Rz. 17

Mitunter werden nützliche bauliche Maßnahmen am Gemeinschaftseigentum von einzelnen Eigentümern gutgläubig auf eigene Kosten vorgenommen. Ursache dafür kann schlichte Rechtsunkenntnis oder ein vor der Entscheidung des BGH vom 20.9.2000 (→ § 2 Rdn 2) gefasster Beschluss der Gemeinschaft sein, der nach jetziger Erkenntnis nichtig ist. Insbesondere der Fenstertausch ist (bzw. war) ein regelrechter "Regressklassiker".

 

Rz. 18

 

Beispiel

Im Jahr 1990 wird in einer Gemeinschaft folgender Beschluss gefasst: "Die Instandhaltung und ggf. der Austausch von Fenstern ist von den Wohnungseigentümern auf eigene Kosten zu veranlassen, in deren räumliche Bereich sich die Fenster befinden." In den folgenden Jahren lassen A –D die alten Holzfenster ihrer Wohnungen gegen neue Isolierglasfenster auswechseln. Im Jahr 2022 verlangen A – D von der Gemeinschaft Kostenersatz. Haben sie einen Anspruch? Variante: Die Gemeinschaft bewilligt A – D per Beschluss bestimmte Pauschalzahlungen. Der Beschluss wird angefochten.

 

Rz. 19

Der Beschluss, dass Fenster vom jeweiligen Sondereigentümer auf eigene Kosten ausgetauscht werden, ist nichtig.[28] Entgegen verbreiteter Praxis gibt es keine Möglichkeit, per Beschluss die Erhaltungslast für Teile des Gemeinschaftseigentums auf die Wohnungseigentümer zu verlagern; möglich ist nur die Verlagerung der Kostenlast in Kombination mit der Gestattung baulicher Maßnahmen (Muster → § 1 Rdn 97). Wenn aber feststeht, dass die Fenster hätten erneuert werden müssen, liegen die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gem. §§ 812, 946, 951 BGB vor. Deshalb war es in der der Rspr. jahrzehntelang anerkannt, dass Ausgleichszahlungen zu leisten waren und dass entsprechende Beschlüsse ordnungsmäßiger Verwaltung entsprachen.[29] Das galt sogar dann, wenn die Ansprüche – wie meistens – bereits verjährt waren; die Gemeinschaft muss sich nämlich nicht auf die Verjährung berufen, die Berufung kann sogar treuwidrig sein.[30] In einem Grundsatzurteil hat der BGH 2019 die Rechtslage aber umgedreht und entschieden: "Dem Wohnungseigentümer, der eigenmächtig Instandsetzungs- und Instandhaltungsarbeiten am Gemeinschaftseigentum durchführt, steht kein Ersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder Bereicherungsrecht zu. Das gilt auch dann, wenn die von dem Wohnungseigentümer durchgeführte Maßnahme ohnehin hätte vorgenommen werden müssen. Auch wenn er die Maßnahme in der irrigen Annahme durchführt, er habe diese als Sondereigentümer auf eigene Kosten vorzunehmen (hier: Fenstererneuerung), besteht ein solcher Anspruch nicht."[31] Als Begründung führt der BGH insbesondere an, dass das Gesetz ein "eigenmächtiges Vorgehen" nur ausnahmsweise unter den engen Grenzen der Notgeschäftsführung zulasse.

 

Rz. 20

Kritik: Das Ergebnis ist hart und ungerecht, wenn ein Wohnungseigentümer gutgläubig davon ausging, zur Erhaltung der Fenster verpflichtet zu sein. Der BGH verkennt die in den §§ 995, 996 BGB verankerte gesetzliche Grundwertung, wonach Bereicherungsansprüche nur im Falle der Bösgläubigkeit ausgeschlossen sind, d.h. wenn die Wohnungseigentümer in Kenntnis der Rechtsgrundlosigkeit handelten und der Gemeinschaft bewusst eine Bereicherung aufdrängten.[32] Ein Blick ins Nachbarland zeigt, dass der dortige oberste Gerichtshof die gegenteilige Rechtsauffassung zum BGH einnimmt: der österreichische OGH bejaht Ausgleichsansprüche unter dem Gesichtspunkt der Ersparnisbereicherung;[33] das ist auch richtig.

 

Rz. 21

In der Variante des obigen Beispiels stellt sich die Frage, ob der Beschluss, rechtlich nicht geschuldete Ausgleichszahlungen zu leisten, ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht. Darf eine Gemeinschaft "Geld verschenken"? Die Frage ist zumindest im Kontext des Beispiels zu bejahen. Der Beschluss dient der Befriedung innerhalb der Gemeinschaft; es verhält sich nicht anders, als wenn aus Fairness auf eine verjährte Forderung bezahlt wird (→ § 12 Rdn 19) oder wenn bestehende Forderungen aus sachlichen Gründen nicht geltend gemacht werden (→ § 6 Rdn 21).

 

Rz. 22

Erst recht bestehen keine Ersatzansprüche, wenn Eigentümer in Kenntnis des fehlenden Rechtsgrundes oder in sonstiger Weise eigenmächtig Erhaltungsmaßnahmen vornahmen.

 

Beispiele

a) In der Wohnung des A sind einige Fenster dringend sanierungsbedürftig. Der Verwalter weigert sich, tätig zu werden. A lässt die Fenster auf eigene Kosten austauschen.

b) A lässt nach Feuchtigkeitsschäden in seiner Wohnung Sanierungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum durchführen.

c) In den Fällen a) und b) werden die von A in der Versammlung gestellten Anträge, mit denen er die Beauftragung der betreffenden Arbeiten durch die Gemeinschaft bewirken wollte, abgelehnt. Erst danach beauftragt A die Arbeiten.

A verlangt anschließend von der Gemeinschaft Kostenersatz. – In allen Fällen ohne Erfolg. Die Voraussetzungen der Notgeschäftsführung gem. § 18 Abs. 3 WEG (→ § 12 Rdn 23) liegen nicht vor. Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag und aus Bereicherungsrecht sind n...

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