Entscheidungsstichwort (Thema)

Antragstellung im Berufungsverfahren. Verhandeln. Nichtverhandeln. Erörterung des Rechtsstreits. Sachantrag. Form der Antragstellung. Bezugnahme auf die Schriftsätze. Heilung des Formmangels. Säumnis. Auslegung von vergangenheitsbezogenen Statusanträgen. Feststellungsinteresse. Zwischenfeststellungsstreit. widersprüchliches Verhalten. Rechtsmißbrauch bei Statusfeststellung. Arbeitnehmerstatus. Prozeßrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Verhandeln im Sinne des § 333 ZPO setzt einen Sachantrag des Klägers/Rechtsmittelklägers voraus.

 

Orientierungssatz

  • Stellt der Kläger/Rechtsmittelkläger keinen Sachantrag, liegt kein Verhandeln im Sinne des § 333 ZPO vor, da der Gegenstand des Prozesses durch einen konkreten Antrag bestimmt wird.
  • Diesem Erfordernis kann aus Gründen der prozessualen Klarheit nicht durch die bloße streitige Erörterung der Sach- und Rechtslage Genüge getan werden.
  • Gemäß § 297 Abs. 2 ZPO hat in aller Regel eine ausdrückliche Bezugnahme auf bestimmte schriftliche Anträge zu erfolgen. Die Bezugnahme auf Sachvortrag in Schriftsätzen reicht nicht aus.
  • Eine konkludente Inbezugnahme der Anträge kommt nur dann in Betracht, wenn die prozessualen Erklärungen zweifelsfrei ergeben, daß und in welchem Umfang das Rechtsbegehren verfolgt wird.
  • Wird zusätzlich zu einem Kündigungsschutzantrag die rückwirkende Feststellung des Arbeitnehmerstatus beantragt, bedarf es eines gesondert darzulegenden Feststellungsinteresses gemäß § 256 Abs. 1 ZPO.
  • Die Berufung auf den Arbeitnehmerstatus ist regelmäßig nicht schon dann rechtsmißbräuchlich, wenn der Arbeitnehmer einen Vertrag über “freie Mitarbeit” abgeschlossen und seiner vergütungsmäßigen Behandlung als freier Mitarbeiter nicht widersprochen, sondern deren Vorteile entgegengenommen hat.
 

Normenkette

ZPO §§ 297, 333, 542, 137, 256, 295, 308, 335, 337-338, 519b; ArbGG §§ 59, 64; BGB § 242

 

Verfahrensgang

LAG Nürnberg (Urteil vom 27.08.2001; Aktenzeichen 7 Sa 293/00)

ArbG Nürnberg (Urteil vom 31.03.2000; Aktenzeichen 2 Ca 6864/99)

 

Tenor

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Bestand eines Arbeitsverhältnisses.

Die Klägerin war seit dem 1. April 1989 für die Beklagte tätig. Sie wirkte an der Erstellung der periodisch erscheinenden Warenhauskataloge der Beklagten mit. Ihre Leistungen stellte sie regelmäßig, zumeist monatlich in Rechnung, für 1997 insgesamt ca. 120.000,00 DM, für 1998 ca. 150.000,00 DM und für Januar bis Juli 1999 ca. 133.000,00 DM, jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer. Zumindest seit Mai 1997 geschah das ausdrücklich “für freie Mitarbeit”. Am 21. Oktober 1998 unterzeichneten die Parteien einen Vertrag über freie Mitarbeit mit Wirkung ab 1. Oktober 1998.

Mit Schreiben vom 15. Juli 1999 kündigte die Beklagte das Rechtsverhältnis zum 31. Juli 1999. Bis zur Kündigung hatte die Klägerin ihrer Behandlung als freie Mitarbeiterin zu keiner Zeit widersprochen.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie stehe in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Die Kündigung sei sozialwidrig und wegen unterbliebener Anhörung des Betriebsrats rechtsunwirksam.

Die Klägerin hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse, beantragt festzustellen,

  • daß zwischen den Parteien seit dem 1. Oktober 1998 ein Arbeitsverhältnis besteht,
  • daß die Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 15. Juli 1999 das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Klägerin sei keine Arbeitnehmerin gewesen. Sie verhalte sich mit ihrem Begehren widersprüchlich und rechtsmißbräuchlich.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, da die Klägerin nicht Arbeitnehmerin gewesen sei. Hiergegen hat die Klägerin in vollem Umfang Berufung eingelegt. Im Verhandlungstermin vor dem Landesarbeitsgericht am 21. August 2001 wurde der Rechtsstreit mit den Parteien zunächst ohne Antragstellung erörtert. Der Vorsitzende teilte die Erwägung der Kammer mit, die Berufung wegen widersprüchlichen Verhaltens der Klägerin zurückzuweisen. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin führte aus, er habe schriftsätzlich bereits ausführlich zur Arbeitnehmereigenschaft vorgetragen. Die Arbeitnehmereigenschaft folge aus der Tätigkeit der Klägerin und aus tariflichen Regelungen. Ein rechtsmißbräuchliches Verhalten liege nicht vor, eine solche Betrachtung nehme der Klägerin den ihr als Arbeitnehmerin zukommenden Schutz. Im übrigen habe die Klägerin zu Beginn des Rechtsverhältnisses gegenüber der Beklagten geäußert, sie möchte als Arbeitnehmerin beschäftigt werden. Schließlich erklärte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, er wolle heute keine Anträge stellen. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten stellte daraufhin den schriftsätzlich angekündigten Antrag, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, und beantragte den Erlaß eines Versäumnisurteils.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung durch kontradiktorisches Urteil als unbegründet zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Feststellungsanträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe nicht durch kontradiktorisches Urteil entscheiden dürfen, greift durch. Die Berufung der Klägerin hätte gemäß § 542 Abs. 1 ZPO in Verb. mit § 64 Abs. 6 ArbGG durch Versäumnisurteil zurückgewiesen werden müssen. Die Klägerin ist durch diesen Verfahrensfehler beschwert, da ihr der Rechtsbehelf des Einspruchs (§ 542 Abs. 3, §§ 338 ff. ZPO, § 64 Abs. 6, Abs. 7, § 59 ArbGG) abgeschnitten worden ist. Das Berufungsurteil muß deshalb im angefochtenen Umfange aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.

  • Das Berufungsurteil ist verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, wie die Revision ordnungsgemäß rügt.

    • Gemäß § 542 Abs. 1 ZPO ist die Berufung des Berufungsklägers auf Antrag durch Versäumnisurteil zurückzuweisen, wenn der Berufungskläger im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erscheint. Als nicht erschienen ist auch die Partei anzusehen, die in dem Termin zwar erscheint, aber nicht verhandelt (§ 542 Abs. 3, § 333 ZPO). Voraussetzung für ein Versäumnisurteil ist, daß die Berufung zulässig ist und die Prozeßvoraussetzungen vorliegen. Fehlt es hieran, hat das Berufungsgericht auch im Säumnisfalle gemäß § 519b ZPO zu entscheiden bzw. die Klage als unzulässig abzuweisen.
    • Die Voraussetzungen des § 542 Abs. 1 ZPO waren im Verhandlungstermin vor dem Landesarbeitsgericht erfüllt.

      • Die Berufung der Klägerin war, soweit der Rechtsstreit in die Revisionsinstanz gelangt ist, zulässig. Gegen die Zulässigkeit des Verfahrens erster Instanz bestehen ebenfalls keine Bedenken.
      • Die Berufungsklägerin war säumig.

        • Das Landesarbeitsgericht hatte obligatorischen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt. Die Klägerin war ordnungsgemäß und rechtzeitig geladen (§ 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Die Sache wurde ordnungsgemäß aufgerufen (§§ 219, 220 ZPO).
        • Gemäß § 333 ZPO steht völliges Nichtverhandeln dem Nichterscheinen gleich. Ob ein Verhandeln vorliegt, ist aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles für jeden Termin selbständig zu beantworten. Verhandeln erfordert eine aktive Beteiligung an der Erörterung des Rechtsstreits vor Gericht, mag sie sich auf eine Tat- oder Rechtsfrage beziehen. Nichtverhandeln iSd. § 333 ZPO ist jedenfalls die völlige Verweigerung der Einlassung zur Sache (BGH 27. Mai 1986 – IX ZR 152/85 – NJW RR 1986, 1252, 1253). Der Bundesgerichtshof (aaO) hat aber offengelassen, ob sich die Annahme einer Verhandlung schon dann verbietete, wenn der Kläger zu keinem Zeitpunkt Sachanträge stelle.

          Im Schrifttum wird überwiegend angenommen, der Begriff des Verhandelns setze das Stellen eines Antrags voraus. Nur die Partei, die die Abweisung der Klage begehre, brauche nicht ausdrücklich einen dahingehenden Antrag zu stellen; denn hierdurch werde der Gegenstand des Rechtsstreits nicht bestimmt. Aus dem Vorbringen des Beklagten muß sich danach lediglich ergeben, daß er sich gegen die Verurteilung wendet. Das gilt entsprechend für den Beklagten/Rechtsmittelbeklagten. Dagegen ist beim Kläger/Rechtsmittelkläger das Stellen eines Antrags erforderlich (Musielak/Stadler ZPO 3. Aufl. §§ 333, 334 Rn. 2; Zöller/Herget ZPO 23. Aufl. § 333 Rn. 1; MünchKommZPO/Prütting 2. Aufl. § 333 Rn. 3; Stein/Jonas/Schumann ZPO 20. Aufl. § 333 Rn. 7; Stein/Jonas/Grunsky ZPO 21. Aufl. § 333 Rn. 7; Wieczorek ZPO 2. Aufl. § 333 Anm. B I b). Andere Autoren führen, ohne auf die Frage der Antragstellung einzugehen, aus, es genüge jede aktive auf eine Entscheidung in der Sache gerichtete Beteiligung an der Erörterung des Rechtsstreits (Reichold in Thomas/Putzo ZPO 24. Aufl. § 333 Rn. 1, 2) oder jede handelnde Teilnahme am Prozeßbetrieb in der mündlichen Verhandlung (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 60. Aufl. § 333 Rn. 3, ganz im Sinne der hM aber § 137 Rn. 9).

          Nach Auffassung des Senats liegt ohne Sachantrag des Klägers/Rechtsmittelklägers kein Verhandeln iSd. § 333 ZPO vor. Die Vorschriften des § 137 Abs. 1, § 297 ZPO tragen der Notwendigkeit Rechnung, den Gegenstand des Prozesses durch eine konkrete Antragstellung zu bestimmen; denn das Gericht ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist (§ 308 Abs. 1 ZPO). Dem kann nicht durch eine bloße streitige Erörterung der Sach- und Rechtslage Genüge getan werden. Aus Gründen der prozessualen Klarheit und wegen der Notwendigkeit, die Sachentscheidungsbefugnis des Gerichts abzugrenzen, bedarf es einer konkreten, auf die Sachentscheidung des Gerichts ausgerichteten Antragstellung (so auch OLG Frankfurt a.M. 23. Oktober 1997 – 3 U 115/96 – NJW RR 1998, 280; dagegen offengelassen von OLG Bamberg 24. August 1995 – 2 UF 56/95 – NJW RR 1996, 317, 318). Eine andere Frage ist es, inwieweit § 297 Abs. 2 ZPO eine konkludente Bezugnahme gestattet (dazu unten cc).

        • Entgegen der rechtlichen Wertung im angefochtenen Urteil hat die Berufungsklägerin im Termin vom 21. August 2001 keine Anträge gestellt.

          • Gemäß § 297 Abs. 1 ZPO sind die Anträge aus den vorbereitenden Schriftsätzen zu verlesen. Soweit sie darin nicht enthalten sind, müssen sie aus einer dem Protokoll als Anlage beizufügenden Schrift verlesen werden. Der Vorsitzende kann auch gestatten, daß die Anträge zu Protokoll erklärt werden. In keiner dieser möglichen Formen ist ein Sachantrag gestellt worden.
          • Nach § 297 Abs. 2 ZPO kann die Verlesung dadurch ersetzt werden, daß die Parteien auf die Schriftsätze Bezug nehmen, die die Anträge enthalten. Da die Verlesung der Anträge “ersetzt” werden soll, muß die Bezugnahme zum Zwecke der Antragstellung erfolgen. Es muß deutlich werden, daß es um die Antragstellung geht. Dies entspricht dem Sinn des Gesetzes, das eine Erleichterung gegenüber der strengen Form des § 297 Abs. 1 ZPO vorsieht, aber die mit dieser Vorschrift bezweckte Klarheit des Rechtsbegehrens keinesfalls völlig aufgeben will. Auch im Falle des § 297 Abs. 2 ZPO muß wegen der zentralen Bedeutung der Sachanträge für Streitgegenstand, Rechtskraft, Streitwert und Kosten eindeutig sein, ob Anträge gestellt werden, was beantragt wird und was nicht. Deshalb ist nicht jede Bezugnahme auf Sachvortrag in Schriftsätzen eine Bezugnahme auf (alle) darin enthaltene(n) Anträge. Das Gericht ist auch nicht befugt, sich zusammenzusuchen, welcher Sachvortrag zu welchem schriftsätzlichen Antrag paßt. Vielmehr hat in aller Regel eine ausdrückliche Bezugnahme auf bestimmte schriftliche Anträge zu erfolgen (vgl. Zöller/Greger aaO § 297 Rn. 5; Prütting aaO § 297 Rn. 9; Reichold aaO § 297 Rn. 3; Wieczorek aaO § 297 Anm. A II; weniger deutlich Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO § 297 Rn. 13; Musielak/Huber aaO § 297 Rn. 3; Stein/Jonas/Leipold ZPO 21. Aufl. § 297 Rn. 13).

            Danach fehlt es im Streitfalle auch an den Voraussetzungen des § 297 Abs. 2 ZPO. Die Berufungsklägerin hat nicht auf Anträge, sondern nur auf Sachvortrag in Schriftsätzen Bezug genommen. Eine konkludente Inbezugnahme der Anträge, die allenfalls möglich erscheint, wenn der Gegenstand des Rechtsstreits fest umrissen ist, kann nicht angenommen werden. Schon angesichts der verschiedenen angekündigten Berufungsanträge blieb nach der Erörterung einzelner Streitpunkte im Verhandlungstermin bis zu der Erklärung der Klägerin, keine Anträge stellen zu wollen, ungewiß, welches Begehren sie weiterverfolgen wollte und welches nicht. Ihre Ausführungen ergaben keineswegs eindeutig, sie halte an ihren Anträgen uneingeschränkt fest. Bei der Erörterung ging es offenbar gerade darum zu klären, welche Anträge die Berufungsklägerin überhaupt stellen sollte. In Betracht mußte auch eine (teilweise) Rücknahme vor Antragstellung kommen. Wenn das Landesarbeitsgericht die Verhandlung entgegen der Vorschrift des § 137 Abs. 1 ZPO nicht mit dem Stellen der Anträge eingeleitet, sondern die Sache zunächst mit den Parteien erörtert hat, so spricht das gerade für die Absicht, ohne Rücksicht auf die Stellungnahme des Gegners auf eine Rücknahme oder Änderung von Anträgen hinzuwirken, ohne daß die Anträge bereits gestellt sein sollten. Dann kann die Erörterung als solche nicht die Antragstellung bewirken. Die abschließende Erklärung der Klägerin muß ernst genommen werden.

            Es liegt kein nach § 295 ZPO heilbarer Formmangel bei der Antragstellung vor. Vielmehr hat die Berufungsklägerin Anträge überhaupt nicht gestellt. Dieser Mangel ist nicht nach § 295 ZPO heilbar.

      • Die Berufungsbeklagte hat den Antrag auf Erlaß eines Versäumnisurteils gestellt. Ein Grund, den Antrag zurückzuweisen (§ 335 ZPO) oder die Verhandlung von Amts wegen zu vertagen (§ 337 ZPO), bestand nicht.
    • Das Urteil des Landesarbeitsgerichts beruht auf dem Verstoß gegen die §§ 542, 333 ZPO. Die Klägerin muß nicht wie bei einer Verfahrensrüge nach § 139 ZPO einen etwa unterbliebenen Sachvortrag in der Revisionsinstanz nachholen. Es genügt, daß auf Grund der neuen Verhandlung in der Tatsacheninstanz eine andere Entscheidung, gegebenenfalls auf Grund eines ergänzenden Vortrags, möglich ist. Das Landesarbeitsgericht durfte keine sachliche Prüfung vornehmen, deshalb kann auch der Senat nicht in der Sache entscheiden. Eine Sachentscheidung würde den Umstand außer Acht lassen, daß überhaupt noch keine zweiseitige Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht stattgefunden hat und der Klägerin nicht eine Instanz genommen werden darf.
  • Für das neue Berufungsverfahren ist auf folgendes hinzuweisen:

    • Ob die Klägerin rückwirkend den Bestand des Arbeitsverhältnisses feststellen lassen will oder ob der Klageantrag zu 1 nur der Bekräftigung des Antrags zu 2 dient, muß vom Landesarbeitsgericht geklärt werden. Mit dem Klageantrag zu 2 begehrt die Klägerin bereits die Feststellung, daß am 16. Juli 1999 ein Arbeitsverhältnis bestanden hat, welches durch die Kündigung der Beklagten vom 15. Juli 1999 nicht aufgelöst worden ist (vgl. BAG 27. Januar 1994 – 2 AZR 484/93 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 28 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 48, zu B II 2b (1) der Gründe; 13. März 1997 – 2 AZR 512/96 – BAGE 85, 262, 267). Es stellt sich die Frage, welches Ziel sie darüber hinaus verfolgt. Um eine höhere Vergütung oder die Anwendung von arbeitsrechtlichen Vorschriften auf das Rechtsverhältnis in der Zeit von Oktober 1998 bis Juli 1999 kann es ihr kaum gehen. Wegen der Sozialversicherung besteht keine Bindungswirkung. Soweit es auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG überhaupt ankommt, handelt es sich um eine im Kündigungsschutzrechtsstreit zu entscheidende Vorfrage.
    • Kommt es der Klägerin auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses gerade ab dem 1. Oktober 1998 an, bedarf es eines Feststellungsinteresses gemäß § 256 Abs. 1 ZPO. Ein Zwischenfeststellungsstreit nach § 256 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor, der Klageantrag zu 2 hängt nicht von dem Bestand des Arbeitsverhältnisses ab 1. Oktober 1998 ab. Entsprechend den Grundsätzen zu vergangenheitsbezogenen Statusklagen (vgl. BAG 6. November 2002 – 5 AZR 364/01 –) ist die gesonderte Darlegung eines Feststellungsinteresses durch die Klagepartei zu verlangen, weil der Klageantrag zu 2 bereits ein zur Zeit des Zugangs der Kündigung bestehendes Arbeitsverhältnis voraussetzt. Es handelt sich nicht lediglich um einen gegenwartsbezogenen und zugleich in die Vergangenheit zurückreichenden Klageantrag (vgl. BAG 15. Dezember 1999 – 5 AZR 3/99 – BAGE 93, 112, 118).
    • Zum Bestehen eines Arbeitsverhältnisses hat das Landesarbeitsgericht weder Feststellungen getroffen noch Rechtsausführungen gemacht. Es wird den Parteien erneut Gelegenheit geben müssen, zur Tätigkeit der Klägerin im einzelnen vorzutragen. Der Senat sieht insoweit von Hinweisen ab. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Rechtswirksamkeit der Kündigung eines etwa bestehenden Arbeitsverhältnisses.
    • Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts handelt die Klägerin mit ihrem Begehren nach Feststellung des Arbeitnehmerstatus auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht rechtsmißbräuchlich.

      • Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Senat 11. Dezember 1996 – 5 AZR 708/95 – AP BGB § 242 Unzulässige Rechtsausübung – Verwirkung Nr. 36 = EzA BGB § 242 Rechtsmißbrauch Nr. 2; 11. Dezember 1996 – 5 AZR 855/95 – BAGE 85, 11; 12. August 1999 – 2 AZR 632/98 – AP BGB § 242 Unzulässige Rechtsausübung – Verwirkung Nr. 41 = EzA BGB § 242 Rechtsmißbrauch Nr. 4) kann sich ein Beschäftigter gegenüber seinem Vertragspartner nicht darauf berufen, zu ihm in einem Arbeitsverhältnis zu stehen, wenn er sich hierbei unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens rechtsmißbräuchlich verhält. Wer durch seine Erklärung oder durch sein Verhalten bewußt oder unbewußt eine Sach- oder Rechtslage geschaffen hat, auf die sich der andere Teil verlassen durfte und verlassen hat, darf den anderen Teil in seinem Vertrauen nicht enttäuschen. Es würde gegen Treu und Glauben verstoßen und das Vertrauen im Rechtsverkehr untergraben, wenn es erlaubt wäre, sich nach Belieben mit seinen früheren Erklärungen und seinem früheren Verhalten derart in Widerspruch zu setzen. Das Verbot des Selbstwiderspruchs hindert Vertragsparteien auch daran, sich auf die Unwirksamkeit eines Vertrags zu berufen, den sie viele Jahre lang als rechtswirksam angesehen und beiderseits erfüllt haben (Soergel/Teichmann BGB 12. Aufl. § 242 Rn. 317 ff.; Erman/Werner BGB 10. Aufl. § 242 Rn. 79). Insbesondere ist das Vertrauen eines Vertragspartners auf eine bestimmte Rechtslage schutzwürdig, wenn er von dem anderen Teil in diesem Glauben bestärkt worden ist (MünchKommBGB/Roth 4. Aufl. § 242 Rn. 438).
      • Nicht jedes widersprüchliche Verhalten ist auch rechtsmißbräuchlich. Die Rechtsordnung läßt widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zu (BGH 5. Juni 1997 – X ZR 73/95 – NJW 1997, 3377). Die Parteien dürfen ihre Rechtsansichten im Rechtsstreit ändern. Jeder Partei steht es in der Regel frei, sich auf die Nichtigkeit der von ihr abgegebenen Erklärung zu berufen (BGH 7. April 1983 – IX ZR 24/82 – BGHZ 87, 169, 177) oder ein unter ihrer Beteiligung zustande gekommenes Rechtsgeschäft anzugreifen (BGH 5. Dezember 1991 – IX ZR 271/90 – NJW 1992, 834). Widersprüchliches Verhalten ist erst dann rechtsmißbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist (BGH 9. Mai 1960 – III ZR 32/59 – BGHZ 32, 273, 279; 6. März 1985 – IVb ZR 7/84 – NJW 1985, 2589, 2590; 20. März 1986 – III ZR 236/84 – NJW 1986, 2104, 2107) oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BGH 22. Mai 1985 – IVa ZR 153/83 – BGHZ 94, 344, 354; 5. Dezember 1991 aaO).
      • Die Rechtsprechung hat eine rechtsmißbräuchliche Berufung auf den Arbeitnehmerstatus angenommen, wenn der Statuskläger eine frühere Statusklage zurückgenommen, nach erfolgreicher Statusklage erneut ein freies Mitarbeiterverhältnis vereinbart oder Angebote auf Abschluß eines Arbeitsvertrags jahrelang ausdrücklich abgelehnt hatte. In diesen Fällen lagen ausdrückliche statusbezogene Erklärungen vor, aus denen der Vertragspartner schließen durfte, der Dienstverpflichtete werde sich nicht auf seine Arbeitnehmereigenschaft berufen (BAG 11. Dezember 1996 – 5 AZR 708/95 –, 11. Dezember 1996 – 5 AZR 855/95 – und 12. August 1999 – 2 AZR 632/98 –, jeweils aaO). Regelmäßig genügt es nicht, daß der Arbeitnehmer einen Vertrag über “freie Mitarbeit” abgeschlossen und seiner vergütungsmäßigen Behandlung als freier Mitarbeiter nicht widersprochen, sondern deren Vorteile entgegengenommen hat.
      • Das Landesarbeitsgericht ist zwar im wesentlichen von diesen Grundsätzen ausgegangen. Seine tatsächlichen Feststellungen erlauben aber nicht den Schluß auf ein rechtsmißbräuchliches Verhalten der Klägerin. Seine Begründung betrifft ausschließlich den Vertragsabschluß und die vergütungsmäßige Abwicklung des Vertragsverhältnisses. Es hat nicht festgestellt, daß gerade die Klägerin auf der Begründung einer freien Mitarbeit bestanden habe. Das vom Landesarbeitsgericht angeführte Verhalten der Klägerin entsprach den vertraglichen Abreden. Es schließt nicht aus, der Klägerin die Berufung auf ein Arbeitsverhältnis zu gestatten, falls die maßgebliche Handhabung der Parteien die Annahme eines Arbeitsverhältnisses, ggf. ab einem Zeitpunkt während des Vertragsverhältnisses, rechtfertigt. Sollten die Parteien das Rechtsverhältnis tatsächlich als Arbeitsverhältnis durchgeführt haben, durfte die Beklagte nicht wegen eines fehlenden Widerspruchs der Klägerin und wegen deren formeller Korrektheit bei den Abrechnungen darauf vertrauen, die Klägerin werde ihren Arbeitnehmerstatus und einen bestehenden Kündigungsschutz nicht mehr geltend machen.
 

Unterschriften

Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Hromadka, Zoller

 

Fundstellen

BAGE 2004, 86

DB 2003, 1232

NJW 2003, 1548

ARST 2003, 214

FA 2003, 148

JR 2003, 396

NZA 2003, 341

AP, 0

EzA

MDR 2003, 520

KammerForum 2003, 268

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