Rz. 501

Ein Großteil der in der Praxis relevanten Rechtsprobleme im Rahmen der Lebensversicherung folgt daraus, dass neben dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer dritte Personen Rechte an bzw. Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag innehaben bzw. geltend machen. Solche Rechte dritter Personen können durch Verfügung des Versicherungsnehmers oder durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen entstehen.

I. Bezugsberechtigung

 

Rz. 502

Ein Lebensversicherungsvertrag kann durch Verfügung des Versicherungsnehmers zu einem Vertrag zugunsten Dritter werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem sog. Bezugsrecht einer dritten Person.[828] Anwendbare Vorschriften sind zunächst einmal die §§ 328 ff. BGB. Darüber hinaus ergeben sich aus den Auslegungsregeln in §§ 159 ff. VVG Besonderheiten für die Lebensversicherung. Schließlich enthalten auch die Versicherungsbedingungen regelmäßig Regelungen für die Begründung, Änderung und Aufhebung von Bezugsrechten, teilweise auch für deren Inhalt (vgl. § 9 der Musterbedingungen des GDV für die Rentenversicherung mit aufgeschobener Rentenzahlung).

[828] Die Begründung des Bezugsrechts wird auch "Begünstigung" genannt, der Bezugsberechtigte ist somit auch "Begünstigter", vgl. Goll/Gilbert/Steinhaus, 9.1.1, S. 185.

1. Inhalt des Bezugsrechts

a) Gegenstand des Bezugsrechts

 

Rz. 503

Wird in einem Lebensversicherungsvertrag die Zahlung der Versicherungssumme an einen Dritten bedungen, erwirbt der Bezugsberechtigte unmittelbar das Recht auf die Leistung des Versicherers im Versicherungsfall. Durch die Einräumung eines Bezugsrechts wird ein Lebensversicherungsvertrag damit zu einem echten Vertrag zugunsten Dritter i.S.d. § 328 Abs. 1 BGB.[829] Dies sagt noch nichts darüber aus, ob das Bezugsrecht der dritten Person ohne oder gegen ihren Willen wieder entzogen werden kann bzw. ob der Anspruch sofort oder erst mit Eintritt des Versicherungsfalls entstehen soll.[830] Die dritte Person erwirbt nach § 328 Abs. 1 BGB (nur) einen eigenen unmittelbaren Anspruch gegen den Versicherer bei Fälligkeit der Leistung. Eventuelle weitergehende Rechte des Begünstigten ergeben sich nicht aus dieser Vorschrift, sondern hängen vom sonstigen Inhalt des Bezugsrechts ab.

 

Rz. 504

Gegenstand des Bezugsrechts ist demnach nur der Anspruch auf die Leistung des Versicherers. Alle anderen gegenüber dem Versicherer bestehenden vertraglichen Rechte, insbesondere auch das Recht zur Kündigung des Vertrages, verbleiben grundsätzlich beim Versicherungsnehmer.[831]

 

Rz. 505

 

Beachte

Wird in den Versicherungsanspruch ein Arrest vollzogen oder eine Zwangsvollstreckung vorgenommen oder wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherungsnehmers eröffnet, sieht das Gesetz ein Eintrittsrecht des namentlich bezeichneten Bezugsberechtigten in den Lebensversicherungsvertrag nach Maßgabe des § 170 VVG vor (siehe Rdn 587).

 

Rz. 506

Nach § 159 Abs. 1 VVG ist der Versicherungsnehmer im Zweifel befugt, ohne Zustimmung des Versicherers eine dritte Person als Bezugsberechtigten zu bezeichnen. Der Inhalt des Bezugsrechts ergibt sich damit aus einer entsprechenden Erklärung des Versicherungsnehmers an den Versicherer.[832] Dabei kommen in der Praxis regelmäßig folgende Erscheinungsformen des Bezugsrechts vor, die miteinander kombiniert werden können:

[829] Prölss/Martin/Schneider, § 159 VVG Rn 1; Terbille/Höra/Leithoff, § 25 Rn 253; a.A. zum Rechtscharakter der Begünstigungserklärung Elfring, S. 6 ff.
[830] BGH v. 17.2.1966 – II ZR 286/63, BGHZ 45, 162, 164; Goll/Gilbert/Steinhaus, 9.1.1, S. 185.
[831] BGH v. 17.2.1966 – II ZR 286/63, BGHZ 45, 162, 164; BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, VersR 2005, 923; BGH v. 2.12.2009 – IV ZR 65/09, VersR 2010, 517, 519 = NJW-RR 2010, 544, 545; vgl. auch OGH Österreich v. 26.6.2003 – 7 Ob 120/02, VersR 2004, 359, 360 zur Anwendbarkeit der AVB auch im Verhältnis zum Bezugsberechtigten.
[832] BGH v. 28.9.1988 – IVa ZR 126/87, VersR 1988, 1236; BGH v. 18.6.2003 – IV ZR 59/02, VersR 2003, 1021 = NJW 2003, 2679; BGH v. 14.2.2007 – IV ZR 150/05, VersR 2007, 784, 785 = NJW-RR 2007, 976.

b) Widerrufliches Bezugsrecht

 

Rz. 507

Das sog. widerrufliche Bezugsrecht stellt den gesetzlichen Regelfall dar. Gemäß § 159 Abs. 1 VVG gilt die Befugnis des Versicherungsnehmers, an die Stelle des (ursprünglichen) Bezugsberechtigten einen anderen zu setzen, im Zweifel als vorbehalten. Nach § 159 Abs. 2 VVG erwirbt der Bezugsberechtigte im Zweifel das Recht auf die Leistung des Versicherers erst mit dem Eintritt des Versicherungsfalls. Damit steht dem widerruflich Bezugsberechtigten bis zum Eintritt des Versicherungsfalls noch kein Recht zu; er hat nur eine Hoffnung oder Erwerbsaussicht auf die später einmal fällig werdende Leistung, die jederzeit ohne seine Zustimmung durch völligen oder teilweisen Widerruf vernichtet oder eingeschränkt werden kann.[833]

 

Rz. 508

Das widerrufliche Bezugsrecht ist für den Bezugsberechtigten vor Eintritt des Versicherungsfalls nicht vererblich und verfügbar. Eine Abtretung, Verpfändung oder Pfändung eines widerruflichen Bezugsrechts ist nicht möglich. Der Bezugsberechtigte kann jedoch eine aufschiebend beding...

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