aa) Überblick

Notwendigkeitsprüfung ist vorzunehmen

Hat der Mandant seinen Sitz oder Wohnsitz im Gerichtsbezirk, beauftragt er aber einen Anwalt, der seine Kanzlei nicht im Gerichtsbezirk unterhält und dort auch nicht wohnt, so greift die Rspr. des BGH zum Anwalt am Sitz der Partei (s.o. I. 3 b) nicht. Es ist jetzt eine weitergehende Notwendigkeitsprüfung durchzuführen (§ 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO).

Reisekostenerstattung nur in Ausnahmefällen

Die Rspr. nimmt hier nur in besonderen Fällen eine Erstattungsfähigkeit an, etwa dann, wenn zu dem auswärtigen Anwalt ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht oder es sich um einen besonderen Spezialisten handelt und ein solcher im Gerichtsbezirk nicht zu finden ist

OLG Frankfurt AGS 2004, 210 [bejaht bei Milchquotenrecht und Sonderrecht des Beitrittsgebiets],
OLG Frankfurt AGS 2016, 497 [bejaht bei Sortenschutzsachen],
VG Freiburg AGS 2006, 101 [bejaht bei Luftverkehrsrecht],
OLG Jena AGS 2013, 151 = MDR 2012, 1437 = NJW-RR 2013, 317 [bejaht bei spezieller Arzthaftungsfrage; Implantation eines Port-Systems].

Im Allgemeinen wird die Notwendigkeit verneint (OLG Koblenz AGS 2017, 538 = JurBüro 2017, 198 = MDR 2017, 670 = AnwBl 2017, 672).

bb) Notwendigkeit wird bejaht

War die Hinzuziehung des auswärtigen Anwalts notwendig, so sind dessen Reisekosten in voller Höhe zu erstatten.

cc) Notwendigkeit wird verneint

Höchst strittig war, wie zu verfahren ist, wenn die Prüfung ergibt, dass die Hinzuziehung eines auswärtigen Anwalts nicht notwendig war.

Nach einem Teil der Oberlandesgerichte sollten in diesem Fall gar keine Reisekosten zu erstatten sein:

OLG Celle, Beschl. v. 22.6.2015 – 2 W 150/15, AGS 2015, 442 m. Anm. N. Schneider = NJW 2015, 2670 = RVGreport 2015, 386,
OLG Frankfurt, Beschl. v. 16.11.2015 – 6 W 100/15, AGS 2016, 361 = JurBüro 2016, 203 = ErbR 2016, 520,
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.4.2017 – 20 WF 58/17, MDR 2017, 730 = FamRZ 2017, 1417 = MDR 2017, 934 = RVGreport 2017, 347 = FF 2017, 466,
OLG Frankfurt, Beschl. v. 19.6.2017 – 6 W 33/17, JurBüro 2017, 426,
OLG Celle, Beschl. v. 9.3.2018 – 2 W 43/18 (Rechtsbeschwerde hiergegen anhängig unter VIII ZB 37/18).

Nach der überwiegenden Rspr. sollte dies dagegen nicht zum völligen Ausschluss der Kostenerstattung führen. Vielmehr sollten die Kosten dieses Anwalts bis zur Höhe der erstattungsfähigen Kosten eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Anwalts zu erstatten sein. Dabei sollte auf die höchstmögliche Entfernung im Gerichtsbezirk abzustellen sein, also auf den vom Gericht am weitesten entfernten Ort innerhalb des Gerichtsbezirks. Ob dort tatsächlich ein Anwalt ansässig sei, sollte dabei unerheblich sein.

AG Kiel, Beschl. v. 14.2.2013 – 59 F 12/11, AGS 2014, 8 = NJW-RR 2013, 892 = JurBüro 2013, 591,
AG Marbach am Neckar, Beschl. v. 6.11.2013 – 3 C 32/12, AGS 2014, 210 = Rpfleger 2014, 289 = NJW-Spezial 2014, 348,
LG Düsseldorf, Beschl. v. 18.12.2014 – 6 O 455/11, AGS 2015, 7 = NJW 2015, 498 m. Anm. Schons = AnwBl 2015, 351 = MDR 2015, 427 = Rpfleger 2015, 369 = JurBüro 2015, 255 = ErbR 2015, 135 = RVGprof. 2015, 76,
OLG Frankfurt, Beschl. v. 23. 3. 2015 – 25 W 17/15, AGS 2017, 101,
OLG Schleswig, Beschl. v. 24.7.2015 – 9 W 26/15, AGS 2015, 487 = NJW 2015, 3311 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2015, 385,
OLG Köln, Beschl. v. 25.11.2015 – 17 W 247/15, AGS 2016, 55 = AnwBl 2016, 361 = RVGreport 2016, 68 = NJW-Spezial 2016, 157 = MDR 2016, 184 = NZFam 2016, 186,
AG Waldbröl, Beschl. v. 25.4.2017 – 15 C 114/14, AGS 2017, 258 = NJW-Spezial 2017, 445,
AG Frankfurt, Beschl. v. 22.8.2017 – 30 C 2295/16 (20), AGS 2017, 492.

Klarstellung durch BGH

Diese Streitfrage hat nunmehr der BGH im Sine der zweiten Auffassung entschieden:

 

Erstattung der Reisekosten eines Anwalts außerhalb des Gerichtsbezirks

Ist die Hinzuziehung eines auswärtigen Rechtsanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig i.S.v. § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. ZPO, führt dies lediglich dazu, dass die Mehrkosten, die gegenüber der Beauftragung von bezirksansässigen Prozessbevollmächtigten entstanden sind, nicht zu erstatten sind. Tatsächlich angefallene Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwalts sind deshalb insoweit erstattungsfähig, als sie auch dann entstanden wären, wenn die obsiegende Partei einen Rechtsanwalt mit Niederlassung am weitest entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks beauftragt hätte.

BGH, Beschl. v. 9.5.2018 – I ZB 62/17, AGS 2018 319 (in dieser Ausgabe)

Im Fall des BGH hatte sich die in Frankfurt ansässige Klägerin in einem Rechtsstreit vor dem LG Frankfurt durch einen Rechtsanwalt aus Düsseldorf vertreten lassen. Die Klage war erfolgreich. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Beklagten auferlegt. Hiernach beantragte die Klägerin die Kostenfestsetzung, darunter auch die Reisekosten ihres Düsseldorfer Anwalts bis zur höchstmöglichen Entfernung innerhalb des LG-Bezirks Frankfurt. Das LG hatte die Festsetzung abgelehnt. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde hatte das OLG Frankfurt (JurBüro 2017, 426) zurückgewiesen. Der BGH hat der Klägerin Recht gegeben und weist ins...

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