Rz. 11

Die unterschiedliche Behandlung einer Abfindung für den Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs (siehe Rdn 23 ff.>) und einer Abfindung für den geltend gemachten Pflichtteilsanspruch (siehe Rdn 31 ff.>) basiert mithin auf der Fragestellung, ab wann der Pflichtteilsanspruch i.S.d. ErbStG geltend gemacht ist. Die Geltendmachung stellt erbschaftsteuerlich eine wichtige Zäsur dar.

(1) Geltendmachung im Steuerrecht

 

Rz. 12

Unter "Geltendmachung" des Pflichtteils i.S.d. Erbschaftsteuerrechts ist das ernstliche Verlangen auf Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs zu verstehen, regelmäßig gegenüber dem Erben.[8] Ein bloßes Auskunftsverlangen reicht für die Geltendmachung grundsätzlich nicht aus. Eine Stufenklage mit Leistungsantrag oder eine Leistungsklage stellt hingegen eine steuerauslösende Geltendmachung dar.[9]

 

Rz. 13

Die Abtretung des Pflichtteilsanspruchs vor Geltendmachung führt nicht zu dessen erbschaftsteuerlicher Entstehung. Wird allerdings (dann) an den Zessionar als Pflichtteilsanspruchsgläubiger geleistet, liegt eine die Steuerbarkeit auslösende Entstehung des Pflichtteilsanspruchs vor.[10]

 

Hinweis

Ein vom Erblasser nicht geltend gemachter Pflichtteilsanspruch gehört zu seinem Nachlass und unterliegt bei seinem Erben der Erbschaftbesteuerung.[11] Damit entsteht die Erbschaftsteuer bereits mit dem Tod des Pflichtteilsberechtigten, ohne dass es auf die Geltendmachung des Anspruchs durch dessen Erben ankommt.

 

Rz. 14

Die Steuerbarkeit eines im Nachlass befindlichen Pflichtteilsanspruch hat weitreichenden Folgen für die Praxis: Zum einen müssen seitens der Erben in der Erbschafsteuererklärung Angaben zur Höhe – unter Berücksichtigung einer etwaigen Pflichtteilergänzung i.S.d. § 2325 BGB und Anrechnung i.S.d. § 2315 BGB etc. – gemacht werden. Zum anderen müssen verjährungshemmende Maßnahmen umgehend geprüft bzw. ergriffen werden. Schließlich kann der faktische Zwang zur Geltendmachung (andernfalls kann u.U. die den Anspruch betreffende Erbschafsteuer nicht beglichen werden) eine (ungewollte) Pflichtteilstrafklausel auslösen, was weitreichende Folgen haben kann.[12]

 

Hinweis

Ein zivilrechtlicher – gem. § 2317 BGB mit dem Erbfall entstandener – Pflichtteilsanspruch sollte daher (sofern kein Interesse an seiner Geltendmachung besteht) schlichtweg vor seiner Vererbung (formfrei) erlassen werden.[13]

[8] Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk/Gebel, ErbStG, § 3 Rn 224.
[12] Schmidt/Holler, ErbR 2017, 412, 415.
[13] Wälzholz, NZG 2017, 552.

(2) Geltendmachung verjährter Pflichtteilsansprüche

 

Rz. 15

Auch ein zivilrechtlich gem. §§ 195, 199 BGB verjährter Pflichtteilsanspruch kann (noch) geltend gemacht werden.[14] Der Erbe ist nämlich nicht verpflichtet, die Einrede der Verjährung i.S.d. § 214 Abs. 1 BGB zu erheben. Das Steuerrecht folgt insoweit dem Zivilrecht. Dies gilt auch dann, wenn Erbe und Pflichtteilsberechtigter eine zivilrechtlich wirksame (z.B. mündliche) Verjährungsabrede treffen.

 

Hinweis

Der Erbe kann also grundsätzlich auch einen nach der zivilrechtlichen Verjährung geltend gemachten und erfüllten Pflichtteilsanspruch i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG erwerbsmindernd in Abzug bringen. Dies gilt allerdings nicht bei Konfusion (siehe Rdn 16 ff.>).

[14] Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk/Gebel, ErbStG, § 10 Rn 183; dies ergibt sich auch aus BFH v. 5.2.2020 – II R 1/16, BStBl II 2020, 1496.

(3) Pflichtteilsanspruch und Konfusion, § 10 Abs. 3 ErbStG

 

Rz. 16

Zivilrechtlich tritt Konfusion ein, wenn Gläubiger und Schuldner einer Forderung in einer Person zusammentreffen. Als rechtsvernichtende Einwendung führt sie zum Erlöschen des Anspruchs. Erbschaftsteuerlich wird hingegen fingiert, dass es bei Konfusion nicht zum Erlöschen des Anspruchs und der entsprechenden Verbindlichkeit kommt, § 10 Abs. 3 ErbStG. Hatte etwa der Alleinerbe dem Erblasser ein Darlehen gewährt, wird der entsprechende Tilgungsanspruch in der erbschaftsteuerlichen Bilanz aktiviert und die Verbindlichkeit passiviert, was im Regelfall zu einer steuerlichen Neutralität führt.

 

Rz. 17

Besondere Praxisrelevanz kommt der Regelung des § 10 Abs. 3 ErbStG im Pflichtteilsrecht bei gemeinschaftlichen Testamenten zu:

 

Rz. 18

Im ersten Erbfall hat ein gemeinschaftliches Kind einen Pflichtteilsanspruch gegen den überlebenden Ehegatten. Dieser Anspruch (sofern geltend gemacht) stellt einen steuerpflichtigen Erwerb vom Erstverstorbenen dar, der wiederum beim überlebenden Ehegatten gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG erwerbsmindernd in Abzug gebracht werden kann. Sieht das Kind (z.B. wegen einer Pflichtteilstrafklausel) von der Geltendmachung ab und beerbt den Längerlebenden nach dessen Verstreben alleine (als Schlusserbe), steht dem Kind der Pflichtteilsanspruch (gegen sich selber) zu. Zivilrechtlich kommt es wegen Konfusion zum Erlöschen des Anspruchs. Erbschaftsteuerlich kann das Kind den Anspruch gegen sich selber (als Rechtsnachfolger des längerlebenden Ehegatten) geltend machen und so von seinem eigenen steuerpflichtigen Erwerb als...

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