Rz. 45

Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner für die LSt-Schuld des Arbeitnehmers (§ 42d Abs. 3 S. 1 EStG). Das Betriebsstätten-FA kann die Steuer- oder die Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen (§ 42d Abs. 3 S. 2 EStG). Diese Regelung ergänzt die Grundsätze über die Gesamtschuldnerschaft in § 44 AO. Der Arbeitgeber haftet für die LSt-Schuld des Arbeitnehmers. Streitig ist, ob der Arbeitgeber gegen seine Inanspruchnahme nach Ablauf des Vz einwenden kann, die ESt-Schuld des Arbeitnehmers sei geringer oder bestehe überhaupt nicht (zum Meinungsstreit vgl. Rz. 12). In jedem Fall kann er i. d. R. geltend machen, seine Haftungsinanspruchnahme sei ermessensfehlerhaft, weil vom Arbeitnehmer keine ESt mehr nachgefordert werden könne infolge der Bestandskraft dessen ESt-Veranlagung und in Ermangelung einer Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.[1] Soweit das FA hingegen den Arbeitnehmer noch durch ESt-Bescheid für nicht einbehaltene und nicht abgeführte LSt als Schuldner in Anspruch nehmen kann, ist die Heranziehung des Arbeitnehmers keine Ermessensentscheidung des FA.[2]

 

Rz. 46

In Rz. 17ff. ist die Frage erörtert worden, unter welchen Tatbestandsvoraussetzungen ein Arbeitgeber für LSt haftet. Insoweit besitzt das FA bei der Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen kein Ermessen. Das FA hat ein Ermessen nur bezüglich der Rechtsfolge.[3]

 

Rz. 47

Nach § 191 Abs. 1 AO "kann" das FA einen Haftungsschuldner durch Haftungsbescheid in Anspruch nehmen. Damit ist es in das Ermessen des FA gestellt, ob es überhaupt gegen einen Haftungsschuldner vorgehen will. Die Rspr. bezeichnet dieses Ermessen als Entschließungsermessen.[4] Jegliche Inanspruchnahme eines Arbeitgebers als Haftenden kann z. B. ermessenswidrig sein, wenn die Ursache für die fehlerhafte Einbehaltung der LSt beim FA liegt (vgl. Rz. 50, 63ff.).[5]

 

Rz. 48

Von dem Entschließungsermessen ist das Auswahlermessen zu unterscheiden, das das FA bei der Entscheidung besitzt, ob es den Arbeitgeber als Haftungsschuldner oder den Arbeitnehmer als Steuerschuldner in Anspruch nehmen will.[6] Über die Frage, an welchen der beiden Gesamtschuldner es sich halten will, hat es nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der von Recht und Billigkeit gezogenen Grenzen und unter Abwägung der Interessen aller Beteiligten zu befinden.[7] Die Ausübung des Auswahlermessens hängt wesentlich von den Gesamtumständen des Einzelfalls ab. Dabei ist von dem gesetzgeberischen Zweck des LSt-Abzugsverfahrens auszugehen, durch den Abzug an der Quelle den schnellen Eingang der LSt in einem vereinfachten Verfahren sicherzustellen.[8]

 

Rz. 49

Der Umfang des Auswahlermessens bedarf jedoch der zeitlichen und gegenständlichen Einschränkung. Ein Auswahlermessen steht dem FA – in einschränkender Auslegung von § 42d Abs. 3 S. 1 und 2 EStG – nur während des laufenden Kalenderjahrs für die in diesem Zeitraum zu erhebende LSt zu.[9] Nach Ablauf dieses Zeitraums ist die Inanspruchnahme des Arbeitnehmers für nicht einbehaltene und abgeführte LSt durch ESt-Bescheid oder Steuernachforderungsbescheid keine Ermessensentscheidung mehr.[10] Der Arbeitnehmer kann dabei keine Einwendungen aus dem Rechtsverhältnis zwischen dem FA und dem Arbeitgeber geltend machen, wie z. B., dass dessen Haftungsinanspruchnahme gegen Treu und Glauben verstößt.[11]

Bezieht das für die Veranlagung des Arbeitnehmers zuständige Wohnsitz-FA durch ESt-Änderungsbescheide bisher im LSt-Abzugsverfahren nicht berücksichtigte Lohnteile in die Veranlagung ein, ist § 42d Abs. 3 S. 2 EStG nicht einschlägig.[12]

 

Rz. 50

Ist nach Ablauf des Kj. somit kein Raum mehr für ein Auswahlermessen des Betriebsstätten-FA, so beschränkt sich dann sein Ermessen als Entschließungsermessen darauf, ob es den Arbeitgeber als Haftenden in Anspruch nehmen will oder ob es davon absieht (zum Entschließungsermessen s. Rz. 47).[13]

 

Rz. 50a

Laut BFH kommt eine gesamtschuldnerische Haftung auch bei der Arbeitgeberin (eine GmbH) und deren Geschäftsführer in Betracht. Die Finanzbehörde übt ihr Auswahlermessen fehlerhaft aus, wenn sie ohne nähere Begründung nur den Arbeitgeber für die LSt in Haftung nimmt, obwohl nach den im Streitfall gegebenen Umständen eine Haftung des Geschäftsführers i. S. der §§ 34 AO, § 35 AO, § 69 AO in Betracht kommt.[14]

[3] Hierzu ausführlich Völlmecke, DStR 1991, 1001.
[4] BFH v. 14.3.1989, VIII R 152/85, BStBl II 1990, 363f.
[6] BFH v. 14.3.1989, VIII R 152/85, BStBl II 1990, 363.
[9] BFH v. 21.2.1992, VIII R 141/88, BStBl II 1992, 565.

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