Entscheidungsstichwort (Thema)

Typische Merkmale von Überstunden. Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers in der Überstundenklage. Keine unionsrechtliche Vorgabe in RL 2003/88/EG für das nationale Arbeitsentgelt

 

Leitsatz (amtlich)

Dem EuGH fehlt gem. Art. 153 Abs. 5 AEUV die Kompetenz, zu Fragen der Arbeitsvergütung Stellung zu nehmen.

Die Entscheidung dieses Gerichts vom 14.05.2019 hat keinerlei Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast in einem Überstundenprozess, jedenfalls insoweit nicht, als es um die Frage der arbeitgeberseitigen Veranlassung (Anordnung, Duldung, Billigung, Notwendigkeit) geht.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Überstundenklage setzt voraus, dass der Arbeitnehmer nicht nur Mehrarbeit geleistet hat, sondern dass die Mehrarbeit auch in irgendeiner Weise dem Arbeitgeber zugerechnet werden kann. Überstunden müssen deshalb vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig sein.

2. Soweit es um die Anordnung der Mehrarbeit geht, hat der Arbeitnehmer vorzutragen, wer wann und auf welche Weise Überstunden angeordnet hat. Allein die Anwesenheit des Arbeitnehmers am Arbeitsort begründet nicht die Vermutung, die Überstunden seien notwendig gewesen. Die Billigung beinhaltet die Anerkennung vorher geleisteter Überstunden; zudem muss der Arbeitgeber zu erkennen geben, dass er mit den Überstunden einverstanden gewesen ist .

3. Die Richtlinie 2003/88/EG regelt mit Ausnahme des bezahlten Jahresurlaubs keine Fragen des Arbeitsentgelts. Die Mitgliedsstaaten sind nicht verpflichtet, Entgeltansprüche entsprechend den Definitionen der Begriffe "Arbeitszeit" und "Ruhezeit" in Art. 2 der Richtlinie festzulegen.

 

Normenkette

AEUV Art. 153 Abs. 5; BGB §§ 612, 618; RL 2003/88/EG Art. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Emden (Entscheidung vom 09.11.2020; Aktenzeichen 2 Ca 399/18)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 04.05.2022; Aktenzeichen 5 AZR 359/21)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Emden vom 09.11.2020 -2 Ca 399/18- in Ziffer 1 des Urteilstenors wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.579,00 € brutto und weitere 1.165,14 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2018 und weitere 2.876,51 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2019 abzüglich am 07.02.2019 gezahlter 4.041,65 € netto zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten der Berufung haben die Beklagte 15% und der Kläger 85% zu tragen.

Für den Kläger wird die Revision zugelassen, für die Beklagte wird die Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten zweitinstanzlich ausschließlich um Überstundenvergütung.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 00.00.0000 als Auslieferungsfahrer beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Einzelhandelsunternehmen. Die Arbeitsvergütung des Klägers betrug 14,89 EUR pro Stunde bei einer monatlichen Sollarbeitszeit von 173,20 Stunden. Der schriftliche Arbeitsvertrag der Parteien nimmt keinerlei Tarifverträge in Bezug. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete durch eine Eigenkündigung des Klägers zum 30.06.2019.

Die Beklagte erfasste die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter mittels einer technischen Aufzeichnung in dem M. N. Die Mitarbeiter erfassten Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit, wobei die vor Ort tätigen Mitarbeiter auch ihre Pausen mittels der Zeiterfassung registriert haben. Der Kläger und andere Fahrer hatten keine Möglichkeit, eventuell geleistete Pausen zu erfassen.

In dem Zeitraum vom 04.01.2016 bis 12.10.2016 fuhr der Kläger zunächst zum M. S. und holte dort das von ihm geführte Fahrzeug ab. Mit diesem Fahrzeug begab er sich zum M. N., betätigte die Zeiterfassung und startete seine Touren.

Die Auswertung der technischen Aufzeichnung wies für den Zeitraum vom 04.01.2016 bis zum 16.07.2018 bezogen auf eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden einen positiven Saldo von weiteren 348 Stunden zugunsten des Klägers aus.

Mit Lohn- und Gehaltsabrechnung für Juni 2019 rechnete die Beklagte zugunsten des Klägers einen Gesamtbruttobetrag in Höhe von 4.041,65 EUR ab, dieser enthielt unter anderem einen Teilbetrag in Höhe von 1.165,14 EUR brutto für 78,25 Überstunden zu je 14,89 EUR brutto. Die Beklagte zahlte indes den Gesamtbruttobetrag in Höhe von 4.041,65 EUR als Nettobetrag vollständig an den Kläger aus.

Mit seiner Klage hat der Kläger - soweit für das Berufungsverfahren von Interesse - 6.392,10 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 01.11.2018 abzüglich am 02.07.2019 hierauf geleisteter Nettozahlungen geltend gemacht. Er hat behauptet, insgesamt in dem Zeitraum vom 04.01.2016 bis zum 16.07.2018 429 Überstunden geleistet zu haben. Hierauf entfielen 348 Überstunden, die sich aus dem positiven Saldo laut Arbeitszeitaufzeichnung ergäben und weitere 81 Stunden für die Abholung des Fahrzeuges vom M. S. zum M. N. in dem Zeitraum vom ...

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