4.7.5.2.1 Allgemeines

 

Rz. 882

Neben der Herausnahme von Leistungsträgern sieht § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG eine weitere Möglichkeit zur Einschränkung des auswahlrelevanten Personenkreises bei der Sozialauswahl vor. Im Gegensatz zu der Herausnahme von Leistungsträgern sind für den Ausnahmetatbestand der ausgewogenen Personalstruktur nicht individuelle Eigenschaften der Arbeitnehmer entscheidungserheblich, sondern es steht vielmehr die Gesamtbelegschaft im Mittelpunkt der Betrachtung.

 

Rz. 883

Hauptanwendungsfall des Ausnahmetatbestands wird die Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur in der Belegschaft sein. Besteht ein berechtigtes betriebliches Interesse an einer ausgewogenen Altersstruktur, so kann der Arbeitgeber anhand abstrakter Kriterien für die Sozialauswahl Altersgruppen bilden und lediglich innerhalb dieser Gruppen eine soziale Auswahl vornehmen. Arbeitnehmer im fortgeschrittenen Alter werden im Rahmen der Sozialauswahl doppelt privilegiert. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG knüpft zum einen direkt an das Lebensalter des Arbeitnehmers an, zum anderen wird auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers abgestellt, die regelmäßig mit zunehmendem Alter steigt (vgl. Rz. 834 ff. und 839 f.). Durch die Einbeziehung der betrieblichen Personalstruktur in den Auswahlprozess soll dieser Vorteil der älteren gegenüber den jüngeren Arbeitnehmern relativiert werden: Es soll verhindert werden, dass der Betrieb durch die Sozialauswahl "vergreist" (vgl. sogleich Rz. 885 ff.).

 

Rz. 884

Aber auch andere Kriterien sind für den Erhalt einer ausgewogenen Personalstruktur denkbar. Zu nennen sind u. a. Eigenschaften wie die Leistungsfähigkeit, die Nationalität oder das Geschlecht[1] der Arbeitnehmer (vgl. hierzu Rz. 891 ff.).

4.7.5.2.2 Sicherung der Altersstruktur

 

Rz. 885

Im Rahmen der Berücksichtigung der Altersstruktur besteht für den Arbeitgeber die Möglichkeit, die vergleichbaren Arbeitnehmer in verschiedene Altersgruppen einzusortieren, um so die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs i. S. v. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG zu gewährleisten.[1] So wird vermieden, dass die Sozialauswahl zwischen sämtlichen in Betracht kommenden Arbeitnehmern durchgeführt werden muss, da eine Auswahl innerhalb der gebildeten Altersgruppen erfolgen kann.[2] Dies soll nach der Rechtsprechung des BAG aber nur dann angezeigt sein, wenn die Altersgruppenbildung dazu führt, dass die bestehende Altersstruktur gewahrt bleibt.[3] Nach der Rechtsprechung dient die Altersgruppenbildung aber nicht nur einem reinen Arbeitgeberinteresse zur Sicherung der Personalstruktur. Vielmehr kommt es als sozialpolitisches Ziel auch der Gesamtheit der Belegschaft zugute und ist als legitimes Ziel der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik geeignet, eine Ungleichbehandlung nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG[4] bzw. § 10 AGG zu rechtfertigen[5].

Denkbar ist z. B. eine Altersgruppenbildung in Dekaden, sodass also jeweils Arbeitnehmer bis zum vollendeten 20., 30., 40., 50. und 57. Lebensjahr, bzw. Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr bereits vollendet haben, eine Vergleichsgruppe bilden. Allerdings ist eine starre Altersgruppenbildung in 10-Jahres-Schritten nicht zwingend, da lediglich ein in der Sache begründetes plausibles proportionales System zu fordern ist.[6] Eine solche Gruppenbildung bietet nach Ansicht des BAG eine besondere Gewähr für eine sachgerechte Lösung unter Berücksichtigung der betrieblichen und arbeitnehmerseitigen Interessen.[7] Eine enger gestaffelte Altersgruppenbildung – in Abständen von 5 Lebensjahren – hielt das LAG Düsseldorf in einer zuvor ergangenen Entscheidung für "noch vertretbar."[8] Das BAG hat diese Rechtsprechung bestätigt und entschieden, dass der Arbeitgeber bei der Bildung der Altersgruppen einen gewissen Beurteilungsspielraum hat. Die Bildung von Altersgruppen in Schritten von 5 Jahren ist trotz damit einhergehender "Verzerrungen" nach Ansicht des BAG zulässig.[9] Als zulässig wertete das BAG – schon nach Inkrafttreten des AGG, allerdings bezogen auf eine Kündigung, die vor Inkrafttreten des AGG ausgesprochen wurde – auch die Altersgruppenbildung in 3 Dekaden: 30–40 Jahre/41–50 Jahre/51–60 Jahre.[10]

 

Rz. 886

Auch unter Berücksichtigung des AGG erklärte das BAG die Bildung von Altersgruppen für zulässig (vgl. auch Rz. 840).[11] Zwar liegt auch hier eine unterschiedliche Behandlung aufgrund des Alters vor, diese ist jedoch gerechtfertigt: Sie wirkt der Überalterung des Betriebs entgegen und relativiert damit zugleich die Bevorzugung älterer Arbeitnehmer. Die Frage ist mittlerweile allerdings vom Arbeitsgericht Siegburg auch dem EuGH vorgelegt worden.[12] Eine Entscheidung des EuGH hierzu gibt es jedoch nicht, da das Verfahren durch einen Vergleich beendet wurde. Ob jedenfalls ein berechtigtes betriebliches Bedürfnis am Erhalt einer ausgewogenen Altersstruktur besteht, ist nach Ansicht des Gerichts immer im Hinblick auf die speziellen Betriebszwecke und ggf. deren Umsetzung zu entscheiden. Sofern jedoch die Anzahl der Entlas...

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