A. Normzweck des § 14 ErbStG

 

Rz. 1

Die Freibeträge (siehe § 5 Rdn 1>) und die Steuersätze (siehe § 5 Rdn 13>) sind mit dem jeweils einzelnen Erwerb von Todes wegen oder durch Schenkung unter Lebenden verbunden. Für jeden Erwerb wird ein Freibetrag gewährt und der progressive Steuertarif angewendet. Ohne die Vorschrift des § 14 ErbStG könnte der Steuerpflichtige die steuerlichen Folgen seines Erwerbs frei bestimmen, wenn er etwa einen werthaltigen Erwerb in mehrere kleine Erwerbe aufteilen würde und für diese jeweils ein Freibetrag zur Verfügung stünde. § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG sieht daher vor, dass mehrere innerhalb von 10 Jahren von derselben Person anfallende Vermögensvorteile in der Weise zusammengerechnet werden, dass dem letzten Erwerb die früheren Erwerbe nach ihrem früheren Wert zugerechnet werden. So wird insbesondere die mehrfache Ausnutzung der Freibeträge innerhalb der Zehnjahresfrist verhindert. Daneben dient die Regelung des § 14 Abs. 1 S. 3 ErbStG der Milderung der Steuerlast für den Letzterwerb durch Verrechnung der hohen Steuerlast aus einem früheren Erwerb.

 

Hinweis

In der Beratungspraxis wird seitens der Mandanten oftmals die Regelung des § 14 ErbStG mit der des § 2325 Abs. 3 BGB verwechselt. Eine "Abschmelzung des verbrauchten Freibetrags" ist dem Steuerrecht gänzlich unbekannt.

B. Voraussetzung der Zusammenrechnung

 

Rz. 2

Erfasst werden nur Erwerbe (lebzeitig und von Todes wegen) zwischen denselben Personen auf Zuwender- und Empfängerseite. Dabei sind auch Erwerbe aus der Zeit vor dem 1.1.2009 einzubeziehen.[1] § 14 ErbstG gilt auch für eine lebzeitige vorweggenommene Übertragung von Teilen der (Nach-)Erbmasse vom Vorerben auf den Nacherben mit dem restlichen Nacherbfall, auch wenn der Nacherbe die Versteuerung im Verhältnis zum Ersterblasser gem. § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG (siehe § 8 Rdn 138 ff.>) beantragt hat.[2]

Abzustellen ist auf den Entstehungszeitpunkt der Steuer i.S.d. § 9 ErbStG (siehe § 9 Rdn 1 ff.>). Dabei ist zu beachten, dass insbesondere die Entstehung der Steuer bei Pflichtteilsansprüchen (siehe § 3 Rdn 11>), der Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteils gegen Abfindung (siehe § 3 Rdn 23>) oder die Vereinbarung einer Abfindung für eine Ausschlagung einer Erbschaft (siehe § 3 Rdn 68>) in der Hand des Anspruchsgläubigers liegt und mithin im Rahmen einer etwaigen Berücksichtigung mit Vorerwerben i.S.d. § 14 ErbStG zu berücksichtigen ist.

 

Rz. 3

Zur Bejahung eines Vorerwerbs i.S.d. § 14 ErbStG muss ein dauerhaft fortbestehender Erwerb vorliegen. Kommt es etwa zu einer Rückgabe eines Geschenkes wegen eines (gesetzlichen oder vertraglichen) Rückforderungsrechts (siehe § 1 Rdn 107 ff.>), entfällt der Vorerwerb ex nunc.[3] Gleiches gilt für andere Fälle des § 29 ErbStG: Wenn eine Steuer bei Zuwendungen zwischen Ehegatten gem. § 29 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG rückwirkend erlischt, weil diese Zuwendung im Rahmen des (tatsächlichen oder fiktiven) Zugewinnausgleichs i.S.d. § 5 Abs. 2 ErbStG bzw. § 5 Abs. 1 ErbStG (siehe § 3 Rdn 89> bzw. § 3 Rdn 81>) angerechnet wird, liegt in der Zuwendung kein Vorerwerb i.S.d. § 14 ErbStG.[4]

 

Rz. 4

Ein relevanter Vorerwerb entfällt nicht schon, wenn nach einer lebzeitigen Immobilienübertragung unter Nießbrauchsvorbehalt der Nießbrauch vom beschenkten Grundstückseigentümer entgeltlich abgelöst wird.[5] Ein vorzeitiger unentgeltlicher Verzicht auf den vorbehaltenen Nießbrauch ist eine Schenkung (siehe § 1 Rdn 25>), die einen Erwerb i.S.d. § 14 ErbStG darstellt. Im Lichte der vorangegangenen lebzeitigen Übertragung des Grundbesitzes (unter Nießbrauchsvorbehalt) sollte vorher eine etwaige Steuerpflicht berechnet werden.

 

Rz. 5

Erwerbe, für die sich nach den steuerlichen Bewertungsgrundsätzen kein positiver Wert ergeben hat (z.B. Anteile an Personengesellschaften mit negativen Steuerwert), bleiben unberücksichtigt, § 14 Abs. 1 S. 5 ErbStG. Steuerfreie Zuwendungen, wie etwa die Übertragung des Familienheims i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG (siehe § 6 Rdn 4 ff.>), werden bei der Zusammenrechnung ebenfalls nicht berücksichtigt.

[1] R E 14.1 Abs. 1 S. 7 ErbStR 2019.
[4] Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk/Jülicher, ErbStG, § 14 Rn 7.

C. Berechnung des Zehnjahreszeitraums

 

Rz. 6

Bei § 14 ErbStG geht es (lediglich) darum, die Steuer für den letzten Erwerb zutreffend zu ermitteln;[6] bereits bestandskräftig veranlagte Vorerwerbe bleiben mithin unberücksichtigt. Deshalb ist der maßgebliche Zehnjahreszeitraum vom letzten Erwerb zurückzurechnen.[7]

Für die Fristberechnung gilt (jedenfalls mittelbar) § 108 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 Alt. 2 BGB. Die Rückrechnung läuft bis zum Vortag des Tages, der in seiner Benennung im Kalender dem Tag der Steuerentstehung für den letzten Erwerb entspricht. Die Rückrechnung reicht also z.B. vom 31.12.2016 bis zum 1.1.2007. Ein Erwerb, für den die Steuer am 31.12.2006 entstanden ist, wäre somit bereits nicht mehr relevant.

[6] R E 14.1 Abs. 1 S. 3 ErbStR 2019.

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