Rz. 1

Im alten Recht (bis zur WEG-Reform 2020) unterschied das Gesetz verschiedene Kategorien baulicher Maßnahmen mit unterschiedlichen Beschlussquoren. Erhaltungsmaßnahmen und Maßnahmen der modernisierenden Instandsetzung konnten mit einfacher Mehrheit beschlossen werden, Modernisierungsmaßnahmen mit qualifizierter Mehrheit. Bauliche Veränderungen (sämtliche anderen baulichen Maßnahmen) konnten nur beschlossen werden, wenn alle Miteigentümer zustimmten, deren Rechte durch die Veränderung nachteilig betroffen waren. Weil die Zustimmung aller zu einem Beschluss in der Praxis kaum zu erreichen war bzw. ist, kam es entsprechend selten zu einem (rechtmäßigen) Beschluss einer baulichen Veränderung. Die in der Gesamtschau auf Bestandsschutz angelegte frühere gesetzliche Regelung führte zu einem erheblichen Sanierungsrückstau und einer zunehmenden "Versteigerung" der Wohnungseigentumsanlagen. Ihre Anwendung war zudem in vielfacher Hinsicht umstritten, die Vereinfachung deshalb ein wichtiges Ziel der WEG-Reform 2020. Dieses Ziel wurde zum Teil erreicht, denn im jetzigen Recht gibt es nur noch zwei Kategorien baulicher Maßnahmen: a) Erhaltungsmaßnahmen. b) Bauliche Veränderungen. In beiden Fällen Fall können Beschlüsse mit einfacher Mehrheit gefasst werden. Erhaltungsmaßnahmen werden gem. § 19 Abs. 1 WEG als "Verwaltungsmaßnahmen" beschlossen; für bauliche Veränderungen findet sich die Beschlusskompetenz in § 20 Abs. 1 WEG: "Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), können beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden." Die neue gesetzliche Regelung ist somit im Ausgangspunkt ersichtlich einfach. Aber zum Beschluss einer baulichen Maßnahme gehört auch die Regelung der Kostenverteilung, und diesbezüglich ist das neue Recht keineswegs unkompliziert, sondern gibt es der Praxis "Steine statt Brot". Nur bei Erhaltungsmaßnahmen gilt die Kostentragung aller Wohnungseigentümer gem. § 16 Abs. 2 S. 1 WEG. Gewissermaßen als Ausgleich dafür, dass bauliche Veränderungen nur noch einer einfachen Mehrheit bedürfen, gilt im Grundsatz gem. § 21 Abs. 3 WEG die Kostenfreiheit derjenigen, die nicht für den Beschluss stimmten bzw. die Kostentragung derjenigen, die dafür. Dummerweise stellen aber (Sanierungs- bzw. Modernisierungs-)Maßnahmen, die zur Auflösung des beklagten "Sanierungsstaus" führen sollen, im Grundsatz keine Erhaltungsmaßnahmen, sondern bauliche Veränderungen dar, weil sie über die bloße Wiederherstellung des bestehenden Zustands hinausgehen. Will eine Gemeinschaft das (allein sinnvolle) Ergebnis erreichen, dass gemeinschaftliche (Sanierungs-)Maßnahmen von der Gemeinschaft und nicht von einzelnen Wohnungseigentümern bezahlt werden, lässt sich eine entsprechende Kostenregelung ggf. nur unter den nicht unkomplizierten Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 WEG beschließen (→ § 4 Rdn 41).

 

Rz. 2

Anders als nach dem alten Recht bedarf (soweit nicht der Verwalter aus eigener Kompetenz handelt) grundsätzlich jede nicht völlig unbedeutende bauliche Maßnahme (sei es am Gemeinschafts-, sei es am Sondereigentum) einer vorherigen Beschlussfassung.[1] Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Wohnungseigentümer in der Versammlung über alle baulichen Veränderungen des gemeinschaftlichen Eigentums informiert werden. Bei bestimmten privilegierten baulichen Maßnahmen (Herstellung von Barrierefreiheit, Ladeinfrastruktur für elektrisch betriebener Fahrzeuge usw.) besteht gem. § 20 Abs. 2 WEG ein Anspruch jedes Wohnungseigentümers auf Beschlussfassung.

 

Rz. 3

Die gesetzlichen Regelungen über bauliche Maßnahmen sind disponibel und können durch Vereinbarung (Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung) geändert werden. So sind in Mehrhausanlagen Sonderregelungen üblich, wonach die Beschlussfassung oder die Kostenverteilung baulicher Maßnahmen auf die Eigentümer der einzelnen Häuser beschränkt wird (→ § 12 Rdn 90 ff.). Ferner wird in Teilungserklärungen häufig bestimmt, dass bauliche Veränderungen mit (qualifizierter) Mehrheit beschlossen werden können. Solche Regelungen führten im alten Recht zu einer sinnvollen Erleichterung der Beschlussfassung, auf die es nach dem neuen Recht aber nicht mehr ankommt, weil jetzt bereits das Gesetz die Beschlussfassung mit einfacher Mehrheit erlaubt; das geltende Recht geht grundsätzlich vor (→ § 7 Rdn 55). Im jetzigen Recht wäre es hingegen angebracht, dass eine Teilungserklärung vorsähe, dass die Kosten von Modernisierungsmaßnahmen nach MEA auf alle Wohnungseigentümer zu verteilen sind.

[1] Das ergibt sich aus § 20 Abs. 1 und 3 sowie § 13 Abs. 2 WEG, vgl. RegE WeMoG, BT-Drucks 19/18791, 66.

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