Entscheidungsstichwort (Thema)

Versorgungsvertrag. Kündigung. Kündigungsgrund. Anhörung des Leistungserbringers. Umfang der gerichtlichen Überprüfung

 

Orientierungssatz

1. Die fristlose Kündigung eines bestehenden Versorgungsvertrages setzt zu ihrer Zulässigkeit eine ordnungsgemäße Anhörung des Leistungserbringers voraus. Diese muss alle entscheidungserheblichen Tatsachen im Einzelnen nachvollziehbar darlegen, um den gekündigten Pflegedienst in die Lage zu versetzen, sich hiermit sachgerecht auseinanderzusetzen.

2. Eine ausgesprochene fristlose Kündigung ist unwirksam, wenn das Kündigungsschreiben nicht in überprüfbarer Weise erkennen lässt, auf welche konkreten Tatsachen und Pflichtverletzungen die Kündigung gestützt worden ist.

3. Das Gericht ist auf die Überprüfung der geltend gemachten Kündigungsgründe beschränkt. Es ist nicht gehalten, den Fall von sich aus auf mögliche Kündigungsgründe zu untersuchen.

 

Normenkette

SGB V §§ 132, 132a Abs. 2; SGB X §§ 24, 59; SGG § 86b Abs. 2; GG Art. 19 Abs. 4

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 30. Mai 2006 aufgehoben.

Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung festgestellt, dass die mit Schreiben vom 12. Mai 2006 ausgesprochene fristlose Kündigung des Vertrages gemäß §§ 132 und 132 a Abs. 2 SGB V über die einheitliche Versorgung mit Häuslicher Krankenpflege sowie zur Erbringung von Leistungen nach §§ 198 und 199 RVO (Häusliche Pflege bzw. Haushaltshilfe) vom 31. Januar 2005 unwirksam ist.

Die Antragsgegnerinnen zu 1) bis 6) tragen die Kosten des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens für beide Instanzen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,00 € festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 30. Mai 2006 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antrag der Antragstellerin abgelehnt, im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass die mit Schreiben vom 12. Mai 2006 ausgesprochene fristlose Kündigung des im Tenor näher bezeichneten Vertrages (Versorgungsvertrag) unwirksam ist. Denn dieser Antrag, der bei am Rechtsschutzziel orientierter Auslegung des – mit der Beschwerdeschrift korrespondierenden – Antragsschriftsatzes gegen die Verbände der Krankenkassen im Land Brandenburg als Vertragspartner der Antragstellerin gerichtet ist und den von der Antragstellerin ergänzend gestellten Leistungsantrag auf Verurteilung der Antragsgegnerinnen zur – vorläufigen – Fortsetzung des Vertragsverhältnisses über den 16. Mai 2006 hinaus mit umfasst, ist zulässig und begründet.

Wie das Sozialgericht im Rahmen seiner Zulässigkeitsprüfung zutreffend ausgeführt hat, richtet sich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei der hier gegebenen Fallkonstellation nicht nach § 86 b Abs. 1 SGG, sondern nach § 86 b Abs. 2 SGG. Denn im Unterschied zur Kündigung eines Versorgungsvertrages über die Erbringung von Pflegesachleistungen gemäß § 74 Abs. 3 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches ist die hier in Rede stehende Kündigung trotz der ihr am Ende angefügten Rechtsbehelfsbelehrung nicht als Verwaltungsakt, sondern als öffentlich-rechtliche Willenserklärung zu qualifizieren, weil es sich bei dem Versorgungsvertrag, um dessen fristlose Kündigung es geht, um einen öffentlich-koordinationsrechtlichen Vertrag zwischen gleichgestellten Rechtssubjekten im Sinne der §§ 53 ff. des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) handelt (vgl. BSG SozR 3 – 2500 § 132 a Nr. 4 sowie BSG SozR 3 – 3300 § 77 Nr. 2). Diese Willenserklärung ist, will der Erbringer von Leistungen der häuslichen Krankenpflege (Pflegedienst) die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses erreichen, in der Hauptsache mit der Feststellungsklage zu bekämpfen (vgl. BSG SozR 3 – 3300 § 77 Nr. 2). Dies schlägt auf das vorläufige Rechtsschutzverfahren durch.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der zulässige Feststellungsantrag auch begründet. Denn die Antragstellerin hat für ihr mit diesem Antrag verfolgtes Begehren sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht.

Nach der im hiesigen Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung erweist sich die mit Schreiben vom 12. Mai 2006 ausgesprochene, der Antragstellerin am 16. Mai 2006 zugegangene, fristlose Kündigung des Versorgungsvertrages als unwirksam. Rechtsgrundlage für sie sind die §§ 35, 36 des Versorgungsvertrages in Verbindung mit § 59 SGB X. Hiernach kann das Vertragsverhältnis schriftlich unter Angabe von Gründen von den vertragsschließenden Verbänden der Krankenkassen im Land Brandenburg – nach grundsätzlich durchgeführtem Anhörungsverfahren (vgl. § 35 des Versorgungsvertrages) – ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn der Pflegedienst seine gesetzlichen oder vertraglichen Pflichten gegenübe...

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