A. Die sachlichen Voraussetzungen des ordentlichen Pflichtteils

I. Ausschluss von der Erbfolge

 

Rz. 1

Für das Bestehen des Pflichtteilsrechts ist in sachlicher Hinsicht erforderlich, dass der Pflichtteilsberechtigte (siehe § 2 Rdn 2 ff.) von der Erbfolge durch Verfügung von Todes wegen (Testament, Erbvertrag) ausgeschlossen ist (§ 2303 Abs. 1 S. 1 BGB), und zwar durch ausdrückliche oder stillschweigende Enterbung (§ 1938 BGB). Von der Erbfolge ausgeschlossen ist in diesem Sinne auch der Auflagenbegünstigte oder der zum Testamentsvollstrecker[1] Ernannte, ebenso grundsätzlich derjenige, der nur ein Vermächtnis erhält, hier gilt jedoch die Sonderregelung des § 2307 BGB. Wer zwar Erbe ist, aber zu einer geringeren Quote als seinem Erbteil, hat nach § 2305 BGB einen Pflichtteilsrestanspruch (siehe § 4 Rdn 1 ff.).

 

Rz. 2

Auch der Ersatzerbe ist in diesem Sinne enterbt, wenn er nicht zur Erbfolge gelangt.[2] Beim Berliner Testament (§ 2269 BGB) sind durch die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten die Abkömmlinge des Erstverstorbenen im ersten Erbfall enterbt, mögen sie nach dem Tod beider Eltern auch die Schlusserben sein.[3] Nicht von der Erbfolge ausgeschlossen ist dagegen der auflösend bedingte oder befristete Erbe (Fall einer konstruktiven Vorerbschaft, vgl. etwa § 2104 BGB) oder der aufschiebend bedingt oder befristet eingesetzte Erbe, der Nacherbe ist.[4] Bei Vor- oder Nacherbeneinsetzung dient aber § 2306 BGB (siehe Rdn 4 ff.) dem Schutz des Pflichtteilsberechtigten. Kein pflichtteilsbegründender Ausschluss i.S.d. § 2303 Abs. 1 BGB ist es aber, wenn der Pflichtteilsberechtigte auf sein gesetzliches Erb- oder Pflichtteilsrecht verzichtet hat (§ 2346 BGB) oder ein solcher Verzicht nach § 2349 BGB gegen ihn als Abkömmling wirkt, wenn jemand für erbunwürdig erklärt wurde (§§ 2344, 2345 BGB) oder wem der Pflichtteil wirksam entzogen wurde (§§ 2333 ff. BGB).

 

Rz. 3

Bei Ausschlagung der Erbschaft entfällt ebenfalls der Pflichtteil, es sei denn, es greift einer der folgenden Ausnahmefälle ein:

Der Pflichtteilsrestanspruch nach § 2305 BGB bleibt trotz der Ausschlagung immer bestehen;
wenn ein beschränkter oder beschwerter Erbteil hinterlassen wird (§ 2306 Abs. 1 BGB) oder der Pflichtteilsberechtigte nur als Nacherbe eingesetzt wird (§ 2306 Abs. 2 BGB);
bei der Zugewinngemeinschaft von Ehegatten und gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern, wenn es zur sog. güterrechtlichen Lösung kommt (§ 1371 Abs. 3 BGB).
[1] Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 37 V 2. Jedoch kann die Zuwendung einer zu hohen Testamentsvollstreckervergütung ein Vermächtnis sein, Palandt/Weidlich, § 2221 Rn 1.
[2] Staudinger/Otte, § 2306 Rn 19.
[3] BGHZ 22, 364, 366 f.; Soergel/Dieckmann, § 2303 Rn 28; vgl. auch BGHZ 88, 102 = NJW 1983, 2875.
[4] Staudinger/Otte, § 2306 Rn 9.

II. Pflichtteil und beschwerter Erbteil

 

Rz. 4

Ausnahmsweise kann dem Pflichtteilsberechtigten auch ein Pflichtteil zustehen, wenn er Erbe geworden ist. Dabei ist zum einen der Fall zu unterscheiden, dass dem Pflichtteils-berechtigten durch Verfügung von Todes wegen ein Erbteil zugewandt wird, der allerdings mit Beschwerungen oder Beschränkungen belastet ist, etwa mit Vermächtnissen oder einer Testamentsvollstreckung; diesen Fall regelt § 2306 BGB. Daneben gibt es den Fall, dass der Pflichtteilsberechtigte einen zwar unbelasteten Erbteil erhält, der aber kleiner als sein gesetzlicher Pflichtteil ist; dann erhält er zur Aufstockung in Höhe des Differenzbetrages einen sog. Pflichtteilsrestanspruch (§ 2305 BGB; siehe § 4 Rdn 1 ff.). Dem ähnelt der Fall, in dem der Pflichtteilsberechtigte ein Vermächtnis erhält; dies regelt § 2307 BGB (siehe § 4 Rdn 14 ff.).

1. Pflichtteil und beschwerter oder beschränkter Erbteil (§ 2306 BGB)

a) Die Voraussetzungen der Ausschlagung zur Pflichtteilserlangung nach § 2306 BGB

aa) Pflichtteilsberechtigter als Erbe

 

Rz. 5

Tatbestandsvoraussetzung des § 2306 BGB ist, dass der Betroffene allgemein pflichtteilsberechtigt ist und Erbe wurde. Worauf die Erbenstellung beruht, ist dabei unerheblich. Es kann sich auch um eine solche kraft gesetzlicher Erbfolge handeln, die kraft Verfügung von Todes wegen mit einer Belastung oder Beschränkung beschwert ist.[5] Die Höhe des Erbteils ist nur für die Frage von Bedeutung, ob ihm ein Pflichtteilsrestanspruch nach § 2305 BGB zusteht (siehe § 4 Rdn 1 ff.). Das Ausschlagungsrecht nach § 2306 Abs. 1 BGB besteht über den Wortlaut der Vorschrift hinaus auch für den pflichtteilsberechtigten Alleinerben[6] und wird insb. dann in der Praxis wichtig, wenn er zur Verteidigung seines Pflichtteils gegen eine hohe wertmäßige Belastung ausschlagen muss; denn § 2318 BGB hilft ihm hier nicht.

[5] Hk-Pflichtteilsrecht/Schmidt-Recla, § 2306 Rn 5.
[6] BGH DNotZ 2006, 926, 927 = ZEV 2006, 498; BayObLGZ 1959, 77, 79 = NJW 1959, 1734; OLG Karlsruhe ZEV 2008, 39; MüKo-BGB/Lange, § 2306 Rn 17; Soergel/Dieckmann, § 2306 Rn 15.

bb) Maßgebliche Beschränkungen und Beschwerungen

(1) Abschließende Aufzählung

 

Rz. 6

Die nach § 2306 BGB maßgeblichen Beschränkungen und Beschwerungen, bei deren Vorliegen abweichend von der allgemeinen Grundregel trotz der Ausschlagung der Pflichtteilsberechtigte seinen Pflichtteil behält, sind in Abs. 1 abschließend aufgezählt ("numerus clausus"). Es handelt sich dabei nach dem Wortlaut der Norm allein um solche erbrechtlichen Inhalts. Eine Erweiterung durch Analogie ist wegen des zwingenden Charakters des Pflichtteilsrechts grun...

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