Rz. 748

Dem Arbeitgeber kann es regelmäßig auch zumutbar sein, den Arbeitnehmer für einen anderen freien Arbeitsplatz umzuschulen oder fortzubilden oder auf einem anderen Arbeitsplatz einzuarbeiten, statt eine Beendigungskündigung auszusprechen. Soweit § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG die Weiterbeschäftigungspflicht unter entsprechenden Voraussetzungen ausdrücklich anerkennt, greift diese unabhängig von der gesetzlichen Voraussetzung eines Widerspruchs der Arbeitnehmervertretung.[1] Sie ergibt sich bereits unmittelbar aus dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit. Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen kommen insbesondere dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber Arbeitsabläufe umgestaltet oder modernisiert und die Arbeitsplätze ein neues Anforderungsprofil bekommen.

 

Rz. 749

Die Begriffe der Umschulung und Fortbildung sind im Kündigungsschutzgesetz nicht definiert. Unabhängig davon, ob man sich an den Begriffen der §§ 1, 46, 47 BBiG oder § 87 SGB III orientiert[2], macht die Aufzählung jedenfalls deutlich, dass Bildungsmaßnahmen im weiteren Sinne vor einer Beendigungskündigung in Betracht zu ziehen sind, sofern sie eine Weiterbeschäftigung ermöglichen. Es werden daher sowohl die Weiterbildung im Rahmen eines ausgeübten Berufs als auch die Qualifizierung für eine andere berufliche Tätigkeit erfasst.[3]

 

Rz. 750

Welche Umschulung oder Weiterbildung dem Arbeitgeber zumutbar ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es sind die Belastungen des Arbeitgebers in betrieblicher und wirtschaftlicher Hinsicht gegen die Arbeitnehmerinteressen am Erhalt des Arbeitsplatzes abzuwägen. In erster Linie ist die Zumutbarkeit abhängig von der Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmers und der konkreten Vertragsgestaltung.[4] Ist ein Arbeitnehmer über einen langen Zeitraum beim Arbeitgeber beschäftigt und ist das Vertragsverhältnis nur mit einer langen Kündigungsfrist zu beenden, wird dem Arbeitgeber eine längere Umschulung und Weiterbildung eher zuzumuten sein.[5] Qualifizierungsmaßnahmen sind insofern nicht zwingend auf den Zeitraum der Kündigungsfrist zu beschränken.[6] Je weiter das Aufgabengebiet des Arbeitnehmers umschrieben ist und je wahrscheinlicher die Notwendigkeit einer fortlaufenden Qualifizierung nach der Art der Leistung oder des erforderlichen Arbeitsgeräts ist, umso eher ist dem Arbeitgeber die Finanzierung der Fortbildung zuzumuten.[7] Zudem verhält sich der Arbeitgeber treuwidrig, wenn er andere Arbeitnehmer fortlaufend schult, dies aber bei dem zu kündigenden Arbeitnehmer nicht in Betracht zieht (BAG, Urteil v. 5.6.2008, 2 AZR 107/07[8]). Ist die Qualifizierung allerdings mit erheblichen Kosten für den Arbeitgeber verbunden, ist ihm eine solche nur zuzumuten, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über diese Maßnahme auch nachhaltig gesichert werden kann.[9] Insoweit spielen auch das Alter des Arbeitnehmers und die noch mögliche Beschäftigungsdauer eine Rolle.[10] Eine Weiterbeschäftigung ist dem Arbeitgeber auch dann nicht zuzumuten, wenn der Arbeitnehmer einer Umschulung widersprochen hat.[11] Dem Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG lässt sich zwar das Erfordernis eines Einverständnisses des Arbeitnehmers nicht eindeutig entnehmen. Nach dem systematischen Zusammenhang kann aber aus der Formulierung auch nicht geschlossen werden, ein Einverständnis sei nur bei einer Beschäftigung zu solchen Arbeitsbedingungen erforderlich, die ohne Umschulung oder Weiterbildung zur Verfügung stünden (BAG, Urteil v. 7.2.1991, 2 AZR 205/90[12]).

 

Rz. 751

In diesen Fällen ist immer erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Beendigung einer Umschulung oder Fortbildung ein freier Arbeitsplatz tatsächlich vorhanden sein wird; dem Arbeitgeber ist es nicht zuzumuten, einen qualifikationsgerechten freien Arbeitsplatz erst zu schaffen (BAG, Urteil v. 8.5.2014, 2 AZR 1001/12[13]; BAG, Urteil v. 7.2.1991, 2 AZR 205/90[14]). Einzubeziehen sind dabei auch die Arbeitsplätze, die in absehbarer Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist frei werden, sofern dem Arbeitgeber die Überbrückung des Zeitraums zumutbar ist (BAG, Urteil v. 15.12.1994, 2 AZR 327/94[15]). Der Arbeitnehmer hat jedoch keinen Anspruch auf Beförderung auf der Grundlage einer Fortbildung oder Umschulung.[16] Entsprechendes gilt für freie Arbeitsplätze, die nach dem Stellenprofil bestimmter behördlicher Erlaubnisse oder Genehmigungen bedürfen: Sie stehen einer Kündigung nur dann entgegen, wenn im Kündigungszeitpunkt die berechtigte Erwartung besteht, dass der Arbeitnehmer in zumutbarer Zeit über sie verfügen wird. Es reicht nicht aus, dass die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nur mit gewisser Wahrscheinlichkeit gesichert ist (BAG, Urteil v. 27.7.2017, 2 AZR 476/16).

[1] Vgl. auch Rz. 678; ebenso Löwisch/Spinner/Wertheimer, KSchG, 10. Aufl. 2013, § 1 KSchG, Rz. 357; SPV/Preis, 11. Aufl. 2015, § 2 KSchG, Rz. 1001; APS/Kiel, 5. Aufl. 2017, § 1 KSchG, Rz. 565.
[2] So Dornbusch/Wolff/Volk, KSchG, 2. Aufl. 2007, § 1 KSchG, Rz. 412.
[3] APS/Kiel, 5. Aufl. 2017, § 1 KSchG, Rz. 565; ErfK/O...

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