Rz. 19

Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit darf nur aufgrund einer ärztlichen Untersuchung erfolgen (§ 4 Abs. 1 AU-RL). Darüber hinaus kann die Arbeitsunfähigkeit auch mittelbar persönlich im Rahmen von Videosprechstunden festgestellt werden. Dies ist jedoch nur zulässig, wenn der Versicherte dem Vertragsarzt oder einem anderen Vertragsarzt derselben Berufsausübungsgemeinschaft aufgrund früherer Behandlung unmittelbar persönlich bekannt ist und die Erkrankung dies nicht ausschließt (§ 4 Abs. 5 Satz 1 und 2 AU-RL). Erfolgt eine Entlassung aus dem Krankenhaus oder aus einer medizinischen Rehabilitationseinrichtung im Rahmen des Entlassmanagements, darf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch von einem dort tätigen Arzt ausgestellt werden (vgl. § 5 Abs. 1 AU-RL).

Befristete Sonderregelungen galten in den Jahren 2020, 2021 und 2022 im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie:

  • Aufgrund der Änderung der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie konnten Ärzte Versicherte, die an leichten Atemwegserkrankungen litten, bis zum 31.3.2022 (Stand zum Zeitpunkt der Drucklegung) telefonisch bis zu 7 Kalendertage Arbeitsunfähigkeit bescheinigen. Niedergelassene Ärzte mussten sich dabei persönlich vom Zustand des Patienten durch eine eingehende telefonische Befragung überzeugen. Eine einmalige Verlängerung der Krankschreibung konnte telefonisch für weitere 7 Kalendertage ausgestellt werden.
  • Krankenhausärzte konnten ferner im Rahmen des Entlassmanagements eine Arbeitsunfähigkeit für eine Dauer von bis 14 Kalendertagen nach Entlassung aus dem Krankenhaus bescheinigen. Die Regelung tritt nach § 9 Absatz 1 der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung gemäß dem Stand zum Zeitpunkt der Drucklegung am 31. Mai 2022 außer Kraft.

(Einzelheiten: vgl. § 8 AU-RL sowie https://www.g-ba.de/service/sonderregelungen-corona/#arbeitsunfahigkeits-richtlinie, zuletzt abgerufen am 31.3.2022)

 

Rz. 20

Die Arbeitsunfähigkeit soll für eine vor der ersten ärztlichen Inanspruchnahme liegende Zeit grundsätzlich nicht bescheinigt werden. Eine Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungsbeginn liegenden Tag ist ebenso wie eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nur ausnahmsweise und nur nach gewissenhafter Prüfung und i.d.R. nur bis zu 3 Tagen zulässig (§ 5 Abs. 3 AU-RL).

 
Praxis-Beispiel

Der Arzt schreibt einen versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer am 5.5. wegen der Folgen eines am Vortag erlittenen Unfalls rückwirkend ab 4.5. arbeitsunfähig krank.

Der Anspruch auf Krankengeld i.S.d. § 44 entsteht bereits am 4.5.

Anmerkung: Allerdings ist Krankengeld i.S.d. § 46 erst ab 5.5. zu zahlen.

 

Rz. 21

Die Arbeitsunfähigkeit ist nach § 31 BMV-Ä auf dem Vordruck "Muster 1" der Vordruck-Vereinbarung, die Anlage zum Bundesmantelvertrag-Ärzte ist https://www.kbv.de/media/sp/Muster_1.pdf, zuletzt abgerufen am 31.3.2022), zu bescheinigen (§ 4 Abs. 2 AU-RL). Der Nachweis durch den Vordruck Muster 1 ist allerdings nicht verbindlich. Auch die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-RL) enthält keine abschließende Bestimmung, dass die Arbeitsunfähigkeit auf dem vereinbarten Vordruck zu erfolgen hat.

Auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sind alle die Diagnosen anzugeben, die aktuell vorliegen und die attestierte Dauer der Arbeitsunfähigkeit begründen (§ 295 Abs. 3).

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss erkennen lassen, ob es sich um eine Erst- oder Folgebescheinigung handelt. Eine Erstbescheinigung ist auszustellen, wenn die Arbeitsunfähigkeit erstmalig festgestellt wird (§ 5 Abs. 1 Sätze 6 und 7 AU-RL).

 

Rz. 22

Bestehen seitens der Krankenkassen Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit, hat sie eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes (MD) einzuholen. Auch der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, eine solche Stellungnahme einzufordern (vgl. § 275 Abs. 1 und 1a). Ein Versicherter darf allerdings nicht darauf vertrauen, dass ihm allein schon deshalb Krankengeld zusteht, weil der behandelnde Vertragsarzt abweichend von einem Gutachten des MD Arbeitsunfähigkeit bescheinigt (vgl. BSG, Urteil v. 8.11.2005, B 1 KR 18/04 R). Der Beweiswert einer ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit wird z.B. beeinträchtigt, wenn der Arzt diese Bescheinigung ohne vorausgegangene körperliche Untersuchung ausstellt (vgl. BAG, Urteil v. 11.8.1976, 5 AZR 422/75).

 

Rz. 23

Wird die Bescheinigung im Ausland ausgestellt, kommt ihr im Allgemeinen der gleiche Beweiswert zu wie eine in Deutschland ausgestellte Bescheinigung. Es muss jedoch erkennbar sein, dass der ausländische Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit unterschieden und damit eine den Begriffen des deutschen Arbeits- und Sozialversicherungsrechts entsprechende Beurteilung vorgenommen hat (vgl. BAG, Urteil v. 19.2.1997, 5 AZR 83/96; BSG, Urteil v. 4.6.2019, B 3 KR 23/18 R).

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