Was HR von der Republica lernen kann

Auf der Digitalkonferenz Republica kamen vom 6. bis 8. Mai 2019 zahlreiche netzaffine und digitalbegeisterte Menschen zusammen – der Veranstalter zählte 25.000 Besucher. Unter ihnen waren auch Personalmanager, die sich über Disziplingrenzen hinweg mit der Zukunft der Arbeit beschäftigten.

Erstmals kooperierte der Bundesverband der Personalmanager mit der Digitalkonferenz. Der BPM beteiligte sich unter anderem an der neu eingerichteten Recruiting Area, wo verschiedene Formate Jobsuchende mit potenziellen Arbeitgebern vernetzten. Das neue Angebot enthielt "Job-Speed-Meetings" und Impulsvorträge – der Besucherandrang sprengte bisweilen die enge Räumlichkeit.

Eine der insgesamt 27 Bühnen in und um die Station Berlin bespielte zudem die "Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft" des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) – mit Vorträgen und Panels zum Thema "Macht und Kooperation in der digitalen (Arbeits-)Gesellschaft". Abgesehen davon waren zwar nicht alle Slots im Mammut-Programm direkt für HR-Verantwortliche relevant. Dennoch konnten sie viele Impulse für die Arbeit von morgen mitnehmen.

Raus aus der Filterblase: Unternehmen brauchen mehr fundiertes Wissen

Die dreizehnte Ausgabe der Republica stand unter dem Motto "tl;dr", Internetslang für "too long; didn’t read". Die Idee: Menschen überfliegen Informationen im Netz meist nur noch. Deshalb brauche die Gesellschaft mehr denn je das Kleingedruckte, die Kraft der Recherche, Wissen, Kontroverse und die Bereitschaft, Themen kritisch zu hinterfragen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betonte in seiner Eröffnungsrede, dass das Leitthema "ein notwendiger Weckruf gegen den Zeitgeist von Verkürzung und Vereinfachung" sei. "Wir sollten mehr Ambiguitäten zulassen und uns gegenseitig erlauben, auf der Suche zu sein."

"Nachdenken ist eine etwas aus der Mode gekommene Kulturtechnik, eine Art Single User Brainstorm", knüpfte Sascha Lobo daran an. In seinem Vortrag "Realitätsschock" forderte er insbesondere Politiker, Experten und sogenannte Wirtschaftsweise auf, ihre Filterblase zu verlassen und Ergebnisse der Wissenschaft nicht weiter zu ignorieren. Dabei bezog er sich zwar beispielsweise auf den Klimakollaps, doch ebenso ließe sich seine Forderung auf Firmenpolitik übertragen. Der Realitätsschock entsteht laut Lobo, wenn Menschen falsche Vorstellungen vom Wissen der Welt haben. Somit dürfte der Aufruf auch allen Personalmanagern gelten, sich mit Themen wie Künstliche Intelligenz oder New Work intensiv und kritisch auseinanderzusetzen.

Neue Arbeitsregeln: Der europäische Weg verläuft jenseits von Kommerz- und Kontrollkultur

Die Möglichkeit dazu hatten sie auf der Republica zuhauf und auf allen Ebenen. "Wir erleben eine Verschiebung von Machtverhältnissen: zwischen Regierungen und Bürgern, zwischen Nationalstaaten und mitunter global agierenden Unternehmen, zwischen Produzenten und Konsumenten, aber auch zwischen Menschen und Maschinen", betonte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in seinem Vortrag. Er beobachte zwei Extreme: Das "kalifornische Modell" setze auf totalen Kommerz mit absoluter Marktmacht, das "chinesisches Modell" hingegen auf totale Überwachung mit absoluter Staatsmacht. "Für mich ist klar: Wir wollen weder einen Überwachungsstaat noch eine Überwachungswirtschaft. Wir können und müssen unseren eigenen, europäischen Weg finden."

Manchen Wirtschaftsvertretern schreitet ein derartiges Vorhaben allerdings nicht schnell genug voran. "Too late; didn’t react" hieß das umgedichtete Leitthema auf einem Panel mit Christoph Keese, Geschäftsführer der Axel Springer hy GmbH, und Susanne Hahn, Head of Lab1886 Global der Daimler AG. Beide waren sich einig: Deutschland könne den Rückstand zu China und Silicon Valley aufholen, doch dafür benötigt es gewaltige Anstrengungen seitens Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft – und Unternehmen, die Innovationen zum Durchbruch verhelfen. "Unternehmen müssen erst einmal begreifen, was sie für ein Produkt herstellen", so Keese. Auch Zeitung sei heute beispielsweise ein immaterielles Gut und Monetarisierung über Reichweite eine falsche Grundannahme. Unternehmen müssten sich selbst disrupieren – und das sei schwierig, zumindest in Konzernen.

Machtverteilung und neue Führung: New Work ist kein Selbstläufer

Wie wir künftig Organisationen führen werden, ist eine ähnliche Herausforderung wie einst die Frage, wie Flugzeuge funktionieren, meinte Hermann Arnold. "Führen heißt Folgen. Es geht immer um Empowerment." Die da oben müssten Macht abgeben, aber gleichzeitig heiße das, dass alle die Geschicke des Unternehmens in die Hand nehmen.

"Die Schornsteinkarriere ist tot", verkündete wiederum Elke Eller, Personalvorstand bei TUI und Präsidentin des BPM. Den Karriereknick müsse man heute nicht mehr fürchten. Vielmehr mahnte sie Bewerber zu Vorsicht bei der Unternehmenswahl. Gerade bei der Einrichtung neuer Arbeitswelten und New Work seien viele Initiativen rein äußerlich. Auf die Frage, ob das bei ihr im Unternehmen anders sei, meinte sie: "Wir sind natürlich die Guten. Aber wir tun das auch, weil uns das etwas bringt. Wir versuchen, das Beste von Mitarbeitern hervorzubringen." Deshalb brauche es Führungskräfte, die ihr Ego zur Seite stellen und sich als Personal-Work-Coach verstünden. Dafür starte TUI zwar vergangenen Woche ein Führungsprogramm für das mittlere Management, das ein neues Bewusstsein schaffen soll. "An das Thema individueller Bonus traue ich mich aber noch nicht heran", so Eller.

Abschied von der Macht fällt oft schwer

Dass Führungskräfte im Zuge von New-Work-Initiativen und der Notwenigkeit von mehr Agilität durch die Bank freiwillig Macht abgeben, scheint zudem nicht zu erwarten. Aufschlussreich war dazu ein Panel mit dem Titel "Abschied von der Macht". Klaus Wowereit, ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin, Katja Kraus, ehemals Vorstand des Hamburger SV, und Prof. Dr. Hans-Jürgen Wirth, der den Psychosozial Verlag an seinen Sohn übergeben hat, beteuerten einhellig: Macht hat dunkle Seiten und kann im Extrem auch süchtig machen.

Menschen in hoher Position werden nur über das Amt wahrgenommen, schließen bei der Arbeit keine Freundschaften, sind fremdbestimmt und haben eine hohe Verantwortung. Dennoch: Gerade wenn der Ausstieg nicht selbstgewählt ist wie bei Katja Kraus, schmerzt er die Betroffenen. "Wir können Menschen nicht wertschätzend entmachten", so Psychoanalytiker Wirth.

Diversity: Wenn alle mitmachen, geht es schneller

Diskriminierung aufgrund von Herkunft oder Geschlecht, mangelnde Diversität und wie sie sich bekämpfen lässt – diese Themen spielen auf der Digitalkonferenz traditionell eine große Rolle. Für das HR-Ressort hob Janina Kugel, Personalvorständin von Siemens, die Bedeutung von gemischten Belegschaften hervor. "Wenn Ihr keine Frauen für den Vorstand oder als Aufsichtsrätin findet, ruft mich an, ich finde Euch eine", beteuerte Kugel. Es sei notwendig, junge Menschen besser aufzuklären und Transparenz zu schaffen, welche Berufsgruppen es gibt und wer die richtige Eignung für bestimmte Jobs mitbringt – ein Anliegen das Siemens mit der Initiative MINTfluencer verfolgt.

Eine Bemerkung aus dem Publikum ließ allerdings auch Zweifel am Fortschritt von Gender Equality bei Siemens aufkommen. Ein Vertreter von Daimler berichtete von einem gemeinsamen Workshop am Siemens-Standort Fürth: "Wir haben den Workshop paritätisch besetzt, stießen aber auf ein 50-köpfiges Team aus lauter Männern, was unsere Frauen sehr frustriert hat." Die bekannte Personalerin zeigte daraufhin mehr Skepsis: "Wir brauchen vermutlich zwei weitere Generationen bis es genauso viele weibliche wie männliche Absolventen in den technischen Studiengängen gibt. Dass wir Parität in Unternehmen erreicht haben, werde ich persönlich nicht mehr erleben. Aber wenn alle mitmachen, geht es schneller."

Blick in die Zukunft: Digitalisierung ändert unser Verständnis von Arbeit

Kurz bevor Janina Kugel die Bühne betrat, berichteten Medien darüber, dass Siemens seine Kraftwerksparte abspalten wird. Die immer wieder beschworene Formel, dass künftig Jobs wegfallen, hatten damit einen konkreten Ausdruck. Welche neuen Berufsbilder dafür im Konzern entstehen könnten und wie sich Mitarbeiter dafür qualifizieren müssten, führte die Personalvorständin jedoch nicht konkret aus.

Der Ausblick auf die Zukunft von Arbeit erfolgte an anderer Stelle: Wenn Maschinen immer mehr Aufgaben von Menschen übernehmen, bedeutet das laut Mads Pankow, Politik- und Innovationsberater im Bundesfamilienministerium, jedenfalls keineswegs das Ende der Arbeit. Im Panel "Ich tu nur so – Warum Arbeit zur Simulation wird" führte er aus, wie sich das Jobdesign künftig verändern könnte.  "Maschinen haben keine Sinnreflexion, sie wissen nicht, was sie tun. Deswegen braucht es Menschen, die ihre Ziele überprüfen und nachjustieren. Wir werden zunehmend zu Kontrolleuren der Maschinen, zu Troubleshootern." Wenn Maschinen immer besser werden, müsse man Probleme simulieren, beispielsweise mittels Flugsimulatoren für Piloten. Beschäftigte lernten dabei täglich für Notfallsituationen.

Arbeit bringt Anerkennung

"Das Militär ist heute meist nur reine Simulation: Man muss den ganzen Tag üben und dabei so gefährlich aussehen, dass kein anderer sich traut anzugreifen." Betriebsamkeit zu simulieren sei zwar in den sogenannten "Bullshit-Jobs" (David Graeber) heute schon in gewisser Weise üblich – ihr Wegfall hätte keine negativen Effekte auf die Gesellschaft. Doch einfach so zu tun, als würde man arbeiten, sieht Pankow nicht als Option. "Arbeit bringt Anerkennung, soziale Integration und Sinn." Derzeit läuft in Schweden dazu ein kleines Experiment: Ein Künstlerduo hat unterstützt vom Verkehrsministerium einen Vollzeitjob ohne Aufgaben ausgeschrieben. Die Arbeit ist das, was der Angestellte tun will.

Von derartiger Freiheit sind Beschäftigte andernorts weit entfernt. Was passiert, wenn ein Algorithmus zum Chef wird, führte die Ethnografin Alex Rosenblat am Beispiel von Uber aus. Die App sagt den Fahrern, wann sie wohin fahren müssen und wie viel sie verdient haben. "Der Algorithmus ist ein Management Inforcement Tool, das die Regeln setzt und die Fahrer kontrolliert", erläuterte Rosenblat. "Es ist ein Mythos, dass Algorithmen neutral wären." Uber jedenfalls manipuliere damit Fahrer und Passagiere. Steige die Nachfrage in einem Gebiet an, schießen die Fahrpreise um ein Vielfaches in die Höhe. Doch wenn die Fahrer dorthin fahren, erhalten sie nicht zwingend die lukrativen Fahrten. Wer sich weigert das Spiel mitzuspielen, droht der Algorithmus mit Deaktivierung des Accounts. "Uber verkörpert die Denke des Silicon Valley, das Teil eines amerikanischen Technologienationalismus ist. Fahrer werden wie Konsumenten behandelt. So ändern Algorithmen unser Wertesystem und was wir unter Arbeit verstehen."

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