Rz. 834

Die Geltendmachung des Arbeitnehmerstatus durch den Freien Mitarbeiter kann an Treu und Glauben scheitern. Es verstößt allerdings grds. nicht gegen Treu und Glauben, wenn eine Partei sich nachträglich auf die Unwirksamkeit einer von ihr abgegebenen Willenserklärung beruft und ein unter ihrer Beteiligung zustande gekommenes Rechtsgeschäft angreift. Widersprüchliches Verhalten ist erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn dadurch für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 25.3.2021 – 17 Sa 45/20, juris Rn 110; unter Bezug auf BAG v. 12.2.2014 – 4 AZR 317/12, juris Rn 26 m.w.N.; BAG v.17.4.2013 – 10 AZR 272/12, juris Rn 31; vgl. die Beispiele bei Schwarze, ZfA 2021, 44 ff.). In der Praxis wird dies vielfach zu wenig berücksichtigt (vgl. dazu bereits Reinecke, DB 1998, 1282, 1284; Schwarze, ZfA 2021, 44 ff.). Ein Dienstnehmer handelt rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB), wenn er sich nachträglich darauf beruft, Arbeitnehmer gewesen zu sein, obwohl er als freier Mitarbeiter tätig sein wollte und sich jahrelang allen Versuchen des Dienstgebers widersetzt hat, zu ihm in ein Arbeitsverhältnis zu treten (vgl. BAG v. 11.12.1996, BB 1997, 1850 = NZA 1997, 818). Wer eindeutig zu erkennen gibt, dass er eine Beschäftigung als Arbeitnehmer nicht (mehr) wünscht und stattdessen die Tätigkeit als freier Mitarbeiter vorzieht, handelt im höchsten Maße treuwidrig, wenn er sich später darauf beruft, er sei tatsächlich Arbeitnehmer (vgl. LAG Düsseldorf v. 29.9.2014 – 9 Sa 31/14). Eine freie Mitarbeiterin verhält sich jedoch nicht widersprüchlich, wenn sie die Beschäftigung so angenommen hat, wie sie von der Beklagten angeboten wurde. Dann liegt kein treuwidriges Verhalten vor (vgl. BAG v. 17.4.2013 – 10 AZR 272/12 Cutterin; vgl. grundlegend Schwarze, ZfA 2021, 44 ff.).

 

Rz. 835

Nimmt ein Rundfunkmitarbeiter eine Statusklage zurück, stellt es i.d.R. eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn er sich später zur Begründung der Voraussetzungen tariflicher Unkündbarkeit darauf beruft, er sei durchgehend Arbeitnehmer gewesen (vgl. BAG v. 4.12.2002 – 5 AZR 556/01; BAG v. 20.9.2000 – 5 AZR 61/99; BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 632/98, NZA 2000, 106 = AP Nr. 41 zu § 242 BGB unzulässige Rechtsausübung).

 

Rz. 836

Ob allerdings nach der aktuellen Rspr. des BAG das Recht, sich auf den Bestand eines Arbeitsverhältnisses zu berufen, überhaupt materiell verwirken kann (§ 242 BGB), ist fraglich (vgl. BAG v. 25.8.2020 – 9 AZR 373/19, juris Rn 41; offengelassen von BAG v. 20.3.2018 – 9 AZR 508/17, juris Rn 25; BAG v. 20.9.2016 – 9 AZR 735/15, juris Rn 47; zweifelnd BAG v. 18.2.2003 – 3 AZR 160/02, juris zu B II 2 a der Gründe). Bisher hatte das BAG diese Frage noch nicht zu entscheiden, da in den streitigen Fällen die Voraussetzungen nicht vorlagen. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung und soll dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit dienen. Sie verfolgt nicht den Zweck, Schuldner, denen gegenüber Gläubiger ihre Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Deshalb kann allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen (Zeitmoment). Es müssen vielmehr besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die spätere Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar anzusehen. Der Berechtigte muss unter solchen Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, dass er sein Recht nicht mehr wahrnehmen wolle, sodass sich der Verpflichtete darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (vgl. BAG v. 20.9.2016 – 9 AZR 735/15, juris Rn 48; BAG v. 25.8.2020 – 9 AZR 373/19, juris Rn 42 ff.). Die etwaige materielle Verwirkung des Rechts des Berufens auf den Bestand eines Arbeitsverhältnisses ist nicht zu verwechseln mit der etwaigen Verwirkung des Rechts zur Klageerhebung mit der Rechtsfolge der Unzulässigkeit der Klage (siehe unten Rdn 851).

 

Rz. 837

Erklärt ein Arbeitnehmer nach rechtskräftigem Obsiegen in einem Statusverfahren, er wolle wegen der höheren Honorare in Zukunft weiter als freier Mitarbeiter und nicht als Arbeitnehmer behandelt werden, verbieten es ihm Treu und Glauben, nach weiterer zehnjähriger Abrechnung der Leistungen auf Honorarbasis, sich für die Vergangenheit auf den Arbeitnehmerstatus und damit auf den Schutz des KSchG zu berufen. Für die Zukunft ist die Berufung auf den Arbeitnehmerstatus im Zweifel möglich (vgl. LAG Köln v. 30.8.1995 – 2 Sa 578/95, Revision zurückgewiesen durch BAG v. 11.12.1996 – 5 AZR 855/95, NZA 1997, 817).

 

Rz. 838

Schließt ein Dienstnehmer, dessen Vertragsverhältnis bisher als freie Mitarbeiterschaft behandelt wurde, auf seinen Wunsch hin mit seinem Dienstgeber ohne Vorbehalt einen Arbeitsvertrag, nach dessen Inhalt ein Arbeitsverhältnis erst begründet werden soll...

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