Rz. 1

Für die Willensbildung der Gemeinschaft stehen nur zwei Regelungsinstrumente zur Verfügung: Beschluss und Vereinbarung. Der Beschluss entspricht grundsätzlich dem Mehrheitsprinzip und ist, vereinfacht gesagt, das Mittel der Entscheidungsfindung im "laufenden Geschäft". Die Vereinbarung entspricht dem Einstimmigkeitsprinzip und dient, wiederum vereinfacht gesagt, der Festlegung oder Änderung der Grundlagen der Gemeinschaft. Dem unterschiedlichen Zweck entsprechend unterscheiden sich die Rechtsfolgen: Beschlüsse wirken gem. § 10 Abs. 3 S. 2 WEG ohne weiteres gegen jeden Wohnungseigentümer, insbesondere auch gegen Käufer (Rechtsnachfolger eines Wohnungseigentümers). Sie können jederzeit durch eine erneute Beschlussfassung geändert werden. Vereinbarungen wirken gegen einen Rechtsnachfolger nur, wenn sie im Grundbuch eingetragen sind (§ 10 Abs. 3 S. 1 WEG). Sie können grundsätzlich nur durch eine erneute Vereinbarung geändert werden, nicht durch Beschluss.

 

Rz. 2

Während Vereinbarungen zu jedem Gegenstand getroffen werden können, der das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander betrifft, können Beschlüsse nur zu bestimmten Gegenständen gefasst werden. Gem. § 23 Abs. 1 S. 1 WEG werden "Angelegenheiten, über die nach diesem Gesetz oder nach einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer die Wohnungseigentümer durch Beschluss entscheiden können, in einer Eigentümerversammlung geordnet". Demnach bedürfen Beschlüsse einer "Ermächtigungsrundlage", der sog. Beschlusskompetenz, sei es im Gesetz, sei es in einer Vereinbarung. Das war im Grundsatz noch nie streitig; nur wurden die Rechtsfolgen einer Beschlussfassung ohne Beschlusskompetenz früher anders beurteilt als heute. Bis zum Jahr 2000 hielt man Beschlüsse ohne Beschlusskompetenz für "nur anfechtbar". Es galt der Grundsatz: "Was zu vereinbaren ist, kann auch wirksam beschlossen werden, sofern der Beschluss nicht angefochten wird."[1] Demnach hielt man es für möglich, die Teilungserklärung bzw. die Gemeinschaftsordnung durch Beschluss zu ändern. Entsprechende Beschlüsse nannte man Ersatzvereinbarung oder Zitterbeschluss, weil man während des Anfechtungszeitraums gleichsam zitterte, ob der Beschluss angefochten oder bestandskräftig werden würde. Diese Rechtsprechung gab der BGH in der sog. Jahrhundertentscheidung vom 20.9.2000 auf und stellte fest:

 

Rz. 3

Zitat

Die Mehrheitsherrschaft bedarf der Legitimation durch Kompetenzzuweisung. [...] Durch Beschlussfassung können nur solche Angelegenheiten geordnet werden, über die nach dem Wohnungseigentumsgesetz oder nach einer Vereinbarung die Wohnungseigentümer durch Beschluss entscheiden dürfen, anderenfalls bedarf es einer Vereinbarung. [...] § 23 Abs. 4 WEG, wonach ein Beschluss nur ungültig ist, wenn er für ungültig erklärt wurde, setzt voraus, dass die Wohnungseigentümer überhaupt durch Beschluss entscheiden durften. Ein trotz absoluter Beschlussunzuständigkeit gefasster Beschluss ist nichtig.[2]

 

Rz. 4

Demnach kann die Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung durch Beschluss nicht geändert werden. Diese Entscheidung wurde in Begründung und Ergebnis nur vereinzelt, wenn auch aus guten Gründen, kritisiert.[3] Sie ist jedenfalls bis heute unverändert maßgeblich. Der Gesetzgeber nahm die dadurch eingetretenen Schwierigkeiten zum Anlass für die WEG-Novelle 2007. Mit jener Gesetzesänderung wurden neue Beschlusskompetenzen (z.B. die Möglichkeit, den Verteilerschlüssel für Betriebskosten zu ändern, § 15 Abs. 3 WEG a.F.) sowie ein Anspruch auf Änderung der Gemeinschaftsordnung (§ 10 Abs. 2 WEG) eingeführt. Auch die notarielle Praxis reagierte: Die Gemeinschaftsordnungen neu begründeter Gemeinschaften enthalten seit dem Jahr 2001 meistens "Öffnungsklauseln", die eine Beschlusskompetenz zu ihrer Änderung begründen.

 

Rz. 5

Beschlusskompetenzen ergeben sich aus dem Gesetz sowie ggf. aus der Gemeinschaftsordnung ("vereinbarte Beschlusskompetenz" in Gestalt einer kompetenzbegründenden Öffnungsklausel → § 2 Rdn 99). Die gesetzlichen Beschlusskompetenzen werden nachstehend (in der Reihenfolge der Paragrafenzählung) aufgeführt. Im Anschluss folgen Beispiele für Beschlüsse, die mangels Beschlusskompetenz nichtig sind.

 

Rz. 6

 

Gesetzliche Beschlusskompetenzen

Aufhebung einer Veräußerungsbeschränkung (§ 12 Abs. 4 WEG → § 2 Rdn 9).
Festlegung oder Änderung von Kostenverteilerschlüsseln (§ 16 Abs. 2 S. 2 WEG → § 8 Rdn 47).
Entziehung des Wohnungseigentums (§ 17 WEG → § 3 Rdn 85).
Verwaltung und Benutzung des gemeinschaftlichen Eigentums oder des Sondereigentums (§ 19 Abs. 1 WEG), insbesondere Regelungen zu den in § 19 Abs. 2 WEG aufgeführten Gegenständen.
Bauliche Maßnahmen (§§ 20, 21 WEG → § 4 Rdn 1 ff.).
Bestellung eines Verwalters und eines Verwaltungsbeirats (§ 26 und § 29 WEG → § 10 Rdn 1 ff., → § 11 Rdn 1 ff.).
Beschlüsse über Vor- und Nachschüsse (Wirtschaftsplan und Jahresabrechnung, § 28 Abs. 1 und 2 WEG → § 8 Rdn 1 ff.).
Beschlüsse zu Geldangelegenheiten (wann Forderungen fällig und wie sie zu erfüllen sind, § 28 Abs. 3 WEG →...

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