Rz. 713

In der Prüfung dieses weiteren Tatbestandsmerkmals liegt keine verdeckte Überprüfung der freien unternehmerischen Entscheidung, sondern durch das Erfordernis der Dringlichkeit wird dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprochen.[1] Aus ihm ergibt sich, dass der Arbeitgeber vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus dem Arbeitnehmer eine beiden Parteien objektiv mögliche zumutbare Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz auch zu geänderten Bedingungen anbieten muss (BAG, Urteil v. 27.7.2016, 7 ABR 55/14[2]; BAG, Urteil v. 8.5.2014, 2 AZR 1001/12[3]). Dringend sind die Erfordernisse allerdings nicht erst dann, wenn die Kündigung für den Arbeitgeber die letzte mögliche unternehmerische Maßnahme ist. Nach den Kriterien der Verhältnismäßigkeit ist vielmehr zu prüfen, ob die Kündigung unter mehreren möglichen zumutbaren Mitteln dasjenige ist, das den Arbeitnehmer am wenigsten belastet. Das Kriterium der Dringlichkeit ist kein Einfallstor für eine allgemeine Interessenabwägung. Insbesondere bleibt es den Gerichten verwehrt zu prüfen, ob die von der betrieblichen Entscheidung erwarteten Vorteile noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den Nachteilen einer Kündigung stehen (BAG, Urteil v. 30.4.1987, 2 AZR 184/86[4]).

 

Rz. 714

Im Schrifttum wird teilweise die Dringlichkeit einer Kündigung verneint, der zwar eine unternehmerische Entscheidung und im Zuge von deren Umsetzung auch ein Wegfall des Arbeitsplatzes zugrunde liegt, die aber zu keiner Produktivitätssteigerung oder Gewinnmaximierung führt. Der Verlust des Arbeitsplatzes stehe in einem solchen Fall außer Verhältnis zu der kosten- und rentabilitätsneutralen unternehmerischen Maßnahme.[5] Diese Ansicht ist abzulehnen. Solange der Arbeitgeber eine Produktivitätssteigerung oder Gewinnmaximierung mit seinem unternehmerischen Konzept plant, steht der fehlende Erfolgseintritt der Dringlichkeit einer Kündigung nicht entgegen. Darüber hinaus ist eine Kostenersparnis nicht zwingende Voraussetzung für eine unternehmerische Maßnahme, die eine Kündigung rechtfertigen soll. Der Unternehmer kann unternehmerische Maßnahmen auch treffen, um sein Unternehmen strategisch neu auszurichten, einen Qualitätsstandard zu sichern oder künftige Marktentwicklungen vorwegzunehmen.[6] In der Praxis spielt die Dringlichkeit als weiteres Korrektiv einer Unternehmerentscheidung daher nur bei der Prüfung eine Rolle, ob eine andere mildere Maßnahme zur Verwirklichung des Konzepts infrage kommt. Unerheblich ist insoweit, ob der Arbeitgeber die Notwendigkeit einer Kündigung selbst verschuldet hat.[7]

[1] Wank, RdA 1987, S. 129, 136; KR/Griebeling/Rachor, 11. Aufl. 2016, § 1 KSchG, Rz. 528; ErfK/Oetker, 18. Aufl. 2018, § 1 KSchG, Rz. 235.
[2] NZA 2017 S. 200.
[3] NZA 2014 S. 1200.
[4] AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42, NZA 1987 S. 776; Löwisch/Spinner/Wertheimer, KSchG, 10. Aufl. 2013, § 1 KSchG, Rz. 313, 333; KR/Griebeling/Rachor, 11. Aufl. 2016, § 1 KSchG, Rz. 529; ErfK/Oetker, 18. Aufl. 2018, § 1 KSchG, Rz. 236; a. A. Preis, NZA 1995, S. 248; KDZ/Deinert, KSchR, 8. Aufl. 2011, § 1 KSchG, Rz. 411; wohl auch Annuß, Betriebsbedingte Kündigung und arbeitsvertragliche Bindung, 2004, S. 104, 112.
[5] SPV/Preis, 11. Aufl. 2015, § 2 KSchG, Rz. 926 f.
[6] APS/Kiel, 5. Aufl. 2017, § 1 KSchG, Rz. 528.
[7] KR/Griebeling/Rachor, 11. Aufl. 2016, § 1 KSchG, Rz. 533; SPV/Preis, 11. Aufl. 2015, § 2 KSchG, Rz. 928.

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