil vom 7. November 1985 - 6 AZR 62/84 - AP Nr. 8 zu § 7 BUrlG Übertragung, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) kann der Arbeitnehmer, wenn er den Arbeitgeber hinsichtlich des Urlaubsabgeltungsanspruchs in Verzug gesetzt hat, die Zahlung eines der Urlaubsabgeltung entsprechenden Geldbetrags als Schadenersatz fordern, wenn der Urlaubsabgeltungsanspruch zwischenzeitlich wegen Fristablaufs erloschen ist (§ 284 Abs. 1, § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 249 Satz 1 BGB).

2. Der Schadenersatzanspruch würde somit voraussetzen, daß die Klägerin den Urlaubsabgeltungsanspruch rechtzeitig vor dem 30. September 1984 geltend gemacht hat und der Urlaubsanspruch bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zu diesem Zeitpunkt erfüllbar gewesen wäre.

Der Urlaubsanspruch war nicht erfüllbar, weil die Klägerin vor dem 30. September 1984 ihre Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangt hatte. Die Möglichkeit, nach § 23 Abs. 17 Unterabs. 2 TV Arb trotz der Krankheit in diesem Zeitraum Urlaub zu nehmen, führt nicht zur Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs. Die Klägerin erhielt durch diese Regelung nur den Anspruch auf Urlaubslohn anstelle der Krankenbezüge. Freizeitgewährung war nicht möglich. Nur auf diese aber kommt es nach § 23 Abs. 13 TV Arb an, der dem § 7 Abs. 4 BUrlG entspricht.

IV. Die Klägerin kann ihren Anspruch auch nicht auf eine Verletzung des Gleichheitssatzes stützen, die nur durch Zubilligung des Klageanspruchs behoben werden könnte (vgl. dazu BAG Urteil vom 13. November 1985 - 4 AZR 234/84 - AP Nr. 136 zu Art. 3 GG, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

Zwar dürfen die Tarifpartner wesentlich gleiche Sachverhalte nicht willkürlich verschieden behandeln (vgl. Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., Einl. Rz 62). Das ist jedoch dadurch, daß nach dem Tarifvertrag im fortbestehenden Arbeitsverhältnis Urlaub, der wegen Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden konnte, abzugelten ist, während bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine dem § 7 Abs. 4 BUrlG entsprechende Regelung gilt, nicht geschehen. Zuzugeben ist der Klägerin, daß § 23 Abs. 13 TV Arb hinsichtlich des Abgeltungstatbestands enger ist als § 51 Abs. 1 BAT. Nach dieser Regelung ist der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht davon abhängig, daß ein Arbeitnehmer bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis und danach arbeitsfähig ist (vgl. BAGE 45, 203 = AP Nr. 16 zu § 7 BUrlG Abgeltung; Urteil des Senats vom 18. Dezember 1986 - 8 AZR 357/84 -). Zu einer dem § 51 Abs. 1 BAT entsprechenden Regelung waren die Tarifvertragsparteien jedoch nicht verpflichtet.

Der "Urlaubslohn" nach § 23 Abs. 17 Unterabs. 2 TV Arb und die "Barabgeltung" nach § 23 Abs. 10 Satz 4 TV Arb sind Zahlungen, die unter der Voraussetzung der Unmöglichkeit der Freizeitgewährung im fortbestehenden Arbeitsverhältnis geleistet werden. Es geht dabei nicht um Urlaub, denn es fehlt an der Möglichkeit, den Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht freizustellen (vgl. zum Inhalt des Urlaubsanspruchs: BAGE 45, 184, 188 = AP Nr. 14 zu § 3 BUrlG Rechtsmißbrauch, zu II 3 der Gründe). Diese Sachverhalte unterscheiden sich also von der Gewährung von Urlaub. Der Gleichheitssatz ist nicht dadurch verletzt, daß die Tarifvertragsparteien auf der einen Seite für das fortbestehende Arbeitsverhältnis einen Anspruch auf Ersatz für sonst verfallenen Urlaub geregelt, sich für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aber auf den Urlaubsabgeltungsanspruch im gesetzlichen Umfang beschränkt haben. Es ist nicht gleichheitswidrig, dem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis beendet ist, diese Zahlungen zu verweigern. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, eine Leistung, die dem Arbeitnehmer im fortbestehenden Arbeitsverhältnis unter bestimmten Voraussetzungen gewährt wird, auch aus Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuzugestehen.

Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer

Dr. Pühler B. Hennecke

 

Fundstellen

BAGE 56, 265-270 (LT1-3)

BAGE, 265

RdA 1988, 62

AP § 7 BUrlG Abgeltung (LT1-3), Nr 39

EzA § 7 BUrlG, Nr 59 (LT1-3)

PersV 1991, 232 (K)

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