Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsrechtlicher Status eines Flugkapitäns

 

Leitsatz (redaktionell)

vgl. Urteil vom 16. März 1994 – 5 AZR 447/92 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen.

 

Normenkette

BGB § 611

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 09.07.1992; Aktenzeichen 10/11 Sa 258/91)

ArbG Köln (Urteil vom 29.11.1990; Aktenzeichen 6 Ca 9240/89)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 9. Juli 1992 – 10/11 Sa 258/91 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob der Kläger die anteiligen Kosten für die Ausbildung auf dem Flugzeugmuster Boeing 737-300 anteilig zurückzuzahlen hat.

Der Kläger war bei der Beklagten zuletzt als Flugkapitän beschäftigt. Zuvor war er bei der Fluggesellschaft S., einer Schwesterfirma der Beklagten, als Co-Pilot auf dem Flugzeugtyp Boeing 727 tätig. Dem lag eine Vereinbarung vom 5. November 1985 zugrunde. Danach sollte er als sogenannter FREE-LANCER eingesetzt werden, bei einer Vergütung von 90,00 DM je Blockstunde. Mit Wirkung vom 1. Juni 1986 stellte die S. den Flugbetrieb ein und überließ der Beklagten die im Einsatz befindlichen Flugzeuge. Mit Schreiben vom 30. Mai 1986 teilte sie dies dem Kläger mit. Es heißt dort u.a.:

„Ab 01.06.1986 wird die S. Fluggesellschaft mbH den Flugbetrieb einstellen und als sogenannte „Besitzgesellschaft” auftreten. Sie wird die Flugzeuge an die G. vermieten.

Aus diesem Grunde müssen wir Ihr Arbeitsverhältnis zum 01.06.1986 umstellen, d.h. Ihr neuer Arbeitgeber wird die Germania Fluggesellschaft mbH sein, die alle Rechte und Pflichten, was Ihr Arbeitsverhältnis betrifft übernehmen wird. Hierzu benötigen wir selbstverständlich Ihre Zustimmung, die Sie bitte auf beiliegender Kopie durch Ihre Unterschrift geben wollen. Als Termin haben wir uns den 15.06.1986 vorgemerkt.”

Der Kläger erklärte sein Einverständnis. Das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien endete zum 31. Oktober 1986 aufgrund einer Kündigung der Beklagten. Vom März 1987 bis einschließlich 7. Dezember 1987 war der Kläger ohne ausdrücklichen Vertragsabschluß erneut für die Beklagte als Pilot auf der Boeing 727 tätig. Etwa 1987 stellte die Beklagte den von der S. überlassenen Flugzeugpark insgesamt auf den Flugzeugtyp Boeing 737-300 um. Der Kläger besaß zu diesem Zeitpunkt für dieses Flugzeugmuster keine Musterberechtigung. Die Parteien schlossen unter dem 22. Januar 1988 u.a. auch über die Ausbildung des Klägers einen Vertrag. Dort heißt es u.a.:

  1. „Herr D. wird ab ca. 07.03.88 in Seattle, USA durch die Firma Boeing zum Copiloten auf dem Flugzeugmuster Boeing 737-300 ausgebildet. Nach Erhalt des Type-Ratings wird Herr D. auf diesem Flugzeugmuster als Co-Pilot** eingesetzt.
  2. Herr D. verpflichtet sich, der G. mindestens 3 Jahre als freier Mitarbeiter uneingeschränkt zur Verfügung zu stehen. Als Gegenleistung erhält Herr D. eine Garantie von mindestens 600 Blockstunden p.a..
  3. Die G. vergütet Herrn D. ein Honorar von DM 100,00 je Blockstunde**, das Herr D. dem Unternehmen monatlich im nachhinein mittels Rechnung mehrwertsteuerfrei (UStG § 8, Abs. 2) aufgeben wird. Desweiteren erhält Herr D. den üblichen Spesensatz.
  4. Der Wert des Type-Ratings ist mit DM 80.000,00 festgesetzt worden. Falls Herr D. das Vertragsverhältnis mit der G. vor Ablauf der Drei-Jahresfrist beendet, wird der Type-Rating-Betrag zur Rückzahlung fällig unter der Haßgabe, daß DM 2.200,00 je abgeleisteten Monat dem Schuldbetrag gutgebracht wird. Herr D. sagt zu, daß er das Mitarbeiterverhältnis auf keinen Fall innerhalb der Hochsaison (1. April bis 31. Oktober eines jeden Jahres) beendet.

Die Kosten des Type-Rating sind als Darlehen zu betrachten.

Ebenso wird der Type-Rating-Betrag zur Rückzahlung fällig, wenn Herr D. aufgrund mangelnder Vorbereitung und Leistung das Type-Rating nicht bestehen sollte. Das gleiche gilt für den Prof-Check.

In den Type-Rating-Kosten sind Transport nach Seattle und die dortige Unterbringung enthalten.

Falls G. vor Ablauf der Dreijahresfrist die Vereinbarung beendet, entfällt die Rückzahlung der Ratingkosten. Mit Erklärung der Beendigung entfällt die Stundengarantie für die Zukunft.

** Nach bestandenem Kapitäns-Rating in Seattle sowie Supervision-Fliegen bei der G. und erfolgreichem Line-Check wird Herr D. als Kapitän eingesetzt.”

Die Ausbildung des Klägers zum Kapitän für das Flugzeugmuster Boeing 737-300 sowie die Schulung für das Navigationssystem EFIS erfolgte in der Zeit vom 7. März 1988 bis zum 16. April 1988 bei der Firma Boeing in Seattle/USA. Am 28. Mai 1988 absolvierte der Kläger den Überprüfungsflug und wurde anschließend nach Maßgabe von Flugeinsatzplänen als Flugkapitän eingesetzt.

Der Flugzeugtyp Boeing 737-300 wurde in Deutschland zu Beginn nur von der L. und der Beklagten eingesetzt. Mittlerweile gehört dieses Flugzeug zu den meistgeflogenen Verkehrsflugzeugen der westlichen Welt. In Deutschland wird es auch von den Fluggesellschaften Condor, Hapag-Lloyd und der Firma Süd-Flug geflogen. Die Musterberechtigung für den Typ Boeing 737-300 gilt auch für weitere Muster der Baureihe Boeing 737. Für die Musterberechtigung des Typs Boeing 757 wird eine Ergänzungsprüfung benötigt.

Der Kläger kündigte sein Vertragsverhältnis gegenüber der Beklagten zum 31. Oktober 1989. Er stellte der Beklagten mit Schreiben vom 3. November 1989 14.364,50 DM in Rechnung. Die Beklagte verrechnete diesen Betrag mit den anteilig von ihr zurückgeforderten Ausbildungskosten und forderte den Kläger mit Schreiben vom 6. November 1989 zur Zahlung von 27.635,50 DM auf.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei nicht freier Mitarbeiter, sondern Arbeitnehmer gewesen. Die Beklagte habe keinen Anspruch auf Rückzahlung der Einweisungskosten, da Ziffer 4 der Vereinbarung vom 22. Januar 1988 unwirksam sei. Die Einweisungskosten hätten nicht 80.000,00 DM betragen. Im übrigen sei es üblich, daß der Flugzeughersteller bei Erstbestellungen die Einweisungskosten für die Cockpit-Besatzungen übernehme. Für ihn habe weder Boeing noch die S. der Beklagten eine Rechnung gestellt. Die betragsmäßige Pauschalierung ermögliche es der Beklagten, einen Gewinn zu erzielen. Das sei mit Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar. Auch werde ihm durch die Vereinbarung der Nachweis abgeschnitten, es seien geringere Kosten als die festgesetzten 80.000,00 DM entstanden. Die Rückzahlungsklausel habe daher Vertragsstrafencharakter. Deswegen sei eine Billigkeitskontrolle vorzunehmen, dem die Vereinbarung nicht standhalte. Er habe auch keine Ausbildung, sondern lediglich eine Einweisung erhalten. Er habe keine höhere berufliche Qualifikation erworben. Nach seinem Ausscheiden bei der Firma Süd-Flug habe für ihn keine Möglichkeit mehr bestanden, die Musterberechtigung einzusetzen. Sie sei wegen ihres begrenzten zeitlichen Geltungsbereichs inzwischen verfallen.

Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse, beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 14.364,50 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 21. Dezember 1989 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat widerklagend beantragt,

den Kläger zu verurteilen, an sie 27.635,50 DM nebst 4 % Zinsen ab dem 15. November 1989 zu zahlen.

Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Rückzahlungsvereinbarung sei wirksam. Der Kläger sei freier Mitarbeiter gewesen. Im Rahmen von freien Mitarbeiterverhältnissen gelte für derartige Rückzahlungsklauseln in erster Linie der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Begrenzungen ergäben sich lediglich aus den §§ 138, 242 BGB. Auch wenn der Kläger Arbeitnehmer gewesen sei, sei die Rückzahlungsklausel wirksam. Die Beklagte hat gegen die Rechtsprechung des Senats zur Rückzahlung von Ausbildungskosten grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken erhoben und sich gegen die Auffassung gewandt, der Arbeitgeber hätte die tatsächlichen Voraussetzungen für die Wirksamkeit von Rückzahlungsklauseln darzulegen und zu beweisen. Im übrigen hat sie die Rückzahlungsklausel auch bei Anwendung der Rechtsprechung des Senats für wirksam gehalten, weil der Kläger mit der Ausbildung einen erheblichen wirtschaftlichen Wert erhalten habe. Die vereinbarten Rückzahlungsbeträge seien auch nicht überhöht. Der Ausbildungsaufwand habe über 80.000,00 DM betragen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger keinen Anspruch auf Rückzahlung der Ausbildungskosten. Dem Kläger steht damit die Klageforderung in unstreitiger Höhe zu, da eine Aufrechnung der Beklagten an der fehlenden Gegenforderung scheitert (§ 389 BGB). Weiter ergibt sich daraus, daß die Widerklage unbegründet ist.

Die Beklagte stützt ihren Rückforderungsanspruch auf Ziff. 4 des Vertrages vom 22. Januar 1988. Die darin enthaltene Rückzahlungsklausel ist mindestens insoweit unwirksam, als dort eine Bindungsdauer von mehr als einem Jahr vereinbart wurde.

I. Ein Anspruch auf Rückzahlung der Ausbildungskosten ergibt sich nicht schon aus Ziffer 4, 2. Absatz der Vereinbarung vom 22. Januar 1988, wonach „die Kosten des Type-Ratings … als Darlehen zu betrachten” sind. Denn in Wahrheit ist – entgegen dem Wortlaut der Vereinbarung – kein Darlehen im Rechtssinne gewollt, sondern eine Verpflichtung zur Rückzahlung der für die Fortbildung aufgewandten Kosten. Allein die Wahl einer unzutreffenden Bezeichnung kann daran nichts ändern (Urteil vom 11. April 1990 – 5 AZR 308/89 – AP Nr. 14 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, zu II der Gründe).

II. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind einzelvertragliche Vereinbarungen, wonach Ausbildungskosten, die der Arbeitgeber aufgewendet hat, vom Arbeitnehmer zurückzuzahlen sind, wenn dieser das Arbeitsverhältnis vor Ablauf bestimmter Fristen beendet, grundsätzlich zulässig. Das gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Zahlungsverpflichtungen, die an die vom Arbeitnehmer ausgehende Kündigung anknüpfen, können gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen. Die Rückzahlungspflicht muß vom Standpunkt eines verständigen Betrachters einem begründeten und zu billigendem Interesse des Arbeitgebers entsprechen. Der Arbeitnehmer muß mit der Ausbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung erhalten haben. Insgesamt muß die Erstattungspflicht dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben zumutbar sein. Die für den Arbeitnehmer tragbaren Bindungen sind aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Heranziehung der Umstände des Einzelfalles zu ermitteln (BAG Urteil vom 23. Februar 1983, BAGE 42, 48 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; BAG Urteil vom 24. Juli 1991, BAGE 68, 178 = AP Nr. 16 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; vgl. auch BGH Urteil vom 5. Juni 1984 – VI ZR 279/82 – AP Nr. 11 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe).

Die gegen diese Rechtsprechung vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken sind nicht begründet. Das hat der Senat in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil im Parallelrechtsstreit – 5 AZR 339/92 – vom 16. März 1994 im einzelnen ausgeführt. Darauf wird verwiesen. Danach ist die richterliche Inhaltskontrolle einzelvertraglicher Klauseln, durch die sich der Arbeitnehmer zur Rückzahlung von Ausbildungskosten verpflichtet, von Verfassungs wegen geboten. § 242 BGB begründet die Befugnis zu einer richterlichen Inhaltskontrolle von Verträgen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (grundlegend Urteil vom 18. August 1976, BAGE 28, 159 = AP Nr. 3 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe) hat sich die für die gerichtliche Inhaltskontrolle von Rückzahlungsklauseln erforderliche Interessenabwägung insbesondere daran zu orientieren, ob und inwieweit der Arbeitnehmer mit der Aus- oder Weiterbildung einen geldwerten Vorteil erlangt.

In Anwendung dieser Grundsätze ist der Senat für Musterberechtigungen zu dem Ergebnis gelangt, daß wegen deren Besonderheiten unabhängig von der Art der Musterberechtigungen und der vom Arbeitgeber aufgewandten Kosten regelmäßig nur eine Bindungsdauer von einem Jahr vereinbart werden darf. Auch insoweit wird auf das im Parallelrechtsstreit – 5 AZR 339/92 – ergangene, zur Veröffentlichung bestimmte Urteil vom 16. März 1994 verwiesen.

III.1. Diese Grundsätze sind auch im Streitfall anwendbar. Denn der Beklagte war – wie das Landesarbeitsgericht zu Recht erkannt hat – Arbeitnehmer und nicht freier Mitarbeiter. Beide unterscheiden sich durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete jeweils befindet. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist weder erforderlich noch ausreichend.

Arbeitnehmer ist danach derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Insoweit enthält § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB ein typisches Abgrenzungsmerkmal. Nach dieser Bestimmung ist selbständig, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbständig und deshalb persönlich abhängig ist dagegen der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Zwar gilt diese Regelung unmittelbar nur für die Abgrenzung des selbständigen Handelsvertreters vom abhängig beschäftigten kaufmännischen Angestellten. Über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus enthält diese Bestimmung jedoch eine allgemeine gesetzgeberische Wertung, die bei der Abgrenzung des Dienstvertrages vom Arbeitsvertrag zu beachten ist, zumal da dies die einzige Norm darstellt, die Kriterien dafür enthält. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, daß der Beschäftigte einem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Dieses Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Die fachliche Weisungsgebundenheit ist für Dienste höherer Art nicht immer typisch. Die Art der Tätigkeit kann es mit sich bringen, daß dem Dienstverpflichteten ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und fachlicher Selbständigkeit verbleibt (vgl. statt vieler: BAG Urteil vom 13. Januar 1983, BAGE 41, 247, 253 f. = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 1 der Gründe; vgl. ferner BAG Urteil vom 13. November 1991 – 7 AZR 31/91 – AP Nr. 60 zu § 611 BGB Abhängigkeit, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt).

Dabei kommt es nicht darauf an, wie die Parteien das Vertragsverhältnis bezeichnen. Der Status des Beschäftigten richtet sich nicht nach den Wünschen und Vorstellungen der Vertragspartner, sondern danach, wie die Vertragsbeziehung nach ihrem Geschäftsinhalt objektiv einzuordnen ist. Denn durch Parteivereinbarung kann die Bewertung einer Rechtsbeziehung als Arbeitsverhältnis nicht abbedungen und der Geltungsbereich des Arbeitnehmerschutzrechts nicht eingeschränkt werden. Der wirkliche Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrages zu entnehmen. Wenn der Vertrag abweichend von den ausdrücklichen Vereinbarungen vollzogen wird, ist die tatsächliche Durchführung maßgebend. Denn die praktische Handhabung läßt Rückschlüsse darauf zu, von welchen Rechten und Pflichten die Parteien in Wirklichkeit ausgegangen sind (BAG Urteil vom 13. Januar 1983, BAGE 41, 247, 258 f. = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 3 der Gründe; BAG Urteil vom 27. März 1991 – 5 AZR 194/90 – AP Nr. 53 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu I 2 der Gründe; BAG Beschluß vom 30. Oktober 1991 – 7 ABR 19/91 – AP Nr. 59 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 1 der Gründe).

Für die Abgrenzung entscheidend sind demnach die Umstände der Dienstleistung, nicht aber die Modalitäten der Entgeltzahlung oder andere formelle Merkmale wie die Abführung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen und die Führung von Personalakten.

Bei der Frage, in welchem Maße der Mitarbeiter persönlich abhängig ist, ist vor allem die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit zu berücksichtigen (BAG Urteil vom 15. März 1978, BAGE 30, 163, 169 = AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 2 der Gründe). Denn abstrakte, für alle Arbeitsverhältnisse geltende Kriterien lassen sich nicht aufstellen. Eine Anzahl von Tätigkeiten kann sowohl im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses (freien Mitarbeiterverhältnisses) erbracht werden (BAG Beschluß vom 30. Oktober 1991, a.a.O.). Umgekehrt gibt es Tätigkeiten, die für andere regelmäßig nur im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden können. Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses kann also auch aus der Art der zu verrichtenden Tätigkeiten folgen. Das Bundesarbeitsgericht hat diesem Gedanken in mehreren Entscheidungen maßgebliche Bedeutung beigemessen, etwa für Orchestermusiker (Urteile vom 14. Februar 1974 – 5 AZR 298/73 – und 3. Oktober 1975 – 5 AZR 427/74 – AP Nr. 12, 16 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ebenso Urteil vom 29. Juli 1976 – 3 AZR 7/75 – AP Nr. 41 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag), für Lehrkräfte (Urteil vom 24. Juni 1992 – 5 AZR 384/91 – AP Nr. 61 zu § 611 BGB Abhängigkeit), für (studentische) Hilfspfleger (Urteil vom 13. Februar 1985 – 7 AZR 345/82 –, n.v.) und für die Tätigkeit eines Mitarbeiters des fremdsprachlichen Dienstes einer Rundfunkanstalt mit täglich routinemäßig anfallender Sprecher- und Übersetzertätigkeit (Urteil vom 3. Oktober 1975 – 5 AZR 162/74 – AP Nr. 15 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 3 a der Gründe; vgl. auch Urteil vom 9. März 1977 – 5 AZR 110/76 – AP Nr. 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 2 c der Gründe).

2. Die genannten Grundsätze sind auch im Bereich Transport und Verkehr anzuwenden. Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ergibt sich hier – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat – in erster Linie daraus, daß die Einsätze des Klägers in Dienstplänen aufgeführt waren, die die Beklagte ohne vorherige Absprache mit dem Kläger erstellt hatte. Wie der Senat insbesondere im Hinblick auf Mitarbeiter für Funk und Fernsehen bereits mehrfach entschieden hat, ist ein Arbeitsverhältnis insbesondere dann zu bejahen, wenn der Unternehmer innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens über die Arbeitsleistung verfügen kann (vgl. zuletzt Urteil vom 16. Februar 1994 – 5 AZR 402/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Das ist etwa dann der Fall, wenn ständige Dienstbereitschaft erwartet wird (BAG Urteil vom 7. Mai 1980 – 5 AZR 293/78 – AP Nr. 35 zu § 611 BGB Abhängigkeit) oder wenn der Mitarbeiter in nicht unerheblichem Umfang ohne Abschluß dahingehender Vereinbarung zur Arbeit herangezogen wird, ihm also die Arbeiten letztlich „zugewiesen” werden. Die ständige Dienstbereitschaft kann sich sowohl aus den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen der Parteien als auch aus der praktischen Durchführung der Vertragsbeziehungen ergeben. Wird der Einsatz des Mitarbeiters durch Dienstpläne geregelt, die ohne seine Mitwirkung erstellt werden, so ist dies ein starkes Indiz für die Arbeitnehmereigenschaft (vgl. Urteil vom 16. Februar 1994, a.a.O.). Denn eine einseitige Aufstellung von Dienstplänen ist regelmäßig nur dann sinnvoll, wenn Dienstbereitschaft der darin aufgeführten Mitarbeiter erwartet werden kann.

So liegen die Dinge hier. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, die im übrigen dem unstreitigen Parteivorbringen entsprechen, bekam der Kläger die Dienstpläne in derselben Weise wie die festangestellten Piloten über das betriebsinterne Fach zugeleitet. Die Beklagte rechnete beim Kläger ebenso wie bei einem fest angestellten Mitarbeiter damit, daß dieser regelmäßig sein Fach leerte, um über die kommenden Einsätze Bescheid zu wissen. Dem Kläger fehlte – worauf das Landesarbeitsgericht zutreffend hingewiesen hat – die Zeitsouveränität. Das ergibt sich auch aus der Tatsache, daß dem Kläger wiederholt aus betrieblichen Gründen ein Erholungsurlaub versagt wurde. Hinzu kommt, daß sich erst aus den Dienstplänen ergab, welche Strecken der Kläger zu fliegen hatte.

IV. Im Streitfall war der Kläger nach dem Erwerb der Musterberechtigung noch länger als ein Jahr für die Beklagte tätig. Der Beklagten stand daher im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis kein Anspruch auf Rückzahlung der Kosten für den Erwerb der Musterberechtigung mehr zu.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke, Bengs, Buschmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1082701

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