"Ein starker Faktor für die Bindung"
Personalmagazin: Inwiefern haben sich seit Januar die Themen verändert, die oben auf Ihrer Agenda stehen?
Nicole Engenhardt-Gillé: Letztendlich haben sie sich nicht groß verändert. Mir war es wichtig, die Dinge, die wir bisher im Fokus hatten, kontinuierlich fortzuführen. Was sich verändert hat, ist die Wahrnehmung der Themen. Das heißt, ich habe jetzt mehr Sichtbarkeit mit den Themen – sowohl nach innen als auch nach außen. Eine eigene Stimme im Vorstand zu haben, hilft mir natürlich, die Dinge, die wir als Ressort auf der Agenda haben, besser nach vorn treiben zu können.
Top-Themen Arbeitgeberattraktivität und Mitarbeiterbindung
Personalmagazin: Welche Personalthemen bewegen Sie am meisten?
Engenhardt-Gillé: Die Themen der Zeit sind Arbeitgeberattraktivität und Mitarbeiterbindung – für uns und für viele andere Unternehmen. Woran wir noch ein bisschen knabbern, ist die Frage: Wie arbeiten wir nach der Pandemie? Wie organisieren wir mobiles Arbeiten und hybride Führung? Wie unterstützen wir die Mitarbeitenden und Führungskräfte? Um diese Veränderungen gut umzusetzen, haben wir Ressort-abhängige Homeoffice-Regelungen eingeführt. Im technischen oder IT-Bereich gibt es mehr mobile Arbeitstage. Ansonsten sind es zwischen zwei und drei Tage in der Woche, die wir hier am Standort zusammenarbeiten, weil wir immer noch daran glauben, dass wir in Präsenz kreativer sind.
Personalmagazin: Also wieder mehr Austausch und Diskussion?
Engenhardt-Gillé: Wir haben uns gefragt: Haben wir in der Pandemie ein bisschen an Diskussionskultur eingebüßt? Es ist schwerer, sich in einer digitalen Konferenz auszutauschen. Man nimmt sich eher zurück. Wieder mehr miteinander zu reden, auch mal etwas kontrovers zu diskutieren – das funktioniert unserer Erfahrung nach besser, wenn wir uns treffen. Aber wir wollten auch nicht sagen: Jetzt müssen wieder alle ins Büro kommen. Das würde nicht funktionieren.
Personalmagazin: Sie verantworten im Vorstand nicht nur das Personalressort, sondern auch das neue Vorstandsthema ESG. Wie gut können Nachhaltigkeit und HR miteinander verknüpft werden?
Engenhardt-Gillé: ESG besteht ja aus Environment, Social und Governance. Ich finde es gut, dass ESG zusammen mit HR in einem Ressort angesiedelt sind, denn letztendlich ist es ein Transformationsthema. Das ist etwas, was wir für die Zukunft tun. All diese Themen von Energiekrise bis ChatGPT, mit denen wir zu tun haben, als Chance zu sehen und positive Veränderungen zu treiben, ist etwas, was der Personalbereich gut kann. Denn wir bauen Brücken und bringen die Themen in die Organisation hinein.
Beim Arbeitskräftemangel zeigt sich ein gemischtes Bild
Personalmagazin: Bei den HR-Themen nannten Sie zuerst Arbeitgeberattraktivität und Mitarbeiterbindung. Wie ist die aktuelle Situation?
Engenhardt-Gillé: Einen Arbeitskräftemangel sehen wir an unterschiedlichen Stellen, unter anderem in der Technologie und im gesamten Digitalisierungsbereich – auch weil wir in Hamburg einen starken Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt haben. Auf der anderen Seite bekommen wir in manchen anderen Berufsgruppen wieder deutlich mehr Bewerbungen als vor einem oder zwei Jahren. Es ist ein gemischtes Bild. In unseren Shops hatten wir in der Pandemie zwar Kurzarbeit, stockten aber auf 100 Prozent des Gehalts auf. Trotzdem haben viele Menschen den Einzelhandel verlassen. Dadurch ist es schwerer geworden, die Fluktuation, die im Einzelhandel traditionell etwas höher ist, auszugleichen.
Personalmagazin: Was mussten Sie seit Ende der Pandemie in Ihrem Recruiting und Personalmarketing ändern?
Engenhardt-Gillé: Das waren gar nicht so viele Änderungen. Wir haben in der Pandemie sehr viel digital rekrutiert. Während andere Unternehmen ihre Recruiting-Aktivitäten stoppten, haben wir immer weitergemacht und waren sehr präsent. Deshalb haben wir zum Ende der Pandemie keinen Bruch verspürt. Während der Pandemie probierten wir mehrere digitale Formate aus und waren zum Beispiel auf digitalen Jobmessen. Das führen wir weiter. Gleichzeitig schauen wir nach vorn und überarbeiten zum Beispiel unseren Auftritt nach außen. Wir schauen auch intern sehr stark darauf, was wir tun, um die Menschen zu halten. Wir hatten auch einen größeren Punkt, der immer etwas behindert hat – unsere unterschiedlichen Marken. Geholfen hat uns die Entscheidung, Freenet als Marke auch für die Shops und andere Tochtergesellschaften einzuführen. Jetzt können wir viel klarer auf dem Markt wahrgenommen werden.
Personalmagazin: Was tun Sie, um die Beschäftigten möglichst lange im Unternehmen zu halten?
Engenhardt-Gillé: Wir leben den Ansatz, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich die Führungskräfte zusammen mit ihren Teams und ihren Mitarbeitenden ihre eigenen Regelungen geben können. Das heißt: Wir glauben nicht daran, dass Konzerne oder die einzelnen Einheiten immer sagen können, wie es genau gehen muss. Sondern man muss eine Offenheit haben, ob das flexible Arbeitszeitmodelle sind oder die Gestaltung dessen, wie sie die Aufgaben verteilen. Im Moment haben wir das Jahr des Lernens. Wir schaffen die Rahmenbedingungen, dass sich die Menschen hier entwickeln können, zusammen mit ihren Führungskräften, um zusammen durch die Veränderungen zu kommen.
"Wir glauben nicht daran, dass Konzerne oder die einzelnen Einheiten immer sagen können, wie es genau gehen muss. Sondern man muss eine Offenheit haben, ob das flexible Arbeitszeitmodelle sind oder die Gestaltung dessen, wie sie die Aufgaben verteilen." – Nicole Engenhardt-Gillé, Freenet AG
Personalmagazin: Nutzen Sie auch klassische Bindungs-Maßnahmen?
Engenhardt-Gillé: Ja. Wir führen an den Standorten wieder mehr Veranstaltungen durch und zeigen regelmäßig, wer bei uns anfängt. Das ist eher ein kleines Thema, aber es kommt gut an, dass wir jeden Monat erzählen, was am Standort passiert, und neue Mitarbeitende willkommen heißen. Die können sich und ihre Themen vorstellen. Kommunikation ist wichtig für uns. Wir fragen stark nach Feedback und holen dieses Feedback über unterschiedliche Kanäle ein. Es gibt unter anderem Standortbestimmungen, Eintrittsbefragungen und Austrittsbefragungen. Wir stützen das Feedback, das wir bekommen, auch datenbasiert, damit wir daraus lernen können, wenn Mitarbeitende uns verlassen. Wir fragen auch: Was wünschen sich die Menschen, die bei uns arbeiten? Da ist das Thema Weiterentwicklung und Lernen ein großer Punkt.
Gute Netzwerke sichern die Mitarbeiterbindung
Personalmagazin: Inwiefern unterstützt das Jahr des Lernens die Bindung?
Engenhardt-Gillé: Wichtig ist, dass das Lernen selbstbestimmt stattfindet. Jeder Mensch will lernen und sich weiterentwickeln. Um das zu unterstützen, haben wir Elemente wie Lernblocker eingeführt. Die Personalentwicklung setzt in die Kalender der Mitarbeitenden pro Quartal einen Lernblocker – einen Vormittag – mit der Botschaft: Nehmt euch diese Zeit und lernt. Zusätzlich bespielen wir verschiedene Kanäle, auf denen wir neue Inhalte präsentieren. Und wir gehen in den Austausch mit den Führungskräften, um Themen für ihre Bereiche zu entwickeln. Für die Shops haben wir einen Training Club eingeführt, in dem viele Angebote mit Gamification enthalten sind.
Wir produzieren auch eigenen Content. Zusammen mit der PR haben wir ein Format namens "Wissen in 30 Minuten", in dem Kolleginnen und Kollegen ihr Thema vorstellen können. Neu seit diesem Jahr ist das Potenzialträger-Programm, bei dem wir einen individuellen Part mit Netzwerkveranstaltungen verknüpfen. Ein starker Faktor für die Mitarbeiterbindung ist der Austausch untereinander.
"Wichtig ist, dass das Lernen selbstbestimmt stattfindet. Jeder Mensch will lernen und sich weiterentwickeln." – Nicole Engenhardt-Gillé, Freenet AG
Personalmagazin: Gute Netzwerke sichern die Bindung?
Engenhardt-Gillé: Ja. Wir haben deshalb verschiedene Formate für die Vernetzung mit Kolleginnen und Kollegen im gesamten Konzern. Eines nennen wir Workday. Da kann man sich auf einen Kaffee, ein Mittagessen oder auch digital treffen. Man bekommt die Menschen durchs Zufallsprinzip zugelost und erhält dadurch einen ganz anderen Input und andere Ideen.
Personalmagazin: Sehen Sie auch das Onboarding als Bindungsfaktor an?
Engenhardt-Gillé: Onboarding ist sehr wichtig. Wenn jemand gut ankommt und sich gut aufgenommen fühlt, trägt das stark zu einer emotionalen Bindung bei. Wir versuchen, Teamrunden zu organisieren, und veranstalten pro Quartal einen Welcome-Day, zu dem wir alle neuen Mitarbeitenden nach Hamburg einladen. An den einzelnen Standorten gibt es weitere Formate. Hier in Hamburg finden zum Beispiel Speed Datings statt. Wir haben natürlich auch ein strukturiertes Onboarding und versuchen zusätzlich, allen neuen Mitarbeitenden einen Paten oder eine Patin zu geben: Diese Person kann ich anrufen, die kümmert sich in meiner Onboarding-Phase, wenn ich Fragen habe.
Personalmagazin: Das heißt, Sie achten auch auf eine rege Kommunikation.
Engenhardt-Gillé: Wir versuchen, beim Welcome Day klarzumachen, dass man sprechen muss, wenn man etwas nicht versteht oder wenn es Probleme gibt. Die Mitarbeitenden müssen auch etwas Verständnis für die Führungskräfte mitbringen. Durch die Anforderungen des hybriden Arbeitens sind die Führungskräfte stark gefordert, dann haben sie noch ihre inhaltlichen Aufgaben. Es ist nicht so, dass jede Führungskraft in einer Glaskugel sieht, wie es den Mitarbeitenden gerade geht. Wir versuchen, wirklich nahbar zu sein, haben die Türen offen. Wir haben auch nach wie vor eine Duz-Kultur, da wir aus dem Startup-Umfeld kommen. Aber wenn jemanden etwas stört, muss er es auch ansprechen. Wichtig ist eine Kultur, in der man diese Dinge auch ansprechen kann.
Personalmagazin: Sie sind selber zum Unternehmen gekommen, als es noch ein Startup war.
Engenhardt-Gillé: Das war eine super-spannende Zeit. Wir starteten mit dem ersten gebührenfreien Online-Dienst und niemand wusste, wie Internet funktioniert. Ich würde sagen, wir waren damals schon agil, obwohl es den Begriff noch gar nicht gab. Wir haben entwickelt und daran gelernt. Wir haben ein Produkt oder Seiten erstellt, Feedback eingeholt und das kontinuierlich verbessert. Denn es gab keine Erfahrungswerte, an denen man sich orientieren konnte. Das macht einen Teil unserer DNA aus, die wir immer noch haben.
Personalmagazin: Können Sie das fürs Personalmarketing nutzen?
Engenhardt-Gillé: Wir versuchen das. Wir sind zum Beispiel vor zwei Jahren mit einem Instagram-Kanal gestartet. Den haben zwei HR-Kolleginnen konzipiert und jede Woche Content erstellt. Wir haben beschlossen, das zunächst laufen zu lassen. Einfach mal etwas zu machen, zeichnet uns aus. Wir waren auch einer der ersten Arbeitgeber, die in Stellenanzeigen duzten. Das war zunächst umstritten, gerade in den Overhead-Abteilungen hieß es etwa: Ich kann doch keinen Juristen im Stelleninserat duzen. Aber wir argumentierten, dass er, wenn er die Stelle annimmt, auch damit leben muss, dass wir uns duzen. Das sind kleine Themen, mit denen wir unser Wesen gut nach außen transportieren können.
"Wir stellen fest, dass viel mehr Menschen als früher fragen: Was tut ihr? Ist euch das wichtig? Das spiegeln mir die Kolleginnen und Kollegen im Recruiting und die Führungskräfte wider." – Nicole Engenhardt-Gillé, Freenet AG
Personalmagazin: Ist Ihr Nachhaltigkeitsengagement ein Argument bei der Mitarbeitergewinnung und -bindung?
Engenhardt-Gillé: Wir stellen fest, dass viel mehr Menschen als früher – und zwar über alle Hierarchieebenen und Altersgruppen hinweg – fragen: Was tut ihr? Ist euch das wichtig? Das spiegeln mir auch die Kolleginnen und Kollegen im Recruiting und die Führungskräfte wider. Es ist wichtig, dass wir jetzt intern viel darüber sprechen und außen mehr zeigen. Deshalb haben wir jetzt an verschiedenen Stellen dazu über Linkedin gepostet – zum Beispiel, als das neue ESG-Team startete, das bei mir angesiedelt ist.
Personalmagazin: Was sind die Zukunftsthemen, die Sie in den nächsten Monaten angehen wollen?
Engenhardt-Gillé: Wir werden das Thema Lernen weitertreiben. Wir planen eine Umfrage zur Lernkultur und fragen, wie die Menschen bei uns lernen und wie sie lernen wollen, um daraus weitere Maßnahmen abzuleiten. Wir fragen aber auch: Was heißt eigentlich Karriere? Was wollen unsere Kolleginnen und Kollegen? Uns ist es wichtig herauszufinden, was zu unseren Möglichkeiten passt und welche Schwerpunkte wir setzen können. Auch das Thema ESG wird weiterhin ein großer Punkt sein. Und wir beschäftigen uns mit der Frage: Wie gehen wir mit KI und ChatGPT um? Da hilft uns vielleicht etwas unsere Startup-Mentalität. Die Veränderung ist da. Wir sehen sie als Chance und versuchen, damit offensiv umzugehen. Wir hören die Ängste, aber sagen auch: Schaut es euch an, dann bekommt ihr ein Gefühl dafür.
Der Beitrag ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 11/2023. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.
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