Rz. 13

Eine Arbeits-/Dienstverhinderung aus persönlichen Gründen kann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer der Arbeit fern bleibt, weil er erkrankte Angehörige pflegt. Seit Juli 2008 ergibt sich aus dem Pflegezeitgesetz (PflegeZG), dass die häusliche Pflege naher Angehöriger ein rechtlich anerkennenswerter Tatbestand für eine Arbeitsverhinderung sein kann. Das PflegeZG gewährt allerdings keine Vergütungsansprüche. Nach § 2 Abs. 3 PflegeZG ist der Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung nur "nach anderen gesetzlichen Vorschriften" verpflichtet, zu denen § 616 BGB gehört.[1]  Der Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld (§ 44a Abs. 3 SGB XI) besteht nur für '"entgangenes Arbeitsentgelt", d.h. er ist subsidiär, § 616 BGB geht insoweit vor, wobei der große Kreis der Angehörigen nach Maßgabe des § 7 Abs. 3 PflegeZG auf § 616 BGB nicht übertragbar ist.[2] Das BAG erkennt einen Anspruch aus § 616 BGB für den Fall an, dass der Arbeitnehmer ein im Haushalt lebendes erkranktes Kind, das das 8. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beaufsichtigen, betreuen oder pflegen muss (BAG, Urteil v. 20.6.1979, 5 AZR 479/77; BAG, Urteil v. 20.6.1979, 5 AZR 392/78[3]). Dabei hat man sich an der damals in § 45 SGB V vorgesehenen Altersgrenze für einen Krankengeldanspruch orientiert. Diese für den Krankengeldanspruch geltende Altersgrenze wurde zwischenzeitlich auf zwölf Jahre angehoben. Für die Frage, wann ein Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 616 BGB besteht, ist das Alter des erkrankten Kindes aber nicht entscheidend. Es kann weder schematisch angenommen werden, dass die Pflege eines Kindes, das das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, stets eine Verhinderung aus persönlichen Gründen i. S. v. § 616 BGB darstellt, noch kann umgekehrt der Schluss gezogen werden, die Pflege älterer Kinder könne keinen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 616 BGB auslösen[4].

Der Anspruch gegen die gesetzliche Krankenkasse auf Kinderkrankengeld (§ 45 SGB V) ist subsidiär gegenüber dem Anspruch gegen den Arbeitgeber nach § 616 BGB (BAG, Urteil v. 31.7.2012, 10 AZR 578/01, Rn. 41; LAG Thüringen, Urteil v. 20.9.2007, 3 Sa 78/07).

 
Praxis-Beispiel

Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, die zwar gesetzlich versichert sind, deren erkrankte Kinder jedoch nicht gemäß § 10 SGB V familienversichert sind und die deshalb keinen Anspruch auf Bezug von Krankengeld wegen der Betreuung des Kindes haben, haben neben dem unbezahlten Freistellungsanspruch nach § 45 Abs. 5 SGB V einen tariflichen Anspruch auf bezahlte Freistellung nach § 29 Abs. 1 e) bb) TV-L oder TVöD i. V. m. § 616 BGB für die Dauer von bis zu vier Arbeitstagen im Kalenderjahr (LAG Hamm, Urteil v. 15.12.2011, 11 Sa 1006/11; BAG, Urteil v. 5.8.2014, 9 AZR 878/12). § 29 TV-L benennt in seinem Absatz 1 verschiedene Anlässe, die als Fälle nach § 616 BGB gelten, in denen Beschäftigte unter Fortzahlung des Entgelts in dem angegebenen Ausmaß von der Arbeit freigestellt werden. Zu diesen Fällen zählt die schwere Erkrankung eines Kindes, das das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wenn im laufenden Kalenderjahr kein Anspruch nach § 45 SG V besteht oder bestanden hat (§ 29 Abs. 1 e) bb) TV-L). Der Anspruch besteht für bis zu vier Arbeitstage im Kalenderjahr. Dabei erfolgt die Freistellung nach § 29 Abs. 1 Satz 2 TV-L nur, soweit eine andere Person zur Pflege oder Betreuung nicht sofort zur Verfügung steht und die Ärztin/der Arzt in den Fällen aa) und bb) die Notwendigkeit der Anwesenheit der/des Beschäftigten zur vorläufigen Pflege bescheinigt.

Voraussetzung für einen Entgeltfortzahlungsanspruch ist in jedem Fall, dass der Angehörige plötzlich und unvorhergesehen erkrankt. Bei vorhersehbaren Erkrankungen ist der Arbeitnehmer verpflichtet, sich rechtzeitig um eine Pflegeperson zu kümmern. Im Allgemeinen wird der Arbeitgeber nur verpflichtet sein, seinem Arbeitnehmer für wenige Tage den Lohn fortzuzahlen, wenn eine plötzlich auftretende Erkrankung eines nahen Angehörigen ihm keine andere Wahl lässt, als der Arbeit fern zu bleiben. Bei lang andauernden Erkrankungen müssen Betreuung und Pflege auf andere Weise gesichert werden. Jedenfalls ist die Entgeltfortzahlung bei Erkrankung naher Angehöriger dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer länger als sechs Wochen verhindert ist; selbst bei eigener Erkrankung hat er Anspruch auf Lohnfortzahlung nur für die Dauer von sechs Wochen (BAG, Urteil v. 20.7.1977, 5 AZR 325/76[5]). Außerdem darf die Pflege des Angehörigen nicht auf andere Weise, insbesondere nicht durch andere Personen möglich sein. Gerade bei Kleinkindern werden jedoch häufig nur die Eltern als Pflegepersonen infrage kommen, sodass § 616 BGB nicht entgegengehalten werden kann, eine andere Person sei zur Pflege bereit. Sind im Falle der Pflegenotwendigkeit für ein Kind beide Elternteile berufstätig, können diese entscheiden, wer von ihnen die Pflege des Kindes übernimmt (BAG, Urteil v. 20.6.1979, 5 AZR 361/78[6]).

Ein Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf bezahlte Freistellung, wenn er aufgrund stationärer Unterbring...

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