Leitfaden mentale Belastungen im Büro erkennen

Depressionen und Burnout: Mentale Belastungen machen auch vor dem Arbeitsplatz keinen Halt. Führungskräfte und Personalverantwortliche können helfen, indem sie Anzeichen erkennen und einfühlsam das Gespräch suchen.

Jeder Mensch hat in seinem Leben neben vielen guten Zeiten auch seelische Tiefs. Als Führungskraft kennen Sie das von Ihren Mitarbeitenden. Oft sind die Auswirkungen am Arbeitsplatz überschaubar und vorübergehend. Wenn psychische Belastungen bei Mitarbeitenden jedoch länger andauern und keine positive Entwicklung zu erkennen ist, sollte mit den Betroffenen gesprochen werden.

Müssen Sie sich dazu mit psychischen Belastungen auskennen? Nein – Sie sind Führungskraft bzw. Personalverantwortliche und kein Arzt oder Ärztin und haben keine therapeutische Ausbildung. Bleiben Sie in Ihrer Rolle; denn gerade im Umgang mit psychisch belasteten Mitarbeitenden kommt es darauf an, die Führungsaufgabe, in dem Fall die Fürsorgepflicht, wahrzunehmen. Mit dem Ziel, Mitarbeitende zu unterstützen und die dahinterliegenden Probleme zu lösen, um möglichst bald wieder zur vollen Arbeitsleistung zurückzukehren.

Stress am Arbeitsplatz: Wie Führungskräfte Mitarbeitende unterstützen können

Stellen Sie sich vor, Sie haben über mehrere Wochen großen Stress und es geht Ihnen nicht gut. Sie schlafen nachts schlecht und machen sich viele Sorgen. Morgens kommen Sie müde und erschöpft bei der Arbeit an – und dort läuft auch noch alles schief. Was täte Ihnen dann gut, wie sollte Ihr Vorgesetzter oder Ihre Vorgesetzte mit Ihnen umgehen?

Wir raten Folgendes: Wenn Sie merken, dass Ihre Mitarbeitende oder Ihr Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum (Faustregel: bis zu vier Wochen) anders ist, es der Person nicht gut geht oder Auffälligkeiten auftreten, dann sollten Sie diese zeitnah ansprechen. Liebevoll und zugleich sachlich. Sie brauchen nicht zu wissen, ob die gezeigten Auffälligkeiten die Symptome einer psychischen Erkrankung oder Belastung sind oder andere Gründe haben – das gehört in die Hände von Fachleuten. Vertrauen Sie Ihrer Wahrnehmung: Sie kennen Ihre Mitarbeitenden und sehen aufgrund Ihrer eigenen Berufs- und Lebenserfahrung, wenn es einzelnen Mitarbeitenden nicht gut geht oder sie sich verändern.

Schildern Sie der Person anhand konkreter Vorkommnisse ihre Beobachtungen – so geben Sie ihr die Chance, dass sie erkennt und ihr bewusst wird, wie ihre Probleme schon nach außen wirken. Damit können Sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass Ihre Mitarbeitenden Hilfe in Anspruch nehmen, an den Belastungen und den dahinterliegenden Ursachen arbeitet und möglichst bald wieder in ihre volle Kraft kommen. Unsere Erfahrung zeigt, dass eine Ansprache durch die Führungskraft immer wieder einen größeren Einfluss auf die Inanspruchnahme von Hilfe nimmt, als die Ansprache durch die Familie oder Freunde.

Warnsignale für mentale Gesundheit am Arbeitsplatz

Auffälligkeiten können in drei Bereichen auftreten. 1. Bei der Arbeit selbst, zum Beispiel durch eine höhere Fehlerquote oder vermehrte Fehlzeiten. 2. In der Persönlichkeit: Der/die Mitarbeitende wirkt anders als sonst – unzufrieden, unkonzentriert und evtl. introvertiert. 3. Im sozialen Bereich: Das Kommunikationsverhalten ist angespannt, gereizt oder sogar aggressiv, die Person distanziert sich und bleibt Meetings oder üblichen Feierabendunternehmungen fern. Die folgenden Auffälligkeiten sind Anhaltspunkte zu Ihrer Orientierung. Sie sollten immer im Gesamtzusammenhang betrachtet werden.

1. Arbeitsverhalten und Leistungsfähigkeit:

  • Fehlende Konzentration, "nicht bei der Sache sein", Vergesslichkeit
  • erhöhte Fehlerquote, Flüchtigkeitsfehler
  • Leistungsminderung sowie Leistungsschwankungen, gewohnte Zuverlässigkeit in der Leistung lässt nach
  • Nachfragen bekannter Arbeitsinhalte, wiederholte Kontrollen der ausgeführten Arbeiten
  • Selbstgeschaffener, übertriebener Termin- und Zeitdruck
  • Vermeiden von bestimmten Tätigkeiten (z.B. Kundentelefonate, "Aufschieberitis")

2. Veränderungen in der Arbeitsdisziplin

  • Arbeitsunterbrechungen, Pausen, Verlassen des Arbeitsplatzes
  • geringeres Durchhaltevermögen
  • Verspätungen, Unpünktlichkeit
  • Unentschuldigtes Fehlen
  • Verspätete Abgabe von Krankmeldungen
  • Nichteinhalten von Terminen
  • Arbeit bleibt liegen oder zieht sich unverhältnismäßig lange hin

3. Veränderungen im Sozialverhalten und in der Persönlichkeit:

  • Angespanntheit, Gereiztheit, aggressive und nicht einschätzbare Reaktionen
  • Niedergeschlagenheit, "abwesend sein"
  • Hohe Empfindlichkeit gegenüber Kritik
  • Überbewertung belangloser Probleme
  • unrealistische Einschätzung der eigenen Arbeitsleistung und des Verhaltens
  • Misstrauen und Negativerwartungen anderen gegenüber, Vorwurfshaltung gegenüber dem Team und Vorgesetzten
  • Rückzug, untypische Vermeidung von Kontakten zu Kolleginnen und Kollegen, sowie Vorgesetzen

4. Gesundheitliche Beeinträchtigungen:

  • Häufung von (Kurz-)Erkrankungen, Anfälligkeit für Erkrankungen und Infektionen
  • Auffällige Unruhe
  • Erschöpfung
  • Klagen über Schlaflosigkeit
  • Körperliche Beschwerden (z. B. Kopfschmerzen, Migräne, Magenbeschwerden, Rückenbeschwerden, Schwindel)

Mentale Belastung: Gesprächsleitfaden für Führungskräfte


  1. Leiten Sie Ihr Gespräch positiv und authentisch ein. Formulieren Sie die ersten Sätze so natürlich wie möglich und so, wie es zu Ihnen persönlich und der Situation am besten passt. Sie können z. B. sagen: "Ich mache mir Sorgen um Sie, weil ich sehe, dass es Ihnen nicht gut geht." Oder: "Mir sind in letzter Zeit ein paar Dinge aufgefallen, die ich von Ihnen nicht gewohnt bin. Mir ist wichtig, frühzeitig mit Ihnen darüber zu sprechen."
      
  2. Schildern Sie Ihre Beobachtungen: "Seit circa sechs Wochen wirken Sie auf mich bedrückt, lachen viel weniger als sonst, beteiligen sich viel weniger an Diskussionen und reagieren oft gereizt, z. B. gestern im Vertriebsmeeting." Oder: "Heute morgen hat mich unsere Kundin Frau K. angerufen, weil sie schon seit zwei Wochen auf eine Antwort von Ihnen wartet." Verwenden Sie dabei nur Ich-Botschaften. 
      
  3. Sprechen Sie Ihre Vermutungen, Zusammenhänge und Einschätzungen an. "Ich habe die Vermutung, dass die genannten Veränderungen damit zu tun haben könnten, dass es Ihnen mental nicht gut geht." Gehen Sie mit dem/der Mitarbeitenden in den Austausch, fragen Sie ihn/sie auch nach seinen/ihren Sichtweisen. Lassen Sie diese nebeneinanderstehen. Richten Sie Ihren Fokus in der Gesprächsführung auf die Entwicklung von Lösungen.
      
  4. Machen Sie Unterstützungs- und Hilfsangebote: "Was kann ich, das Team, unser Unternehmen beitragen?" Und: "Unser Unternehmen bietet für die Belegschaft ein Mental Health Coaching im Fürstenberg Institut an. Dort wird einem in Situationen wie Ihrer anonym, kurzfristig und kostenfrei weitergeholfen. Ich kann Ihnen nur empfehlen, das Angebot zu nutzen."
      
  5. Besprechen Sie mit dem/der Mitarbeitenden, was er oder sie selbst tun kann. Stärken Sie die Selbstverantwortung: "Was können Sie selbst zur Verbesserung Ihrer Situation beitragen?" Oder: "Sind Sie ausreichend medizinisch bzw. ärztlich versorgt?"
      
  6. Treffen Sie konkrete Vereinbarungen und verabreden Sie einen neuen Gesprächstermin – etwa zwei bis vier Wochen nach dem Gespräch, um die Umsetzung der Vereinbarungen zu besprechen und ggfs. nachzusteuern.

Wie Führungskräfte bei einem Gespräch zu mentalen Auffälligkeiten sensibel reagieren können


  • Signalisieren Sie der/dem Mitarbeitenden, dass Sie sich Gedanken oder Sorgen machen. Machen Sie deutlich, dass Ihnen das Wohlbefinden am Arbeitsplatz wichtig ist.
  • Schildern Sie Ihre Beobachtungen so konkret wie möglich. Das ist wichtig, weil belastete Mitarbeitende oft selbst nicht mehr gut wahrnehmen, wie sie nach außen wirken.
  • Schildern Sie offen und ehrlich Ihren Eindruck, zum Beispiel, dass die Person belastet wirkt. Überlegen Sie gemeinsam, was er/sie tun kann und wie auch sie unterstützen können, damit es ihm/ihr besser geht und er/sie seinen Job wieder gut ausführen kann.
  • Lassen Sie den Mitarbeiter oder die Mitarbeitende nach der Schilderung Ihrer Auffälligkeiten zu Wort kommen, gehen Sie mit ihm/ihr in den Austausch.
  • Wenn die/der Mitarbeitende Ihnen seine/ihre Probleme detailliert ausführen möchte, dürfen Sie Mitgefühl zeigen und sich für das Vertrauen bedanken, sich aber – auch wenn es schwer fällt – auf eine tiefergehende Schilderung der persönlichen Probleme gar nicht erst einlassen. Sie können zum Beispiel sagen: "Umso wichtiger ist es, dass Sie sich unterstützen lassen und fachliche Hilfe in Anspruch nehmen."
  • Bleiben Sie in jedem Augenblick achtungs- und respektvoll.
  • Bleiben Sie ruhig und bei Ihrer Sichtweise, auch wenn der oder die Mitarbeitende eine andere Perspektive hat.
  • Empfehlen Sie und unterstützen Sie den/die Mitarbeitenden darin, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Entscheidung dafür sollten Sie jedoch ihm/ihr überlassen.

Sollte die Führungskraft mit dem/der Mitarbeitenden dessen/deren Probleme angehen? Nur dann, wenn es konkrete Probleme am Arbeitsplatz gibt. Diese können Sie gemeinsam angehen und Entlastung schaffen.

Wie reagieren Mitarbeitende auf diese Gespräche?

Die Erfahrung zeigt, dass mit Gesprächen oft sehr lange gewartet wird. Mitarbeitende sind manchmal viele Jahre lang massiv auffällig, aber ihr Verhalten wird immer noch geduldet, Minderleistungen und Fehlverhalten werden kompensiert. Führungskräfte haben oft Angst, sie könnten etwas falsch machen. Auch kommt es immer wieder vor, dass Führungskräfte ihre Verantwortung an die Personalabteilung delegieren.  Oder sie denken: "Ich weiß ja, was mit Herrn B. los ist." Doch dadurch ändert sich nichts, im Gegenteil, oft manifestieren oder verstärken sich Schwierigkeiten noch, je länger sie andauern. Dabei ist es gar nicht so schwer, mental belastete Mitarbeitende in ihrer Gesundung zu unterstützen – wenn man weiß, wie man die Gespräche führen kann.

Und wenn sich nach dem ersten Gespräch noch nichts zum Positiven verändert? Einen sofortigen Erfolg sollte man nicht immer erwarten. Das erste Gespräch ist oft nur der erste Schritt. Wenn sich in den folgenden zwei, drei Wochen nichts am Verhalten der/des Mitarbeitenden ändert, kann direkt ein zweites Gespräch geführt werden und im weiteren Verlauf darf im Einzelfall auch die Personalabteilung und der Betriebsrat hinzugezogen werden. Nachhaltigkeit ist gerade bei belasteten Mitarbeitenden besonders wichtig.

Meistens sind die Betroffenen sehr froh und erleichtert, wenn man ihre Situation thematisiert und sich um sie kümmert. Und: Mitarbeitende brauchen nach dem oben genannten Vorgehen mit der Führungskraft ja auch gar nicht darüber zu reden, was sie persönlich belastet, sondern nur darüber, was Sie tun können, damit es ihnen wieder besser geht und sie ihren Job wieder gut und mit Freude ausfüllen können.