Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsrechtlicher Status eines Musikschullehrers

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen sind in aller Regel Arbeitnehmer, auch wenn es sich um eine nebenberufliche Tätigkeit handelt.

2a. Dagegen können Volkshochschuldozenten, die außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichten, sowie Musikschullehrer auch als freie Mitarbeiter beschäftigt werden.

2b. Sie sind Arbeitnehmer, wenn die Parteien dies vereinbart haben oder im Einzelfall festzustellende Umstände hinzutreten, aus denen sich ergibt, daß der für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses erforderliche Grad der persönlichen Abhängigkeit gegeben ist.

2c. Solche Umstände können etwa sein das vom Schulträger beanspruchte Recht, die zeitliche Lage der Unterrichtsstunden einseitig zu bestimmen oder das Rechtsverhältnis umfassend durch (einseitig erlassene) "Dienstanweisung" zu regeln.

 

Normenkette

BGB § 611; HGB § 84 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 07.05.1991; Aktenzeichen 13 (12) Sa 1079/90)

ArbG Emden (Entscheidung vom 23.05.1990; Aktenzeichen 2 Ca 110/90)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Die Klägerin war vom 1. Januar 1988 bis zum 31. Dezember 1990 in der Musikschule des beklagten Landkreises als Musikschullehrerin tätig. In dem von beiden Parteien unterschriebenen "Beschäftigungsauftrag" vom 20. Januar 1988 heißt es u.a.:

"§ 1

1. ... wird verpflichtet, ... Musikunterricht zu

erteilen.

2. Die wöchentliche Unterrichtszeit wird im

Einvernehmen mit dem Schulleiter bis zu 4

Stunden festgesetzt.

§ 2

1. Ein Beschäftigungsverhältnis zum Landkreis

L wird durch diesen Auftrag nicht begrün-

det. Tarifliche Vorschriften und die Bestim-

mungen der §§ 616 - 622 BGB finden auf den Be-

schäftigungsauftrag keine Anwendung.

2. Die allgemeinen Rechte und Pflichten aus

diesem Auftrag ergeben sich aus den Bestimmun-

gen der §§ 611 - 614 BGB.

§ 5

Im Falle ärztlich bescheinigter Arbeitsunfä-

higkeit wird die Vergütung für einen Zeitraum

von höchstens 42 Kalendertagen weitergewährt.

§ 6

Für den Steuerabzug und die Beitragsleistungen

zur Sozialversicherung gelten die gesetzlichen

Bestimmungen.

§ 7

Die Kreisverwaltung kann den Auftrag mit einer

Frist von 4 Wochen zum Monatsschluß widerru-

fen, der Auftragnehmer mit der gleichen Frist

seine Entlassung hieraus beantragen.

§ 8

Änderungen, Kündigung und Ergänzungen dieses

Beschäftigungsauftrages bedürfen der Schrift-

form. Sonstige Vereinbarungen wurden nicht ge-

troffen."

Die Bezahlung erfolgte nach Jahreswochenstunden. Der Beklagte führte für die Klägerin und die übrigen aufgrund von Beschäftigungsaufträgen tätigen Mitarbeiter bis Ende 1989 Lohnsteuer und - bei entsprechender Vergütungshöhe - Sozialversicherungsbeiträge ab; ein Teil der Mitarbeiter erhielt auch vermögenswirksame Leistungen.

Mit Schreiben vom 24. Januar 1990 sprach der Beklagte den "Widerruf" des bestehenden "Beschäftigungsauftrages" zum 28. Februar 1990 aus und bot zugleich den Abschluß eines Dienstvertrages ab 1. März 1990 an. Dieses Angebot nahm die Klägerin unter Vorbehalt der Wirksamkeit der Vertragsänderung an. Nach § 1 Satz 1 des Dienstvertrages wurde die Klägerin "als nebenamtliche Musikschullehrer(in) (Honorarkraft) im Rahmen des jeweiligen Stundenplanes bis zu 4 Unterrichtsstunden ... eingesetzt". Weiter heißt es in dem Dienstvertrag:

"§ 1

...

Die Angaben im Arbeitsplan über Fach, Ort und

Zeit des Kurses gelten ergänzend.

§ 2

Die Tätigkeit wird in wirtschaftlicher und per-

sönlicher Selbständigkeit und Unabhängigkeit aus-

geübt. Ein Arbeitsverhältnis wird durch diese

Vereinbarung nicht begründet.

§ 3

...

Die Honorarkraft verpflichtet sich, das Honorar

den geltenden Bestimmungen entsprechend zu ver-

steuern. Sie wird darauf hingewiesen, daß für

diese freiberufliche Tätigkeit Versicherungs-

pflicht (Rentenversicherung der Angestellten und

gesetzliche Krankenversicherung) nach dem Künst-

lersozialversicherungsgesetz besteht ...

§ 4

Die Honorarkraft verpflichtet sich, an Konferen-

zen und eventuellen Vorspielnachmittagen und Kon-

zerten teilzunehmen, soweit der Leiter der Musik-

schule die Teilnahme für erforderlich hält. Nimmt

sie in einem Schuljahr an mehr als 3 Konzerten

oder Vorspielnachmittagen teil, wird für die

Teilnahme an jeder weiteren Veranstaltung ein Ho-

norar entsprechend § 3 gezahlt.

§ 8

Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages be-

dürfen der Schriftform."

Unter dem 1. März 1990 erließ der Oberkreisdirektor des Beklagten eine "Dienstanweisung für die nebenamtlichen Lehrkräfte der Musikschule", die auszugsweise wie folgt lautet:

"1. Allgemeines

1.1 Die Dienstanweisung gilt für alle ne-

benamtlichen Lehrkräfte der Musikschule.

Sie bestimmt das Verhältnis der Lehrer zur

Schule, zum Schulleiter und zu den Schülern

bzw. ihren gesetzlichen Vertretern. Die

Dienstanweisung ist zusammen mit den Be-

stimmungen der Schulordnung sowie den wei-

teren im Dienstvertrag genannten allgemei-

nen Bestimmungen verbindlich.

1.2 Die Lehrkraft ist verpflichtet, über die

ihr bei der Ausübung des Dienstes bekannt-

gewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit

zu bewahren, deren Geheimhaltung durch ge-

setzliche Vorschriften vorgesehen oder

durch den Schulträger angeordnet ist. ...

2. Unterricht

2.1 Die Unterrichtsstunden und die zu un-

terrichtenden Schüler werden den Lehrkräf-

ten zu Beginn des Schuljahres durch die

Schulleitung zugewiesen. Spezielle Wünsche

der Eltern und Schüler bzw. der Lehrkräfte

können berücksichtigt werden. ...

Die Lehrkräfte geben ihre Stundenwünsche

der Schulleitung rechtzeitig vor Beginn des

Schuljahres bekannt.

2.2 Die Lehrkräfte sind in ihrer Unterrichts-

und Erziehungsarbeit im Rahmen der Gesetze

und der Konferenzbeschlüsse frei. Die fest-

gelegten Lehrpläne sind verbindlich; be-

gründete Ausnahmen müssen mit der Schullei-

tung abgesprochen werden.

2.3 Die Schulleitung berät die Lehrkräfte in

pädagogischen und künstlerischen Fragen.

2.4 Die Lehrkräfte sind zur regelmäßigen und

korrekten Führung der Anwesenheitslisten

während des Unterrichts verpflichtet. Ein

Ausschluß von Schülern aus dem Unterricht

ist nur durch die Schulleitung möglich. Bei

unentschuldigtem Fehlen von Schülern gilt

folgendes Verfahren: ...

Die Klassenbücher sind zu Beginn eines

jeden Quartals (01.01., 01.04., 01.07.,

01.10.) unaufgefordert in der Verwaltung

der Musikschule zur Kontrolle und Abzeich-

nung vorzulegen.

Bei Unterrichtsbesuchen sowie bei der

Klärung von Beschwerden der gesetzlichen

Vertreter sind die Anwesenheitslisten zur

Verfügung zu stellen. Sie sind am Ende

jedes Schuljahres unaufgefordert in der

Verwaltung der Musikschule abzugeben.

2.5 Die Lehrkräfte sind gehalten, für die

regelmäßige und genaue Führung der Aufga-

benhefte Sorge zu tragen.

2.6 Zu den gesetzlichen Vertretern der Schüler

ist ein ständiger enger Kontakt zu halten,

insbesondere durch regelmäßige Vorstellung

der Leistungen der Schüler in Musizierstun-

den. Darüber hinaus sind die gesetzlichen

Vertreter bei besonderen Vorkommnissen,

insbesondere bei einem wesentlichen Rück-

gang der Leistungen zu informieren.

...

2.12 Die Lehrkräfte sind verantwortlich für den

ordnungsgemäßen Ablauf des Unterrichts.

Gröbere Verstöße gegen die Schuldisziplin

sind der Schulleitung zu melden.

2.13 Mängel in den Unterrichtsräumen, Beschä-

digungen oder Verlust von Einrichtungs-

gegenständen sowie Beschädigungen und Ver-

lust von Instrumenten sind unverzüglich der

Verwaltung der Musikschule mitzuteilen.

2.14 Die Lehrkräfte sind gehalten, auf eine

sachgerechte Behandlung der durch die Mu-

sikschule an die Schüler ausgegebenen Leih-

instrumente zu achten und etwaige Schäden

daran unverzüglich der Verwaltung der Mu-

sikschule mitzuteilen.

...

4. Besondere Dienstpflichten

4.1 Die Lehrkräfte sind verpflichtet, ihren

Schülern entsprechend der Schulordnung

Zeugnisse zu erteilen und die Ergebnisse in

das Ausbildungsbuch des Schülers zu über-

tragen sowie sie zu den Prüfungen zu mel-

den. An den Prüfungen ihrer Schüler nehmen

diese Lehrkräfte selbst teil. Der zu glei-

cher Zeit liegende Unterricht fällt in der

Regel aus.

4.2 Die Lehrkräfte stellen ihre Schüler min-

destens einmal jährlich in Musizierstunden

oder sonstigen Veranstaltungen den Eltern

und anderen Interessierten vor. Für öffent-

liche Veranstaltungen reichen sie auf An-

forderung der Schulleitung Vorschläge ein.

4.3 Die Lehrkräfte sind auf Anordnung der

Schulleitung zur Teilnahme an Konferenzen

und Arbeitsgemeinschaften in zeitlich ge-

ringem Umfang verpflichtet. Bei Verhinde-

rung ist eine vorherige Mitteilung erfor-

derlich. In diesem Falle ist die fehlende

Lehrkraft verpflichtet, sich selbst über

Inhalt und Ergebnis zu informieren und

evtl. Beschlüsse auszuführen.

4.4 Die Mitarbeit an allgemeinen schulischen

Aufgaben und Veranstaltungen wird von allen

Lehrkräften erwartet.

5. Verschiedenes

...

5.3 Im Sinne einer kollegialen Zusammenarbeit

haben die Lehrkräfte auch den Anordnungen

solcher Kollegen nachzukommen, die im Auf-

trage der Schulleitung bestimmte Aufgaben

wahrnehmen."

Während der gesamten Dauer des Vertragsverhältnisses wurde die Zahl der wöchentlichen Unterrichtsstunden innerhalb des vertraglich vorgegebenen Rahmens entsprechend den vorhandenen Anmeldungen in Absprache zwischen Lehrkraft und Schulleiter bestimmt. Die Schulleitung legte die Unterrichtszeiten unter Berücksichtigung der Wünsche der Lehrkraft, der Wünsche von Eltern und Schülern und der räumlichen Gegebenheiten fest. Der festgelegte Stundenplan war verbindlich; Änderungen konnten nur mit Zustimmung der Schulleitung erfolgen. Für die Unterrichtsgestaltung waren die Lehrpläne des Verbandes Deutscher Musikschulen anzuwenden, z. B. das Curriculum Musikalische Früherziehung. Die Lehrkraft war verpflichtet, Anwesenheitslisten und Klassenbücher zu führen, Kontakt zu Eltern zu halten, mindestens einmal jährlich mit ihren Schülern an einem Vorspiel teilzunehmen und an Konferenzen mitzuwirken. Vertretungen wurden auf freiwilliger Basis gegen gesonderte Vergütung übertragen.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, es habe ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden, weil sie in den Betrieb des Beklagten eingegliedert gewesen sei. Sie hat vorgetragen: Der Unterricht müsse in den zugewiesenen Unterrichtsräumen stattfinden, der Stundenplan sei verbindlich, Materialien und Methoden seien vorgegeben. Insbesondere dokumentiere auch die Dienstanweisung ab 1. März 1990 ihre persönliche Abhängigkeit. Zu berücksichtigen sei weiter, daß sie nach dem "Beschäftigungsauftrag" Lohnfortzahlung erhalten habe und bezahlter Urlaub gewährt worden sei. In diesem Zusammenhang sei auch der Abführung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen durch den Beklagten Bedeutung beizumessen. Endlich habe sie über die Unterrichtstätigkeit hinaus nicht unerhebliche Nebenpflichten wahrzunehmen gehabt.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

1. festzustellen, daß zwischen den Parteien bis

zum 31. Dezember 1990 ein unbefristetes Ar-

beitsverhältnis bestanden hat,

2. festzustellen, daß die Änderung der Ar-

beitsbedingungen im Zusammenhang mit der Ände-

rungskündigung vom 24. Januar 1990 unwirksam

ist.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, es liege nur ein freies Mitarbeiterverhältnis vor. Die Bindung an den Lehrplan bedeute nur die Konkretisierung der geschuldeten Leistung. Der zeitlichen und örtlichen Bindung der Lehrkräfte komme keine entscheidende Bedeutung zu, da über die festgelegten Unterrichtszeiten hinaus keine nennenswerte Dienstbereitschaft verlangt worden sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und nach den zuletzt gestellten Klageanträgen entschieden. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin war Arbeitnehmerin des beklagten Landkreises. Ihre Arbeitsbedingungen haben sich durch die Änderungskündigung vom 24. Januar 1990 nicht geändert.

I. Die Klage ist auch hinsichtlich des Feststellungsantrages zu 1) zulässig. Die Klägerin hatte vor dem Arbeitsgericht ursprünglich die Feststellung beantragt, daß zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht. Nachdem das Rechtsverhältnis mit dem 31. Dezember 1990 geendet hatte, konnte es ihr nur noch um die Feststellung gehen, daß bis zu diesem Termin ein Arbeitsverhältnis bestanden hat, nicht mehr um die Frage, ob dieses beendete Arbeitsverhältnis befristet oder unbefristet war. Das Wort "unbefristetes" im Antrag zu 1) hat also keine Bedeutung mehr.

Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse daran, daß dieses Rechtsverhältnis - auch wenn es nunmehr abgeschlossen ist - durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird (§ 256 ZPO). Für den Fall, daß ein Arbeitsverhältnis festgestellt würde, wären auf dieses Vertragsverhältnis der Parteien - unabhängig von den getroffenen Vereinbarungen - die zwingenden gesetzlichen Vorschriften anzuwenden, die ein Arbeitsverhältnis gestalten (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur BAGE 34, 111, 116 = AP Nr. 37 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAGE 36, 77, 81 = AP Nr. 38, aaO, zu I der Gründe; BAGE 41, 247, 250 f. = AP Nr. 42, aaO, zu A der Gründe).

II. Die Klage ist auch begründet. 1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats unterscheidet sich ein Arbeitsverhältnis von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters (Dienstvertrag) durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete jeweils befindet. Arbeitnehmer ist danach derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Insoweit enthält § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB ein typisches Abgrenzungsmerkmal. Nach dieser Bestimmung ist selbständig, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbständig und deshalb persönlich abhängig ist dagegen der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Zwar gilt diese Regelung unmittelbar nur für die Abgrenzung des selbständigen Handelsvertreters vom abhängig beschäftigten kaufmännischen Angestellten. Über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus enthält diese Bestimmung jedoch eine allgemeine gesetzgeberische Wertung, die bei der Abgrenzung des Dienstvertrages vom Arbeitsvertrag zu beachten ist, zumal dies die einzige Norm darstellt, die Kriterien dafür enthält. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, daß der Beschäftigte einem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Dieses Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen (vgl. statt vieler: BAGE 41, 247, 253 f. = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 9. Mai 1984 - 5 AZR 195/82 - AP Nr. 45 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 2 der Gründe; BAG Beschluß vom 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - EzA § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 44, zu B II 2 der Gründe).

Dabei kommt es nicht darauf an, wie die Parteien das Vertragsverhältnis bezeichnen. Der Status des Beschäftigten richtet sich nicht nach den Wünschen und Vorstellungen der Vertragspartner, sondern danach, wie die Vertragsbeziehung nach ihrem Geschäftsinhalt objektiv einzuordnen ist. Denn durch Parteivereinbarung kann die Bewertung einer Rechtsbeziehung als Arbeitsverhältnis nicht abbedungen und der Geltungsbereich des Arbeitnehmerschutzrechts nicht eingeschränkt werden. Der wirkliche Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Wenn der Vertrag abweichend von den ausdrücklichen Vereinbarungen vollzogen wird, ist die tatsächliche Durchführung maßgebend. Denn die praktische Handhabung läßt Rückschlüsse darauf zu, von welchen Rechten und Pflichten die Parteien in Wirklichkeit ausgegangen sind (BAGE 19, 324, 329 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 1 der Gründe; BAGE 41, 247, 258 f. = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 3 der Gründe; BAG Urteil vom 27. März 1991 - 5 AZR 194/90 - AP Nr. 53 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu I 2 der Gründe; BAG Beschluß vom 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - EzA, aaO, zu B II 1 der Gründe).

Für die Abgrenzung entscheidend sind demnach die Umstände der Dienstleistung, nicht aber die Modalitäten der Entgeltzahlung oder andere formelle Merkmale wie die Abführung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen. Die Arbeitnehmereigenschaft kann nicht mit der Begründung verneint werden, es handele sich um eine nebenberufliche Tätigkeit (BAG Urteil vom 8. Oktober 1975 - 5 AZR 430/74 - AP Nr. 18 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 5 der Gründe; BAG Beschluß vom 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - aaO, zu B II 3 b der Gründe). Umgekehrt spricht nicht schon der Umstand für ein Arbeitsverhältnis, daß es sich um ein auf Dauer angelegtes Vertragsverhältnis handelt (BAG Urteil vom 27. März 1991 - 5 AZR 194/90 - AP Nr. 53 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu III 7 der Gründe; BAG Beschluß vom 30. Oktober 1991, aaO, zu B II 3 c der Gründe).

2. Die dargestellten Grundsätze gelten auch für Unterrichtstätigkeit. Entscheidend ist danach, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden ist und in welchem Umfang sie den Unterrichtsinhalt, die Art und Weise seiner Erteilung, ihre Arbeitszeit und die sonstigen Umstände der Dienstleistung mitgestalten kann (BAG Beschluß vom 30. Oktober 1991, aaO, zu B II 4 der Gründe).

a) Für Lehrkräfte außerhalb von Universitäten und Hochschulen hat das Bundesarbeitsgericht diese Grundsätze dahin konkretisiert, daß diejenigen, die an allgemeinbildenden Schulen unterrichten, in aller Regel Arbeitnehmer sind, auch wenn es sich bei ihrem Unterricht um eine nebenberufliche Tätigkeit handelt (BAG Urteil vom 16. März 1972 - 5 AZR 460/71 - AP Nr. 10 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; BAGE 37, 305, 312 f. = AP Nr. 65 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu B I 1 der Gründe) und daß Volkshochschuldozenten, die außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichten, auch als freie Mitarbeiter beschäftigt werden können, und zwar selbst dann, wenn es sich bei ihrem Unterricht um aufeinander abgestimmte Kurse mit vorher festgelegtem Programm handelt (BAG Urteil vom 26. Januar 1977 - 5 AZR 796/75 - AP Nr. 13 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; BAGE 37, 58 und 39, 329 = AP Nr. 22, 32 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten).

Der erkennende Senat hat in seinen Urteilen vom 7. Mai 1986 (- 5 AZR 591/83 -, n.v.) und vom 7. November 1990 (- 5 AZR 12/90 -, n.v.) die Lehrkräfte an Musikschulen den außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichtenden Volkshochschuldozenten gleichgestellt. Er hat im ersten Fall die Arbeitnehmereigenschaft verneint und im zweiten den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, das dann die Arbeitnehmereigenschaft bejaht hat (LAG Bremen Urteil vom 22. Oktober 1991 - 1 Sa 22/91 -, n.v.). Der Zweite Senat hat in seinem Urteil vom 20. Februar 1986 (- 2 AZR 212/85 - AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969) die Arbeitnehmereigenschaft von teilzeitbeschäftigten Musikschullehrern bejaht. Das dortige Anstellungsverhältnis war aber im Vertrag ausdrücklich als "Arbeitsverhältnis" bezeichnet worden.

b) Der Senat verbleibt bei seiner typisierenden Betrachtungsweise. Dafür sprechen folgende Gründe:

aa) Der Unterscheidung zwischen allgemeinbildenden Schulen sowie schulischen Lehrgängen einerseits und Volkshochschulen und Musikschulen andererseits liegt die Einsicht zugrunde, daß der stärkeren Einbindung von Schülern in ein Schul- oder Ausbildungssystem auch eine stärkere persönliche Abhängigkeit der Lehrkräfte vom Unterrichtsträger entspricht. Das zeigt sich in mehreren Punkten. Für Unterricht an allgemeinbildenden Schulen und im Rahmen von Kursen, die zu staatlich anerkannten Schulabschlüssen führen sollen, gibt es ein dichtes Regelwerk von Gesetzen, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen. Diese betreffen nicht nur die Unterrichtsziele, die sehr genau beschrieben werden, sondern auch Inhalt, Art und Weise des Unterrichts. Der Unterricht der verschiedenen Fächer und Stufen muß nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch und didaktisch aufeinander abgestimmt werden. Ein weiteres kommt hinzu: Wegen der großen allgemeinen Bedeutung unterliegen diese Lehrkräfte verstärkter Aufsicht und Kontrolle, abgesehen davon, daß die ständig stattfindenden Leistungskontrollen der Schüler mittelbar auch eine Kontrolle der Unterrichtenden bedeuten. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß bei Unterricht an allgemeinbildenden Schulen und im Rahmen schulischer Kurse zur Erlangung von Schulabschlüssen regelmäßig mehr Nebenarbeiten anfallen als bei der Abhaltung von Volkshochschulkursen und von Musikschulunterricht. Neben der Unterrichtsvorbereitung stehen die Korrekturen von schriftlichen Arbeiten, die Beteiligung an der Abnahme von Prüfungen, die Teilnahme an Konferenzen, die Abhaltung von Schulsprechstunden, unter Umständen auch Pausenaufsichten und die Durchführung von Wandertagen und Schulreisen.

Die Erteilung von Unterricht an allgemeinbildenden Schulen bedingt die Eingliederung der Lehrkräfte in die vom Schulträger bestimmte Arbeitsorganisation. Von daher ist es folgerichtig, wenn Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen, soweit sie aufgrund von privatrechtlichen Verträgen tätig sind, als Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt werden. Unterricht an allgemeinbildenden Schulen kann im Grundsatz nicht freien Mitarbeitern übertragen werden.

bb) Anders ist die Lage bei Volkshochschulen und Musikschulen. Hier ist die Verbindung der Schüler oder Kursteilnehmer zum Unterrichtsträger erheblich lockerer. Es besteht kein Schulzwang; die Schüler können sich leicht von der Schule lösen. Es gibt regelmäßig - anders als bei den allgemeinbildenden Schulen - auch keine förmlichen Abschlüsse. Die Kurse dienen nicht der Berufsvorbereitung. Der Unterricht ist meist weniger reglementiert, das Ausmaß der Kontrolle geringer. Schließlich fallen weniger Nebenarbeiten an. Die auch hier nötige Organisation und Koordination sowie die inhaltlichen Vorgaben lassen den Lehrkräften regelmäßig mehr Spielraum als in allgemeinbildenden Schulen. Volkshochschuldozenten und Musikschullehrer können daher im Grundsatz auch als freie Mitarbeiter beschäftigt werden. Arbeitnehmer sind sie nur dann, wenn die Parteien dies vereinbart haben (vgl. BAG Urteil vom 20. Februar 1986 - 2 AZR 212/85 - AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969) oder im Einzelfall festzustellende Umstände hinzutreten, aus denen sich ergibt, daß der für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses erforderliche Grad der persönlichen Abhängigkeit gegeben ist.

Solche Umstände können etwa sein das Recht des Schulträgers, die zeitliche Lage der Unterrichtsstunden einseitig zu bestimmen (BAG Beschluß vom 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - EzA, aaO), den Unterrichtsgegenstand oder Art und Ausmaß der Nebenarbeiten einseitig festzulegen, eine intensivere Kontrolle nicht nur des jeweiligen Leistungsstandes der Schüler, sondern auch des Unterrichts selbst oder die Inanspruchnahme sonstiger Weisungsrechte.

3. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, liegen im Streitfall besondere Umstände vor, aus denen sich ergibt, daß die Klägerin Arbeitnehmerin war.

Maßgebend für das Rechtsverhältnis der Parteien war zunächst der "Beschäftigungsauftrag" vom 20. Januar 1988. Art, Umfang und nähere Umstände des von der Klägerin zu erteilenden Unterrichts sind darin nur sehr unvollkommen geregelt. § 1 des "Beschäftigungsauftrages" enthält nur die Bestimmung, daß die Klägerin verpflichtet ist, "Musikunterricht zu erteilen", und daß die "wöchentliche Unterrichtszeit ... im Einvernehmen mit dem Schulleiter bis zu 4 Stunden festgesetzt" wird. Im übrigen heißt es in § 8, daß "Änderungen, Kündigung und Ergänzungen dieses Beschäftigungsauftrages der Schriftform" bedürfen. Nach den von der Revision nicht angegriffenen, das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 561 Abs. 2 ZPO) waren für die Unterrichtsgestaltung die Lehrpläne des Verbandes Deutscher Musikschulen anzuwenden, z.B. das Curriculum Musikalische Früherziehung, und waren die Lehrkräfte verpflichtet, Anwesenheitslisten und Klassenbücher zu führen, Kontakt zu Eltern zu halten, mindestens einmal jährlich mit ihren Schülern an einem Vorspiel teilzunehmen und an Konferenzen mitzuwirken. Der "Beschäftigungsauftrag" enthält dazu keine ausdrückliche Regelung. Es kann hier dahinstehen, ob es sich dabei nur um eine "Konkretisierung" des Leistungsgegenstandes handelt oder insoweit eine konkludente Vereinbarung vorliegt oder aber bereits darin die Ausübung eines arbeitsvertraglichen Weisungsrechts zu sehen ist. Entscheidend ist, daß die Schulleitung nach den das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 561 Abs. 2 ZPO) die Unterrichtszeiten, also die zeitliche Lage der Unterrichtsstunden, festlegte. Damit übte der Beklagte sein arbeitsvertragliches Weisungsrecht aus. Aus der Tatsache, daß die Schulleitung die Wünsche der Lehrkraft und die der Eltern und Schüler berücksichtigte, ergibt sich nichts anderes. Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, daß der Arbeitgeber bei der Ausübung seines Weisungsrechts auf Wünsche seiner Arbeitnehmer eingeht. Das ändert nichts daran, daß es sich gleichwohl um eine einseitige Maßnahme handelt und nicht um eine vertragliche Vereinbarung. Die Festlegung der Unterrichtszeiten unter Berücksichtigung von Wünschen der Lehrkraft sowie der Eltern und Schüler ist also einer Vereinbarung zwischen Schulträger und Lehrkraft rechtlich nicht gleichzuachten.

Damit stand die Klägerin bereits ab 1. Januar 1988 in einem Arbeitsverhältnis zum Beklagten.

4. Dieses Arbeitsverhältnis ist durch den "Widerruf" des "Beschäftigungsauftrages" nicht beendet oder geändert worden. Bei dem mit einem Vertragsangebot verbundenen "Widerruf" handelte es sich um eine Änderungskündigung. Diese ist unwirksam, weil der Beklagte Kündigungsgründe nicht vorgetragen hat und weil die nach § 78 Abs. 2 Nr. 7 Nds.PersVG erforderliche Zustimmung des Personalrats nicht vorliegt.

Auch die vom Beklagten unter dem 1. März 1990 erlassene Dienstanweisung konnte an der Arbeitnehmerstellung der Klägerin nichts ändern. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, enthält die Dienstanweisung zahlreiche Bestimmungen (z.B. 2.1, 2.4, 2.6, 4.4, 5.3), die zusätzlich dafür sprechen, daß es sich bei dem Rechtsverhältnis der Parteien um ein Arbeitsverhältnis handelte. Die Inanspruchnahme des Rechts, eine verbindliche "Dienstanweisung" oder "Schulordnung" zu erlassen, die über eine reine Hausordnung hinausgeht, ist mit einem freien Mitarbeiterverhältnis regelmäßig nicht vereinbar.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Reinecke

Dr. Frey Anthes

 

Fundstellen

Haufe-Index 440084

NJW 1993, 1156

NJW 1993, 1156 (Leitsatz)

EzB BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff, Nr 13 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

EzB BGB § 611 Lehrer, Dozenten Nr 78 (Leitsatz 1-2)

BR/Meuer SGB IV § 7, 24-06-92, 5 AZR 384/91 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

DOK 1993, 794 (Kurzwiedergabe)

JR 1993, 220

JR 1993, 220 (red. Leitsatz)

NZA 1993, 174

NZA 1993, 174-177 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

RdA 1992, 403

USK, 9295 (red. Leitsatz und Gründe)

WzS 1994, 374-375 (red. Leitsatz)

AP § 611 BGB, Nr 61

AR-Blattei, ES 720 Nr 21 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

EzA § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff, Nr 46 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

PersV 1993, 416 (Leitsatz)

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