Seit einiger Zeit schon geistert ein Gespenst durch die HR-Abteilungen. Quiet Quitting ist sein Name, aber niemand weiß so ganz genau, was sich dahinter verbirgt. Wahrscheinlich ist es eben diese Unsicherheit, die wildeste Spekulationen ins Kraut schießen lässt. So mancher sieht schon die Apokalypse einer ganzen Generation von Quiet Quittern am Horizont aufziehen, in der alle schon innerlich gekündigt haben, bevor sie zum ersten Mal einen Fuß in ein Unternehmen setzen konnten.
Studie räumt mit Vorurteilen zu Quiet Quitting auf
Das passt zu weitverbreiteten Stereotypen über die Generation Z, denen zufolge die Betroffenen am liebsten gar nicht mehr arbeiten möchten, ein grundlegendes Problem mit Autorität haben und sich nur noch für postmaterialistische Werte interessieren. Quiet Quitting ist für viele der Kristallisationspunkt, an dem sich eine Zeitenwende festmachen lässt. Fortan werden Beschäftigte nicht mehr eigenständig mitdenken, nur noch genau das machen, wofür man sie bezahlt, um spätestens 16:00 Uhr den Stift fallen lassen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu einem attraktiveren Arbeitgeber wechseln.
Eine aktuelle Studie aus Deutschland verdeutlicht, dass viele dieser Befürchtungen überzogen sind. Gleichwohl ist es sinnvoll, Quiet Quitting als eigenständiges Konzept zu definieren. Eine Befragung von mehr als 300 Beschäftigten fördert die folgenden Ergebnisse zutage:
- Nur etwa 16 Prozent der Befragten liegen in der oberen Hälfte einer Skala zur Messung von Quiet Quitting. Quiet Quitting scheint also keineswegs ein Massenphänomen zu sein.
- Quiet Quitting bedeutet nicht, dass die betroffenen Personen kurz davorstehen, bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber zu kündigen. Der Zusammenhang zur Kündigungsabsicht beträgt gerade einmal 15 Prozent. Wenn wir bedenken, dass die Kündigungsabsicht wiederum nur in einem sehr geringen Zusammenhang zu tatsächlichen Kündigungen steht, droht Unternehmen, die Betroffene in ihren Reihen haben, somit keineswegs ein massenhafter Exitus.
- Mehr noch, Quiet Quitting bedeutet nicht, dass die Betroffenen ihre berufliche Karriere aufgeben würden und nicht mehr an einem Aufstieg interessiert wären. Es zeigt sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen Quiet Quitting und der Motivation, Karriere zu machen. Die Betroffenen haben scheinbar nur einen anderen Blick darauf, mit wie viel Herzblut und Engagement sie die eigene Karriere verfolgen und wie viel Lebenszeit sie in dieses Ziel investieren möchten.
- Quiet Quitting ist nicht dasselbe wie Arbeitsunzufriedenheit. Gleichwohl geht Quiet Quitting mit einer geringeren Arbeitszufriedenheit einher (10 Prozent).
- Quiet Quitting ist nicht das Gegenteil von Commitment. Allerdings korreliert es negativ damit (29 Prozent).
- In der Rückschau über einen Zeitraum von fünf Jahren lässt sich bei den Befragten keine signifikante Zunahme von Quiet Quitting belegen. Dies spricht erst einmal gegen die These, dass Menschen im Laufe ihrer beruflichen Sozialisation Quiet Quitting stärker ausbilden, etwa weil sie zunehmend frustriert wären.
- Je jünger die Befragten sind, desto höher ist die Ausprägung von Quiet Quitting. Dies scheint zum Stereotyp der Generation Z zu passen. Allerdings ist die Effektstärke mit 7 Prozent sehr gering. Ein solcher Wert deutet darauf hin, dass auch in der Gruppe der jüngeren Menschen Quiet Quitting keineswegs deutlich stärker verbreitet ist.
- Unterschiede zwischen Frauen und Männern konnten nicht gefunden werden.
Das Buzzword als Anreiz nehmen
Insgesamt betrachtet zeigt die Studie, dass Quiet Quitting mehr ist als nur eins der üblichen Modethemen, die immer mal wieder aus dem Nichts aufpoppen. Es ist sinnvoll, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie viele Personen im eigenen Unternehmen von einer hohen Ausprägung betroffen sind.
Einstweilen deutet aber nichts darauf hin, dass Quiet Quitting ein flächendeckendes Problem sei oder gar eine Gefahr darstellen würde. Wenn Menschen bereit sind, genau das zu machen, wofür sie sich vertraglich verpflichtet haben, ist dies zunächst einmal erfreulich. Ein Unternehmen kann auch dann erfolgreich sein, wenn nicht alle Beschäftigten mit Herzblut bei der Sache sind, ihre Freizeit einsetzen und sich stets für das Große und Ganze starkmachen. Quiet Quitting hat es wahrscheinlich schon immer gegeben. Wir hatten bislang nur keinen so griffigen Namen für das Phänomen.
Der Kolumnist Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.
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