Interview mit Elke Frank, Software AG, zu Mitarbeiterbindung

In der IT- und Softwarebranche ist Mitarbeiterbindung vielleicht noch wichtiger als in anderen Industrien. Wie steht es aktuell um die Loyalität der Beschäftigten? Welche Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung sind wirklich zielführend? Dr. Elke Frank, Personalvorständin der Software AG, gibt Auskunft.

Haufe Online-Redaktion: Ist die Angst vor einer Kündigungswelle – ähnlich wie in den USA – berechtigt? Oder anders gefragt: Hat die Bedeutung von Mitarbeiterbindung in der aktuellen Arbeitsmarktsituation zugenommen?

Elke Frank: Die Great Resignation ist in den USA in der Tat allgegenwärtig. Auch in Deutschland spüren wir bereits die Ausläufer dieser Welle, nicht nur in der Software- und IT-Industrie. Aus meiner Sicht ist daher die Mitarbeiterbindung das wichtigste Thema für Vorstände und Geschäftsführungen in den nächsten Monaten und Jahren. Natürlich war Mitarbeiterbindung schon immer wichtig. Aber die Coronapandemie und die Tatsache, dass wir zwei Jahre gelernt haben, digital und virtuell zu arbeiten, hat gravierende Auswirkungen auf die Mitarbeiterbindung. Auch der Arbeitsmarkt hat sich auf den Kopf gestellt. Wir sprechen schon lange nicht mehr von Arbeitslosigkeit, sondern von Arbeiterlosigkeit. Das gibt dem Thema noch viel mehr Bedeutung.

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Rein digitale Touchpoints gefährden die Loyalität der Mitarbeitenden

Haufe Online-Redaktion: Laut einer Studie ist die Loyalität der Beschäftigten gegenüber ihrem Arbeitgeber seit Mitte 2021 gesunken. Im Pandemiejahr 2020 sah das noch anders aus. Entspricht das auch Ihren Beobachtungen?

Elke Frank: Mit Blick auf die Software AG möchte ich eine differenzierte Antwort geben. Bei den Mitarbeitenden, die schon vor der Pandemie bei uns waren, die das Unternehmen gut kennen und die viele persönliche Kontakte haben, hat die Loyalität meiner Erfahrung nach nicht nachgelassen. Sie ist ähnlich hoch wie in den Jahren zuvor. Die andere Seite ist jedoch: Wir rekrutieren seit zwei Jahren hundertprozentig digital. Wir führen alle Interviews virtuell und auch das Onboarding läuft digital. Gerade beim Onboarding haben wir viel getan, damit die neuen Mitarbeitenden gut in die Teams integriert werden. Dennoch: Wir haben Mitarbeitende, die zwei Jahre bei uns sind, aber noch nicht einmal ihre Führungskraft oder ihr Office live gesehen haben, weil entweder Lockdown war oder Homeoffice-Pflicht oder die Anreise nicht möglich war. Wir sind international aufgestellt und ich spreche auch von Mitarbeitenden in den USA oder Indien. Bei denjenigen, die nur digitale Touchpoints haben, merken wir, dass die Loyalität nicht in dem Maße aufgebaut werden kann, wie das früher war. Bei diesen Personen ist die Gefahr größer, dass sie abgeworben werden.

Haufe Online-Redaktion: Was können Sie dagegen tun?

Elke Frank: Ich glaube, es ist wichtig, jetzt wieder stärker die persönlichen Kontakte zu fördern. Mit dem Ende der Homeoffice-Pflicht kommt eine ganz wichtige Phase für unsere Standorte zum Beispiel in Deutschland: Wie schaffen wir es, die Mitarbeitenden zu Face-to-Face Teammeetings zu bekommen, wenn ab dem 20. März die Offices wieder aufmachen? Wie gelingt es uns, die persönliche Nähe und die Begeisterung wieder herzustellen?

Extreme Gehälter in der IT- und Softwarebranche erschweren die Mitarbeiterbindung

Haufe Online-Redaktion: Also liegt die rückläufige Loyalität vor allem an fehlenden Face-to-Face-Kontakten und der Schwierigkeit, diese in der aktuellen Situation aufzubauen?

Elke Frank: Ja, aber es liegt auch an der Pandemie selbst. Viele Menschen haben sich in der Pandemie Gedanken über ihr Leben und ihre Arbeit gemacht: Ist die Zeit, die sie täglich bei ihrem Arbeitgeber verbringen, richtig angelegt? Ist es der richtige Arbeitgeber? Hat das Unternehmen einen guten Purpose und ist es nachhaltig? Die Pandemie hat unser Leben auf den Kopf gestellt – privat und beruflich. Und das hat bei einigen auch zur Überlegung geführt, dass sie lieber Teilzeit arbeiten möchten und sich mehr auf ihr Privatleben konzentrieren wollen. Das höre ich vor allem aus den USA. Ein weiterer, IT/Software-spezifischer Grund: Es ist wahnsinnig viel Geld im IT-Markt. Viele Startups drängen in den Markt. Diese zahlen sehr attraktive Gehälter, meist kombiniert mit attraktiven Aktienpaketen. Das ist ein Faktor, der die Mitarbeiterbindung zusätzlich erschwert.

Haufe Online-Redaktion: Spüren Sie in den USA, dass da schneller gekündigt wird?

Elke Frank: Wir hatten Anfang 2021 die eine oder andere Kündigung, die uns zum Nachdenken gebracht hat. Wir haben relativ schnell gute Retention-Maßnahmen etabliert und auch das Kulturelement intensiv behandelt. Das ist ein wichtiger Punkt für die Bindung: Was unterscheidet die Software AG von Firmen wie Salesforce, Microsoft und vielen kleinen Software-Unternehmen? So haben wir die Retention auch in den USA wieder gut in den Griff bekommen. Aber ich möchte nochmals sagen: Es ist höchste Vorsicht geboten. Es kann immer wieder eine "Kündigungswelle" geben. Auch in Indien. Da hat der Wettbewerb unter den Arbeitgebern extrem an Fahrt aufgenommen.

Haufe Online-Redaktion: Welche weiteren Faktoren sind wichtig für die Mitarbeiterbindung: Führung, eigenverantwortliches Arbeiten, Kommunikation, …?

Elke Frank: Es ist ein Bündel aus verschiedenen Themen. Vieles würde ich unter dem großen Dach der Unternehmenskultur zusammenfassen: Es ist wichtig, dass nicht nur von einer "People First Culture" gesprochen, sondern dass diese auch gelebt wird. Das heißt: Es braucht so flache Hierarchien wie möglich, Feedback, gute Führung und Führungskräfte, die zuhören und Empathie zeigen. Ein Beispiel: Ich habe ein international aufgestelltes Team, das weltweit verstreut ist. Wichtig für mich als Führungskraft ist es, zu wissen, was diese Menschen treibt. Wenn in Indien eine große Pandemiewelle rollt, muss ich wissen, wie es meiner Mitarbeiterin dort geht und was sie beschäftigt. Es ist wichtiger geworden zu verstehen, was eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter in der aktuellen Situation nicht nur beruflich, sondern auch privat braucht und sich in die Personen hineinzuversetzen. Als die Lage in Indien coronabedingt wirklich schlimm war, habe ich Sauerstoffflaschen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie deren Angehörigen gekauft. Ich hätte auch nicht erwartet, dass ich das mal mache, man muss aber schnell umdenken in diesen Zeiten, wenn man "People First" wirklich ernst nimmt.

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Zur Unternehmenskultur gehört auch das Thema Engagement und Empowerment der Mitarbeitenden: Haben sie den Auftrag, Themen zu entscheiden? Dürfen sie Themen entscheiden? Wie weit geht ihre Entscheidungsbefugnis? Je mehr Verantwortung ich den Mitarbeitenden übertrage, desto mehr brennen sie für das Unternehmen, weil sie ja ein Teil davon sind.

Haufe Online-Redaktion: Was gehört aus Ihrer Sicht noch zu diesem Bündel?

Elke Frank: Zwei weitere Aspekte: Zum einen spielt für die Mitarbeiterbindung natürlich auch das Gehalt eine Rolle. Es muss angemessen und attraktiv sein. Darüber hinaus werden in Zukunft Compensation-Pakete in Richtung Stock Options und Aktien-Programme wichtiger. Wir selber führen hier auch regelmäßig Benchmark-Analysen durch und werden in diesem Jahr ein neues und wettbewerbsfähigeres langfristiges Bonussystem einführen. Darüber hinaus werden wir dieses Jahr auch ein Aktien-Bonussystem für Mitarbeitende anbieten. Das fördert Empowerment und Unternehmertum.

Zum anderen spüren wir im Moment einen großen Druck auf Vergütung und Aktienprogramme aus dem amerikanischen und indischen Raum, deshalb müssen wir uns auch in Deutschland immer öfter mit der Frage auseinandersetzen: Wie kann ich Mitarbeitende besser am Unternehmen beteiligen? Mitarbeiterbindung ist natürlich auch stark abhängig von der Kommunikation. Das ist nichts Neues. Aber gerade, wenn jeder in seinem Homeoffice sitzt, ist Kommunikation umso wichtiger. Die Manager müssen mit ihren Teams in Verbindung bleiben, egal über welchen Kanal. Mein Credo ist hier: "You cannot over communicate".

HR sollte eine strategische Beratungsrolle einnehmen

Haufe Online-Redaktion: Welche Rolle spielen die direkten Vorgesetzten bei der Mitarbeiterbindung und was kann HR dafür tun, dass diese ihre Rolle auch gut ausüben?

Elke Frank: Sie kennen sicherlich den Spruch: Mitarbeitende schließen sich Unternehmen an und verlassen diese wegen der direkten Führungskraft. Das stimmt nicht immer, aber immer wieder. Das heißt im Umkehrschluss: Die direkte Verbindung zwischen Führungskraft und Team-Mitglied ist das A und O für die Mitarbeiterbindung. Was kann HR bewirken? Sehr viel. Zum einen sehe ich HR in einer strategischen Beratungsrolle. Nicht jeder Führungskraft sind Empathie und Kommunikation in die Wiege gelegt. Aber man kann viel lernen. Wichtig ist, dass HR die Aufmerksamkeit dafür weckt und mit Trainings und individueller Beratung unterstützt. Unsere HR Business Partner spielen hierbei eine große Rolle. Sie arbeiten eng mit unseren Führungskräften zusammen und befassen sich intensiv mit den strategischen Themen und Initiativen, die für die Mitarbeitenden am wichtigsten sind. Sie sind zum Beispiel ein aktiver Partner für Personalentwicklung, Nachfolgeplanung und Organisationsgestaltung.

Haufe Online-Redaktion: Sehen Sie Mitarbeiterbefragungen sinnvoll für die Stärkung der Retention an?

Elke Frank: Die Mitarbeiterbefragung ist für mich ein Messinstrument. Sie gibt ein Indiz dafür, wie stark die Mitarbeiterbindung ist. Nicht mehr und nicht weniger. Mitarbeitende wollen gehört und ernst genommen werden. Durch solche Umfragen schafft man einen Kanal, in dem jeder seine Meinung äußern kann - was langfristig zu mehr Verbundenheit mit dem Arbeitgeber führt. Auch wir führen jedes Jahr unsere globale interne Befragung #MyVoice durch. Dadurch konnten wir auch sehen, wie zufrieden unsere Beschäftigten wirklich sind und wo wir dann doch noch nachsteuern müssen.

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Man könnte auch andere Feedback-Tools im Unternehmen etablieren, um eine Tendenz von Mitarbeitenden einzuholen, wie es ihnen gefällt und wie zufrieden sie sind. Ich persönlich mag Mitarbeiterbefragungen, weil sie eine Vergleichbarkeit erlauben, wenn sie einmal Jahr oder öfter mit einem gleichen Fragen-Set-up durchgeführt werden. Ich schätze sie auch, weil sie Einblicke in die Situation in den einzelnen Ländern, Funktionen oder Departments geben. So werden Unterschiede deutlich und man kann die Gründe für bestimmte Entwicklungen erkennen.

Haufe Online-Redaktion: Aber die Erkenntnisse aus den Mitarbeiterbefragungen müssen auch weiterverfolgt werden.

Elke Frank: Absolut! Aus meiner Sicht ist die Nachverfolgung fast noch wichtiger als die Befragung, damit das Feedback der Mitarbeitenden nicht verpufft. Hierfür gibt es verschiedene Ideen. Wir bei der Software AG nehmen uns jedes Jahr ein bis zwei Focus-Areas vor, die wir auf Vorstandsebene diskutieren. In den Leadership-Teams überlegen wir, was jeder dazu beitragen kann, um Verbesserungen zu bewirken. Darüber hinaus haben wir ein sogenanntes "Change Networker Team" gegründet – bestehend aus 80 bis 100 Personen, die sich dafür bewerben müssen, sehr international und divers. Mit den Change-Networkern treffen unser CEO Sanjay Brahmawar und ich uns jeden Monat. Sie geben uns direkt, ehrlich und ungefiltert Feedback. In dieser Runde diskutieren wir auch Themen aus der Mitarbeiterbefragung. Von diesem direkten Austausch halte ich extrem viel.

Retention ist ein Vorstandsthema

Haufe Online-Redaktion: Wo sollte das Thema Mitarbeiterbindung angesiedelt sein? Auf Vorstandsebene, wie es bei Ihnen der Fall ist, oder im HR-Bereich?

Elke Frank: Für mich ist Mitarbeiterbindung ein Team-Sport. Und es ist – vor allem in der aktuellen Zeit – ein Vorstandsthema. HR gibt tolle Impulse und liefert Ideen, zum Beispiel wie man Mitarbeiterbindung stärken kann. Aber wenn das Thema nicht vom C-Level verstanden, ernst genommen und ganzheitlich gesehen wird, kann es keinen nachhaltigen Erfolg haben. Da kann HR die tollsten Ideen haben, die aber nicht viel bewirken werden. Die Programme und Instrumente müssen natürlich von HR entwickelt und betrieben werden.

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Haufe Online-Redaktion: Wie individuell sollten die Maßnahmen auf einzelne Beschäftigte zugeschnitten sein?

Elke Frank: Viele Mitarbeiterbindungselemente, ob kulturelle Themen oder das Empowerment der Beschäftigten, sind generalistischer Natur. Aber genauso wichtig ist es, individuell auf die Mitarbeitenden einzugehen, weil die jeweiligen Situationen ganz unterschiedlich sind. Ein Beispiel: Die einen kommen mit dem 100-prozentigen virtuellen Arbeiten besser zurecht als andere. Ich selber hätte nie gedacht, dass mich das Thema Virtual Fatigue treffen kann. Ich dachte eigentlich, ich bin recht robust und kann wochenlang auf den Bildschirm schauen. Aber bei dem langen Lockdown im Frühjahr 2020 war ich mittwochs schon so müde und ausgepowert wie sonst vielleicht an einem Freitag.

Ich habe mich gefragt: Wie schaffe ich es, den Mitarbeitenden einen Baukasten anzubieten, damit sie Pausen einlegen und sich erholen können? Wir haben dann eine Gesundheits-App für alle eingeführt. Auch Sportkurse sind eine Möglichkeit. Wir haben zudem einen Meeting-free Monday eingeführt. An diesem Montag sollen keine back2back Meetings stattfinden, sondern es soll auch Zeit geben um zu lesen, zu priorisieren und für Kreativität. Das wird von den Mitarbeitenden extrem wertgeschätzt, weil sie sehen, dass wir "People First" ernst meinen. Es ist jedoch individuell unterschiedlich, was bei wem wirkt.

Haufe Online-Redaktion: Welche Programme haben sich in Ihrem Unternehmen als zielführend herausgestellt, um die Loyalität der Mitarbeitenden zu erhöhen?

Elke Frank: Die gesellschaftspolitischen Themen, Nachhaltigkeit und Purpose halte ich für wichtiger denn je. Das sind Inhalte, die den Unterschied machen. Unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist es wichtig, was wir machen und welche Haltung wir zeigen – auch zum Beispiel im Ukraine-Konflikt. Die gesellschaftspolitische Beteiligung wird übrigens generationsübergreifend für wichtig erachtet.

Haufe Online-Redaktion: Messen Sie Mitarbeiterbindung?

Elke Frank: Direkte KPIs oder Messgrößen für Mitarbeiterbindung haben wir nicht. Allerdings sehe ich die Mitarbeiterbefragung als klares Indiz für die Mitarbeiterbindung an. Wir messen auch Attrition, also die Abwanderungsquote: Wie viele Mitarbeitende verlassen das Unternehmen? Dabei unterscheiden wir zwischen Personen, bei denen wir wollen, dass sie das Unternehmen verlassen, und Personen, denen wir eine Träne hinterherweinen.

Der wichtigste Punkt aber ist: Wenn ein Unternehmen eine Initiative wie unser Change-Network startet oder fragt, wer beim Thema Nachhaltigkeit mitarbeiten möchte, wird es sehen, wie viele Beschäftigte sich für ihren Arbeitgeber engagieren wollen. Das ist eher ein softes Kriterium, aber es zeigt, wie viel Engagement es in der Belegschaft gibt, sich mit Themen zu beschäftigen, die nicht zu ihrer eigentlichen Tätigkeit gehören. Bei der Software AG ist diese Bereitschaft stark ausgeprägt und hat sich in der Pandemie sogar noch etwas verstärkt. Dieses Level zu halten, wird in den nächsten Jahren sicherlich eine große Herausforderung für das Management und für HR.


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