Vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils zur Zeiterfassung hatte ein Arbeitnehmer im Rahmen einer Überstundenklage vor dem ArbG Emden eine Überstundenvergütung geltend gemacht. Er tat dies auf Basis technischer Zeitaufzeichnungen des Arbeitgebers. Weitere Arbeitszeitnachweise hatte der Arbeitgeber nicht geführt. Mit seiner Klage vor dem ArbG Emden hatte der Arbeitnehmer in erster Instanz Erfolg. Das ArbG Emden begründet das wie folgt: Der Arbeitgeber wäre aufgrund europarechtskonformer Auslegung des § 618 BGB (Fürsorgepflicht des Arbeitgebers) nach dem "Stechuhr-Urteil" des EuGH zur Erfassung und Kontrolle der Arbeitszeiten des Arbeitnehmers verpflichtet gewesen. Angesichts des Versäumnisses, Arbeitszeitnachweise zu führen, müsse er deshalb die technischen Aufzeichnungen als Indiz der geleisteten Arbeitszeit gegen sich gelten lassen. Diese Indizien hätte der Arbeitgeber nicht, z. B. durch Darlegung von Pausenzeiten, entkräften können.

Dieses in der Praxis vielbeachtete Urteil wurde vom LAG Niedersachsen aufgehoben; die Aufhebung wurde vom BAG bestätigt. Nach Auffassung von LAG und BAG wirkt sich das Urteil des EuGH zur Zeiterfassung nicht auf die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess aus. Der EuGH könne nur über die Auslegung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88 EG) und der EU-Grundrechtecharta entscheiden. Er habe jedoch aufgrund der Bestimmungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union keine Kompetenz zur Festlegung von Maßstäben, nach denen Arbeitszeiten zu vergüten seien. Im konkreten Fall seien die Darlegungen des Arbeitnehmers bezüglich der von ihm geleisteten Arbeitszeit nicht ausreichend gewesen.[1]

Allerdings können Aufsichtsbehörden auf der Grundlage von § 17 Abs. 2 ArbZG den Arbeitgeber verpflichten, auch über § 16 Abs. 2 ArbZG hinaus Arbeitszeiten aufzuzeichnen, wenn dies zur Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes erforderlich ist.[2]

 
Praxis-Tipp

DieGefahr der individualrechtlichen Geltendmachung von Überstunden (und auch aufsichtsbehördlicher Ordnungsverfügungen) kann nicht zuletzt dadurch verringert werden, dassdie im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit etablierten Regelungen zum Übergang mit "Überlast" tatsächlich "gelebt" werden und die Balance von Aufgabe und Arbeitszeit zum regelmäßigen Gegenstand von Gesprächen zwischen Führungskraft und Mitarbeitern gemacht wird, um Konfliktsituationen vorzubeugen. In diesem Zusammenhang ist es empfehlenswert, in betrieblichen Regelungen zur Vertrauensarbeitszeit den Arbeitnehmer zu verpflichten, proaktiv auf ein von ihm wahrgenommenes Missverhältnis von Aufgabenumfang und Arbeitszeit hinzuweisen.

Sofern mit dem in Vertrauensarbeitszeit arbeitenden Arbeitnehmer die Abgeltung von Mehrarbeit im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen wirksam vereinbart wurde oder aufgrund des Gehaltsniveaus des Arbeitnehmers ein solcher Anspruch von vornherein nicht besteht, wirkt sich dies naturgemäß anspruchsbegrenzend bzw. -vermeidend aus. Dabei können aber nur Arbeitszeiten im Rahmen des gesetzlich zulässigen Arbeitszeitvolumens wirksam abgegolten werden.[3]

[2] BayVGH, Urteil v. 26.10.2011, 22 CS 11.1989.
[3] Zum Ausschluss der Ansprüche auf Mehrarbeitsvergütung von "Besserverdienern" mit Arbeitsentgelt oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung vgl. BAG, Urteil v. 22.2.2012, 5 AZR 765/10; LAG Düsseldorf, Urteil v. 22.9.2021, 14 Sa 296/209.

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