Die Sichtung der Bewerbungsunterlagen gehört für viele alte Häsinnen und Hasen im HR-Business zur Königsdisziplin der Personalauswahl. Mit viel Erfahrung und noch mehr Intuition blicken sie tief in die Seele von Bewerberinnen und Bewerbern: Grammatikfehler im Anschreiben? Mangende Gewissenhaftigkeit! Ein nachlässiges Foto? Fehlende Anstellungsmotivation! Ein zu kurz gefasstes Arbeitszeugnis? Zwischenmenschlich und fachlich inkompetent!
Häufige Arbeitgeberwechsel sind Interpretationssache
Zu den Klassikern der Deutungsfolklore gehört auch die Interpretation von Arbeitgeberwechseln. Hier gibt es zwei Lager:
Die einen – und dies dürften die meisten sein – sehen häufige Arbeitgeberwechsel als Hinweis auf Defizite. Wer häufig gewechselt hat, trägt offenbar irgendeinen Makel in sich, ansonsten hätte es ja keinen Wechsel geben müssen. Vielleicht ist die Person leistungsschwach und zeigt sich schon mit einfachsten Arbeitsaufgaben überfordert. Möglicherweise sorgt sie für Unruhe im Team, weil sie sich nicht geschmeidig integrieren mag oder die anderen gern für sich arbeiten lässt. Vielleicht ist sie aber auch nur stets auf der Suche nach dem eigenen Vorteil und saugt den Arbeitgeber wie eine Spinne aus, bevor sie sich ein neues Opfer sucht.
Die anderen erkennen in häufigen Arbeitgeberwechseln Positives. Wer häufig gewechselt hat, konnte viele Erfahrungen sammeln, ist dynamisch und strebt nach Optimierung. Zumindest für große Unternehmen, die viele Karrierepfade eröffnen, könnten ungeduldige Bewerberinnen und Bewerber besonders interessant sein.
Job Hopping: Es spricht wenig dafür, Stellenwechsel zu interpretieren
Doch welche der beiden Fraktionen hat nun Recht? Eine Studie mit fast 600 Berufstätigen aus Deutschland kommt zu interessanten Befunden:
- Im Durchschnitt wechselten die Befragten etwa alle fünf Jahre ihren Arbeitgeber.
- Die Anzahl der Arbeitgeberwechsel stand in keinem nennenswerten Zusammenhang (null bis fünf Prozent) zu berufsrelevanten Persönlichkeitsmerkmalen wie Gewissenhaftigkeit, Extraversion oder Leistungsmotivation.
- Aus der Dauer der Beschäftigung bei früheren Arbeitgebern ließ sich so gut wie nicht auf die Anstellungsdauer nachfolgender Beschäftigungsverhältnisse schließen. Der Zusammenhang betrug weniger als vier Prozent.
- Die Gründe für Arbeitgeberwechsel schwankten kaum, wenn Personen mit wenigen Wechseln mit Personen verglichen wurden, die häufig ihren Arbeitgeber gewechselt haben. Auf Rangplatz eins stand jeweils die Suche nach neuen beruflichen Herausforderungen (ca. 30 Prozent), gefolgt von einem besseren Jobangebot (ca. 20 Prozent), Unzufriedenheit mit dem alten Arbeitgeber (ca. zehn Prozent) und familiären Gründen (ca. zehn Prozent). Betriebsbedingte Kündigungen waren bei etwa fünf Prozent der Fälle der Grund für die Beendigung der Zusammenarbeit mit dem früheren Arbeitgeber.
Insgesamt betrachtet spricht mithin nichts für eine Interpretation von Stellenwechseln. Im Gegenteil, die Gefahr ist viel zu groß, schon bei der Sichtung der Bewerbungsunterlagen geeignete Bewerberinnen und Bewerber zu verlieren.
Aber das ist natürlich nur ein Forschungsergebnis. Intuitiv dürfte sich das alles ganz anders anfühlen.
Der Kolumnist Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.
Schauen Sie auch einmal in den Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden, warum Manager scheitern, wie ein Akzent die Bewertung von Bewerbern beeinflusst oder wie "smart" gesetzte Ziele für eine Leistungssteigerung sein müssen.